Karl-Heinz Franzen

Unglaublich, was

Wenn ich Euch heute Abend mein Erlebnis von heute Morgen erzähle, dann werdet Ihr sagen, dass ich „nicht alle an der Waffel“ habe. Jedoch! Ihr kennt mich nun schon seit Jahren als einen korrekten, ordentlichen Menschen. Ja, es gibt sogar einige unter Euch, die sich so hinter vorgehaltener Hand halblaut zuflüstern, dass ich tatsächlich „spießig und pingelig“ sein soll. So ein „spinnerter“ Junggeselle. Ich will mich diesen Vorhaltungen momentan gerne beugen, da sie nur verdeutlichen, dass ich kein Spinner im Berichten von Realitäten bin. Mit meinen eigenen einfachen Worten: Ich bin ein vernunftbegabter Realist.
 
Von meiner Küche aus gelange ich durch die Terrassentür direkt auf die Terrasse und von dieser direkt in den Garten. Nun ja, wer unter Garten versteht, dass sich dort ein sogenannter Nutzgarten befindet, der irrt. Nun ja, wer unter Garten versteht, dass ich dort seltene Pflanzen züchte, der irrt auch. Es ist so ein Garten, wie er hübsch anzusehen ist mit seinem kleinen Apfelbaum, den ich im Frühjahr bei Praktiker erworben habe und der wunderschön zu blühen vermag. Dann sind ein paar Lebensbäume in unterschiedlichen Größen bei meinem Vorgänger in diesem Garten zu unterschiedlicher Höhe und Dichte gelangt, ein wenig Rasenfläche sprießt vor sich hin, ein paar Wildblumen aus einer 4,77-Euro-Dose Samen, die ich ebenfalls bei Praktiker erworben habe, erfreuen mich seit Anfang Mai in unterschiedlichster Blumenvielfalt bis heute.
 
Ach so, ach so. Nicht vergessen sollte ich den Blauregen, der wohl schon von dem Vor-Vorgänger in diesem Haus gepflanzt wurde und den ich mit wieselflinker Zange auf eine mittlere Höhe von drei Metern gestutzt halte, ebenso wie seine herkulesprallen „Seitenarme“, die von der Mitte des Stammes aus betrachtet, zu jeder Seite gut vier Meter weit in großer Blätter- und Blütenfülle (Blüten Mitte Mai bis Mitte Juni) reichen. Wäre er kein zauberhafter Blickfang einerseits und andererseits ein so grüner und hervorragender Schattenspender im Hochsommer, da darf ich mir getrost den Sonnenschirm sparen, dann hätte ich dieser Krake, jawohl, dieser Hydrakrake, bereits den Stamm gefällt. Wer einen Blauregen in seiner Nähe zu pflegen sich getraut, der weiß, wovon ich rede. Nun ja. Soviel für Euch, Ihr lieben Leserinnen und Leser meiner A-Day-in-my-Life-Erzählung, zur Einstimmung in mein nun schon allerdings herbstlich eingefärbtes Zuhause.
 
Ich strebte also hinaus durch die beschriebene Terrassentür zur Papierabfalltonne, die am unteren Ende des Gartens, das sind ungefähr vierzig Meter vom Haus entfernt, zusammen mit der Restmülltonne und der Bioabfalltonne steht. Nein, ich wohne in keinem großen Anwesen, sondern in einem Reihenhaus, wo die Grundstücke schmal gehalten sind, so um die fünf Meter vom linken Zaun zum rechten Zaun. Wenn ich den Garten hinuntergehe, ziehe ich, obwohl der Weg wunderbar mit Ziegeln ausgelegt ist, immer meine Gartenhausschuhe an, die anziehbereit kücheninnenseitig vor der Terrassentür stehen. Als ich sie, mich bückend, anzog, war gar nichts zu bemerken. Ich trat also beim Zurückkommen, vor dem Hereingehen in die Küche, meine Gartenhausschuhe noch einmal kräftig ab, ja, es war nichts dran oder drunter, es war absolut trocken draußen und der Gartensteg wurde gleich nach dem Aufstehen, noch vor dem Frühstück, gründlich von mir gefegt. Ich trat die Gartenhausschuhe aber trotzdem ab, weil ich es mir gar nicht erst angewöhnen will, Unterschiede zwischen gutem und schlechtem Wetter zu machen. Ihr versteht, was ich meine.
 
