Abgründe,
Krisen, schmerzhafte Umbrüche, “Schicksalsschläge” sind
Merkmale menschlichen Lebens. Ein Abgrund kann sich als innere Krise
auftun, als Krankheit, Trennung ect. - die Liste ist quasi unendlich.
Aber wie auch das Wort “Krise” auf chinesisch zugleich Chance
bedeutet, kann ein Perspektivenwechsel auf die Abgründe unseres
Lebens viel Kraft freisetzen und die Chance unser wahres Selbst zu
entwickeln. Mut entsteht in
der Anwesenheit von Angst. Angst hat nur die Macht, die wir ihr geben
– auch im Abgrund. Hier geht es um den Mut unseren Abgründen
unvoreingenommen ins Anlitz zu blicken und versuchen ihre Botschaft
zu verstehen.
Es lohnt sich. Versprochen.
Inhalt:
Den Abgrund besser verstehen 1
Abgrundtypen 2
Der
sanfte Stupser 2
Der
Höllenschlund 3
Der
Langatmige 4
Phasen 6
Schockphase 6
Selbstmitleid
und Wut 6
Einengung
des Fokus 7
Die
Schuld und Sühnefrage 8
Hinschauen 9
Entrümpelung 11
Transformation 12
Üben 14
Veränderung
kommt in Wellen 16
Druck
weg 17
Offen,
ausdauernd und gegenwärtig bleiben 18
Ausrutscher,
träumen und wünschen 19
Genießen 20
Fliegen 20
Nicht
vergessen: danke sagen 22
Hilfreiche
Rezepturen und ihre Überdosis 23
Auszeit
und Selbstmitleid 24
Feeling
blue und Dauerbetäuben 25
Ausdauer
und Sturheit 26
Unterstützung
und Krücken 27
Selbstlob
und Erschöpfung durch Tempoüberschreitung 29
Humor
und Zynismus 31
Galgenhumor
und Autoaggression 32
Anzapfen
von Fluglehrer Unterbewusstsein 33
Philosophischer
Exkurs: bipolare Störung oder lauwarm 35
Zusammenfassung 38
Den
Abgrund besser verstehen
Der
Abgrund ist nicht dein Feind.
Die
Intention eines sich auftuenden Abgrundes ist es nicht
dich zu quälen und zu stürzen.
Kennst
du die alte Geschichte vom Schwimmenlernen? - Einfach den
Nichtschwimmer ins Wasser werfen und dann wird er schon schwimmen.
Abgründe
sind Anhänger dieser Erziehungsmethode.
Der
Abgund versucht dir quasi das Schwimmen –in diesem Fall das
Fliegen– beizubringen. Er weiß, dass du mit dieser Fähigkeit
geboren wurdest. Er ist überzeugt, dass du um so schneller und
sicherer fliegen lernst, je tiefer und steiler sich der Abgrund
darbietet. Rollst du dich im Selbstmitleid nach bösen Sturz am Boden
und leckst deine Blessuren – dann denkt der Abrund, er war nicht
tief genug, der Fall zu kurz, dass du deine Flügel hättest
entfalten können.
Ein
brutales Missverständis? Seien wir mal ehrlich –auf die selbe
brutale Weise– wann, wie oft und wie viele von uns sind bereit
freiwillig zu lernen?
So
lange wir noch irgendwie über den Boden taumeln oder kriechen, sehen
wir selten eine Notwendigkeit etwas zu lernen oder uns zu verändern.
Und
wozu fliegen? Sind wir nicht Erdentiere?
Nur:
der Abgrund weiß um den Rausch des freien Falles. Dieser kurze,
meist mit heftigen Kater verbundene Genuß ist aber Teil des
Lernprozesses, der Weg zu den Flügeln. Da kommen auch manche
Zweibeiner auf den Geschmack, missverstehen den Lehrmeister Abgrund
ein wenig. Ja – auch abstürzen hat seinen eigenen, intensiven
Geschmack. Wer sich aber nur mit der bittersüßen Seite von Schmerz
begnügt –und diese ist, obwohl von vielen heftig bestritten,
unbestreitbar bittersüß–
also, diesen schwarzen Seelen entgeht das purste Vergnügen: zu
fliegen.
Klingt
alles ein wenig zu metaphorisch? Klartext: wir können nach einigen
Lehrjahren (meist bis kurz nach der Adoleszens) aufhören zu lernen,
unsere Weiterentwicklung stoppen und als im Grunde nicht ausgereifte
Zweibeiner ein halbswegs gemütliches Leben, eine Existens führen.
Mit viel Augenzusammenkneifen entgeht uns auch der mahnende
Zeigefinger des Abgrundes. Fliegen – das bedeutet die Bereitschaft
über sich hinauszuwachsen, den Mut sein Licht zu sehen, seine Flügel
zu entdecken, die Schöpferkraft in uns (sein Leben selbst zu
erschaffen). Keine vorgezimmerten Existenzen zu leben, sondern zum
Schöpfer des eigenen Lebens zu werden. Fliegen – ist gleich
intensives, tiefes Leben, wahres Ich – das ist Genuß.
Das
will uns der Abgrund lehren. Raus aus dem manipulierten Grau, ab in
die Freiheit. Schönes blabla? Dann kommt es jetzt noch dicker.
-Ich
behaupte der Abgrund wird nur zum hartnäckigen Lehrmeister, wenn er
gerufen wird. Wir selbst rufen ihn. Manchmal nur ein Teil von dir,
ein kleiner, weiser unbewusster Teil – der mehr will. Der weiß,
dass dieses Leben mehr zu bieten hat, dass du unendlich mehr zu
bieten hast.
Und der
große tiefe Abgrund kommt dann, wenn wir die sanften, kleinen
Stolpersteine beharrlich ignoriert haben. Das ist nackte Wahrheit.
Glaube
es, oder nicht – der Abgrund kommt immer aus dir.
Glauben
wir dieser Aussage, wird damit auch klar welche Macht in jedem von
uns steckt. Und für Ungläubige: einfach der These der guten
Absicht des Abgrundes eine Chance geben!
Abgrundtypen
Vorweggenommen – der jeweilige Abgrund hat sich
perfekt an uns und das individuelle Leben, die jeweiligen Bedürfnisse
und die Lernbereitschaft angepasst. Insofern sind Abgründe
intelligente Formwandler!
Jeder Abgrundtypus hat sein individuelles Menschenbild
und darauf basierend eine differente Lehrmethode.
Der Klassiker – der Höllenschlund ist der Überzeugung
Zweibeiner lernen am schnellsten und gründlichsten fliegen, wenn er
sie ohne große Ankündigung in einen möglichst tiefen Schlund
wirft. Der sanfte Stupser meint Menschen lernen am besten in kleinen,
feinen, überschaubaren Portionen. Und der Langatmige denkt
langanhaltender Druck und Forderung machen Meisterflieger aus den
Zweibeinern. Wie auch immer – der Abgrund passt zu seinem Menschen
in einer definitierten Gegenwart.
Der
sanfte Stupser
Der sanfte Stupser ist ein vorsichtiger, introvertierter
und höflicher Abgrund.
Er klopft zögernd, schüchtern an die Tür des
Zweibeiners. Wird ihm nicht geöffnet, geht er wieder. Natürlich
kommt er wieder und klopft ein wenig fester. Mensch kann ihn leicht
übersehen, als Verstimmung, miese Laune oder “Pechsträhne”
abtun. Aber dieser Abgrund ist ein Wiederholungstäter.
Er bietet eine sanfte Chance zu lernen, zur Veränderung.
Eigentlich ist es der “ideale” Abgrund. Leider liegt es in der
Natur des Zweibeiners in eingefahrenen Bahnen zu leben unnd sich bei
Bedarf tot zu stellen. Nach der Bekanntschaft mit den weniger
harmlosen Abgrundkollegen kann nachfolgend der sanfte Stupser ein
treuer Wegbegleiter werden. Dann, wenn mensch gelernt hat zuzuhören.
In diesem Fall genügt das vorsichtige Pochen dieses Abgrundes und
mensch versteht – da ist hinschauen und reflektieren gefragt; eine
Kursänderung oder eine Pause –um Bruchlandungen zu vermeiden.
Natürlich kann auch der sanfte Stupser lästig werden – sein
hartnäckiges Immerwiederkommen. Dabei dachten wir doch schon alles
verstanden zu haben.
Seine Lehr und Lerninhalte dienen auch der Übung,
Wiederholung und Festigung des Gelernten. Nach einem Flug kann mensch
doch nicht behaupten die Lizens zum Fliegen in der Tasche zu haben!
Der sanfte Stupser ist für den Feinschliff, die
“Perfektion” und Feinabstimmung zuständig. Er bringt uns
loslassen und Geduld mit – und die Gewissheit, dass diese Reise
–auch mit Flügeln– ein Leben dauert. Weil sie der Weg und das
Ziel zugleich ist – das Leben eben.
Bedauerlicherweise besteht ein gewisser Gewöhnungseffekt
an diesen Abgrundtypus. Manche Zweibeiner haben den sanften Stupser
ein Leben lang an ihrem Rockzipfel hängen. Einen frustrierten, armen
kleinen, in Abständen wieder anklopfenden Abgrund, der sooo geduldig
ist. Und viele Zweibeiner sind auch noch stolz darauf – die Launen
des Schicksals so gut zu ertragen und sich nicht vom “Weg”
abbringen zu lassen. Na – wem nicht zu helfen ist!
Es ist sicher die angenehmste Art fliegen zu lernen, den
sanften Stupser herein zu bitten. Mancher, genug frustrierter von
diesen kleinen Abgründen ruft allerdings früher oder später einen
Kollegen zu hilfe – wie etwa den Höllenschlund.
Der
Höllenschlund
Der Höllenschlund begnügt sich nicht mit vorsichtigem
Anklopfen. Unerwartet, plötzlich, in gewaltiger Größe stürmt er
herein und bringt den Zweibeiner zu fall.
Der Höllenschlund lässt scheinbar aus dem Nichts die
Welt zusammenbrechen. Oft bleibt kein Stein auf dem anderen. Er raubt
uns den Atem. Mitunter scheint sogar das Weiteratmen zu schwer.
Der Höllenschlund ist von der Sorte Abgrund, die sich
nicht ignorieren lässt.
Mit unvorstellbarer Mühe schaffen es manche Zweibeiner
zumindest ihrer Umwelt eine zeitlang den Höllenschlund zu
verheimlichen. Eine kurze zeitlang. Der Zusammenbruch folgt
unausweichlich. Niemand, der die Bekanntschaft eines Höllenschlundes
gemacht hat, wird ihn je vergessen. Und kennt den brutalsten Weckruf,
den mensch sich vorstellen kann.
Aber ein Weckruf, der große Heilungskraft hat. Wer es
wagt zuzulassen orientierungslos zu sein, dem “Feind” ins Gesicht
zu sehen und sich umarmen zu lassen – der kann es Phönix gleich
tun.
Allerdings versuchen viele nach dem Fall in diesen
Abgrund gar nicht mehr aufzustehen und wenn, dann versuchen sie ihre
alte Welt, ihr altes ich aus den Steinen ihrer zusammen gebrochenen
Welt wieder zusammen zu setzen. Das ist zum Scheitern verurteilt.
Manche Teile des Vorher–Lebens sind zu Staub geworden, manche
verloren. Nur wer Mut besitzt loszulassen, sich neu zu machen – der
wird im Gleitflug auch Altes wiederfinden. Das, was seine Existenz
nicht überholt hat.
Was lange starr war, das muss zuerst ins krasse
Gegenteil schwappen, bevor es sich ausbalanzieren kann. Manche fallen
nach dem Besuch eines Höllenschlundes in ein langes Koma. Allerdings
hat dieser Abgrund auch das Potential für rasante Veränderung im
Gepäck. Der Höllenschlund reinigt durch akuten Schmerz, er liebt
die Konfrontation. Leben zerschlagen ist sein Hobby. Er weiß, dass
nur aus dem Chaos völlig Neues entstehen kann. Wer ein guter Schüler
ist und sich lehren lässt – der kann in sehr kurzer Zeit
transformieren. So, dass ihn manche Menschen nicht mehr wieder
erkennen.
Der Höllenschlund bringt die Chance zur radikalen
Erneuerung. Höllenschlunde zeigen einen tiefen Einschnitt im Leben
von Zweibeinern an. Diese Abgbründe bringen das komprimierteste,
schnellste Fluglernprogramm von allen Abgrundtypen.
Es kommt vor, dass der Höllenschlund, wenn der
Zweibeiner gar nicht mehr aus dem Koma aufwachen will, seinen
Kollegen den Langatmigen zu hilfe ruft. Und das kann zäh werden...
Aber um den Höllenschlund zu verstehen –was soll er denn tun, wenn
nicht mal sein gigantischer Auftritt den Zweibeiner auf seine Flügel
aufmerksam macht? Und der nur Kaninchen und Schlange spielt, sich
also tot stellt? Also – dann bietet derr nächste Abgrundtypus noch
Hoffnung..
Der
Langatmige
Das hervorstechende Merkmal des Langatmigen ist, dass er
kein Ende zu nehmen scheint. Dieser Abgrund variiert in seiner Tiefe
–von mittel bis sehr tief– ebenso wie in seinem Verlauf – in
seinen Schluchten kann es Steigungen und Stufen geben oder es kann
ein gleichförmiger Bodenverlauf sein. Wie auch immer – in einem
Langatmigen zu stecken, erfordert vom Zweibeiner einen langen Atem.
