Helmut Wurm

Sokrates und wie man im Schulwesen aneinander vorbei redet


Die jüngsten Veränderungen in der deutschen Schulentwicklung und die jüngsten PISA-Ergebnisse beginnen die Gesellschaft immer mehr in zwei Hauptgruppierungen zu spalten:
 
 - In die Vertreter der Wirtschaft, die immer größere Sorgen haben, dass die deutschen Schüler allgemein, besonders die der mittleren und einfacheren Abschlüsse, immer weniger die Kenntnisse mitbekommen, als Auszubildende in den Betrieben dort anzufangen, wo eigentlich die Ausbildung beginnen sollte. Die Sprecher dieser Gruppierung sind, weil am besorgtesten, die Vertreter der Ausbildungs-Betriebe und die Ausbilder selber.
 
 - In die Vertreter der Reformbewegung, die immer mehr das Schulsystem zu der Form hin verändern möchten, wie es so gerecht, so ohne Zwänge jeglicher Art, so unbeschwert, so familiär, so Schüler-orientiert, so ideal, so wünschenswert, so ganz anders als bisher, so... wäre.
 
Die Hauptvertreter dieser Gruppierung sind häufig pädagogische Wissenschaftler, die in ihrer engen akademischen Klause die heutigen Schulen nur aus Büchern, aus Diskussionen und aus angekündigten Unterrichtsbesuchen her kennen, und dann Beamte in den übergeordneten Schulverwaltungen, die manchmal schnell die niedere Lehrer-Arbeit vor Ort verlassen und sich in die höheren (und einfacheren) Ebenen der Schul- und Lehrerbetreuung (fort-)begeben haben.
 
Dazwischen stehen diejenigen Eltern, die den Versprechen und Hoffnungen der Schulreformer erwartungsvoll gegenüber stehen, die meinen, man solle es mit neuen Wegen und neuen Modellen im Schulwesen versuchen. Die Hauptvertreter dieser Gruppierung sind diejenigen Eltern, die nicht mehr wollen, dass man am Schulweg erkennt, in welchen Schultyp ihre Kinder gehen, die sich mehr Förderung von ihren schwächeren Kindern erhoffen, die gegen möglichen Schul-Dünkel von gymnasialen Kindern sind, die überhaupt meinen, es würde in Deutschland zu viel gelernt, die...
 
Die jeweiligen Argumente dieser 2 Hauptgruppierungen stehen sich, streng genommen, fremd und unvereinbar gegenüber, sie haben an den Rändern kaum Schnittmengen. Und deswegen nimmt man zwar gegenseitige Aussagen und Vorschläge zur Kenntnis, aber man sieht an ihnen sofort die Unvereinbarkeit mit der eigenen Position.
 
Vertreter dieser beiden Hauptgruppierungen sind nun von einer übergeordneten Person des deutschen Schulwesens (welche das sein könnte ist unwichtig) zu einem Gespräch gebeten worden, in der Hoffnung, dass man sich wenigstens besser verstehen lernt. Man hat auf beiden Seiten die Einladung zwar akzeptiert und wird ihr auch folgen, aber man hat jeweils im Voraus beschlossen, keinen Schritt von der eigenen Position zurück zu weichen.
 
Und zwei unterschiedliche spezifische Schreiben sind jeweils aufgesetzt worden und kreisen innerhalb der jeweiligen Gruppierungen mit dem Zweck, die eigene Seite ideologisch standfest und gegenüber Kompromissen unnachgiebig zu machen.
 
Das eine Schreiben beinhaltet, dass das Schulwesen die Schüler primär auf ihre künftigen Ausbildungsplätze und Funktionen innerhalb der Wirtschaft vorbereiten müsse. Das seien die Hauptaufgaben allen Lehrens und die Fundamente der Lerninhalte. Man solle aufhören, über neue Formen von Schulorganisationen, Unterrichtsformen und Stoffplänen nachzudenken und
diese umzusetzen, sondern sich wieder auf ein konsequentes und, wenn nötig, hartes Lehren zu besinnen. Andernfalls könne die bisher erreichte Spitzenposition Deutschlands in der rauen globalen Weltwirtschaft nicht gehalten werden.
 
