Andreas Dany

Eine Weihnachtsgeschichte 1

 

                                         Eine Weihnachtsgeschichte 

 

 

 Seit Wochen freuten wir uns schon auf dieses Weihnachtsfest. Da wir selbst nur eine kleine Wohnung im Essener Stadtteil Fulerum hatten, wollten uns meine Eltern in diesem Jahr ein unvergessliches Weihnachtsfest bereiten. Das sollte es letzten Endes auch werden, nur vielleicht etwas anders als von uns allen erwartet.
Mein großer Bruder Martin war 12 Jahre alt und besuchte die 7. Klasse in der Realschule .Meine Schwester Gina war erst fünf Jahre alt und ging noch in den Kindergarten. Ich, Andreas, bin fast 9 Jahre alt und gehe in die 3b der Grundschule an der Raadter Strasse. Wie fast alle Kinder im Ruhrgebiet warteten wir seit Wochen auf den ersten Schnee. Leider bleibt der Schnee  bei uns nicht so lange liegen. Man muss sich schon sehr beeilen, wenn man mit dem Schlitten auf diesem allerersten Schnee den Berg herunterrutschen will. Sonst ist er schon zu Matsch zertrampelt, und auf dem rutscht es sich gar nicht gut.
In diesem Jahr hatten meine Eltern etwas Geld zusammengespart. Am ersten Advent verkündeten sie beim nachmittäglichen Kaffeetrinken und nach dem Vorlesen der Weihnachtsgeschichte die freudige Nachricht: „ Dieses Jahr feiern wir Weihnachten in einer Pension im Sauerland, endlich einmal eine weiße Weihnacht!“ Mein Vater erzählte uns gerne aus seiner Kinderzeit, als er mit seinen Brüdern abends durch den knirschenden Schnee zur Christmette gelaufen war. Und als sie dann wieder zu Hause ankamen, glänzte der Weihnachtsbaum schon im hellen Kerzenschein und alle konnten es kaum abwarten die Geschenke auszupacken. Zuerst mussten sie aber noch mindestens drei Weihnachtslieder singen, die, genau wie bei uns zum Ende hin immer schneller wurden. Es war also genau wie bei uns, bloß, das wir statt des knirschenden Schnees höchstens durch Pfützen platschen konnten.
Aber das sollte ja in diesem Jahr anders sein. In den Wochen vor Weihnachten schmiedeten wir alle möglichen Pläne. Martin bekam richtig Ärger. Er hatte von einem Klassenkameraden ein altes Paar Ski geschenkt bekommen und daraufhin seine neuen Winterstiefel so lange mit einer  Feile bearbeitet bis die Skibindung  daran hielt. Ich hatte mir ein Paar Bretter besorgt, mit der Raspel und einer Säge in Form gebracht und mit Riemen eine Art Bindung  daran geschraubt. Gina malte auf Ihren Wunschzettel einen wunderschönen Schlitten und Mama besorgte im Second Hand Laden Kinderskianzüge für uns alle. Als Papa unsere Schätze sah, borgte er sich von einem Arbeitskollegen eine Dachbox für`s Auto. „Sonst kriegen wir den ganzen Kram ja nie in unseren Golf.“ sagte er, als Mutter ihn skeptisch ansah.
Mein Vater musste am Vormittag des 24. Dezembers noch arbeiten, und so konnten wir erst nach dem Mittagessen losfahren. Traditionell stritten Martin und ich uns um die Plätze. Traditionell  sprach meine Mutter ein Machtwort, und ich musste, ebenfalls traditionell, wieder einmal in der Mitte sitzen. Als wir die Stadt Essen gegen dreizehn Uhr verließen, begann es zu regnen. Als wir dann bei Wuppertal waren, stritt ich mich ein wenig mit meiner Schwester. Als wir nach wenigen Ermahnungen meiner Mutter damit aufhörten, begann der Regen auf der Straße zu gefrieren. Eine halbe Stunde später ging auf der Autobahn nichts mehr und mein Vater fuhr ab, um dem Stau zu umfahren. Aber entweder war unsere Landkarte zu alt, oder wir hatten sie falsch gelesen, jedenfalls  waren wir bald allein auf der Straße. Meine Geschwister und ich hatten uns die Zeit mit „ Tannenbäume zählen“ vertrieben. Leider hatte ich schon seit einer viertel Stunde kein Haus mehr gesehen, geschweige denn einen beleuchteten Tannenbaum. Zu allem Überfluss fing nun auch noch der Motor unseres alten Golfs an zu stottern. Das Auto wurde immer langsamer, bis es an einem Berg mit einem letzten „ Klong“ ganz erstarb. Im Auto war es ganz leise. Wir Kinder wagten kaum zu atmen und das einzige Geräusch, war das leise Schluchzen meiner Mutter, Gina liefen auch sofort dicke Tränen die Wangen herunter.