Sein Erscheinen kann vielfältige Ursachen haben:
vielleicht wurde ein sanfter Stupser hartnäckig ignoriert und er
wurde des stetigen Stupsens müde. Oder ein frustrierter
Höllenschlund gab auf, nachdem der Zweibeiner nicht mal zum
Flügelschlagen, nicht mal zu Trockenübungen gekommen ist. Ein
Langatmiger taucht auf, wenn die Abgründe nicht mehr weiter wissen.
Für den Zweibeiner ist sein Erscheinen und seine Botschaft oft
schwer zu verstehen. In Menschenkreisen wird dies mit anhaltenden
Pechsträhnen und dem Selbstbild des “Unglücksraben” assoziiert.
Der Mensch fühlt sich vom Glück verlassen und es fällt ihm sehr,
sehr schwer seine Verantwortung zu akzeptieren. Leider geben Menschen
in Umarmung eines Langatmigen gerne auf – und entscheiden sich
dieses Leben zu verlassen. Mit Hilfe eines Langatmigen fliegen zu
lernen geht leider nicht ohne wiederkehrende Phasen der Frustration.
Er bringt uns nahe daran zu resignieren. Damit sind wir aber auch
schon bei den Präsenten, die dieser Typus von Abgrund im Gepäck
hat. Indem er uns an die Grenzen führt –nahe an, mitunter in
Berührung mit der Resignation– dehnt und erweitert er unsere
Belastungsgrenzen. Das ist ein Versuch uns unsere Kraft bewusst zu
machen!
Der Langatmige lehrt Ausdauer und Geduld. Im gewissen
Sinn auch das Gefühl für die Gegenwärtigkeit. Er impft uns große
Visionen ein und fordert zugleich bei kleinen Babyschritten zu
bleiben. Und er trägt das Potentials für Vertrauen in sich. In
diesen endlos Schluchten, die keinen Horizont freigeben, stehen wir
vor einer Wahl. Das Nicht–Sehen–können des Horizontes, der
Steigung, des Ziels legt einerseits nahe diese “ausweglose”
Perspektive als die einzige Wahrheit, als real zu identifizieren.
Oder wir können ins Urvertrauen zurückfallen – in dem Fall kein
zurück, sondern ein Sieg. Das Urvertrauen, das wir als Kind
(hoffentlich) schon hatten. Dieses Urvertrauen birgt in sich die
Gewissheit, dass wir ankommen werden, fliegen können. Wir wissen das
und sind deshalb nicht mehr auf die oberflächliche Wahrnehmung
angewiesen, die uns einflüstern will, dass es kein Entkommen gibt.
Es sind gerade diese Momente, wo wir denken “ich kann
nicht mehr” in denen wir unsere Kraft, unser Potential entdecken.
Und dieser Abgrund will uns auch die Kostbarkeit der
Leere schenken. Den Mut sich einfach leer zu machen – mit Leere
füllen zu lassen. Dieser Prozess hat was meditatives, ein
transzendales Erlebnis. Leere reinigt, heilt Wunden und legt den
Samen für neues Wachstum. So betrachtet ist der Langatmige ein
besonders weiser Abgrund – ein Zenmeister. Mitunter scheint er
allerdings eine gewisse Freude am Zweibeinerquälen zu empfinden.
Nämlich dann, wenn es in seinen Tiefen ein gutes Stück bergauf geht
und plötzlich wieder runter – Schlucht in der Schlucht. In
Wirklichkeit ist das eine Erinnerung daran, nicht zu kriechen sondern
die eigenen Flügel zu benutzen. Und daran, dass wir alles, was wir
auf der Reise brauchen, bereits in uns tragen.
Ruhe, Ausdauer, Transzendierung und sich leer machen
können, Vertrauen und Kraft – das alles ist im Lehrplan des
Langatmigen enthalten.
Phasen
Ich
spaziere auf grüner Wiese, der Himmel erscheint mir so blau und
ungetrübt. BUMM
– Abgrund. Ich stürze!
Gut, nicht immer erscheint ein Abgrund so plötzlich.
Aber da die meisten von uns eine gewisse Perfektion im Verdrängen
erreicht haben, ist der unerwartete, aus dem Nichts aufklaffende
Abgrund mehr Regel als Einzelfall.
Böses Schicksal, ungerechtes Leben, ich Pechvogel oder
so ähnlich...
Wenn
er da ist, der Abgrund, liegen wir gewöhnlich schon unten, mitten
drin. Autsch. Auch bei physischen Unfällen checken wir zuerst meist
nicht, was und ob, wie viel uns passiert ist. –
Schockphase. Nach –in einem Abgrund gibt es ein paar typische
Phasen für uns.
Schockphase
Aufwachen im Abgrund löst meistens einen Schock aus. Es
gibt immer wieder besonders beharrliche Individuen, die sich auch
dann noch zwingen den blauen Himmel und die grüne Wiese zu
visualisieren oder das zumindest nach Außen zu verdeutlichen. Bei
manchen geht ein gigantischer Energieaufwand dahin, dass die Umwelt
bloß nichts merkt vom eigenen Sturz.
Dieses
Schauspiel ist oft so anstrengend, dass mensch selbst gar keine
Energie mehr hat, den Abgrund zu registrieren. Der Abgrund
verzweifelt und wächst daraufhin in die Tiefe. – Irgendwann muss
der Zweibeiner doch was mitkriegen?? –
Er
wird.
Und
dann folgt ein ziemlicher Kollaps. Womit wir wieder – auf
energieraubenden Umweg–
beim Erstschock wären. Dessen Symptome sind, das Gar–nicht–erfassen,
wahrnehmen–können
der Situation wie unseres eigenen gegenwärtigen Zustandes, inklusive
unserer Emotionen, ausgenommen tiefer, existentieller Angst. Kurzum:
wir sind geschockt.
Selbstmitleid und Wut
Das Bewusstwerden im Abgrund zu stehen löst in fast
allen Fällen zwei gewaltige Emotionen aus – akutes Selbstmitleid
und Wut.
Die Fragen “wieso ich? Wieso passiert das ausgerechnet
mir?” lösen das Gefühl aus ungerecht behandelt worden zu sein.
Mensch habe diesen Abgrund nicht verdient. Es spricht absolut nichts
dagegen sich ein wenig zu bedauern. Meist inkludiert dies eine
liebevolle, verhätschelnde Behandlung des Ego.
Auch Wut sollte ihren Raum bekommen. Wütend auf das
Leben, auf das Universum aber auch auf die anderen, die es ja
scheinbar so leicht haben, zu sein, kann entlastend sein.
Ganz allgemein – es ist nie gesund Gefühle zu
verdrängen. Dann toben sie sich nur umso stärker in ihrer
Besenkammer – in unseren Tiefen aus. Überschwemmt von
Selbstmitleid und hadernd mit dem bösen Schicksal sind wir blind und
taub gegen weitere Erkenntnisse.
Wie auch der Frage, was dieser Abgrund denn mit uns
selbst zu tun hat.
Und
ich bin –
wie
auch Abgründe ein Verfechter von radikalen Thesen. Wie, das alles,
was in unserem Leben geschieht weniger mit Zufall oder Schicksal, als
mit unserer Struktur, unserem Unbewussten zu tun hat.
Um bei den simplen Tatsachen zu bleiben: Ein Abgrund hat
uns verschluckt, wir sind geschockt, beleidigt und sauer. Und stecken
schon in der nächsten Phase: der Einengung unseres Blickfeldes.
Einengung des Fokus
Es ist bekannt, dass sich die Welt verändert, je
nachdem in welcher Laune wir durch sie spazieren. Das Sprichwort von
der “rosaroten Brille” im Gefühl der Verliebtheit sagt schon
alles. Mit einem Lächeln begegnen uns vor allem Dinge, die dieses
Lächeln erhalten und umgekehrt.
Die
“reale”, die “wahre” Welt. –
Kein
Mensch ist fähig sie zu erfassen. Wir haben veschiedenste Parameter,
Maßeinheiten und Kategorien aufgestellt, damit wir uns vorstellen
können über das Selbe – die “Realität” zu reden. Kleiner
Einwurf – real ist das, was ich in meiner Perspektive erfasse.
Um zum Abgrund zurückzukehren – die wunderbare
Flexibilität unseres Denkorgans geht völlig verloren, sobald wir in
Selbstmitleid und Wut ertrinken. Wir sind blind, taub gegen alles,
was über unser Leid hinausgeht. Danach zu fragen, was der Abgrund
uns anzubieten hat, erscheint wie blanker Hohn.
Dabei wäre dies eine logische Schlussfolgerung. – In
einer Sackgasse sucht doch auch eine Maus schon instinktiv nach einem
Ausweg?
Aber eine zeitlang hat uns der Abgrund unserer Sinne
beraubt.
Wenn die Umwelt sich nun auch langfristig darauf
einstellt uns zu bedauern und uns ”armes Wesen” (das wir ja auch
sind) zu bedauern, wird der Fokus noch länger auf sehr eng
eingestellt bleiben. Dieser eingeengte Fokus –die auf Ego
reduzierte Wahrnehmung ist eine natürliche Phase, sollte aber nicht
zwanghaft am Leben erhalten werden. Wenn wir nur mehr uns selbst,
unser Leid und den Abgrund sehen – haben wir ein sehr verzerrtes
Weltbild. Und verlieren die Fähigkeit mit anderen zu interagieren,
mitzufühlen – der zwischenmenschliche Austausch kann nicht mehr
fließen. Also Vorsicht, wenn mir merken –oder rückgemeldet
bekommen, dass wir im Egofokus einzementiert sind!
Die Schuld und Sühnefrage
Wie blind und stoned wir auch noch vom Fall sein mögen
– irgendwann beginnen die Gedanken. Und menschlich ist es den
Schuldigen zu suchen.
Finden wir ihn scheinbar in der Umwelt – in anderen
Zweibeinern, Systemen, Umständen kommen oft die Rachegelüste. Ganz
ehrlich – gefällt mir mein Heute nicht und ein Schuß aus einer
Maschinenpistole würde das ändern – ich würde nicht zögern. Mag
mensch das “böse”, “krank” oder als sonst was bezeichnen,
ich lebe nun mal mein Leben. Und finde Märtyrertum ist eine kranke
Sache. Sei es drum. Das wäre eine konstruierte Welt – und der Lauf
der Dinge ist viel einfacher und schwerer zu akzeptieren zugleich.
Das Zauberwort – die kostbare Lektion des Abgrundes
heißt Selbstverantwortung. Zwischenstopp – im Leiden erprobte
Zweibeiner finden hier einen Weg, um ihr Leid nicht hergeben zu
müssen. Sie nehmen die Selbstverantwortung, verzerren sie in eine
unmenschliche Last und nehmen alle Schuld auf sich. Sie selbst sind
die Bösen, schuldig am Abgrund – sie verdienen es nicht anders.
Eigentlich ein Wunder, dass der Abgund nicht die Geduld
mit diesen seltsamen Zweibeinern verliert und sie einfach
zerschmettert.
Schuld ist ein Unwort. Etwas, das zu nichts Produktivem
führt.
Strafe? Ein weitere absurde menschliche Schöpfung, die
sich aller Möglichkeiten beraubt. Um beim Simplen zu bleiben – der
Abgrund ist da, wir haben uns bedauern und vielleicht bemitleiden
lassen, wir waren stinksauer, haben im Kopf nach Ursachen und
Schuldigen gesucht. Und jetzt wird es Zeit zu erkennen, dass nun
alles bei uns liegt. Und bitte nicht rein ins reduzierte rationale
Kopfdenken.
Nur über den Kopf wird der weiseste Abgrund der Welt
uns nichts lehren können.
Um es in aller brutalen Deutlichkeit zu sagen: Scheiß
auf das Kopfdenken.
Jetzt geht es um die Entscheidung, ob wir wachsen und
lernen wollen.
Und da gehts weiter:
Hinschauen
Das,
was wir suchen, die Antworten auf unsere Fragen – jede Antwort,
jeder Wegweiser und jedes Straßenschild–
findet sich bereits in unserem Unbewussten. Auf dieser Ebene haben
wir an diesem Punkt des im Abgrundstehens bereits eine Menge
verstanden. Vielleicht nicht ganz bewusst.
Der Abgrund ist ein bunter, großer Geselle, der sich
schwer ignorieren lässt. Das ist gut so. Denn er will gesehen
werden. Er will, dass wir hinschauen.
Dieses Hinschauen entspricht durchaus der allgemein
akzeptierten und weit verbreiteten menschlichen Logik. Wer seinen Weg
verloren, sich verwirrt hat, der muss, um die Orientierung
wiederzuerlangen seine Umgebung erforschen.
Das ist auch die Forderung des Abgrundes. Einfach. Klar.
Und vor allem: gegenwärtig. Es ist nicht vorrangig, was
uns hierher geführt hat. Sondern, was ist. Wie der Abgrund
beschaffen ist. Wie groß unsere Wunden vom Fall sind. Ein Bild der
gegenwärtigen Sitation.
Und dann erst macht der nächste Schritt Sinn. Die
weitere Einschätzung der Lage. Ein wenig darf der Kopf mitpalavern.
Aber nur ein wenig.
Der
Kopf ist viel zu geübt alles “realistisch”–
und damit schwarz (weiß) gemalt zu sehen. Eine hilfreiche, nützliche
Einschätzung setzt sich aus 20–25% Kopf, 20–30% Bauch, 20–25%
Herz und dem Rest aus tiefer liegender, ganzheitlicher Intuition
zusammen. Der Kopf soll – darf externe Ratschläge einholen, sich
Fachwissen aneignen, sich verschiedene Theorien (zum Beispiel
hinsichtlich des Weges aus dem Abgrund) aneignen. Unser rationales
Denken ist ein wertvolles Informationsammelbecken, auch für
gegensätzliche Sichtweisen. – Eine Art gut sortierter Bibliothek.
