Daniel Knecht

Eine Horrorstunde wie jede andere.

 

Zweite Stunde. Den ganzen Tag hat sie noch vor sich. Und jetzt auch noch die 7c. Seit 2 Wochen haben die so ein Zeitungsprojekt in Deutsch, deren erste Stunde an diesem Tag. Mal sehen was sie heute noch so erwartet.

Sie steht vor der Klassenzimmertür. Von hier kann sie schon den monströsen Lärm wahrnehmen, der drinnen von statten geht. Dreißig pubertäre, freche, laute, in einem Wort, unerträgliche Kinder, die sich gegeneinander und gegen den Lehrer profilieren müssen.

Sie öffnet die Tür und schon steht sie inmitten des ohrenbetäubenden Getöses. „Ruhe!“ Die meisten werden leiser. Sie schreitet vor zum Lehrerpult. Schon jetzt erkennt sie die Zeitungsstapel, die auf jedem Tisch liegen. „Be quiet! On your seat, please!“. Die Klasse ist nun fast vollständig zur Ruhe gekommen. „Take out your homework.“, ruft sie, während die befürchtete Unruhe wieder droht aufzukommen. Natürlich hat mal wieder keiner die Hausaufgaben gemacht. Außer ein paar von den strebsamen Schülern, welche sowieso die einzigen sind, die sie respektieren.

„Daniel! What's number one?“, Daniel schaut ins Buch, und stottert vor sich hin, bis sein Banknachbar ihm irgendetwas zuflüstert. „Eat a rabbit!“, ruft er stolz. Alle lachen. Dieser Running Gag, bei dem sich Schüler falsche Antworten geben, ist gerade der neuste Trend. „I assume you didn't do the homework?!“, keine Antwort. Inzwischen hat die Unruhe wieder ihre Ausgangslautstärke erreicht. „Be quiet! Pay attention!“ Keiner zeigt auch nur die leiseste Regung dem Unterricht zu folgen. „Daniel, you get a bad grade!“, „Was?! Ich hab die Hausaufgaben doch gemacht! Fast. Sie können mir doch nicht wegen sonem Scheiß ne 6 geben?! Des is so ungerecht! Dann bin ich halt erstrecht nicht leise.“ Und als wäre das der Startschuss gewesen, fliegen die ersten Papierknödel durch die Luft. „HEY! STOP IT!“ Doch ihr Ausraster hilft nicht das kleinste bisschen. Überall hört man Lachen und Rufe, meistens Beschimpfungen. Der Mittelpunkt der Stunde war nun komplett auf die Papierschlacht gelenkt worden. Keiner passt auf, keiner schert sich um das Zeug, das ich hier vorne treibe, denkt sie traurig. Sie verschrenkt die Arme und lehnt sich an die Tafel, verweilt ein bisschen in dieser Pose, um die Ruhe wieder herzustellen. Doch es wird nur lauter. „Okay, jetzt reichts!“ Sie geht in die Mitte der Tische, welche in Hufeisenform ausgerichtet sind. „STOP IT NOW!!!“ Lautes Gelächter. Der Tafelanschrieb hatte sich durch das Anlehnen auf ihre Jack Wolfskin Jacke übertragen. Sie dreht sich zur Fensterreihe. „Please, stop it now and pay attention.“ Im Notfall immer direkt an Personen wenden, das hatte sie schon im Studium gelernt. Die Reihe wird leise. Plötzlich, den Bruchteil einer Sekunde verweilend, ein leises Zischen, dann folgt ein starker Schlag auf ihren Hinterkopf. Sie sieht für einen Moment nur noch schwarz. Fühlt sich benommen. Jede Unterrichtsstunde wie ihr schlimmster Alptraum. Nein, schlimmer als ihr schlimmster Alptraum. So kann man doch nicht mit Lehrern umgehen! Sie hatte studiert, einige Jahre. Lehrerin war immer ihr Traumjob gewesen, aber jetzt... Sie wird sich wieder ihrer Lage bewusst. „Jetzt reichts mir endgültig! Noch eine Sache und ich hol die Direktorin!“ Die Klasse ist noch immer aufgebracht von diesem glorreichen Treffer und lacht und tuschelt. Ihr steigen die Tränen in die Augen. Sie weiß, dass es nicht besser wird, wenn sie die Direktorin holt. Es hat einfach keinen Sinn. „Und jetzt räumt ihr diese Schweinerei auf!“ Der Boden, übersäht mit kleinen Papierknödeln. Neben ihrem Fuß erkennt sie den riesigen, fest komprimierten Papierball, der ihr an den Kopf geworfen wurde. Wenigstens heute keine Kreide denkt sie sich und geht wieder zum Pult. Während einige Schüler das Papierdebakel beseitigen, lässt sie einen Text lesen.

Die Papieraufsammler, um sie herumstehend haben ihre Arbeit vollbracht. Auf einmal wird der Korb geworfen und ein anderer fängt ihn auf. Zufälligerweise springen bei diesem Fang alle bisher aufgesammelten Papierknödel mitsamt der sich davor darin befindenden Essensreste aus dem Mülleimer auf ihren Kopf.

Es gongt. Ohne etwas zu sagen, nimmt sie ihre Tasche, öffnet die Tür und geht ins Lehrerzimmer. In 15 Minuten die nächste Klasse. Eine 8. Jahrgangsstufe. Das wird ein Tag.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.11.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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