Das andere Schreiben beinhaltet, dass es nun seit 4 Jahrtausenden Schulen gebe, dass aber  immer noch nicht diejenigen Schul- und Unterrichtsformen erreicht seinen, die den Ansprüchen  des Guten, Schönen, Wahren und Gerechten Genüge täten. Jetzt müsse man endlich zu längst   überfälligen Reformen in jeder Beziehung schreiten. Man müsse endlich die Schulwelt besser hinterlassen, als man sie vorgefunden habe. Die pädagogischen Ideenschmieden hätten viele  ideale Modelle entwickelt und man dürfe sich nicht durch pragmatisches Gejammer bremsen und verunsichern lassen. 
Und beide Schreiben sind (auf welchen Wegen bleibt hier ungenannt) auch in die Hände von Sokrates und Mephisto geraten. Und diesen beiden Exemplaren ist jeweils ein Begleitschreiben angefügt.
 
Das Begleitschreiben an Sokrates beinhaltet die Bitte, die Moderation dieses vorgeschlagenen Gespräches zu übernehmen – denn wer könnte das auch besser tun?
 
Das Begleitschreiben an Mephisto ist ein kurzer Gruß vom höllischen Geheimdienst mit der Bitte um Kenntnisnahme dieses gelungenen Spionage-Erfolgs.
 
Beide, Sokrates und Mephisto, sitzen nun in Gedanken da (jeder an einem anderen Ort, wo ist unwichtig) und denken über das nach, was sie da bekommen und  gelesen haben.  
 
Sokrates (nachdenklich): Also ich soll die Moderation dieses Gespräches übernehmen... Das wird nicht leicht werden, denn hier stehen sich zwei Denkgebäude gegenüber, die eigentlich unversöhnlich sind. Nämlich einmal der typisch deutsche, extrem nüchtere Pragmatismus und dann der typisch deutsche phantastische, pädagogische Idealismus. Beide sind in sehr verschiedenen Bereichen angesiedelt: Der deutsche Pragmatismus nur auf dem Erdboden der Realität und der deutsche Idealismus im Wolkenkuckucksheim der Ideale und Wunschträume.
 
Wenn es mir wenigsten gelänge, dem deutschen pädagogischen Idealismus einsichtig zu machen, dass bei allen Wunschträumen eine gewisse Bodenhaftung erhalten bleiben muss, und dem deutschen Pragmatismus einsichtig zu machen, dass man notwendige praktische Ziele mit eleganteren Methoden als mit sturem Pauken erreichen kann - dann hätte ich schon viel erreicht.
 
Mephisto (hämisch): Da hat mir der höllische Geheimdienst ja einen interessanten Hinweis zukommen lassen. Der betreffende V-Teufel soll eine große Flasche Auslese-Höllenschnaps bekommen. Zu dem Treffen werde ich hingehen. Und ich werde dafür sorgen, dass Sokrates keine Annäherung der Standpunkte erreicht. Im Alltagsbereich, bei praktischen Fragen der Lebensgestaltung, da ist mir dieser Sokrates überlegen... Aber beim Traumreich des deutschen Idealismus, da kann ich geschickt negative Samen einstreuen... Da kann ich fördern, dass Richtiges unwiderruflich zerstört und Phantastisches unkorrigierbar aufgebaut wird... Das ist ein Feld, wo der Teufel mit säen kann, ohne dass man damit rechnet...  
(Mephisto reibt sich die Hände)
 
(Einige Zeit später im der Saal, in der das Gespräch stattfinden soll.)
 
Sokrates steht vorne am Rednerpult und blickt nachdenklich auf die beiden Gruppierungen vor ihm, nämlich auf die Vertreter der Wirtschaft mit den Bildungs-Pragmatisten und auf die Vertreter des Bildungswesens mit den Bildungs-Idealisten. Beide Gruppen sind optisch und inhaltlich durch den Gang getrennt.
 