Dazu sollte der Kopf auch benutzt werden.
Reduzierte
Kopfentscheidungen hingegen führen in die Irre. Und verlängern die
Entscheidungsfindung unnötig. Beim reinen rationalen Für–
und
Gegenargumenteabwägen läuft so mancher Zweibeinerkopf heiß und
löst den bekannten Drehschwindel im Hirn aus. Also bitte den Kopf
als praktisches Werkzeug, aber nicht für den Gesamtbau einer Idee,
einer Weganleitung usw. verwenden!
Dann als nächstes die Intuition zur Rate ziehen. Nach
Innen hören. Denn dort liegt die Anwort. Wie lange werden die
Wunden zum Heilen brauchen? Ist noch Auszeit, Atempause angesagt?
Wenn die Kraft noch nicht zurückgekehrt ist, kann ein Flugversuch
fatal enden! Und dann nach Wegen suchen. Etwas muss in aller
Deutlichkeit gesagt werden: Es ist nicht notwendig einen ganzes Weg
zu erkennen! Es reicht Raum für einen Schritt zu erahnen. Das ganze
funktioniert wie Gehen lernen. Spielerisch. Aha – das funktioniert.
Gut. Ohh – das funktioniert nicht. Auch gut zu wissen. Und nicht
den alten Zweibeinerfehler machen: mehr des selben.
Hat etwas, eine Strategie, eine Verhaltensweise einmal
für einen Zweibeiner funktioniert, neigt dieser dazu krampfhaft
daran festzuhalten. Etwas, das uns der Abgrund zeigen will: du –
mach was anderes. Sei anders. Werde neu.
Zuerst
kommt dieser Hinweis liebevoll, mit kleinen Mulden im Boden. Aber wie
gesagt –
Zweibeiner
tendieren zu zwanghaften Verhalten.
Der Abgrund ist da, weil es Zeit für Neues ist. Und
das fordert Entrümpeln.
Hinschauen heißt sich (neu)orientieren: was ist da an
Wunden, wie sieht es um mich aus, was sind für Ressourcen in mir und
der Umwelt... Und wichtig: das Wesentliche an Ressourcen,
Fähigkeiten, neuem Ich und neuen Wegen haben wir noch gar nicht
entdeckt!
Entrümpelung
Bevor
wir neue Wege versuchen, in uns selbst auf Entdeckungsreise gehen,
auf Flügelsuche, wird es Zeit unseren Rucksack leichter zu machen.
Zu entrümpeln. Loszulassen, was wir nicht mehr brauchen. – Die
falsche Art von Gedanken (negative, gegen sich selbst
gerichtete,...), belastende Gefühle, blockierendes Verhalten,
hemmende Beziehungsformen.
Wir schleppen als Zweibeiner meist so viel Ballast durch
dieses Leben, dass die Idee des Fliegens schon lachhaft wird mit
diesem unnötigen Gewicht. In diesem Fall also aufspringen auf den
Diätwahn!
Etwas bringt ein Abgrund immer als Einstandsgeschenk mit
– Schmerz.
Ja, es ist ein Geschenk. Aber erst, wenn wir den Mut
haben das Packerl auszuwickeln. Schmerz tut zuerst mal weh. Klar.
Ihn bei Seite zu legen, kann dieses Wehtun allerdings nicht
verhindern. Es wird uns in anderer Form wieder aufsuchen.
Ein kleines Patentrezept: Zulassen. Nichts weiter. Nicht
bohren. Nicht bewerten. Im Zulassen –ein weises Teilchen in uns
weiß ohnehin, dass kein Wehtun für immer so brennen, schneiden,
ätzen, zermalmen wird– im Zulassen beginnt bereits die
Transformation. Es wird ein wenig leerer, das Ganze fühlt sich
anders an. Freigeben, loslassen kann mensch nur etwas, das er zuerst
–für eine gegenwärtige Zeit– zugelassen hat. Das selbe ist es
mit allen Gefühlen –Wut, Schuldgefühlen, Scham, Angst...
Eine
kühne Behauptung: Hinter allen, was einen Zweibeiner so drückt und
als halb verdrängter Rucksack seit Kindesbeinen durchs Leben
geschleppt wird, lauert im Grunde immer dasselbe: das Gefühl nicht
genug und/oder nicht so geliebt worden zu sein, wie mensch ist;
nämlich erwartungs–
und bedingungslos.
Daraus entwickelt sich irgendwo im ich das Gefühl nicht
genug zu sein. Folge – das extreme Streben nach Anerkennung,
wackeliger, von Außen abhängiger Selbstwert, Wut, Angst,
Eifersucht... Anzumerken: ein Gefühl ist etwas subjektives. – Also
die kausalen Ursachen nicht so wichtig nehmen. Subjektiv tut was weh
– und das braucht Raum.
Und gibt die Chance Licht auf Dunkles zu werfen. Hinter
dem Eingangstor Schmerz wartet in den meisten Fällen die eigene
innere Hölle. Alles, was mensch in sich nicht sehen will; alles, was
er vergessen will ect.. Und es braucht wiederum Mut da durchzugehen.
Aber: das ist der Weg zur Freiheit! Und als in sich selbst freier
Mensch lebt es sich unglaublich echt und tief.
Daher wütend sein, verzweifelt... – und irgendwann
loslassen, verzeihen, vergeben, freigeben – auch sich selbst.
Diese Transformation läuft nach ihrer eigenen Zeit. Wie
lange Wut oder etwas anderes bleibt, lässt sich nicht vorhersagen.
Dieser Prozess muss von selbst ablaufen können. Mit erzwingen
wollen, stoppen die Dinge.
Entrümpeln bedeutet auch zuerst einmal hinschauen. Was
finde ich in mir an Erwartungen, Vorstellungen wie ich und das Leben,
wie dies und das sein sollte. Manche –viele dieser Vorstellungen
sind überholt.
Und vor allem: da ist so viel in uns wie etwas sein muss
und darf, das nicht von uns selbst kommt. Alles übernommen, von
Eltern, Freunden, von draußen, die so genannte Norm. Was bin
wirklich ich? Was will ich sein?
Oft erstehen wir als neue Menschen auf, wenn wir nur
zulassen, das alte Strukturen zerbrechen. Große, überholte Teile
und Hüllen unseres ichs zerbrechen.
Genauso ist es mit unserem Verhalten. Nur weil wir etwas
immer so gemacht haben, muss es nicht mehr passen. Loslassen – und
zum Kind werden. Wieder neugierig, ohne Vorbehalte in die Welt
marschieren. Und neugierig entdecken, wer wir wirklich sind. Dazu
gehört der Mut auf alles, was die anderen erwarten; oder besser, was
wir glauben, das erwartet wird; wie und was wir zu denken, fühlen,
glauben und zu tun und zu sein haben, zu verzichten. Gemeint ist
damit – unabhängig von außen entdecken, was wir über etwas
denken... Das ist spannend!
Und funktioniert erst, wenn wir bereit sind loszulassen,
wenn wir ins Dunkle, in das Dunkel in uns selbst geblickt haben.
Ja – es wird auch eine Phase – es wird immer wieder
Zeiten der Leere geben. Es braucht die Leere, damit Neues Form
annehmen, geboren werden kann. Auch die Formlosigkeit, die Leere, das
Vakuum braucht seinen Raum. Zulassen. Nicht bewerten. Es wird
vorübergehen.
Und das alles braucht Mut. Und befreit. Das ist das
Geschenk des Schmerzes,das uns der Abgrund überreicht. Schmerz
reinigt. Auf die kleine Stimme hören, die uns sagt, was und wann wir
freigeben dürfen. Von Materiellem, Formen menschlicher Beziehungen,
Vorstellungen, Glaubenssätzen, Verhaltensweisen angefangen bis zum
Schmerz selbst.
Hätten wir jemals hingeschaut, wenn es nicht genug
wehgetan hätte?
...weiser Abgrund.
Transformation
Im Prinzip beginnt die Transformation bereits mit der
Landung im Abgrund. Vorausgesetzt mensch nützt die Chance sich –
oder besser, das was er gedacht hat, wie er tickt und wie sein Leben
funktionieren sollte – dieses ich und das Drumherum zu wandeln. Auf
den ersten Blick erscheint das Leben leichter, wenn unser ich sich in
einfachen Sätzen zusammenfassen lässt. Und die Umwelt weiß ebenso,
was sie von uns erwarten kann, weil wir eben so sind und so und so
reagieren.
Gewohnheiten scheinen de Welt einfacher, verständlicher
zu machen. Menschen und deren Vehalten, wie auch unser eigenes,
werden leichter interpretierbar und verständlich. Allerdings:
bleiben wir ohne zu hinterfragen in dieser, zu großem Teil
unreflektiert übernommenen Weltperspektive – dann bleiben wir in
einer zwar relativ sicheren, aber doch recht faden Existenz.
Fliegen werden wir nicht lernen. Wir vergeben die Chance
auf eine spannende Entdeckungreise.
Wenn wir beginnen uns zu verändern, passieren zwei
Dinge.
Erstens, wir werden von uns selbst überrascht, manchmal
im positiven Sinn. Aber wir können auch von uns selbst entsetzt oder
schockiert sein. Aufhören in hell und dunkel zu denken.
Dies sind die Außenerwartungen, die sich in uns
gebrannt haben. Die besagen, was gut und was böse, falsch und
richtig ist. Das ist Unsinn.
Es gibt nur ein richtig für eine einzelne Person in
einer Gegenwart.
Es zählt allein, ob ich das tiefe Gefühl habe, etwas
ist jetzt richtig für mich. (Randbemerkung: anderen Zweibeinern
vorsätzlich zu schaden, fällt ohnehin auf einen selbst zurück)
Vielleicht werden wir im Prozess der Veränderung manchmal uns selbst
denken oder reden hören und uns fragen: Wer ist diese Person??
Einfach neugierig auf dieses ich sein – und nicht
sofort bewerten, kategorisieren in sympathisch und unsympathisch.
Spierisch sein, Kind. In dieser frisch gewonnen Unschuld, flattern
wir bereits mit den Flügel und rutschen in eine neue Welt.
Die zweite Sache, die passiert ist, dass nicht nur wir
selbst –vielleicht mitten im Leben stehend– Schwierigkeiten
haben, wenn wir selbst anders werden, vor allem die Umwelt wird
irritiert sein. Auch dies muss nicht negativ sein. Einfühlsame,
offene andere werden bemerken, dass wir freier und authentischer
werden. Anderen tut diese Verletzung des Gewohnten weh – beraubt
sie ihrer Sicherheit.
Nicht beeindrucken lassen. Nicht wer ein freier Mensch
werden will, und aus dem Abgrund fliegen! Früher oder später
geschieht nämlich noch etwas – es reicht uns selbst zu verändern,
um auch die Umwelt zu veändern.
Es ist nebensächlich in welche Kategorien wir gesteckt
werden – dies wird ohnehin aus Angst getan. Unabhängigkeit
bedeutet kein trotziges anderssein sondern nur Befreiung von der
Abhängigkeit (äußerer Anerkennug, Erwartungen, gefallen wollen).
Haben wir uns erst befreit, werden wir erstaunt sein, wie viel
positives Echo ein freier Zweibeiner von anderen Zweibeinern bekommt.
Der Abgrund hat eine neue Chance im Gepäck. Noch mal
(und immer wieder) werden zu können.
Ohne Erwartung, ohne Bewertung entdecken, was wir
wirklich sind und wollen, tun, ausprobieren, was uns entspricht und
was nicht. Neue Fähigkeitern kennenlernen. Und bitte nicht denken,
dafür ist es zu spät, bin ich zu alt.
Jetzt ist die einzig wirklich reale Zeit.
Gegenwärtigkeit – ein weiteres Geschenk des Abgrundes. Seine
Präsente haben es an sich im Zweibeiner ambivalente Gefühle
wachzurufen.
Üben!
Vor dem Blick auf das Thema Gegenwärtigkeit noch ein
Aspekt der Grundlagen. Banal, wie logisch – ohne sichere Grundlagen
wird jedes Gebäude früher oder später schwanken und einstürzen.
So
ist es schon beim Entrümpeln. Finden wir etwas – negatives Denken,
was–wäre–wenn
Denken, zukunftsbezogene Ängste, Selbstanklage und Selbstangriff,
oder lästige Gewohnheiten – und wir wollen Besagtes los werden,
muss uns klar sein, wie unser Gehirn in punkto Lernen und Vergessen
funktioniert.
Ebenso, wie neu zu Lernendes immer wieder wiederholt
werden muss –zu Beginn oft, später seltener– um ins
Langzeitgedächtnis zu wandern, braucht auch das Vergessen Übung,
sprich Wiederholung. Zuerst fällt es in unsere Aufmerksamkeit, wenn
wir in alte Gedankenschienen rutschen. Nehmen wir zum Beispiel
Selbstbeschuldigungen – über die Jahre läuft dies bereits
vollständig automatisiert ab. So bald etwas schiefgeht, beginnt
Zweibeiner ohne es zu merken, sich selbst runterzumachen (“So ist
das immer. Nichts bekomme ich richtig hin... ...bin unfähig...”)
Im Gehirn sind bereits so viele Verknüpfungen entstanden, dass ein
Gedanke den ganzen Knoten automatisch auslöst. Eine stark befahrene
Neuronenautobahn.
Es genügt am Anfang sich dessen bewusst zu werden, z.b.
auch der Auslöser für Gewohnheiten – und dann laut oder leise
stopp zu sagen.
Und
sich klar sein, dass dies nicht von anfang an funktionieren wird.
