Rüdiger Nazar

für ein paar Pfund im Monat...

Es war ein verdammt harter Tag gewesen.
Ich saß am hölzernen Tisch...während meine Frau Betty das Essen auftrug. Die Kinder...ich hatte drei...zwei Söhne und eine Tochter...saßen erwartungsvoll auf ihren Bänken und starrten mich an.
Hey mein Engel...was gibt es denn heute schönes ?
Betty stellte den schweren gusseisernen Topf mittig auf den Tisch. Na was wohl ? Hirsebrei !
Oh ja sagte ich lachend...endlich Hirsebrei...habe lange nicht mehr so etwas gutes gehabt.
Die Kinder verzogen das Gesicht zu Grimassen...Hirsebrei...pfui.
Hirsebrei..oh ja...diesen Brei gab es bei uns fünf mal in der Woche...Samstags eine kräftige Suppe aus Rüben oder Kohl...und Sonntags...ja Sonntags vielleicht mal ein Stückchen Fleisch...aber sehr selten.
Es war ein hartes und entbehrungsreiches Leben daß wir hier führten...und es war keine Besserung in Aussicht.
Ich arbeitete hier in Schottland unter Tage...Steinkohleabbau.
Ursprünglich kamen wir...das heißt meine Frau und ich...aus Irland. Aber dort war die Arbeitslage noch viel schrecklicher als hier in Schottland...in dieser Ausbeutergrafschaft.
Meine Kinder wurden alle hier geboren.
Meine Söhne heißen John und Edward...und meine kleine Tochter...mein Engelchen...Susan.
Oh ich möchte diesen meinen Spößlingen eine gute und zufriedene Zukunft sichern. Sie sollen zur Schule gehen...vielleicht studieren und dann in Wohlstand leben...ja...das ist mein Traum.
Oh ja..ich vergaß...ich heiße Iven O Flannery.
Schatz...du siehst wieder sehr mitgenommen und müde aus...sagte Betty...als sie mir den Brei in den  Blechteller tropfen läßt. Gebe erst den Kindern sage ich lächelnd...ich habe Zeit...und sowieso nicht viel Hunger.
Ist schon gut sagt sie...es ist genug da.
War heute wieder etwas ? Hast du Ärger gehabt ? Ich runzle die Stirn. Ja dieser Mistkerl von Steiger...dieser Arsch von Vorarbeiter...Higgins...er meint wir würden unser Wochenpensum nicht schaffen...wir wären zu langsam.
Ich schlage die Faust auf den Tisch...so daß die Kinder erschrocken aufsehen.
Nicht hier vor den Kindern beschwichtigt mich Betty...wir reden nachher darüber...ja ?
Ok sage ich...ja ja ..OK...nachher.
Der Brei klebt im Munde...und er läuft zähflüssig den Schlund hinunter...ich schiebe den Teller weg.
Ich mag auch nicht mehr schreit meine Tochter...es schmeckt fürchterlich.
Immer schön hinein sagt meine Frau...Löffel für Löffel. Aber Vater mag den Brei auch nicht.
Womit habe ich dieses verdient ? Also ziehe ich den Teller wieder zu mir...und spachtele fleißig...mit Todesverachtung...diese Köstlichkeit in mich hinein.
Meine Tochter lächelt und ißt auch weiter...lecker Papa nicht wahr ?
Ich nicke...ja...lecker.
So..aber jetzt alle in`s Bett...es ist spät...Mutter und ich müssen noch reden.
Meine Frau setzt sich zu mir...was ist los ?
Wir arbeiten nicht produktiv genug...so meint Higgins. Aber es ist nicht seine eigene Meinung...sondern die des Grafen...dieser Sklaventreiber.
Man will uns das Geld kürzen...wenn wir nicht mehr abbauen. Wie ... noch mehr kürzen? Ihr habt ja jetzt schon einen Hungerlohn...diese paar Pfund im Monat.
Ich zucke die Achseln. Was sollen wir denn machen ? Nichts ist möglich mit diesen alten Werkzeugen...es geht einfach nicht zügiger voran.
Sie streichelt meinen Kopf...komm' laß `uns zu Bett gehen...du mußt morgen wieder früh raus.
Die halbe Nacht kann ich kein Auge zumachen...wälze mich hin und her...rauche eine gedrehte nach der anderen.
Es muß sich etwas ändern...aber was ? Eine andere Arbeitsstelle...aber welche.
Schottland steckt in der Krise...und die paar Firmen werden von britischen Herren geführt.