Es handelt sich auf der einen Seite um Leiter von Unternehmen verschiedener Art und Größe, Personalchefs und Ausbildungsleiter, und auf der anderen Seite um Schulleiter, Vertreter von Lehrerverbänden, Ministerialbeamte und vor allem um Schulreformer aus Universitäten und Schulverwaltungen.
 
Hinten bei dem Block der Schulvertreter sitzt ein Mann, den eigentlich keiner kennt, der aber selbstbewusst und mit einem feinen hämischen Lächeln dort sitzt. Als Sokrates ihn sieht, wird sein Gesicht sehr nachdenklich, während der Fremde spöttisch zu ihm hinüber blickt.
 
Sokrates (reflektiert): Die beiden Gruppen können eigentlich schon von ihrer Herkunft und ihren Lebenswelten nicht miteinander reden.
 
Die Vertreter der Wirtschaft kommen meistens aus Familien, wo die Väter schon Handwerker, Industrielle, Ingenieure oder Buchhalter gewesen sind. Für sie besteht die Welt aus Fakten, Zahlen, Gewinnen, Verlusten, Maschinen, Arbeitsplätzen, Arbeitern, Auszubildenden…, kurz aus wirtschaftlichen Realitäten.
 
Und die Vertreter der Schulreformer kommen meistens aus Familien, wo die Väter schon Lehrer oder sonstige Beamte waren. Für sie besteht die Welt meist nur aus Menschen, Schülern, Chancen, Schulen, Bildungswegen, Lernschwierigkeiten, Idealen…,  kurz aus pädagogischen Problemen.
 
Eine gegenseitige Annährung wäre eigentlich langfristig nur möglich, wenn die Unternehmer und Ausbilder alle verpflichtet würden, jedes Jahr 2 Wochen in Schulen zu hospitieren. Dann würden sie hinter Auszubildenden mehr die Schüler in ihren Unvollkommenheiten entdecken. Sie würden erkennen, dass sich pädagogische Erfolge nicht in Zahlen ausdrücken lassen…
 
Und die führenden Mitarbeiter im Schulwesen müssten jedes Jahr 2 Wochen an wechselnden Stellen in der freien Wirtschaft arbeiten. Dann wüssten sie besser, worauf sie die Schüler auszubilden haben. Denn „not scholae sed vitae discimus“ heißt immer noch die zeitlos-gültige Wahrheit. 
 
Aber davon sind wir leider noch weit entfernt, ja es scheint mir, dass diese beiden Welten, hier die Welt der Realität und dort die Welt der pädagogischen Idealismen, derzeit immer weiter  voneinander abdriften…
 
Sokrates bittet nun in einer einfach gehaltenen, kurzen Ansprache, die einzelnen Sprecher ehrlich, direkt und fair zu sagen, worum es ihnen geht, was sie bedrückt, was sie wollen. Er werde die Redner nach einer Wortmeldungs-Liste aufrufen und bitten, sich vom Platz aus zu äußern.
 
Der Verlauf des Gespräches oder besser des Zusammenkommens - denn ein Gespräch hat im echten Sinne dieses Wortes nicht stattgefunden - ist hier nur in Auszügen wiedergegeben. Die Auszüge genügen, um den Trend dieses Treffens erkennbar zu machen.
 
Der 1. Sprecher der Unternehmer und Bildungs-Pragmatisten: Wir stellen seit Jahren zunehmend mit Sorgen fest, dass die Schulleistungen der Schüler sinken, dass immer mehr  Abgangsschüler nicht mehr die nötigen Voraussetzungen für die Ausbildungsanforderungen mitbringen und dass die Einstellung vieler Schüler immer mehr von, vorsichtig ausgedrückt, „unwirklichen“ Vorstellungen über das Wirtschaftsleben gekennzeichnet ist. Wir sehen die Gründe dafür in den neuen Schul-Richtungen und mahnen mehr Bezug des Lernens auf das spätere Leben an. Die derzeitige Schulrichtung muss sich wieder ändern.
 