Sehr hilfreich kann auch die humoristische Übertreibung der
Situation sein. Und auch das gleichzeitige Einüben neuer Gedanken
–wie
im falle der Selbstbeschuldigung etwa: “Menschen machen Fehler und
das ist gut so. Ich bin toll.”
Auch wenn solche Sätze zu beginn noch mit wenig
Überzeugung gesprochen werden – es zählt wiederum die Übung.
Irgendwann funktioniert das Stopp, wir müssen über uns selbst
lachen und denken überzeugt: ich kann das.
Die Neuronenstraße im Hirn wird immer weniger befahren,
Verbindungen lösen sich. – Das Verlernen setzt ein. Wichtig dabei:
spielerisch bleiben.
Ein Kind, das Neues ausprobiert, mit seinem Gehirn
spielt, über Fehler lacht und sich neu programmiert. Nicht in den
Zwangscharakter verfallen – der führt in einen neuen Abgrund! Und
ruhig neue Varianten ausprobieren! Die Erfolge werden kommen.
Überraschend.
Und gegenwärtig bleiben. Wie schon erwähnt ist
Gegenwärtigkeit eines der Mitbringsel des Abgrundes. Fluch und
Segen. Kostbares Geschenk und mitunter sehr schmerzhaft. Ein Abgrund,
welcher Sorte auch immer wirft den Zweibeiner brutal in eine zuerst
sehr schmerzhafte Gegenwart. Die so sicher gedachte Zukunft scheint
gestrichen. Das ist brutal – und auch die große Chance.
Die wenigsten Menschen leben in der Gegenwart. Blicken
statt dessen sentimental nach gestern und sind immer schon im morgen.
Kinder sind da, hier und jetzt. Und das müssen wir auch lernen. Was
ist da, was tut gut – wie banal das auch erscheinen mag. Die Tasse
Kaffee, der Sonnenaufgang.
Alles
wird ohnehin unbeschreiblich wertvoll, wenn es das letzte mal sein
könnte. Dieser Blick auf den gegenwärtigen Moment, auf dieses
immer–jetzt
macht uns reich. Gleichzeitig kann die unsichere oder geraubte
Zukunft die Gegenwärtigkeit sehr bitter machen. – Wenn in dieser
Gegenwart wenig von dem möglich ist, was wir wollen. Da kommen die
Visionen ins Spiel. Aber zuerst verscheuchen wir das Wenn–dann
denken: heute ist, was ist.
Und mehr, als wir je geahnt hätten, wenn wir uns auf
Entdeckungsreise machen. Dieses Gegenwärtigsein –auch im Schmerz–
plus das spätere Vertrauen, dass wir selbst das Morgen in dieser
Gegenwart schreiben; dass alles möglich ist – diese Kombination
legt den Grundstein fürs Fliegen.
Und so brechen wir auch mit der lähmenden
Zeitbetrachtung: so alt, wie viel erreicht... Erlauben wir uns anders
zu sein, zu denken, zu tun.
Heute ist das einzige, das real ist. Und im Vertrauen,
dass alles in der exakt richtigen Zeit passiert, nehmen wir den Druck
heraus. Wenn wir Jahre, Jahrzehnte in eine Richtung gedacht, getan,
gelebt haben, braucht unsere Transformation, bis wir authentisch sind
einfach ein bisschen. –Deshalb üben.
Und daran denken, wie oft ein kleines Kind hinfällt,
bevor es gehen lernt! Unser Zweibeinergehirn ist so gemacht, dass wir
immer wieder neue, andere, freiere Programme schreiben können.
Veränderung kommt in Wellen
Veränderungen unterliegen dem Gesetz der Wellen.
Auch, wenn sie unerwartet und plötzlich aus dem Nichts
aufzutauchen scheinen, und es manchmal aussieht, als wären wir über
Nacht andere Menschen geworden. Selbst diesen stürmischen
Veränderungen gehen leise meist unbemerkte Wellen voran. Auch
Abgründe folgen dem Gesetz der Wellen. Sie stupsen uns sanft, etwas
fester und immer wieder – aber der betriebsblinde Zweibeiner
reagiert erst auf die klaffende Schlucht. Und jeder Abgrund trägt
die Hoffung mit sich, dass nach ihm der Zweibeiner vielleicht die
sanfte Prise eines Veränderungswindes spürt und freiwillig lernt
und wächst. Für uns ist es wichtig dieses Wellengesetz zu
verinnerlichen. Ansonsten können Frustration, Resignation überhand
nehmen.
Denn eine angestrebte Transformation ist nur über
Wellengänge und keine lineare Steigung zu erreichen. Das macht es
mitunter schwer das Gefühl etwas tut sich, Fortschritt passiert, zu
behalten. Die Wahrnehmung zeigt vielleicht zuerst ja, ich lasse Altes
hinter mir, das Angestrebte kommt näher. Aber wie gesagt in Wellen –
das bedeutet, das Alte ist nicht schwupps weg – sondern es kommt
wieder und wieder. Könnten wir zwei Schritte zurück – aus uns
heraus treten, dann würden wir sehen, dass die Tiefs, die Abgründe,
das, was wir hinter uns lassen wollen in größeren Abständen kommt,
seltener wird und dass die Tiefs weniger tief werden. Manchmal
bleiben sie so lange weg, dass Zweibeiner denkt, jetzt hab ich es
geschafft. – Und dann kommt noch ein einzelnes tiefes Wellental.
Haben wir das Wellenprinzip im Hinterkopf, schwimmen wir
leichter durch und stürzen nicht in die Verzweiflung.
Auch die angestrebten Dinge kommen in Wellen. Diese
Prozedur mag brutal erscheinen und sie ist durchaus ermüdend. Aber
neben dem Wellengesetz existiert noch eine weitere Wahrheit: Jeder
wiederkehrende Abgrund, jedes Tief, jede abgeworfeneAltlast bringt
gleichzeitig die Chance etwas zu lernen, zu verstehen, stärker zu
werden. Keinesfalls im Sinn von: was mich nicht umbringt, macht mich
nur härter. Das ist Unsinn. Das ist kein Kampf – im Idealfall
sollte es spielerisches Wellenreiten sein. Die Feinmodelierung des
neuen Denkens, Verhaltens, Seins und Lebens. Das Wellenprinzip lässt
sich nur über einen größeren Zeitraum erkennen – das
Seichter–werden der dunklen Wellen, das Abnehmen der Täler, die
höher werdenden hellen Wellenspitzen.
Klar, ein stetig zunehmender Erfolg, Fortschritt ist
eine angenehme Vorstellung. – Sorry, das Leben verläuft im Wellen.
Nicht im Kreis, sondern in Spirallen. Ein anderes Bild. Aber es
erklärt auch das subjektive Gefühl, dass sich nichts bewegt, mensch
wie ein Hamster im Laufrad bis zur Erschöpfung rennt und keinen
Zentimeter weiterkommt. Das ist eine Wahrnehmungstäuschung.
Bitte raus aus den rationalen Argumenten, raus aus dem
Ego, drei Schritte Distanz – den Wellen vertrauen und einfach
abwarten, bis die unliebsame Welle wieder weg ist. Denn das ist
sicher : es wird vorbei gehen, das Tief. Wenn wir das zulassen.
Druck
weg!!!
Es gibt einen feinen Unterschied zwischen Ausdauer,
Zähigkeit und eisernem starren Willen. In vielen Köpfen existiert
das Bild des Helden, der sich verbissen, mit letzter Kraft ins Ziel
schleppt. Das Leben wird als Kampf proklamiert.
Aus dieser Perspektive werden wir auf lang oder kurz
verlieren. Ist ja nett die Vorstellung mit etwas Willensanstrengung
und Zwang die Latte immer höher – näher ans Ziel, ans Glück
schieben zu können.
Nur – dass wir damit am völlig falschen Dampfer
sitzen, hätte uns schon das Erscheinen des Abgrundes sagen sollen.
Ja, es geht schon darum, nach einem Sturz wieder aufzustehen – aber
nicht automatisiert, ohne Hirn, ohne Intuition – wie ein dummes
Stehaufmännchen, das bei diesem Runterrauf stück für stück
zerbricht.
In Wahrheit geht es darum Vertrauen in sich selbst zu
entwickeln. lernen auf das ganze ich – Körper, Seele, Psyche zu
hören. Gespür zu entwickeln, was mensch gerade braucht bzw. nötig
hat. Es gilt, das Ziel an zu visieren, in allen Einzelheiten zu
fixieren – um es dann loszulassen. Die gegenwärtigen Anforderungen
reichen! Der erwünschte Horizont sollte eine Oase sein und keine
Aufforderung blind und taub für die gegenwärtigen Bedürfnisse zu
werden! Fühlt es sich nach einer Auszeit an? Dann das tun. Pasta.
In die selbe Schiene fallen die unseligen Vergleiche.
Wie weit, wie schnell sind die anderen? Das ist in den seltensten
Fällen produktiv. Wichtig ist das Anerkennen der eigenen
(Fort)schritte außerhalb der Vergleiche. Mensch kann sich Anregung,
Motivation und Hoffung von außen holen und dann wieder bei sich
bleiben. Wie jeder Abgrund ist auch jeder Zweibeiner ein
individuelles Original.
Und ein Gesetz des Lebens, wie des Fliegens ist es, dass
jeder seinen Weg nur selbst finden kann. Nicht von außen
verunsichern lassen – auf die innere Stimme hören.
Intelligenz ist ein Zeichen von Flexibilität und kein
starres Klammern...
Offen,
ausdauernd und gegenwärtig bleiben
Offenheit ist eines der Zauberwörter, neben Ausdauer
und Gegenwärtigkeit. Spierisch sein. Diese Offenheit inkludiert
eine, sich mit der Zeit verschärfende Wahrnehmung und Intuition. Das
Gefühl dafür, was jetzt gerade Raum braucht wird wachsen. Wenn wir
uns nicht von außen und vom Kopf verunsichern lassen.
Ja – es ist gut, den Kopf immer wieder mit neuen,
alternativen wie gegensätzlichen Theorien zu füttern. Aber nicht
mehr. Die Etnscheidungsmacht sollte die innere Stimme haben. Und die
weiß auch, wann es zeit ist stur einen Schritt nach den anderen zu
setzen und wann es zeit ist loszulassen und anders zu handeln.
Das ist ein Teil der Offenheit. Ausdauer bezieht sich
auch darauf, ausdauernd in dieser Offenheit zu bleiben.
Wenn die alte Zweibeinerprogrammierung gelautet hat,
weitermachen, Steigerung, sich stur dem Ziel nähern, dann ist die
Gefahr groß unter den falschen Druck zu geraten, nur mehr im Morgen
beim erreichten Ziel zu leben – und damit wieder beim wenn, dann...
Wir brauchen die Visionen des Fliegens, des Horizontes – aber auch
die Achtsamkeit dafür, dass das Leben jetzt ist, immer jetzt.
Diese Balance kann verflucht schwer werden. Wir suchen
mit der Ratio nach Fortschritten, stellen Listen auf, die für und
gegen uns, den Weg sprechen... und verlieren dabei die
Gegenwärtigkeit.
Meist springt da auch der Abgrund ein – als geduldiger
Lehrmeister schiebt, gräbt er ein Tief in unser Inneres. Und hofft,
dass wir verstehen – wieder ein Stück zurückgehen, freigeben,
loslassen und die Energie wieder fließen lassen. Im Vertrauen
darauf, dass unsere Intuition bereits stark geung ist, zu erkennen,
wann es zeit ist, die Flugübungen wieder konsequent aufzunehmen.
Da ist schon so was wie Multitasking gefragt: achtsam im
Hier zu sein, ausdauernd am Weg, im Fokus den Flug und gleichzeitig
offen für Wegesänderungen.
Es tut gut zu wissen, dass kein Abgrund uns ohne Grund
stolpern lässt – es gibt etwas zu begreifen, loszulassen, nicht
wieder in eingefahrene Bahnen zu leben.
Das alles fällt leichter mit einem kindlichen Gemüt:
Spierisch, neugierig, offen, bereit zu weinen, wenn es weh tut und zu
lachen, wenn der Schmerz vorbei ist.
Ausrutscher, träumen und wünschen
Leider und zum Glück: es wird Stürze geben, Phasen, wo
sich die Hoffuung eingräbt und alles sinnentleert zu sein scheint.
Phasen, wo wir das jetzt hassen, den Weg verabscheuen, samt den
Abgründen, vergleichen und die anderen beneiden, die Zeit im
Zu–spät–Denken verfluchen, denken, all unser Bemühen kann die
Endkatastrophen nur hinauszögern - sprich bittere, böse, tiefe
Verzweiflung.
Das wird in Zeiten über uns rollen, wo die Verzweiflung
längst begraben gedacht. Unsere menschlichen Belastungsgrenzrn
werden erneut in die Folterbank gespannt und gedehnt. Frustration.
Angst.
Dann ist zu hoffen, dass der betroffene Zweibeiner
Belastendes bereits losgelassen, Kraft raubende Menschen aus seinem
Alltag geschmissen – seine Grenzen gezogen hat. Vielleicht hat er
sich bereits mit Menschen umgeben, die an ihn glauben, seine
Fortschritte, sein Wachstum sehen. Das tut gut, in solchen Stunden,
wo wir nur mehr aufgeben wollen. Der Weg wieder mal wie ein blutiger
Kampf erscheint und wir der sinnlosen Schlachterei müde sind. –Dann
ist es Zeit wieder mal loszulassen: die Mühe, das Kopfdenken, das
Beweise für das Vorwärtskommen sucht... sämtlichen Humbug eben.
Sich ins Hier fallen lassen, achsamt die Wahrnehmung für die Schätze
im Jetzt und Sosein öffnen und Zeitrechnungen vergessen.