In der Küche bückte ich mich bei noch geöffneter Terrassentür, um die Gartenhausschuhe abzustreifen, eventuell doch, wer weiß, wer weiß, noch einmal abzuklopfen, und um sie dann auf die eigens für sie vorgesehene Fußmatte zu legen. Da erhielt ich, genau in diesem Augenblick, einen Stoß von hinten gegen die rechte Pobacke. Vom Gefühl her war es ein Knie, das kenne ich noch aus der Jugendzeit, wo wir dieses Stoßen mit dem Knie in den Po häufig aus Schabernack unter uns Schülern praktizierten. Dieser Stoß beförderte mich „glatt“ zur Tür hinaus. Und ich, hätte ich nicht reaktionsschnell, ein wenig stolz bin ich schon darauf, meine Hände ausgestreckt, wäre ebenso glatt auf dem rauhen Untergrund der Terrassenfliesen gelandet und hätte mir die Stirn und die Nase blutig geschrammt. So blieb es bei diesem Sturzflug dabei, dass in meine Handinnenflächen rote Ratscher sich einschrabten. So ein Mist, dachte ich mir, wenn diese Ratscher noch stärker rot tropfen, dann saue ich mir noch die Küchenfliesen ein, die allerdings in ihrer Terrakottafarbe recht pflegeleicht zu reinigen sind. Ein rascher Blick zurück in die Küche zeigte mir, dass dort sich niemand befand. Die Küche war menschenleer wie eh, wie wenn ich mich draußen auf der Terrasse beim Lesen eines anspruchsvollen Buches amüsierte. Es war weder ein Knie noch ein dazu gehöriger Eigner zu erspähen. Wow, dachte ich, wow, du wirst alt. Hmh. Das war bestimmt ein kurzzeitiger Schwächeanfall, oder?, der sich so anfühlte wie … Dagegen sprach allerdings die heftig schmerzende rechte Pobacke. Nun ja, ein Rest von Skepsis blieb mir, als ich mich wieder erhob. Die Gartenhausschuhe befanden sich noch an den Füßen. Au, weia, oh, und hier! Scheiße! Sorry, dass mir das Wort so herausgerutscht war, nachdem ich schon kurz zuvor Mist gedacht hatte. Meine Jeans hatten auf Kniehöhe ein ansehnliches Loch davon getragen, dessen Rand sich bereits blutrot färbte … aah … und ich musste beim langsamen Vorwärtsgehen … aua … bereits ein wenig hinken, um einen stechenden Schmerz abzufangen. So nahm ich mir vor, unverzüglich einen Arzt nach einem Rat zu befragen. Teufel noch einmal. Welchen Arzt sollte ich fragen, denn ich hatte ja bis heute keinen benötigt, Gott sei Dank … und die 112 schien mir doch ein wenig zu gewagt übertrieben bei den Schürfwunden im Handflächenbereich und dem „wackeligen“ Knie.
 
Kaum bückte ich mich, unverzagt, ein zweites Mal, um die Gartenhausschuhe abzustreifen … Ja, ja, ja. Wieder lag ich vor der Terrassentür. Ja, ja, ja. Jetzt hatten die Stirn und die Nase, und auch die rechte Schulter … Ja, ja, ja … Mensch, noch einmal, ich bin immer noch total aufgebracht und sauer, wenn ich an heute Morgen denke. Klar doch: Niemand war zu sehen!!! So auch beim dritten Versuch. Klar doch: Niemand war in der Küche. Auch nicht nur ein klitzekleines Stückchen Knie war verantwortlich zu beschimpfen!!!
 
