Geli Ammann

Der Straßenmaler

Straßenmaler
 
Ich hatte es mal wieder eilig, vieles musste noch erledigt werden. Schwungvoll bog ich um die Ecke und blieb stehen. Ein Straßenmaler war gerade dabei sein Werk zu vollenden, und ich schaute fasziniert auf die Farbenpracht und auf den jungen Künstler. Die Zeit blieb stehen, war es wirklich schon 20 Jahre her.
Ich studierte Kunst, mein absolutes Wunschfach und öffnete gerade den Brief mit der Zusage ein Semester an der Sorbonne in Paris studieren zu dürfen. Mein Glück konnte ich kaum fassen. Eigentlich brauchte ich nur noch meinen Koffer zu packen. Wohnen konnte ich bei Camille, meiner französischen Freundin. Gerade hatte ich mich von Gabriel getrennt,  und dieser Wechsel würde mir sehr gut tun.

Es war ein wunderschöner Sommer und die Formalitäten an der Uni waren zwar nicht schnell erledigt, doch da alles so fremd  war,  und ich mein Französisch noch aufpolieren wollte, störte mich das gar nicht. Es war so aufregend, so neu. Camille war wie immer quicklebendig und wenig zu Hause, so dass ich oft auf mich allein gestellt war. Ich streifte durch die Straßen und am liebsten schaute ich von Sacre Coeur hinunter auf den Montmatre. Die vielen Straßenkünstler hatten es mir angetan, und ich konnte stundenlang zuschauen, bei ihrer Straßenmalerei und auch beim Porträtieren der Touristen.

Auf einmal sah ich ihn. Er war dabei mit bunten Kreiden einen Clown zu skizzieren. Er schaute hoch, und es traf mich wie ein Blitz, diese blauen Augen,  und mit seinem Lächeln verzauberte er mich sofort. In Paris ist man nicht so konventionell, und wir kamen schnell ins Gespräch. Sein Name war Mathis, und ich musste aufpassen, um seine Worte zu verstehen. Er redete mit Händen und Füßen, erzählte, dass er mit der Malerei sein Studium finanzierte und immer durch ganz Paris zog, und die Menschen bezauberte. Er wohnte im Quartier Latin, heute unmöglich, aber damals konnte man es sich noch leisten. In dieser Nacht träumte ich von ihm und die Stadt der Liebe machte ihrem Namen alle Ehre.


Morgens ging ich in die Uni und am späten Nachmittag schaute ich Mathis beim Malen zu. Er war so konzentriert dabei, und sein Talent konnte man kaum übersehen. Wenn er fertig schien, gingen wir einen Pastis trinken. Er saß mir gegenüber, und ich war so verliebt. Eines Tages regnete es, und sein Bild zerfloss in bunten Schlieren. Mir kamen die Tränen, und Mathis nahm meine Hände in seine und küsste die Tränen fort. Wir standen auf,  gingen in sein kleines Zimmer,  und als er mich dort in den Arm nahm, stand die Zeit still. Niemals hatte ich so etwas erlebt. Diese Gefühle überwältigten mich, und ich blieb die Nacht bei ihm. Ich war nicht unerfahren, trotzdem war das neu für mich. Eine solche Intensität hätte ich niemals für möglich gehalten. Nach dieser Nacht war ich verändert.

Mein Studium vernachlässigte ich, schwänzte ständig und verbrachte viel Zeit mit Mathis. Ich zog mit ihm durch die Stadt schaute beim Malen zu und ging auch mal mit dem Hut herum, um für ihn zu sammeln. Ich lernte eine völlig andere Seite von Paris kennen. Abends saßen wir mit Freunden zusammen,  und diese Künstlerwelt war mir bald nicht mehr fremd. Schnell gehörte ich dazu,  und doch merkte ich, dass ich bei Mathis niemals an erster Stelle stehen würde. Die Kunst war seine Geliebte, die er anbetete,  und für sie brachte er jedes Opfer. Mit seinen Händen schuf er wunderschöne Kunstwerke, die nie für die Ewigkeit waren, sondern schon nach kurzer Zeit verblassten und verschwanden. Im nächsten Jahr wollte er nach Barcelona und Florenz. Er plante nur für sich,  nie mit mir.

Erst als ich an der Uni Probleme bekam, bemühte ich mich wieder eifriger zu lernen. Ich war verhext von Mathis, und die Monate vergingen im Flug. Mit Schrecken bemerkte ich, dass mir nicht mehr viel Zeit blieb,  und ich bald nach Deutschland zurück musste. Wir hatten nie über die Zukunft gesprochen und an unserem letzten Abend zerriss es mir fast das Herz vor Schmerz. Mathis beteuerte mir seine Liebe, aber irgendwie war mir klar, dass das keine Zukunft haben würde. Ein letztes Mal liebten wir uns,  und ich weiß nicht mehr wie ich zurück zu Camille gekommen bin, dich mich tröstete.
Ich bin nach Deutschland zurück. Es war alles grau in grau,  und das passte zu meiner Stimmung. Wir schrieben uns, aber irgendwann hörte es auf, schleichend aber unerbittlich.
 
Ich schaute auf die Uhr, meine Güte, ich musste mich beeilen. Die Kinder würden heute kommen, und Jan hatte Gäste eingeladen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.10.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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