So bald dies gelingt, fließt es wieder. Unser Abgrund
lächelt und lässt uns in einer Mulde ruhen. Aber: bitte das Ziel
nicht wegschmeißen! Freigeben ja – denn im Freigeben liegt die
Kraft, dass sich das Freigegebene erfüllt!
Es ist schwierig das in Sprache zu fassen. Weil unsere
menschliche Sprache nur ein Hilfsmittel ist und die wesentlichen
Dinge und Unterschiede sich damit nicht wirklich greifen lassen. Es
ist wie der voran gegangene Versuch den Unterschied zwischen dem
eisernen Willen, wo wir uns alles abzwingen und der Ausdauer, bei der
alles in uns als Team über die eigenen Grenzen geht, zu erklären.
Wenn wir mit zusammen gebissenen Zähne an etwas festklammern, wird
es in immer weitere Entfernung rutschen. Das entspricht dem Gesetz
der Paradoxie. Lassen wir los, kommen wir näher. In einem
Ausrutscher, einem im Abgrund inkludierten Tief, in der Frustration –
brauchen wir das Bild, die Vorstellung unseres Ziels. In allen
Wahrnehmungskänalen – sehen, hören, riechen, schmecken, tasten...
Leicht soll sich das anfühlen, spielerisch – träumerisch. Nicht
zwanghaft und schwer. Ein leichter, angenehmer Traum – der die
Gewissheit des Erreichens dieses Horizontes nährt.
Das ist ein wichtiger Prozess – wenn sich die
Überzeugung in uns verankert, dass wir ankommen werden, egal wie das
jetzt aussieht. Gewürzt mit Vertrauen, dass wir inzwischen wach und
achtsam genug sind, zu spüren, was das jetzt fordert.
Es geht ohnehin nur darum zu wissen, kann ich jetzt
etwas für mein Ziel tun und wenn nicht, sich keine Gedanken um
später zu machen.
Visionen nehmen der Gegenwärtigkeit ihren Fluch.
Offenheit lenkt den Blick von dem, was nicht und noch nicht ist auf
die Schätze der Gegenwart.
Und Ausdauer lässt uns den nächsten Schreitt machen –
ohne Frage nach der Größe des Fortschrittes. – Der Schritt ist
der weiteste, der ganz im Fokus, in der Achsamkeit auf sich selbst
geschieht. Und in den Pausen, in der Schwäche, dem Zweifel den
sttrahlenden Gipfel ansehen..
Genießen
Etwas absolut wichtiges, sonst macht alles keinen Sinn
und Zweibeiner bleibt im “später, dann, wenn,... lebe ich”:
genießen!!
Die Freude auf das Ziel, die Freude an der Anstrengung,
an den kleinsten Fortschritten, die Freude an den Auszeiten und
Pausen.
Das ist vergleichbar mit einer Bergwanderung. Klar,
freut mensch sich auf den Gipfel, es geschafft zu haben, der Stolz
dort zu sein, der Genuß der Aussicht. – Aber wie viel würde
fehlen, wäre da nicht die Freude am Weg, an der Tätigkeit des
Wanderns, an der Umgebung, den Ruhepausen! So ist es auch mit dem Weg
aus dem Abgrund. Das ist der Ruf der Gegenwärtigkeit. Schwierig
mitunter das So zu entdecken und zu schätzen, wenn mensch nur beim
“dort vorne” ist.. Ja – sich über das zukünftige So freuen,
als wäre es bereits da. Und sich über die vielen kleinen
Transformationen freuen. Freude ist eines der wesentlichsten Elemente
auf dem Weg zum Fliegenlernen.
Klingt alles ein bisschen komsich? Der Mensch ist, so
bald er ausgewachsen ist im Wesentlichen unveränderlich? – Dann
wäre mit Garantie kein Abgrund gekommen und hätte uns bei der Hand
gepackt!
Ich denke, bin überzeugt, dass es darum geht, so zu
werden “wie mensch gemeint war”. Oder in anderen Worten, all das
Fremde, die übernommenen Schichten, die aus Angst drüber gelegten
Strukturen, all das Wesensfremde herunterzureißen – ob sanft oder
mit einem Ruck des Abgrundes. – Zum eigentlichen Kern, zu unserer
Essenz durchzudringen. Und da ist so viel unentdecktes Land, noch
nicht entwickeltes Potential in diesem Wesenskern.
Ist
es nicht dumm, sich als das zu identifizieren, was hauptsächlich aus
unreflektierten, anderen nachgeplapperten usw. besteht? So wie die
anderen sagen, dass die Welt sei? Keine Lust zu erkennen, wer das ich
wirklich ist, was es denkt und will? Oder
zu viel Angst ungeheuerliches, anderes zu entdecken?
Gut,
mit den vielen Decken, Fassaden existiert es sich manchmal bequemer –
aber: wäre es das, was wir wirklich wollen, dann hätten wir keinen
Abgrund gerufen!
Jetzt
über den Abgrund zu jammern ist unangebracht – und es bringt vor
allem nichts.
Und
noch was Schönes zur Gegenwärtigkeit – nur wer wirklich und
völlig im hier ist, kann genießen. Etwas, das die meisten
Zweibeiner im großen Maß früher oder später verlieren.
Hier –
noch halb im Abgrund, mitten in großen und kleinen Transformationen
gilt es zu genießen! Da ist ein spannender Film, ein Paket, das
ausgepackt gehört! Es ist mein Leben, mein ich – und ich werde
mich daran erfreuen und ihm behutsam die Form geben, die ich will.
Fliegen
Ein fragiler Begriff für einen fragilen Prozess. Ein
Versuch diese Schwammigkeit näher zu fassen, liegt in der Zerlegung.
Die Basis des Fluges ist den eigenen, authentischen
Wesenskern zu entdecken – alles verfälschte darum wegzubrechen.
Eine Person ist natürlich immer im Fluss; Stillstand ist gegen das
Leben. Aber das Schauspiel fällt weg.
Diese Entdeckungreise ist fraglos faszinierend, mitunter
angsteinflößend, wenn wir an anderen Bewusstseinsschichten und
Zuständen kratzen. Das ist aber nicht gleichbedeutend mit Fliegen,
es ist quasi das Fundament.
Ist mit Fliegen intensiveres Leben, Erleben gemeint? Ein
Stück. Die meisten Zweibeiner sind dankbar vom Alltag, von
Tätigkeiten abgelenkt zu werden – da steckt die Gefahr drinnen
immer hohler zu werden, wie eine Maschine sein Leben abzuspulen.
Freuden gehen nicht mehr so tief, Schmerz verflacht und der Genuß
wird hauptsächlich in seiner Vorfreude wahrgenommen.
Eines vorweg: es ist unmöglich 24 Stunden, alle Tage
absolut hier zu sein und intensiv zu leben. Natürlich sind wir näher
am Leben, wenn es uns direkt berühren kann – nicht durch
Altlasten, Masken, Ängste und co. hindurch muss.
Vielleicht lässt sich fliegen auch mit fließen lassen
vergleichen.. Den Mut zu haben, sich dem Fluss des Lebens
anzuvertrauen, etwas wagen, es zulassen können, dass sich Formen
verändern; mehr Wert auf den Inhalt zu legen und gleichzeitig die
Form zu würdigen durch die bewusste Gegenwärtigkeit des ichs. Den
Mut in die eigenen Tiefen zu blicken, absolute Leere zuzulassen.
Undefiniertes, Ungewissheit und Formlosigkeit ebenso ihren Raum
zugestehen.
Wer seine Flügel entdeckt hat, für den wird das Leben
überraschender. Und dann gibt es die Momente, wo mensch einfach
weiß, ohne Fragen, ohne Zweifel, dass er fliegt. Ein Dasein, das
sich immer wieder aus solchen Momenten zusammensetzt, ist es wert –
den Abgrund, die Angst, den Schmerz.
Und geübte Flieger schaffen es eine bestimmte innere
Balance zu bewahren. Unabhängig von der Form. Auf Distanz zu gehen,
aus sich heraus – vergleichbar mit einem flowgefühl, nur auch ohne
Tätigkeit– und genauso wieder in Kontakt zu treten, selbst
Banalitäten so zu achten, dass sie etwas besonderes werden.
Was macht den Unterschied?
Fluglehrer Abgrund hat, wenn der Schüler lernwillig und
geduldig war, zumeist einen auch “objektiv” veränderten
Zweibeiner entlassen, der sich nicht mehr an die scheinbare
Sicherheit hohler Fassaden im Innen und Außen klammern muss. Einen
Menschen, der so etwas wie Urvertrauen, Gelassenheit und zugleich
Neugierde wieder gefunden hat. Jemand, der im positiven Sinn
erwachsen geworden ist – nicht abgestumpft. Jemand der die
Verantwortung für sich und sein Dasein übernommen hat. Und der
wieder Kind geworden ist – unschuldig, neugierig, wagemutig, echt
und gegenwärtig.
Fliegen. Woher weiß mensch, dass er verliebt ist?
Genauso schwierig ist es, den Unterschied von einem Leben mit Flügeln
und einem ohne in Sprache zu fassen.
Und im Sinne des Abgrundes – wer einmal geflogen ist,
seine Flügel entdeckt hat – bitte immer wieder daran erinnern, an
die eigenen Flügel denken!
Und genießen!
Nicht
vergessen: danke sagen!
Es könnte auch zuerst stehen (Gesetz der Paradoxa,
Gegensätze bedingen einander, Licht braucht das Dunkel und
umgekehrt). Und mit Dankesagen ist nicht die Höflichkeit
angesprochen. Sondern gemeint ist: Prozesse am Fließen zu halten;
sich und die eigene Entwicklung zu fördern. Sich ein angenehmes
Gefühl zu schenken. Will der Abgrund etwa ein Danke für den Schmerz
hören? Ja und nein. In den Abgründen steckt immer eine Lektion, die
uns auf etwas hinweist, uns aufmerksam macht, dass wir wieder starr
werden, oder uns auf eine Kraft in uns blicken lässt.
Ein Danke ist angebracht in dem Moment, wo wir diese
Lektion, das Geschenk verstanden haben. Weil damit die Last wegfällt
und wir den Preis in Empfang nehmen. Das fühlt sich gut an.
Und mit der Angewohnheit des Dankesagens gelangen wir in
die Sicherheit der Erwartung. Und schwupps wird es passieren, dass
sich manch einer vorher bedankt, weil er weiß, dass er seinen Wunsch
erhalten wird.
Bedanken verstärkt das Gefühl zu bekommen, immer
wieder. Kräftigt das Gefühl des Reichtums und verewigt kostbare
Augenblicke. Und erschafft das Vertrauen, dass nichts passiert um uns
zu quälen – sondern uns weiterzubringen.
Wenn Zweibeiner zum ersten mal das Gefühl des Fliegens
hat, verewigt ein Danke diesen magischen Moment. Es ist lernbar danke
zu schwierigen Menschen und Situationen zu sagen, danke zu
scheinbaren Schicksalsschlägen. Wenn es ehrlich ist. Es bringt
nichts in der Verzweiflung ein Danke zu würgen. Alles hat seine
Zeit.
Auf die innere Stimme hören – dann werden Probleme zu
Herausforderungen. Und der Abgrund zu einem vertrauenswürdigen
Lehrer – mit etwas antiquierter Lehrmethode.
Es steckt viel Macht in diesem einem Wort: Danke.
Hilfreiche
Rezepturen und ihre Überdosis
Es existieren durchaus Rezepte –weniger und weiter
verbreitete– die uns im Umgang mit Abgründen und der Lektion des
Fliegenlernens hilfreich sein können. Und für jeden Zweibeiner gibt
es eine Dosis dieser “Medikamente”, wo die hilfreiche Wirkung
ins Gegenteil fällt. Die jeweilige Überdosis hängt vom jeweiligen
Zweibeiner, der Menge und noch mehr von der Situation ab. Was hier
und heute hilft, kann uns morgen beschweren oder entmündigen. Und
dieses Nicht-starr-reagieren ist ohnehin eine der Lektionen der
Abgründe. Es ist gut sich Anregungen zu holen, wenn wir dabei sind
die Beziehung zu unserem Abgrund zu vertiefen. Eines muss jedoch
gesagt werden: Für jeden Zweibeiner gibt es den ureigenen,
persönlichen Weg aus dem Abgrund und zu den eigenen Flügeln. Wie
auch jeder seinen ureigensten Abgrund hat. Also die umher wirrenden
Pillen und Tipps versuchen – und entdecken, was bei mir anschlägt.
Auszeit und Selbstmitleid
Sich “Auszeiten” zu nehmen, beinhaltet heilendes.
Stehenzubleiben, wenn es in dir gefordert wird. Auszeit kann Rückzug,
Ablenkung, Trost, Loslassen, Weinen oder Tanzen – es kann alles
sein, was du brauchst.
Auszeitbedarf meldet sich an – wir spüren es in uns,
wenn wir Achtsamkeit für uns selbst entwickelt haben. Das kann
mitten in einem Kampf passieren, mitten in der Aktion oder auch aus
Schmerz. Schmerz hat große Reinigungsqualität. Es ist nötig ihn im
ganzen Ausmaß zuzulassen – hindurchzugehen. Tut mensch dies –
wird das Schmerz–loslassen leicht fallen. Ja – mitunter wird er
in Wellen wiederkehren. Aber das hat etwas beruhigendes. In einer
Schmerzwelle weiß mensch, dass vor der nächsten Welle Stunden –
Zeit der Ruhe liegt.
