Katja Ruhland

Abschiedsbrief

Mein lieber Freund.

Ich weiß gar nicht recht, wie ich anfangen soll.
Vor einigen Wochen haben wir beschlossen, noch einmal von Vorne anzufangen. Wir wollten die Vergangenheit ruhen lassen und nur noch Richtung Zukunft sehen. Nun, sowenig wie es dir gelungen ist, ist es auch mir nicht gelungen. Ich kann die Vergangenheit nicht vergessen, denn sie ist ein Teil von mir. Sie macht mich zu dem, was ich heute bin. Die vergangenen 18 Jahre meines Lebens war nicht schön, das weißt du. Und du weißt ebenso, dass ich nie wirklich mit meiner Vergangenheit umgehen konnte. Sie war immer irgendwo da, scheinbar weit weg, in Wirklichkeit jedoch ganz nah hinter mir, und nun hat sich mich endgültig eingeholt. Ich weiß nicht, was ich tun soll, ich sehe keinen Ausweg mehr. Ich kann nicht mehr weinen, ich kann nicht mehr schreien. Ich kann nicht sagen, was in mir vor geht.
Tief in mir klafft ein riesiges schwarzes Loch, das alles Lebendige in mir in sich aufsaugt und vernichtet. Ich kann nicht mehr.
Wenn dieser Brief dich erreicht, dann werde ich tot sein. Ich sehe den Tod als die einzige Möglichkeit, als die einzige Lösung. Manchen Menschen werde ich wohl weh tun, das weiß ich, jedoch kann ich bei dieser Entscheidung darauf keine Rücksicht nehmen. Nicht bei dieser! Es ist die einzige Wahl, die ich nur für mich treffe. Nicht für dich, und auch nicht für die anderen. Es ist das erste mal, dass ich mir wirklich sicher bin, das Richtige zu tun – das Richtige für mich!
Bitte denk nicht schlecht über mich. Ich war nie egoistisch, das weißt du so gut wie ich. Aber nun kann ich nicht mehr anders. Bitte denke daran! Ich werde glücklich sein, das erste mal in meinem Leben wirklich glücklich. Ich bin mir sicher, dass nach meinem Tod alles gut wird. Für mich, denn ich werde frei sein! Verstehst du? Das erste mal wirklich frei! Und für euch wird auch irgendwann alles gut werden. Du wirst eine Zeit lang traurig sein, vielleicht sogar um mich weinen, aber irgendwann ist der Schmerz vergangen und du kannst dich für mich freuen, denn ich werde nie wieder Schmerzen erleiden müssen.
Ich würde dir gerne ein Wort des Trostes sagen, aber ich weiß nicht, was. Ich kann nur hoffen, dass du dich irgendwann für mich freuen kannst. Denn jetzt bin ich glücklich.

Und, mein lieber Freund, irgendwann werden wir uns wieder sehen, da bin ich mir ganz sicher! Sei es erst in fünfzig Jahren, oder noch später, aber wir werden uns sehen. Ich werde auf dich warten, dort, wo ich dann sein werde.

Ich bin dir dankbar, für all die Jahre der Freundschaft, auch wenn es dann doch kriselte. Bitte behalte mich in guter Erinnerung.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.02.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Es wurde sehr viel geschrieben über jene Jahre der unseligen Diktatur eines wahnwitzigen Politikers, der glaubte, den Menschen das Heil zu bringen. Das meiste davon beschreibt diese Zeit aus zweiter Hand! Ich war dabei, ungeschminkt und nicht vorher »gecasted«. Es ist ein Lebensabschnitt eines grünen Jahzehnts aus zeitlicher Entfernung gesehen, ein kritischer Rückblick, naturgemäß nicht immer objektiv. Dabei gab es Begegnungen mit Menschen, die mein Leben beeinflussten, positiv wie auch negativ. All das zusammen ist ein Konglomerat von Gefühlen, die mein frühes Jugendleben ausmachten. Ich will versuchen, diese Erlebnisse in verschiedenen Episoden wiederzugeben.

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