Mittlerweile waren allerdings die gefühlten Verletzungen so enorm, dass ich mich traute, die 112 anzurufen. Wenn Ihr es so wollt, so waren die drei Stürze ein Vorteil, weil ich einen Facharzt bisher nicht benötigte und nicht kannte. So steckte das Gute im Bösen. Ha! Ja, ich behielt jetzt selbstverständlich meine Gartenhausschuhe an. Nein, ich erlaubte es auch nicht den Sanitätern und dem Notarzt, mich dort unten zu entkleiden. „Ich habe meine guten Gründe“, sagte ich den drei erfahrungserprobten Leuten. Ich sehe noch immer ihre erstaunten sechs Augen vor meinem inneren Auge und die Zweifel blitzen. „Ich bin total normal. Ich habe auch nichts getrunken. Wie bitte? Was weiß ich? Ich bin dreimal aus der Küche, ja, durch die geöffnete Terrassentür, ja, ich kam von … ja, gestoßen worden. Deshalb sehe ich jetzt so aus, wie ich jetzt aussehe! Sehen Sie doch nach, das Glas ist noch heil, oder!“
 
Letztendlich sind die deutlichen Schürf- und Sturzwunden an Kopf, Nase, Händen und Knien nicht weiter tragisch. Eine Gehirnerschütterung bleibt nicht auszuschließen und zwei Rippen sind angebrochen, weil ich mit dem Brustkorb auf den Blumentopf geprallt bin, den ich nach der gründlichen Reinigung, wunderschön haben hierin Margeriten geblüht, zum Trocknen seitlich der Küchentür hingestellt hatte. Ich bleibe noch eine Nacht hier in der Uni-Klinik zur Beobachtung und Senkung der Kostenkurve.
 
Der Säufer im Bett neben mir ist ein wirklich netter Kerl. Seine Ella hat ihm vorhin, kurz bevor sie ging, ein Päckchen mit Jodlern zugesteckt. Cognac! Immerhin! Er teilt mit mir den geistigen Inhalt Schluck um Schluck. Zum ersten Mal in meinem Leben trinke ich Alkohol. Und aus der Flasche. Und? Ich traue mich nicht, das Trinkloch abzuwischen. Dabei schnottert diesem gütigen Menschen die Erkältung aus der Nase über die Lippen wie diesem Hund aus diesem einen Film. Ich habe vergessen, wie dieser Film so spielte und wie er hieß. Brrrrr. Ferdinand meint, dass ihm solche Stürze auch schon passiert sind. Dagegen sähe ich noch richtig gut aus. Ich sollte besser mal mit zum Rauchen in die Bushaltestelle vor dem Krankenhaus kommen. Das brächte mich auf andere Gedanken. Ja, seine Infusionsbehälter, dort an der Stange oben, die rollten gut aufgehängt mit. Ferdinand meint, dass mir das passieren musste, weil ich so unglaublich einsam und solide lebe. Unglaublich, was? Wie kommt er auf sonnen Driss. Nun ja, dann werden wir uns in der Bushaltestelle vor der Krankenhaustür die Pfütze Cognac noch teilen, und auch die Glimmstängel werden wir brüderlich Zug um Zug verqualmen lassen. Vielleicht ließe sich da auch noch was organisieren (er meint schnorren, glaube ich), lächelte Ferdinand mich an.
 
Später lallte Ferdinand, wie heute Abend, so sollte ich weitermachen. Wenn ich morgen oder übermorgen aus der Terrassentür stürzte, so belehrte mein Freund Ferdinand mich, dann wüsste ich wenigstens warum und bräuchte nicht nach Übersinnlichem zu suchen. Wer glaubte denn heutzutage einen solchen Quatsch!
 
Guter Rat zum Abwägen käme mir recht. Was sagt Ihr zu meinem heutigen Tag? Unglaublich, was?
 
Copyright by Frei Schnauze  
28. Oktober 2011

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