Der 1. Sprecher der Bildungs-Idealisten: Wir wollen jetzt endlich erreichen, dass die Schüler als Hauptziel ihres Lernens ihre „Emanzipation“ verwirklichen können, Emanzipation von der Kultur-Dressur der Vergangenheit, Emanzipation von den bürgerlichen Werten der Vergangenheit, Emanzipation von den Lernformen der Vergangenheit und Emanzipation von den Schulformen der Vergangenheit. Das derzeitige Schulsystem muss sich tatsächlich ändern, da geben wir Ihnen Recht.
 
Der 2. Sprecher der Unternehmer und Bildungs-Pragmatisten: Wir meinen mit „ändern“, dass die Schulabgänger, besonders im Sekundarbereich I, wieder bessere Mathematik- und Fremdsprachenkenntnisse in die Ausbildung mitbringen, in Deutsch sicherer in der Recht-schreibung und gewandter im Formulieren sind und dass sie prinzipiell eine umfänglichere Allgemeinbildung vermittelt bekommen.  
 
Der 2. Sprecher der Bildungs-Idealisten: Die Schule muss sichinsofern ändern, dass den Schülern weniger totes Wissen vermittelt werden braucht, dass die Schülerköpfe mit weniger angesammelten Fakten belastet werden müssen. Die Halbwertszeit der Gültigkeit von Wissen nimmt ständig ab. Es genügt, wenn die Schüler wissen, wo sie sich über die neuesten Fakten, die neuesten Formeln, die neuesten Vokabeln, die neuesten Rechtschreiberegeln, die neuesten Ausdrucksformen informieren können. Das ist „Emanzipation“ vom bisherigen dummen Stoff-Pauken.  
 
Der 3. Sprecher der Unternehmer und Bildungs-Pragmatisten: Wir stellen zunehmend fest, dass die Auszubildenden und jungen Arbeiter Schwierigkeiten haben, Arbeiten nach den Anordnungen zu erledigen, sich nach Zeitvorgaben zu richten und diszipliniert und konzentriert längere Zeit zu arbeiten. Auf Fragen von unserer Seite antworten die meisten, sie seien das von der Schule her nicht gewöhnt. Die Wirtschaft kann  sich aber im globalen Wettbewerb von solchen Forderungen nach Erfüllung von Arbeitsvorgaben und Erreichen von Arbeitszielen 
nicht frei machen. Das schulische Lernen muss wieder systematischer werden, die Schüler müssen wieder belastbarer aus der Schule zu uns kommen.
 
Der 3. Sprecher der Bildungs-Idealisten: Das schulische Lernen muss in seinen Methoden und Wegen vielfältiger werden, der einzelne Schüler muss mehr Zeit für seinen Lernfortschritt bekommen, denn Lernen bedeutet gleichzeitig auch eine Erkenntnis-Reifung. Und weil Reifung individuell sehr unterschiedlich voranschreitet, muss auch das Lernen in der Schule zeit-offener gestaltet werden. Emanzipation vom bisherigen Standard-Lernen bedeutet deshalb auch, die Schüler von Druck und Disziplin und Zeitvorgaben zu befreien. Die neue Schule, unsere neue Schule, ist eine Schule, wo spielerisch, locker und fröhlich gelernt wird und wo manches auch einfach auf später verschoben werden kann.
 