Und angenommen unser Innensensor meldet Auszeitbedarf,
wenn wir gerade in existenziell verlangter Außenaktion sind? –
Dann gibt es die Möglichkeit, die eigene Aktionsanteilnahme auf 20%
runterzufahren. Das reicht völlig für die Außenhandlung. Die
meisten Menschen sind ohnehin bei ihren Tätigkeiten nur mechanisch
anwesend. Besser ist es natürlich einem geforderten
Rückzugsbedürfnis unverhohlen nachzugehen. Und für den Fall, dass
wir mitten in einem, wie auch immer gearteten Trainingsplan sind,
dann ist es gut sich daran zu erinnern – nicht starr zu werden.
Flexibel zu bleiben – und die Schritte den inneren Erfordernissen
anzupassen.
Und wichtig und in aller Deutlichkeit: Scheiß auf die
herkömmliche Zeitbetrachtung! Die innere Uhr ist wesentlicher. Wenn
wir uns die Zeit fürs Stehenbleiben gönnen – werden wir im
Gesamtprozess schneller sein.
Aber auch bei den Auszeiten –deren wichtigste “Regel”
ist, sich das zu gönnen, wo nach einem ist und gut zu sich zu sein–
auch hier gibt es die Überdosis.
So bald das Gefühl fürs Weitermachen, wieder ins Leben
zurückkehren ignoriert wird – schwappt das gesunde Sich–verwöhnen
und –trösten in Selbstmitleid.
Und Selbstmitleid bedeutet nicht stehenbleiben –
sondern Stagnation. Ein kleiner aber feiner Unterschied. Im
chronischen Selbstmitleid umklammern wir zum Beispiel Schmerz, Wut
ect. Als könnten wir ohne dies nicht mehr atmen. Rückzug zum Heilen
von Wunden wird dann in eine chonische Schwächung der Lebenskraft
übergehen. Im festgehaltenen Selbstmitleid liegt auch hohes
Suchtpotential.
Alles, was vorübergehend geholfen hat wird zur
fesselnden Behinderung. Selbstmitleid macht bitter, resigniert und
müde. Akutes Jammern hat Katharsisfunktion – im allgemeinen bringt
Jammern jedoch nichts und hält vom Aktiv–werden ab. Im ständigen
Bedauern einer misslichen Lage im Außen oder Innen geben wir die
Selbstverantwortung ab, missachten unser Potential zur Veränderung.
Und das Leben wird trübe...
Lebendiger Schmerz hat viel Leben in sich – im
Dauerleiden steckt nur Vegetieren.
feeling blue und Dauerbetäuben
Feeling blue, den blues haben, bittere Süße – eine
wichtige Qualität im Leben. Und ein enger Zusammenhang mit Auszeit,
Schmerz und Selbstmitleid; besser gesagt dies ist ein Punkt aus dem
oben beschriebenen bipolaren Prozess. Weil es ein wichtiger Punkt
ist, bekommt er einen eigenen Abschnitt
Wir alle brauchen immer wieder die Zelebration der
Bittersüße. Und zu diesem Ritual gehören nun mal Dinge wie die
entsprechende Musik, diverse Rauschmittel, Selbstmitleid, Tränen und
co. Rituale sind wichtig.
Und mal ehrlich – was wäre das Leben ohne diese
bittersüßen Zeiten? Auch wenn es manchen Menschen nicht bewusst ist
– es liegt ein eigener Genuß in diesen blauen Stunden. Und eine
wichtige Katharsisfunktion. Das feeling blue erleichtert den Abschied
und das Loslassen und/ oder es befreit für einen Neuanfang.
Lassen wir das nicht zu, vermeiden wir das Bluesgefühl
durch striktes Weitermachen – verschleppt es sich nur, um entweder
alle Tage einzufärben oder sich irgendwann – vielleicht durch
einen völlig anderen Auslöser, der banal sein kann– mit einer
gewaltigen Explosion Luft zu verschaffen.
Problematisch wird es erst, wenn wir in den Begleitern
und im Ritualzubehör hängenbleiben. Das ist dann wie eine nicht
frisch rot blutende Wunde sondern vergorener Eiter. In anderen Worten
– es wird zur Gewohnheit; was ursprünglich aus freiem Willen und
als sinnvolle Funktion eingesetzt wurde, wird zur Abhängigkeit. Und
weil der Auslöser darunter inzwischen gut verborgen ist, erhält die
Abhängigkeit immer mehr Kraft und Eigenleben. Enormer Kraftaufwand
ist notwendig, um zuerst die Gewohnheiten und Abhängigkeiten zu
zerbrechgen (Lernen und Vergessen – Umstrukturierung des Gehirns) –
und dann muss erneut in der darunter liegende Wunde gestochert werden
– damit sie endlich ausbluten kann. Und ohne die Ritualbegleiter
–da neuer Einsatz wieder in die gewohnte Abhängigkeitssituation
zurückführt. Damit wird ein ursprünglich durchaus gesunder Prozess
künstlich in die Länge gezogen. Es ist egal, ob es sich um das
emotionale Festklammern an zelebrierten Schmerzerinnerungen, Alkohol,
Drogen inklusive essen oder andere Ablenkungen und Verstärker
handelt.
Und unter den Zweibeinern ist ein Phänomen weit
verbreitet – Schmerzgefühle, bluesgefühle nicht 100% zuzulassen,
sondern sie in Dosen weiter zu schleppen. Sie verstehen dann nicht,
dass alles, was nur irgendwie mit dem ursprünglichen blues
assoziiert wird und in Realität nicht damit zusammenhängt, über
lange Zeit bis ein ganzes Leben immer wieder den kleingedrückten
feeling blue Zustand auslöst.
Daher sollten akute feeling blue Rituale mit allem, was
für einen selbst dazu gehört in einem Ritual ausgekostet,
zugelassen werden. – Egal, wie intensiv oder wie lange es dauert –
aber auch wieder losgelassen werden. – Chronifizierung droht!
Und alles was ständig andauert schmeckt trotz
Dosissteigerung nur mehr fad.
Feeling blue ist nur heilsam, wenn es seine Besonderheit
behält.
Ausdauer und Sturheit
Ausdauer ist ein wesentlicher Part im Lehrstoff der
Abgründe. Ein – jeder Lernprozess zeichnet sich nicht nur eine
kontinuierlich ansteigende Linie aus, sondern durch viele kleine und
größere Auf und Abs, durch Stagnieren, durch Rückschritt. Viele
Wellenbewegungen und meist merkt mensch es gar nicht sofort, wenn er
etwas gelernt hat und es bereits tut. Dieser Woweffekt kommt manchmal
mitten im Tun. Überraschend und überwältigend.
So war es mit dem Gehenlernen, mit der Lösung von
Verhaltensmusters –jeder Experte auf irgendeinem Gebiet wird das
bestätigen. Dieser so oft zähe, frustrierende Weg, dessen
Fortschritt mensch erst im großen Überblick erkennt – beinhaltet
viele Geschenke. Das Dankbarsein für Fehler, das Innehalten, das
Wieder–in–die–Gegenwart–geworfen–sein, das Dankesagen für
den Abgrund selbst.
Nicht, was uns nicht umbringt, macht uns härter,
sondern durch die Wellen wachsen wir. –Und meist mehr durch die
Wellentäler.
Ausdauer heißt wiederaufstehen und Ausdauer heißt an
Visionen glauben, lernen an sich zu glauben –unabhängig was die
Augen sehen; und Ausdauer heißt auch innehalten, Ruhe geben. Und
Ausdauer bedeutet auch den Mut Dinge anders zu machen. Ausdauer ist
nicht Sturheit oder Starrsein.
Ausdauer sollte wie Bambus sein – durch das Biegen und
Flexibel–sein, erhält er seine Kraft und zerbricht nicht.
Wer kennt nicht das Gefühl – ich habe es so oft
versucht, so viel getan und stehe schon wieder bei null. Das ist eine
Sinnestäuschung.
Vielleicht
haben wir das Gefühl uns nur im Kreis zu bewegen – aber es sind
eher Spiralbewegungen, die sich nach oben schrauben. Und viele der
geschehenen Veränderungen lassen sich erst auf den zweiten Blick
erkennen. Und wenn wir noch mit Blindheit geschlagen sind – dann
einfach ins Jetzt zurückziehen, tun –um des Tuns willen– im Tun,
im Weg aufgehen. Und schon rückt der Gipfel näher. Fehler und
Stürze geschehen niemals ohne Grund. – In all diesen
Unbequemheiten steckt eine Botschaft. Auch wenn sie sich in der
Gegenwart noch nicht lesen, entschlüsseln lässt. Vertrauen. Warum?
Weil es die einzige Alternative ist. Die einzige, die das Glück im
Jetzt und
im Morgen enthält.
Wer stur und verbissen mit immer den selben Verhalten,
Denken,.. fortfährt, der verliert nicht nur das Leben, das jetzt
ist, hier auch im Abgrund – nein, je verbissener wir uns vorkämpfen
wollen – desto langsamer werden wir, bis wir am Stand laufen.
Es geht um den Mut auf den eigenen inneren Kompass zu
hören – und unabhängig von Plänen, vom Außen, vom Kopf ect..
Flexibel zu bleiben.
Das Gespür, was ich im jetzt brauche, das steckt in
jedem Zweibeiner und es ist ein Sinn, der sich trainieren lässt.
Manchmal will der Abgrund auch, dass wir an und über unsere Grenzen
gehen. – Schritte bis zur Erschöpfung machen. Das heißt nicht
Starrheit – es geht um spielerische “Wie–fühlt–sich–das–an”.
''Und das gute Gefühl, wenn wir erschöpft am Gipfel sitzen. Das
lehrt uns der Abgrund.
Und dazu braucht es Fehler, Versuch und Irrtum... Es
lässt sich spannendes in Sackgassen entdecken. Wenn wir sie nicht
als Zeitverzögerung sehen, nicht unseren Schädel an der
Sackgassenmauer zertrümmern – sondern mit wertvollen Eindrücken
zurückgehen. Abgründe selbst sind auch nicht starr in ihrer
Erscheinungsform – sie sind Formwandler.
Also weshalb Ausdauer? Weil Ausdauer fließt wie Wasser,
ob als Strom oder in Tropfen – aber sie erreicht ihr Ziel immer,
weil das Ziel die Bewegung, das Fließen inkludiert. Fließen ist
Leben. Starr werden ist Tod.
Unterstützung
und Krücken
Es ist wichtig ein Gespür dafür zu bekommen, was
mensch im jetzt brauchen kann. Unterstützung kann vieles umfassen.
Es betrifft andere Menschen, Freunde, verschiedenste Werkzeuge. So
kann auch das Aneignen von differenten Meinungen, Methoden ect.
Unterstützung bedeuten. “Experten” zu Rate ziehen kann ein
richtiger Schritt sein. Nur nicht vergessen, dass mensch selbst der
einzige echte Experte für sich selbst ist. Alles und alle, die
begleiten, helfen – sollten auch verwendet werden. Als Basis muss
jedoch das eigene Gespür entwickelt werden – nach innen mehr als
nach außen zu horchen. Das ist natürlich ein Entwicklungsprozess.
An dessen Beginn mensch noch stark auf Zeichen im Außen,
Bestätigung, Rückmeldung angewiesen ist. Je feiner der innere Sinn
wird, desto stärker das Vertrauen in sich selbst, umso unabhängiger
bewegt mensch sich von äußeren Wegbegleitern. Es gilt in jeder
Situation herauszufinden, was jetzt besser für einen ist – da
allein durchzugehen oder sich Begleitung zu holen.
Alleingang sollte keinesfalls aus Trotz geschehen. Es
ist ein Zeichen von Weisheit und Selbstvertrauen alles und alle zu
verwenden, die den Weg erleichtern können. Und sich Unterstützung
zu holen, sollte genausowenig aus Unsicherheit und innerer, zur
Gewohnheit gewordener, Hilflosigkeit geschehen.
Manchmal tut es gut sich auszujammern, manchmal hilft
eine Umarmung, manchmal braucht mensch die Rückmeldung, dass er am
richtigen Weg ist. Manchmal muss mensch sich einlesen, Informatinen
sammeln, sich unterschiedliche Fachmeinugen aneignen – um zum
eigenen Urteil zu kommen. Wesentlich ist, dass die
Selbstverantwortung bei mir selbst bleibt. Niemand, kein wie auch
immer gearteter Experte kennt meine Zukunft – diese Leute können
nur in Wahrscheinlichkeiten sprechen. Und Wahrscheinlichkeiten
enthalten keine essentielle Information.
Wenn wir unsere Selbstverantwortung weiterreichen, geben
wir unser Leben aus der Hand. Kehren zum hilflosen, abhängigen
Säugling zurück.
Sich helfen zu lassen, ist ein Zeichen von Stärke. Sich
hilflos fühlen – ist eine Entscheidung.
Viele, im Abgrund Gestrandete haben das zuerst richtige
Gefühl, dass sie mit diversen Krücken leichter aus dem Abgrund
kommen. Schwierig ist, dass dabei mitunter das Gefühl verloren geht,
dass immer nur ich selbst etwas bewege. Und die Überzeugung
verschiedene Krücken zu brauchen – macht auf kurz oder lang jedes
gute Hilfmittel zu einer Krücke, an die wir gefesselt sind.
Es sind immer die kleinen feinen Unterschiede – und
die erkennen wir nur mit dem inneren Gespür. Klar, manchmal ist
mensch sich unsicher über die eigenen Motive. Tue ich das oder das
nicht – aus Unsicherheit, Bequemlichkeit, Trotz, Angst, Gewohnheit,
Weisheit, Mut? Es kann verwirrend sein.
In solchem Fall hilft es zum Vertrauen zurückzukehren.
–Es wird klar werden.
