Werner Warnecke

Kurz nach Zwölf Uhr Mittags ...

Kurz nach Zwölf Uhr Mittags

oder

Der schwere Abschied von den Jugendträumen

Die Freiheitsstatue steht auf der Insel Liberty Island, in der Hafeneinfahrt von New York und ist nur per Schiff zu erreichen.
Auf dieser Insel verteilt sind Schilder die, dem Sinn nach, mitteilen dass die Insel, nebst Statue, der Behörde für Nationalparks und Forstwirtschaft der Vereinigten Staaten untersteht.
Das kam mir zwar etwas merkwürdig vor, etwa so als wenn der Watzmann von der Wasserschutzpolizei bewacht werden würde, aber wer wundert sich schon über was wenn er in Amerika ist.
Repräsentiert wird diese Behörde durch Forstaufseher, Ranger genannt.
Sie tragen eine schnieke olivgrüne Uniform und, als Krönung, einen breitkrempigen Cowboyhut in derselben Farbe. Wir alle kennen sie aus dem Jogi Bär Comic.
Da ich in einer typischen amerikanischen Warteschlange stand hatte ich Zeit mir diese Ranger / innen genauer anzusehen und ich begann zu träumen.
Ich sah mich wieder als Kind, Cowboy und Indianer spielen. Ich erinnerte mich an die sonntägliche 14 Uhr Jugendvorstellung im Roxy Kino (wir nannten das „Verdauungsvorstellung) , wo jeder Fuzzy-Film uns so beeindruckte dass wir danach nach Hause “geritten” sind (das ist eine Laufart mit ungleich langen Schritten im Dreierrhythmus, die jeweils, nach einer bestimmten Schrittfolge, durch einen angedeuteten Sprung unterbrochen werden damit der Rhythmus wieder stimmt. Richtige Pferde müssen dass mit 4 Beinen hinkriegen. Die Arme werden, sofern nicht zum imaginären Revolverziehen oder Lassowerfen gebraucht, weitgehend bewegungslos vor der Brust gehalten. Das stellt das Halten des Zügels dar. Wenn der Ausführende dabei auch noch schnaubt und Hihihihii wiehert ist die Illusion auf einem Pferd zu sitzen perfekt.
Probiert das mal aus. Dagegen ist Luftgitarre spielen öde. “Reiten” ist auch gesünder und man kommt dabei mehr unter die Leute.
In Australien ist damit mal einer beim Derby zweiter geworden. Ohne Pferd. Hat keiner gemerkt.
Erst als er für die Zucht zugelassen worden war fiel er auf. Er bestand auf der Missionarsstellung, die von den echten Pferden nicht so sehr präferiert wird.

Dann sah ich die ungeheure Weite der amerikanischen Prärie wo sich der Ranger gegen die Naturgewalten Wind, Sonne und Regen nur dadurch behaupten kann dass er seinen breiten Hut als Schutz benutzt.
Ich sah Cowboys die donnernde Longhorn Rinderherden quer durch den Kontinent in die Schlachthöfe von Chicago treiben und abends, als erstes, mit dem Hut Wasser aus dem nächsten Fluss schöpfen um ihr Pferd damit zu tränken. Dann erst gabs Bohnen mit dem Holzlöffel und Kaffe aus der Emailletasse für sie selbst.

Dann sah ich Asylsuchende und Nichtsesshafte die ihre Planwagen zu einem Kreis aufgestellt hatten und sich heroisch gegen angreifende Indianerhorden verteidigten, die sauer darüber waren dass diese nicht ihre Leitkultur akzeptieren wollten.
Auch hier kam der Cowboyhut zum Einsatz. Er wurde auf den Gewehrlauf gehängt und dann hochgehalten. Nun schossen alle wilden Indianer ihre Pfeile auf diesen Hut weil sie nämlich dachten dass sich ein Asylantenkopf darunter befindet. Gerade als die Situation anfing brenzlich zu werden ertönte ein Hornsignal und am Horizont kam die, ebenfalls breitbehütete, Kavallerie in einer Staubwolke herangebraust.

Während ich so träumte hatte ich gar nicht bemerkt dass es leicht zu Regnen angefangen hatte.
Nun geschah etwas was mich total erschütterte. Ich traute meinen Augen nicht. Die Ranger griffen in die Brusttaschen und zogen etwas hervor was ich zuerst für eine normale Plastiktüte hielt.
Sie entfalteten die Tüten, nahmen ihre Hüte ab und zogen diese Plastikdinger dann darüber.
Es waren Hutschoner , RegenverHüterli. Sie waren genau der Hutform angepasst und Teil der Ranger Ausrüstung.
Wozu denn der Hut? Können sich doch gleich ‘ne ALDI Tüte über die Birne ziehen oder ‚nen Südwester aufsetzen wie damals Gorch Fock bei schwerem Wetter. Die heroisch aussehenden Ranger verwandelten sich in lebende Regenschirme, Knirpse – ein Männlein steht im Walde.
Wildhüter, Ranger – pah - Jeder popelige deutsche Oberförster im vollen Ornat sieht da abenteuerlicher aus.

Nachts im Hotelbett hatte ich Albträume:
Ben Cartwright sitzt im Sessel und liest in „Schöner Wohnen“.
Hoss kommt herein: “Pa, es sieht nach Regen aus. Ich reite noch mal eben zum Rattle Snake Creek und kontrolliere den alten Weidezaun.”
“Ist gut Hoss. Vergiss deinen Hutschoner nicht.”
Peng.
Winnetou sagt zu seiner Schwester Nscho-tschi : ”Tschi 2 , ich habe schon das Feuerross schnaufen gehört. Ich reite mal eben nach Leremie zum Bahnhof und schaue ob der weiße Bruder Old Shatterhand und Hobbel-Frank nun endlich den Weg zu uns gefunden haben, denn wir harren ihrer schon sehr.
“Ist gut Winne 3 , geh mit Manitu, aber geh. Der Regentanz scheint endlich angeschlagen zu haben. Vergiss deinen Federschoner nicht.”
“Ich habe den meinen für etwas anderes genutzt. Auf der Herrentoilette im Bahnhof gibt es aber einen Automaten wo ich mir einen neuen Federschutz ziehen kann.”

Dann sah ich John Wayne und die gesamte Kavallerie mit Karstadttüten auf dem Kopf heranbrausen.
Sie ritten ohne Pferd, wie wir damals nach der Jugendvorstellung im Roxy Kino, mit ungleich langen Schritten im Dreierrhythmus, die jeweils, nach einer bestimmten Schrittfolge, durch einen angedeuteten Sprung unterbrochen werden damit der Rhythmus wieder stimmt .
Dann erschien Billy the Kid. Er hatte sich seine Schultüte auf den Kopf gesetzt und legte erst mal drei Mitschüler um damit er einen Fensterplatz im Schulbus kriegt und im Wartezimmer von Doc Holyday sah ich Gary Cooper um kurz nach 12 Uhr Mittags, zusammengeklappt, in einem Schirmständer stehen.
Es war zum Verzweifeln.
Dann sah ich Gene Kelly, der bei strömendem Regen seinen Schirm zuklappte, durch die Pfützen tanzte und dann auch noch zu singen anfing.
Da beruhigte ich mich wieder etwas und schlief erschöpft ein.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.02.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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