Morgens weckt mich Betty. Komm mein Schatz...es wird Zeit. Sie hat den Tee schon zubereitet...der dampfend auf dem Tisch steht.
Kurz darauf klopft es an der Haustüre. Hallo...Iven...bist du so weit ?...ertönt es von draußen.
Es ist mein Nachbar und guter Freund Mc Malcolm....Steward Mc Malcolm.
Ich komme schon...schultere meinen ledernen Rucksack und gebe Betty einen Kuss. Wird schon alles gut mein Engel...wird schon alles gut....bis heute Abend.
In einer Woche habe ich Geburtstag...werde 42 jahre alt...am 15.September 1802.

Mc Malcolm ist nicht sehr gesprächig als wir den Weg zum Bergwerk zurücklegen. Was ist los Steward ...frage ich vorsichtig? Ach...meine Frau will sich von mir scheiden lassen...sie hält dieses Leben hier nicht mehr aus.
Ich weiß nicht was ich darauf antworten soll und schweige lieber.
Am Werk angekommen stehen schon all`unsere Kumpels bereit. Hallo...hallo alle zusammen und guten Morgen.
Ein Gemurre zieht durch die Reihen der Mannschaft.
Vor einer Woche ist unsere Dampfmaschine ausgefallen...die für  die Bewegung des Förderkorbes verantwortlich war. Die Monteure aus London sollten erst in zwei Wochen hier eintreffen...aber sie ließen sich Zeit...unendlich viel Zeit.
Die Eisengitter des Förderkorbes werden geöffnet..und wir steigen hinein...immer acht auf einmal...mehr passen nicht  hinein. Als er in die Tiefe gleitet...verhalten wir uns alle  mucksmäuschen still.
Wir haben Angst...denn der Korb ist schwer...und wir werden von Hand über etliche Seilwinden und Rollen in die Tiefe gelassen. Der Korb ruckelt und knarrt...schwankt hin und her...stößt an die Schaftwände und gibt einige male Funken an dem Stein ab.
Nach hundertfünfzig Metern bleibt er abrupt stehen...Endstation.
Wir steigen aus...und der Korb verschwindet langsam nach oben. Von den Strecken...den Schäften...führen kleine Gänge in die Flöze...die wir auch Stock nennen. Wir verteilen uns. Ja...wir haben auch Kinder dabei...Jungen im Alter von zehn bis dreizehn Jahren. Sie dienen uns als Handlanger...diese armen Wesen...sie müssen hart arbeiten...
sind billige Arbeitskräfte.
Die meisten von ihnen werden für einen monatlichen Spottbetrag...von den Eltern abgekauft...oder sagen wir lieber...gemietet. Das sichert den Eltern das Überleben in dieser so harten... beschissenen Zeit. Es ist einfach traurig und unmenschlich.
Viele von ihnen stehen den Kumpels als Lustobjekt in den Pausen zur Verfügung...ob sie wollen oder nicht. Für ein Butterbrot oder einer blöden Olive geben sie sich einfach hin...ja...meistens unter Zwang oder Schlägen.
Der zweite Korb rauscht in die Tiefe...der dritte...der vierte...und etliche mehr...der Stollen füllt sich mit schwitzenden Leibern.
Jeder weiß was er zu tun hat...jeder kennt seine Aufgabe...und so ziehen wir los...mit unserem Werkzeug.
Karbidlampen werden entzündet...für Licht...und für den Notfall...wenn in einemStollen Gas sein sollte...oder die Luft ausgeht. Für Be-und Entlüftung ist eigentlich gut gesorgt...die Bewetterung...so nennt man das...klappt mehr schlecht als recht...aber sie funktioniert.
Wir packen unsere Stemmeisen...die schweren Hämmer und Meißel und gehen den Wänden zu Leibe. Es staubt