Die Atmosphäre im Saal wird zunehmend angespannter. Je mehr die Gespräche (wenn man die Äußerungen überhaupt als Gespräche bezeichnen kann) aneinander vorbei gehen, desto mehr Unruhe, Gemurmel und Murren ist zu hören, besonders bei den Vertretern aus der Wirtschaft. Schließlich erhebt sich ein älterer Unternehmer:
 
Der 4. Sprecher der Unternehmer und Bildungs-Pragmatisten (jetzt sehr konkret):
Ich möchte jetzt sehr konkret die Gruppe gegenüber aus ihren idealistischen Sphären auf diese Erde herunter holen. Deutschland ist ein Wohlstandsstaat, uns allen geht es gut, besonders die Lehrer aller Schattierungen im Bildungswesen sind als Beamte gut bezahlt und abgesichert. Das ist nur möglich, weil wir von der freien Wirtschaft gute Verdienste einfahren, weil wir uns seit Jahren eine relativ hohe Beschäftigungsquote erlauben können, unsere Mitarbeiter gut bezahlen können und viele Steuern an den Staat abführen. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass wir unsere Auszubildenden in allen Sparten auf das hohe Niveau ausbilden können, mit dem wir im globalen Wettbewerb unsere Spitzenposition gehalten haben. Unsere Mitarbeiter/ Mitarbeiterinnen in den Verwaltungen müssen ein gutes Deutsch und zufrieden stellende Fremdkenntnisse haben. Unsere Facharbeiter an den immer komplizierteren Maschinen brauchen gute mathematische und physikalische Kenntnisse. Wir erwarten von den Schulen, dass sie ihre diesbezüglichen Hausaufgaben machen.  
 
Wir stellen nun leider fest, dass die Bildungsvermittlungen von Seiten der Schulen zunehmend
schlechter werden und dass die neuen Generationen wohl nicht mehr das hohe wirtschaftliche  Erfolgniveau halten können, das wir bisher erreicht haben – einfach weil die heutigen Schüler-generationen zu wenig gelernt haben und zu wenig belastbar sind. Die Folge wird sein, dass die Arbeitslosenquote steigen wird, dass die Einkommen, Pensionen, Renten sinken werden… Dann werden auch Sie da drüben, die Sie meistenteils gut bezahlte Beamte sind, nicht mehr das Einkommen und die Pensionen haben, die Sie jetzt beziehen.
 
Sie sägen sich also mit Ihrem „Wolken-Kuckucksheim-Idealismus“, Ihren „Schulreformen“ den Ast ab, auf dem sie derzeit noch gut sitzen. Ich frage Sie jetzt ganz konkret: Wollen Sie das?   
  
Jetzt entsteht auf der Seite der Schulreformer ein Gemurmel, eine Unruhe. Man ist durch diese präzise Frage offensichtlich unsicher geworden. Es meldet sich kein Redner. Da erhebt sich der Fremde im Hintergrund und ruft laut:
 
Der Fremde/Mephisto: Wir wollen die Welt besser hinterlassen, als wir sie vorgefunden haben. Und wir fangen beim Schulwesen, dem wichtigsten Bereich, an. Wir lassen uns nicht von niederen Argumenten verunsichern, wir gehen unseren Weg der Hoffnungen und Ideale weiter. Der Fortschritt des Guten, Richtigen, Schönen, Wahren und Gerechten kann kein Schulreform-Gegner aufhalten, auch kein schnöder, pragmatisch denkender Wirtschafts-Boss.
 
Da löst sich bei den Schulreform-Idealisten die Verunsicherung und die Gruppe bricht in hellen Jubel aus. Ein Vertreter steht mit leuchtenden Augen auf und ruft:
 
Der 4. Sprecher der Bildungs-Idealisten: Ja, wir lassen uns nicht auf unserem begonnenen Weg beirren und von niederen Argumenten verunsichern. Was bedeuten schon Geld, Besitz, wirtschaftlicher Erfolg und Wohlstand dem neuen, wahrhaft guten Menschen. Wir wollen und werden die Welt besser hinterlassen, als wir sie angetroffen haben. Und wir fangen bei der Schule an, denn die Schule ist der wichtigste gesellschaftliche Bereich. Die Schule prägt die jungen Menschen, diese prägen in den nächsten Generationen Deutschland und von hier aus wird die neue richtige Gesellschaft auf die ganze Welt ausstrahlen. Es leben die Ideale, es leben die hohen Ziele!!!
 