Der Zeit vertrauen. Sich diese Zeit geben, im Vertrauen
darauf, dass die Klarheit kommt. Und so genannte Fehler viel
Erkenntnis schenken.
Mensch rutscht leicht in die Abhängigkeitsfalle,
deshalb sich immer wieder daran erinnern: verwenden, und nicht selbst
verwendet werden – damit meine ich, dass, sobald wir von etwas
kontrolliert werden, wir den freien Willen wegwerfen.
Und das Gefühl von jeglicher Unterstützung abhängig
zu sein – das ist uns, unserer Gefühle und wenn es andere Menschen
betrifft, diesen nicht würdig.
Wollen nicht brauchen.
Um Missverständnisse zu vermeiden – in manchen
Situationen schaffe ich es nur mit Werkzeugen da heraus zu kommen.
Aber ich entscheide mich dazu, deshalb sind es Hilfsmittel, die mir
helfen und mich deshalb nicht hilflos machen.
Und so kann ich ihnen aus freiem Herzen dankbar sein. Im
anderen Fall beginne ich früher oder später meine Hilflosigkeit und
das, den ich brauche zu hassen.
Und wem der Kopf schwirrt von den vielen kleinen
Unterschieden – jeder Zweibeiner kommt mit dem Sinn auf die Welt,
was genau jetzt richtig für diesen einen Menschen ist. Fehler sind
auch gute Helfer. Und das innere Gespür muss wie jeder andere Sinn
entwickelt werden.
Selbstlob
und Erschöpfung durch Tempoüberschreitung
Du kannst das Glück, die Liebe, Gesundheit, Reichtum,
Frieden,.. nicht im Außen finden, bevor du es nicht in dir gefunden
hast. Banal. Und wahr.
Und so ist es auch mit den Flügeln. Wir tragen sie
bereits ein ganzes Leben mit uns herum und werden sie doch erst
entdecken, wenn wir in uns auf die Sehnsucht zu fliegen stoßen.
Leider fehlt oft im Lehrplan für Zweibeiner folgendes:
Lernen sich selbst zu lieben, sich selbst wieder neu kennenzulernen,
Geduld mit sich zu haben, und immer neugierig auf das eigene ich und
seine Entwickungsmöglichkeiten zu bleiben. Kurzum: achtsam und
liebevoll, spiererisch und neugierig mit sich selbst umzugehen.
Der Abgrund versucht dies nun nachzuholen – wobei er
es eben auf seine raue, schroffe Weise tut. Und wir quietschen aus
Verweichlichung – die nichts mit echter Selbstliebe zu tun hat. Der
Abgrund liebt uns – das zeigt sich, indem er nicht unseren seichten
Wunsch, da und dort anzukommen aus dem Stehgreif erfüll.
Weil er weiß, dass wir verlernt oder noch nicht gelernt
haben zu genießen. Dazu müssen wir erst in uns, in unserer
Flugfähigkeit, im Hier ankommen.
Alle unserer Träume könnten adhoc vor uns stehen –
ohne das Finden unseres echten ichs, ohne die Vorraussetzung für
Genuß – völlige Gegenwärtigkeit und inneren Frieden – die
erfüllten Träume blieben eine Fata morgana, die wir kaum zu spüren
imstande wären. Solange wir getrieben werden –ich spreche nicht
von einer aktiven Suche– solange benötigen wir den Abgrund als
Führer.
Und alle Abgründe wollen uns auf diesem Weg etwas
wesentliches beibringen – unser eigener bester, motivierensder,
strengster und liebevollster Führer zu werden. Die Fähigkeit uns
selbst zu trösten, zu umarmen, zu verzeihen, zu motivieren, zum Flug
zu führen. Ein großartiges Werkzeug dabei ist Selbstlob.
Selbstvorwürfe, sich selbst runter und klein zu machen,
beschneiden unsere Fähigkeiten. Wenn du jemanden sagst, dass er
großartig, schön ect. ist – dann legst du den Keim dazu, dass
diese Person das alles wird.
Genauso ist es mit der eigenen Person. Wir können uns
gar nicht oft genug sagen, dass wir großartig sind.
Zum Film des eigenen Lebens zurückgekehrt: bedenken,
was wir als Held schon alles erlebt und durchgestanden haben. –WOW!
Und den Boden, auf dem wir stehen, beachten. Sich für
die kleinsten, banalen Dinge loben, auch für das Gefühl inneren
Friedens. Das motiviert zu größeren Schritten, zum Wiederaufstehen,
es jeden neuen Tag zu versuchen.
Und wenn ich anfangs nur 10 Minuten eines Tages als
gelungen betrachte – diese Minuten fokussieren.
Und irgendwann kommt der flash – wir pushen uns nach
vorne, jeder Horizont scheint erreichbar. Ein Phänomen ist auch bei
Tieren beobachtbar – wenn sie in einen Laufflash kommen – alles
sie nach vorne, weiter zieht – gibt es immer wieder welche, die
weiter rasen würden bis zum Zusammenbruch, zum Kollaps...
Ein bisschen Größenwahn tut gut – exzessiver,
ausgedehnter Größenwahn schlägt schnell ins Gegenteil – das
Minderwertigkeitsgefühl um. Und im Rushgefühl geht auch das Gefühl
für die inneren Signale verloren.
Hin und wieder über die eigenen Grenzen zu gehen –weil
mensch gerade beginnt, die Sachen, die er sich selbst sagt (wie
großartig er ist) zu glauben – das fühlt sich gut an. Aber so
gierig, krampfig nach dem Horizont zu werden, dass mensch sich über
die Bedürfnisse nach Auszeit und Pause treibt – es muss zum
Zusammenbruch oder Rückschritt kommen, wenn das innere Stopp nicht
beachtet wird. Weil wir schon wieder in etwas starr werden...
Ein Abgrund will uns atmen lehren. – Alles im Leben
unterliegt einer Atembewegung. An – Entspannung, alle Gegenteile,
die einander bedingen...
Fliegen erfordert Balance. Und die erlangen wir
schneller und leichter, wenn wir unser bester Freund werden, der
stolz auf uns ist, uns nach einem Sturz tröstet und überzeugt
weiterzugehen. Ohne uns so sehr zu pushen, dass wir in Sekunden die
Welt verändern wollen (ein Machtgefühl, das es zu genießen gilt,
aber nicht handlungsbestimmend werden darf) – und in die
Selbstüberforderung rutschen.
Humor
und Zynismus sowie Galgenhumor und Autoaggression
Humor ist ein wunderbares Werkzeug. Und erfordert
–schenkt– das in Distanz zu sich selbst gehen.
Eine gute Übung und zugleich Auszeit ist die
Vorstellung, sich selbst mit Entfernung zu betrachten. Das eigene
Leben wie einen Film anzuschauen, als Komödie, Drama, Melodram,
Kitschfilm, Satire... Ist das nicht ein unglaublicher Film, in dem
wir mitten drin stecken?
Und das Schöne – wie bei einem Film bleibt es immer
eine gewisse Überraschung wie es weitergeht. Nein – ich bin
überzeugt, dass wir selbst das Drehbuch schreiben – mit unseren
Ängsten, Hoffnungen und Träumen. Wenn wir diese aus dem Unbewussten
ins Bewusstsein holen, haben wir die Macht unsere Wünsche zu
manifestieren. Die genaue Form, die das annimmt wird aber eine
Überraschung bleiben. Gut so, denn sonst hätte das Leben viel Reiz
durch banale Vorhersagbarkeit verloren. Diese Filmübung gibt uns den
Spielcharakter zurück. Die Neugierde, den Wagemut kleiner Kinder.
Und Humor ist etwas Spierisches.
Er kann durchaus schwarz, morbide und makaber sein. Ich
denke gerade an eine Episode aus meinem Leben: drei Freundinnen, die
gemeinsam Proseccosüffeln, eine hält dabei die Urne ihres
verstorbenen Sohnes am Schoß. Eine Situation, die Lachen und
zugleich Tränen gebracht hat. Aber – intensiv – intensives
Leben.
Wer kennt das noch – Tränen vor lachen? Lachanfälle
können in den unmöglichsten Situationen entstehen. Ich meine nicht
Lachen als Übersprungshandlung – wenn mensch keine andere Handlung
zur Verfügung hat. Aber die Bereitschaft aus der Situation
herauszugehen – die fast immer darin enthaltene Komik zu erkennen.
Kinder lachen viel öfter als Erwachsene. Lachen sollte mensch aber
nicht verlieren. Im Abgrund zu sitzen sei alles andere als komisch?
Dann bitte eine andere Perspektive einnehmen, sich als
tragischen Helden sehen, alles ins Lächerliche ziehen...
überzeichnen, bis eine Karikatur entstehet.
Lachen ist wie Weinen sehr befreiend. Es setzt neue
Betrachtungsweisen und Kräfte frei, entspannt, löst uns kurzfristig
aus der drückenden Stituation.
Lachen schenkt Flügel.
Und nichts hat Mensch im Abgrund nötiger als sich
kurzfristig von sich selber zu befreien. Humor veträgt eine Brise
Pfeffer durchaus – schwarz, würzig...
Zynismus aber ist ein bitterer Abkömmling. Er stiehlt
uns die Flügel. Macht schwach. Verbittert. Entmutigt. Und verletzt.
Uns selbst. Und andere.
Manche Zweibeiner neigen dazu statt erfrischender Wut
zum Zynismus zu greifen. Zynismus versteinert ohnehin schon trostlose
Weltbilder.
Keine Frage – es kann viel an intellektueller Würze
drinnen stecken, aber abgesehen, dass mensch sich damit beweist, dass
sein Kopf blendend funktioniert – was bringt Zynismus an angenehmen
Ergebnissen für uns?
Bisschen
Sarkasmus hat noch niemanden umgebracht – ein zynisch gewordener
Mensch ist –und das ist eine Tatsache– eindeutig zu schwer zum
Fliegen. Er fesselt sich an den Abgrund, wie in einem
Heiratsversprechen.
Galgenhumor
und Autoaggression
Galgenhumor – ist das, wenn mensch trotzdem lacht? Und
was ist das für ein Lachen? Sicher ist etwas Sarkastisches,
Schwarzes dabei – aber nicht bitter und nicht weiter in sich selbst
steckenbleibend. – Denn dann wären wir wieder beim Zynismus
gelandet. Galgenhumor inkludiert, setzt die Fähigkeit voraus aus der
eigenen Person herauszutreten. Dadurch hat er Katharsisfunktion und
kann den Keim zu einer Veränderung schaffen. Vielleicht setzt er in
besonders tiefen Abgründen sogar beim Zynismus an. Aber er wächst
darüber hinaus, befreit sich.
Es kann zum Beispiel durchaus mit Selbstvorwürfen
starten, die mensch dann bewusst überzeichnet. So, “Gott, ich bin
das letzte...” – bis mensch darüber lachen muss und es
unmöglich wird, sich weiter runterzumachen.
Galgenhumor kann bitter starten –lachen über den
schief stehenden oder rosaroten Galgen. Aber er muss darüber
hinausgehen. – Sich von der eigenen Person entfernen, von Zynismus
und Bitterkeit. Was ihn letztendlich als gutes Werkzeug
klassifiziert, ist das Gefühl, das er beim Zweibeiner auslöst:
Abstand, Auszeit, Pause, Erleichterung. Alles andere – alles, was
bitter, zynisch, selbstruntermachend usw. bleibt –das ist
Autoaggression. Und kontraproduktiv.
Ich stehe im Abgrund, vielleicht blute ich noch – und
dann trete ich weiter auf mich ein?? Ja, Grausamkeit ist in jedem von
uns angelegt. Und es ist gut sich zu kennen, weil das Hinschauen und
Zulassen das Darüberhinauswachsen zur folge hat.
Feeling blue, jammern, weinen, Selbstmitleid –all das
hat seinen Platz. Als Ausgangspunkt!!
Wir werden nur neues entdecken, neue Kraft, neue Welten
– wenn wir nicht im Kampf gegen uns selbst steckenbleiben. Und
dieser Kampf hat tausend Gesichter.
Es stellt sich die Frage – wollen wir unser Geschenk,
unser ich, unsere Flügel, die Chance Träume zu verwirklichen, die
Chance eines neuen Lebens annehmen?
Oder in ein endloses Gefecht mit uns selbst treten?
Wie auch der Abgrund zuerst gesehen, kennengelernt
werden will – ist es auch mit den autoaggressiven Anteilen. Und
Humor ist eine wunderbare Treppe, um da hinaus zu gelangen.
Und ist der humoristische Blick erst mal gerschärft,
erkennt mensch, dass Abgründe viel Humor haben. Meist von der
schwarzen Sorte. Jedenfalls lohnt es sich hinzuschauen. Handfester
könnte ich natürlich von der physiologischen Ebene reden, was
Lachen im Körper auslöst, von kognitiver Restrukturierung usw.
–Aber lässt sich “fliegen” handfest formulieren? Ich und die
vielen Abgründe da draußen und in jedem Zweibeiner bevorzugen es
die Botschaften an einen mächtigen, weisen Teil im Zweibeiner zu
richten: – das Unter–, Un–, Noch–nicht– Bewusste.
Anzapfen
vom Fluglehrer Unterbewusstsein
Die meisten Zweibeiner wandeln als halbe Gestalten durch
das Leben. Das Bewusstsein ist nur die Hälfte. Wobei – wenige
Menschen haben wenigstens in diesem Punkt ein ausgereiftes
Bewusstsein. Entweder einseitig Kopf oder Herz gesteuert, getrieben
von unerlösten Schatten, gehetzt von Impulsen aus dem Unbewussten...