Papa gab ihr einen Kuss auf die Wange und sagte: „Es wird schon nicht so schlimm sein!“ Dann schaltete er die Warnblinker ein und öffnete die Motorhaube. „Martin leuchte mir mal mit deiner Taschenlampe“ Stolz, und froh helfen zu können, fischte Martin seine Taschenlampe aus seinem Rucksack und stellte sich an den Kotflügel und leuchtete in den Motorraum. Mittlerweile hatte es zu schneien begonnen. Dicke Flocken bedeckten bald das ganze Auto. Papa rief unter der Motorhaube: „ Ursel, ich glaube wir müssen doch den ADAC rufen, es ist doch etwas komplizierter als ich dachte“. Das war aber leichter gesagt, als getan, denn Notrufsäulen gab es nur auf der Autobahn und vielleicht mal auf einer größeren Landstrasse - und die Straße, auf der wir waren war zwar auf dem Land, aber als "größer" war sie beim besten Willen nicht zu bezeichnen. "Ich hab schon lange keine Telefonzelle und noch nicht einmal ein Haus gesehen!“, rief sie meinem Vater zu. Sie weinte nicht mehr und hatte sich das Gesicht abgewischt, aber wir konnten merken wie sehr sie sich zusammenriss.
Auf einmal hörten wir ein lautes Bellen. Es kam schnell näher und einen Augenblick später stand ein riesengroßer Rottweiler knurrend vor meinem Vater. Der blieb ruhig stehen und sprach leise und beruhigend weiter. Gina rief „ Ich muss mal“ und war schneller aus dem Auto gestiegen, als irgendjemand reagieren konnte. Im Vorbeigehen strich sie dem großen Hund über das nasse Fell und piepste: „ Warte, ich muss erst mal Pipi, dann können wir spielen“ Der Hund antwortete mit einem merkwürdigen Laut, der sich anhörte wie eine Mischung aus Jaulen und Bellen. „ Gina geh sofort ins Auto!“ „ Gina hatte mittlerweile ihr Geschäft erledigt und antwortete „ Na gut“ Sie stieg ein, der riesige Rottweiler folgte ihr auf dem Fuße. Ohne auf mich Rücksicht zu nehmen zwängte er sich zwischen uns und legte seinen großen Kopf auf Ginas Schoß. Die schien das alles ganz normal zu finden, streichelte das riesige Tier und erzählte ihm was wir bis jetzt so alles erlebt hatten. Meine Mutter, die etwas Angst vor großen Hunden hat, saß stocksteif auf ihrem Sitz.
„Be-en! Be-en! Ben, verdammt noch mal!“ lautes Rufen war aus dem Wald zu hören. „Mein Vater rief laut: „ Hallo, Haa- lo! Ihr Hund ist hie-ier“ „ Ben, komm sofort her!“  Jetzt war die Stimme sehr ärgerlich geworden. Ben allerdings störte das wenig, er lag quer über mir und mit dem Kopf auf Ginas Schoß, die Augen halb geschlossen und genoss offensichtlich die Streicheleinheiten meiner kleinen Schwester. Ich hatte auch begonnen das Fell zu streicheln und genoss die Wärme des Hundes.
Schnaufend erschien ein älterer Mann auf dem Weg. „ Was haben Sie hier verloren, das ist Privatbesitz!“ schimpfte er „ und wo ist mein Hund?“ „ Ihr Hund sitzt in unserem Auto, und wir sind keinesfalls freiwillig hier. Unser Auto ist liegengeblieben!“  „Ben!“ Der Mann hatte die Fahrertür geöffnet und rief seinen Hund. Der sprang ihm fast in die Arme, fand aber noch die Zeit Gina einmal quer übers Gesicht zu lecken. „ Entschuldigen Sie, aber der Hund hat einen Narren an kleinen Kindern gefressen, wahrscheinlich erinnern sie ihn an meine Enkelin. Kann ich ihnen irgendwie helfen?“
„ Haben Sie ein Telefon, wir müssen wohl den ADAC rufen, und wir haben schon lange keine Telefonzelle mehr gesehen.", bat mein Vater. „ Na das ist kein Wunder, Sie sind hier in der Nähe von Kracht, das ist tiefstes Sauerland – sie haben sich wohl verfahren?“ „ Guten Abend“ meine Mutter hatte ihren Mut wieder gefunden, und schaltete sich ein .Wir wollen nach Willingen , dort haben wir uns in einer Pension eingemietet, wie weit ist das denn noch bis dahin?“ „ Na ja, so cirka 70 Kilometer!“ „ Oh, können sie uns denn bitte den ADAC schicken?“ „ Gute Frau, heute ist Heiligabend, es ist 17 Uhr, und es schneit seit einer halben Stunde als wäre bei Frau Holle die Betriebsprüfung, und sie wollen einen Pannendienst mitten in den Wald lotsen um einem museumsreifen Kleinwagen wieder Leben einzuhauchen? Ich helfe ihnen gerne dabei zu überlegen wie sie sich und ihre Kinder vor dem Erfrieren retten!“, erwiederte der ältere Herr, nicht mehr ganz so brummig. „ Haben sie denn eine Idee?“ fragt mein Vater etwas kleinlaut. „ Mir ist kalt“, Gina hing schon wieder an dem Hund und kniet dabei im frischen Schnee. „ Kommen sie mit“, brummte der Alte meinen Vater an: „ und ihr verschwindet so lange im Auto, ich habe keine Lust euch gleich auch noch zu suchen!“. Er verschwand mit seinem Hund und meinem Vater auf dem Waldweg. „ Mama, glaubst du er kommt wieder?“ „ Papa kommt sicher gleich zurück!“, versicherte Mama meiner kleinen Schwester. „ Ich meine, ob Ben wiederkommt?!“ „Gina!“. Wir kuschelten uns still aneinander und horchten in die Nacht.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.10.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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