Im Saal beginnt ein Tumult. Man hört Rufe wie: Spinner, Geldsäcke, Wohlstands-Verirrte, Phantasten, Schülerschinder, Deutschland-Ruinierer…  Der Lärm beruhigt sich erst nach einer Weile wieder. Sokrates versucht einen mäßigenden Kompromiss:
 
Sokrates: Es ist richtig, dass Bildung, Wissen und Kompetenzen zusammen der wichtigste Produktionsfaktor in der globalisierten Welt unserer Zeit geworden ist. Erst dann folgen in ihrer Bedeutung Rohstoffe und Kapital. Je höher die Bildung eines Landes ist, desto mehr wirtschaft-lichen Erfolg hat dieses Land im Wettbewerb der Länder und desto höher kann sein Wohlstand ansteigen. Die Schulbildung als Grundbildung muss also die Grundlagen legen für ein möglichst hohes gesellschaftliches Bildungs-Niveau. Das ist die Grundaufgabe der Schule, das ist ihr unverzichtbares Fundamentum.
 
Es fängt im Saal wieder an unruhig zu werden. Man hört zustimmende und ablehnende Rufe.
Sokrates fährt fort:
 
Aber andererseits sind die Schüler keine „wirtschaftlichen Funktionen“ wie die Erwachsenen und Ausgebildeten in der Wirtschaft. Sie sind Menschen in schwierigen Entwicklungsjahren und benötigen Zuwendung und Hilfen jeglicher Art. Deshalb ist es gerechtfertigt, nach besseren Schulformen und neuen Wegen des Lehrens und Lernens zu suchen und diese zu erproben.
 
Aber dieses Suchen und Erproben darf nicht im leeren Raum der Ideale und Hoffnungen und Utopien erfolgen. Immer muss eine Bodenhaftung, eine Verankerung in der jeweiligen Realität bleiben. Der Traum von Schulen, die völlig zwangfrei, antiautoritär und offen lehren und lernen lassen, geht an der menschlichen Natur vorbei. Das immer wieder eingetretene Scheitern solcher Schulversuche beruht darauf, dass unsere Wirtschaft auf Bildungsstandards und hohe Ansprüche an die Schulabgänger nicht verzichten kann. Eine Schule, die für das moderne wirtschaftliche Niveau Deutschlands vorbereiten soll, muss auf die Schüler einen mehr oder minder deutlichen Zwang ausüben, die Lernziele zu erreichen. Sie kann das in schöneren oder in weniger angenehmen Formen tun. Aber ganz ohne einen gewissen Zwang zum Lernen kann sie ihren Auftrag nicht erfüllen. Alle anderen Ideen sind, jedenfalls in der derzeitigen globalen Situation, leider Traumgebilde, die…
 
Weiter kommt Sokrates nicht mehr. Von beiden Seiten hagelt es Proteste an seinen Worten. Man hört Rufe wie: Kein Aufweichen unserer Ideale, kein Entgegenkommen an diese Schul-Phantasten, harte Konsequenzen aus den Pisa-Ergebnissen sind nötig, am besten enteignet man diese Geldsäcke…
 
Deshalb schließt Sokrates das Treffen ergebnislos und verlässt seinen Platz. Als er gerade durch die Tür gehen will, kommt der unbekannte Mann auf ihn zu und zischt ihm hämisch zu:
 
Mephisto: Im Alltagsbereich, bei praktischen Fragen der Lebensgestaltung, da bist du mir überlegen... Aber beim Traumreich des deutschen Schul-Idealismus, da kann ich geschickt negative Samen einstreuen... Da kann ich fördern, dass Richtiges unwiderruflich zerstört und Phantastisches unkorrigierbar aufgebaut wird... Das ist ein Feld, wo ich dir überlegen bin, ha, ha, ha!
 
 
(Verfasst vom discipulus Socratis, mit dem der traurige Sokrates seinen Misserfolg besprach)

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.11.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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