Krass? Leider Realität. Wir werden gelebt – weil wir
die ganze Palette unseres ichs nicht kennen, viellecht sogar
fürchten. Wie sollen wir da mehr als einen winzigen Ausschnitt der
Lebendigkeit wahrnehmen?
Ein Großteil unserer Ängste, unserer Schmerzen,
unserer Schattengefühle steckt im Unbewussten. Das ist kurzfristig
eine gute Lösung – die uns vor Überforderung schützt. Aber: ein
ganzer, in sich freier Mensch hat sein Gleichgewicht zwischen Kopf,
Herz und Bauch gefunden, kennt seinen Schatten, erlöst alte Lasten
und hat Bewusstes und Unbewusstes in Balance. Das Unterbewusstsein
ist ein mächtiges Wekrzeug. Wie Menschen ihre rechte Gehirnhälfte
in unserer Gesellschaft zu wenig benutzen, passiert das auch mit den
gewaltigem Potential im Unterbewusstsein. Anschauen, durchwandern,
erlösen, Gegensätze zusammenbringen – in Balance kommen – das
ist der Weg zur Freiheit, zum Ganzwerden, zu den Flügeln.
Ein Abgrund bietet die Chance unser Unterbewusstsein zu
reinigen – zu entrümpeln. Nach den bekannten Prinzipien:
hinschauen, zulassen ohne zu bewerten, loslassen und transformieren,
und unbewusste Kräfte bündeln und bewusst einsetzen, um das eigene
Leben zu verwandeln. Jeder Zweibeiner hat einen großen Haufen Ängste
und Schmerzhaftes ins Unterbewusste verschoben. Und die unbewussten
Inhalte haben eine unheimliche Kraft – die Verhalten und Ängste im
Leben manifestiert. Mensch kann sich auch hier Begleitung holen –
zum Beispiel durch Hypnotherapie. Dies bedeutet keinen
Kontrollverlust – nur das Bewusste ist im Hintergrund und sieht zu,
wie das Unbewusste das Steuer übernimmt – jedoch bereit im
Notfall jederzeit einzugreifen.
In unseren Träumen spricht das Unbewusste. Wenn wir uns
sehr, sehr tief entspannen, oder heftigen Schlafmangel haben – hat
das Unterbewusste mehr Kraft. Es arbeitet in Bildersprache. Und es
ist nicht nötig, alles zu verstehen, um es einzusetzen. Meistens
lauern schon intensive alte Gefühle darauf endlich an die Oberfläche
zu kommen. Das kann heftig ausfallen –einfach zulassen– im
Vertrauen diese Welle wird abebben. Wir können versuchen vor dem
Einschlafen Fragen ans Unterbewusstsein zu stellen. – Mit etwas
Geduld und Übung kommt die Antwort garantiert! Das kann durch
Traumbilder geschehen, oder wir wachen mit der Antwort im Kopf auf,
oder einem intensiven verdrängten Gefühl. Die Bilder zulassen,
raussschreiben, rausmalen, raustanzen – jeden Impuls folgen, der
zur Transformation führt. Und Klarträumen lernen – einfach
lernen, bewusst Bilder vom erreichten Horizont in unsere Tiefen
einzulagern. Dies machen zum Beispiel auch Profisportler, die den
Wettkampf und den Sieg imaginieren. Ich verzichte darauf, auch hier
die hirnphysiologischen Grundlagen darzustellen. Im Grundprinzip geht
es nur darum Unerwünschtes, Belastendes, Ängste ans Licht kommen zu
lassen, noch einmal durchzugehen um sich davon zu befreien. Und neue
Kräfte hervor zu holen. Erwünschtes in unsere Tiefen zu
programmieren. Zu lernen nicht nur in Worten und linearer rationaler
Logik zu denken, sondern die Bildsprache in uns zuzulassen – und
uns von dieser Kraft führen lassen.
Es sind auch diese Tiefen, die den Abgrund zur Hilfe
gerufen haben. Und er ist gekommen, um uns zu helfen.
Manchmal machen uns diese Dinge in uns Angst, wir
gelangen an Schwellen, bei deren Überschreiten wir fürchten
wahnsinnig zu werden und nicht mehr umkehren zu können. Als Antwort
kommt wieder nur das innere Gespür in Frage – das sagt, was
normale Schwellenangst ist und wann wir wirklich noch nicht so weit
sind; etwas anzusehen uns überfordern würde.
Jeder Mensch hat seine eigene individuelle Zeit – es
gibt keine allgemeinen Regeln.
Etwas ist aber sehr wichtig – der Abgrund kam nicht
ohne Grund und das Unterbewusstsein kann ein mächtiger Verbündeter
sein.
Oder, wenn es links liegengelassen wird, eine große
Bremse, etwas, das unser Leben mit Barrikaden zupflastern kann. Und
nur weil wir –völlig menschlich– Angst vor Neuem, Ungewohnten,
Veränderungen und unbekannten Terrain haben.
Hier kann der Kopf auch als Angstentlaster eingesetzt
werden – sich Informationen aneigen, die das Ganze aus den
“magischen Sphären” auf die greifbare Erde holen.
Es braucht Mut und es ist nur ein kleiner Schritt den
schweren Boden unseres Weltbildes zu verlassen. Vertrauen wir uns:
Bewusstem wie Unbewusstem.
Philosophischer
Exkurs: Bipolare Sörung und lauwarm
Bipolare Störung bezeichnet sich abwechselnde Phasen
von Depression und Manie. Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt.
Viel große, kreative Menschen fallen in diese Definition. Das Bild
vom Fliegen – inklusive der Abstürze erinnert an diese Kategorie.
Aber mit Fliegen ist nicht ein pathologisch übersteigertes
Lebensgefühl gemeint.
Wenn die meisten Zweibeiner betrachtet werden – sie
verlieren im Lauf ihres Lebens, während ihres “Erwachsen–werdens”
die Fähigkeit des intensiven Lebensgefühls. Und nennen dies
Gleichgewicht. Ein bisschen Freude, ein bisschen Schmerz und der
große Rest besteht aus einem lauwarmen Geschmack.
Ich wage eher das schale Lebensgefühl pathologisch zu
nennen. Wie auch die Angst sich selbst zu erforschen mit all der
eigenen Finsternis –alles, was als Dunkelheit in sich wahrgenommen
wird nur in der Projektion nach Außen zu erkennen. Die Bösen, die
Grausamen, die Wahnsinnigen... Das ich muss gut und hell sein.
Aber: Licht ohne Schatten ist nicht hell, ein Gegensatz
ohne den anderen ist nur die Häfte und einseitig. Und nicht
gesehenes Dunkel wird zur Gefahr.
In mir ist Dunkel – Aggression, Grausamkeit, die
Freude am Dunkel. In dem Moment, wo ein Mensch dies zulässt und
annimmt, fällt auch der Gegensatz weg – Dunkel und Licht
vereinigen sich. Dieser Zustand beschreibt ein balanziertes
Lebensgefühl, und nicht lauwarm. Was ich sehe und erlaube mir zu
fühlen, dem entziehe ich den Zwang dies als Verdrängtes leben zu
müssen.
Wieso sollten wir uns mit ein bisschen Freude begnügen?
Ein bisschen Leben? Ein bisschen spüren? Alles schön im Rahmen? Und
uns dann sogar an das bisschen Schmerz klammern?
Ein Schmerz der sein darf, in all seiner Gewalt, bleibt
nicht lange.
Aber: ein unbedingtes Bekenntnis zum freien Willen –
es ist die Entscheidung des einzelnen, ob er lauwarm wählt. Nur
sollte es ihm bewusst sein, dass es eine Wahl ist. Dass es
Alternativen gibt. Und es kein Naturgesetz ist, dass das Lebensgefühl
fader wird, wenn wir den Kinderschuhen entwachsen.
Das kommt aus dem Verlust – dem Wegwerfen der
Gegenwärtigkeit, der Neugierde, der Authentizität. Eigentlich
sollte erwachsensein den Gewinn von Zusätzlichem und nicht Verlust
bedeuten. – Selbstverantwortung, Freiheit in sich selbst und
Balance. Balance zwischen Kopf, Herz, bewussten, unbewusstem Denken..
Eigentlich sollte nur unser Spielplatz größer werden.
Ich spreche nicht von Hysterie – ich meine den Mut
intensiv zu leben und nicht aufhören zu träumen. Der Vorteil als
erwachsener Zweibeiner zu träumen besteht darin, dass es leichter
ist Träume zu verwirklichen.
Kinder haben große Freude daran sich selbst zu
entdecken; irgendwann bilden wir uns ein, wir kennen uns schon und
schauen gar nicht mehr genau hin. Wenn wir die Ereignisse, die
Menschen –gerade und vor allem die schwierigen– als Chance
begreifen mehr über uns zu erfahren, neues auszuprobieren – wird
das Leben bunt und behält seinen Spielcharakter.
Wenn mensch sich erforscht, ganz macht, entfällt die
Notwendigkeit zu tief zu stürzen und zu hoch zu fliegen. Alles,
jedes Gefühl kann ausgekostet werden, seinen Zauber behalten und im
Vertrauen wieder losgelassen werden.
Nur sich den Wellen hingeben. Was uns dann hindert in
die pathologische Bipolarität abzurutschen? –Der innere Friede,
den die Abgründe versuchen uns zuzuführen. Die Einsicht, dass uns
nur verletzen kann, wem und welchen Dingen wir die Erlaubnis dazu
geben. Das alles unsere Entscheidung ist. Dass unsere Essenz
unverletzbar ist.
Dann sind es nicht leere Erschöpfungsphasen zwischen
Manie und Depression – dann sind es Phasen innerer Ruhe zwischen
intensivem Lebensgefühl.
Alles ist lebendig – auch die Leere, die sein darf.
Mensch soll kein Gefühlsjunkie werden. –Der Abgrund will uns aus
Abhängigkeiten befreien.
Ja, er will uns auch lehren gewünschte Formen zu
realisieren. Aber die Lektion zuvor muss der Inhalt sein. Die eigene
Person füllen. Und nicht an Formen ohne oder mit falschen Inhalt
klammern.
Wenn wir unsere Reise antreten, die Einladung wurde vom
Abgrund ausgesprochen – machen wir uns auf dem Weg zur ganzen
Palette unserer Ichanteile, zur ganzen Lebendigkeit. Und wenn alles
sein darf, wird innere Ruhe selbst im Schmerz da sein. Und
Freudentränen und zugelassener Größenrausch wird gelebt als
intensives Gefühl und muss sich nicht an das Verhalten klammern,
oder die Manie.
Abgründe leiten uns in ein authentisches, intensiveres,
ausbalanziertes Lebensgefühl. Keine pathologische Einseitigkeit und
kein gedämpftes Lauwarm. – Aber bitte mit Flügeln!
Zusammenfassung
Für
den praktischen Gebrauch (bitte auf den betroffenen Zweibeiner
anpassen und verändern!)
Hinschauen
in
den Abgrund, in das ich; alles was erscheint
zulassen
ohne zu bewerten
Loslassen
entrümpeln,
freigeben, was belastet und/oder sich überlebt hat
hingeben:
dem Prozess inklusive Schmerz, der Veränderung, dem Weg
Transformieren
erlösen
durch zu- und loslassen
aktiv
verändern und der Veränderung gestatten Form anzunehmen
initiieren
von neuem Denken, Perspektiven, Verhalten
Visionen
fokusieren
träumen
und wünschen
danke
sagen
Vertrauen
nähren
Üben
merken:
Druck
wegnehmen
Zeit
geben und “Fehler” zulassen
offen,
ausdauernd, flexibel, neugierig, spielerisch und gegenwärtig
bleiben
fliegen
und genießen
wellenreiten
das
Wellenprinzip annehmen und in innerer Balance drüber gleiten
Abschließend
Unabhängig von der jeweiligen menschlichen Perspektive
ist ein Abgrund ein Türöffner. Türen, die wir nicht mal im Traum
versucht hätten oder sie überhaupt gesehen haben, bekommen eine
Chance. Türen, die Wundersames in uns selbst öffnen können –
manchmal auch die eigene innere Hölle. Aber – auch die hat ein
Recht auf ihren Raum. Und erst, wenn wir sie durchschritten haben,
können wir ein neues freies ich kreieren. Abgründe machen auch
Türen sichtbar, die uns im Außen in neue Welten führen können.
Und Außen und Innen sind ohnehin nur zwei unterschiedliche
Perspektiven auf eine Sache, die sich da Leben nennt.
Wenn wir Lernbereitschaft, Mut und Ausdauer hatten,
haben wir unsere Flügel entdeckt. Erste, zarte Flugversuche gewagt.
Wir haben versucht den Abgrund nicht mehr als Feind zu
sehen.
Seine Lektionen schneller zu begreifen, wenn er
wiederkommt.
Vielleicht beherrscht uns dann nicht gerade
überwältigende Wiedersehensfreude. Aber wir wissen ja inzwischen,
dass er unser Bestes will.
Vielleicht schaffen wir es manchmal sogar Gefühle wie
für einen alten, vertrauten, manchmal lästigen, aber durchaus nicht
unsymphatischen Bekannten für die Abgründe unseres Lebens zu
aktivieren.
Jeder, der gefallen, der geflogen ist – der weiß
mit ganzer Seele:
Jeder
Flug ist es wert!
Und mein Traum? Irgendwann so viel gelernt zu haben,
dass ich mir meiner Flügel immer bewusst bin. Stürze als durchaus
pikante Geschmacksvariante nehme, aber den größten Teil der Tage im
Gleitflug bin..
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Ulrike Kotschar).
Der Beitrag wurde von Ulrike Kotschar auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.10.2011.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Ulrike Kotschar als Lieblingsautorin markieren
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von Gabi Mast
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