ungemein...so doll manchmal...das einem die Luft zum Atmen fehlt. Brocken um Brocken wird gelöst und fällt zu Boden. Die Kinder sammeln die Steinkohle auf und werfen sie in die bereitstehenden Loren. Das sind eiserne kleine Wagons...die auf Schienen fahren. Nun gut...was heißt fahren ? Sie werden von den Kindern von Muskelkraft geschoben...eine Höllenarbeit die so manchen Körper schwächeln läßt. Sie tun mir so unsagbar leid...diese kleinen Menschen...die keine Jugend haben...nie kennen lernen werden.
Wir haben auch andere Wagen...die sich Hunt nennen. Diese haben keine Kippvorrichtung wie die Loren. Das heißt...sie müssen von Hand entladen werden...also doppelte Arbeit.
Sie haben nur ein Fassungsvermögen von 150 Liter.
Drei Stunden sind wir nun bei dem Abbruch...die Gelenke und Muskeln schmerzen...die Loren können bald nicht mehr geschoben werden...wir haben viel geschafft in dieser Zeit....davon sind wir überzeugt...mehr geht nicht.
Der Steiger kommt...dieser John Higgins...und schüttelt den Kopf.... ist das alles Leute ?
Was seit ihr denn für Memmen...ihr irischen Bastarde ?
In diesem Augenblick schreit ein Mann. Leute...die Karbidlampe ist erloschen...Sauerstoffmangel. Erst jetzt merken wir...das uns das Atmen schwer fällt...wir Schweißperlen auf der Stirn haben...und der kleine Vogel im Käfig...tot auf dem Boden liegt. Los...raus hier...aber schnell. Gas schreit jemand...Gas. Und dann der fürchterliche Knall...Balken bersten...Schutt und Kohle fliegt uns um die Ohren...keine Luft...der Stollen bricht zusammen...wir sind verschüttet.
Ihr Arschlöcher schreit der Steiger. Ein stemmiger großer Schotte...den Namen kenne ich nicht...springt auf den Steiger zu...eine Schaufel in der Hand...und schlägt zu. Ohnmächtig sehen wir dem Geschehen zu...nicht fähig ein Wort zu sagen.
Dann die nächste Explosion...irgendwo ein Wassereinbruch...wir stehen bis zu den Knien im Morast....die Kinder schreien und winseln.
Eine Lore löst sich wie von Geisterhand aus der Verankerung und rollt knarrend den Hang hinab...erfasst zwei Kumpels und drückt sie an die Stollenwand....keine Chance mehr...!
Ein kleiner Körper liegt vor mir...es ist der kleine Joe..gerade mal zwölf Jahre alt...von einem Balken erschlagen.
Stundenlang sitzen wir in der schwarzen Falle...und warten auf Hilfe...Tagelang. Unser Trinkwasser geht zur Neige...und auch die Essensvorräte sind erschöpft.
Am fünften Tag...ein Klopfen an der Stollenwand. Hallo...hört ihr uns...Hilfe naht.
Die Hilfe und Rettung ist da. Mühsam werden wir Mann für Mann nach oben an`s Tageslicht gezogen.
Betty steht da...total aufgelöst und weint. Iven...oh Iven mein Liebling...du lebst.
Einige meiner Kumpels sind gestorben...auch einige Kinder...und sehr viele sind verletzt.
Im Unfallprotokoll wurde vermerkt...Steiger John Higgins vermisst.

Heute bin ich hier wieder in der Heimat...in Irland...mit meiner Familie...hüte Schafe...habe ein wunderschönes kleines Häuschen...und bin...Glücklich...ja wirklich Glücklich und froh.
Unser Leben hat sich geändert...zum positiven...aber einmal in der Woche..essen wir aus Tradition und zum Andenken an eine schlechte Zeit...HIRSEBREI...und es schmeckt himmlisch.


                                                                                          Rüdiger Nazar
                                                                                       melvin6@gmx.de
                                                                                                 31.10.11


















 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.10.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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