Fritz Rubin

Diagnose:Mammakarzinom

Diagnose: „Mammakarzinom“

 

Seit einer Minute weiß ich nicht mehr, was ich denken soll, bin so leer innerlich, fassungslos, schaue meine Frau an.

„Ich habe Brustkrebs“, sagt sie, „zwar nur ein Verdacht, aber…,“ als sie von der Routineuntersuchung bei der Gynäkologin zurück ist.

Schock, Starre, Sprachlosigkeit, Angst, Hilflosigkeit, Entsetzen!

Ich atme ganz tief durch, versuche, meine Gedanken zu ordnen,  ich muss mich sammeln.

„Bin ich im falschen Film? Das kann nicht sein!“, doch die Realität ist brutal, sie hat zugeschlagen, einfach so, in die gelassene Selbstverständlichkeit des täglichen Zusammenlebens.

Vierundzwanzig Jahre sind es mittlerweile, die uns verbinden, auch mit unseren gemeinsamen Hobbys, Graupapageien, Reisen, Kabarett, Musicals.

Meine Frau blickt mich an, sieht mein leeres Gesicht, spürt meine absolute Hilflosigkeit.

 

Ihre Stimme ist fest, als sie mir mit ihrer analytischen Sachlichkeit die Folgen dieser heimtückischen Krankheit erklärt. Ich will sie verstehen, aber ich höre nichts, bin taub, wie paralysiert.

„Warum?“, denke ich, wobei ich weiß, dass es darauf keine Antwort gibt.

Es ist so, und es passiert überall in der Welt, plötzlich und aus heiterem Himmel.

Ich weiß, dass das Leben eine Achterbahnfahrt ist und nicht nur Gutes parat hält.

„Wie geht es weiter?“ „Was kommt dann?“

Wie lange ich in meinem Sessel gesessen habe, weiß ich nicht.

Wir schweigen, nur tiefes Atmen, unsere Graupapageien sagen auch keinen Mucks, als ob sie die Schwere dieser Aussage: „Brustkrebs“ spüren würden.

Der Tag geht zur Neige, ein Tag eben, aber heute kein Tag wie jeder anderer, es dunkelt langsam. Das Wohnzimmer füllt eine leere Stille, bedrückend, ich höre das Ticken der Wohnzimmeruhr.

Ich kann es nicht fassen, es ist so unwirklich, so absurd, so brutal.

Ich höre die Stimme meiner Frau wie durch Watte, bis ich sie deutlich vernehme:

„Ich lasse mich nicht hängen, ich nehme es an!“

Sie sagt diese Worte mit einer Festigkeit, die mich berührt, ich weiß, sie meint es ganz ernst, ich fühle es, spüre die Stärke, die aus diesen Sätzen spricht.

Ich werde ruhiger, die Anspannung fällt langsam ab, ich schaue sie an und sehe in ihren Augen die Bereitschaft, diese Herausforderung anzunehmen.

Meine Stimme hat auch fast wieder ihre normale Stärke angenommen als ich sie frage, wie wir dem Geschehen begegnen wollen.

Inzwischen war auch das Wohnzimmer mit dem munteren Pfeifen unserer Grauen gefüllt,

ja, eigentlich wie immer, wenn der Abend kommt, dennoch war er anders als sonst. Der erste Schock hat sich nach einigen Stunden doch etwas gelegt.

Der Fernseher läuft im Hintergrund, Weltnachrichten, Katastrophen, Selbstmordattentate, Schuldenkrise, ich höre das nur wie aus der Ferne.

Wie soll es jetzt weitergehen?

Es folgt ein langes Gespräch, Analyse einer tödlichen Krankheit, das muss ja nun einmal so gesehen werden. Die Sachlichkeit der Analyse meiner Frau beruhigt mich in meiner Angst, in der Ungewissheit, in diesem Schock.

In dieser Nacht schlafe ich nur wenig, Gedanken ohne Ende, sie kreisen in meinem Kopf und kommen zu keinem Ergebnis, sie wirbeln, ich spüre meinen Herzschlag, ich schwitze.

Fragen über Fragen, jedoch keine Antworten, brutales Spiel mit meinen Gefühlen.

 

Nun, irgendwie und irgendwann hat mich dann die Müdigkeit doch übermannt.

Der helle Morgen weckt mich, ich höre aus dem Bad die Dusche, meine Frau ist schon aufgestanden.

„Brustkrebs“, hämmert es wieder und wieder hinter meiner Stirn.,„Warum?“

Diese Frage ist so unnütz, sie bleibt eine Frage, ich weiß das wohl, aber sie ist nur allzu menschlich,  sie kommt und bleibt ohne Antwort.

Wir frühstücken, eigentlich der tägliche Ablauf – wie jeden Morgen, bevor sie zum Dienst fährt.

„Ich werde mir die erforderlichen Untersuchungstermine einholen“, höre ich sie sagen.

Der Vormittag vergeht, bis alle Termine unter Dach und Fach sind.

Aber letztendlich stehen sie fest, wenn auch nicht so schnell hintereinander wie wir es eigentlich erhoffen. Es beginnt eine bohrende Zeit des Grübelns, der Ungewissheit, des Nachdenkens.

Das Internet ist nun die Informationsquelle Nummer Eins für mich. Gepaart mit dem Wissen meiner Frau als Heilpraktikerin suchen wir einen Weg aus dem Chaos unserer Gefühle.

 

Die Ärzte berufen sich auf die Leitlinien der Schulmedizin.

Ich frage mich, ob es nicht doch angebracht ist, alternative Möglichkeiten, die die Naturheilkunde sicher bietet, mit in die Therapie einzubeziehen und dieses Maßnahmen zu begleiten.

Drei Tage vor der OP ist das Gespräch mit dem Chirurgen angesetzt.

Sachlich, kompetent und sehr einfühlsam erklärt er uns in einem fast einstündigen Gespräch die Operation und die damit verbundenen Risiken und Folgen, so dass meine Frau dieser Maßnahme – OP – zustimmt, eine Chemo-Behandlung lehnt sie aus Überzeugung ab.

Der OP-Termin steht fest, wir informieren unsere Familie, engen Freunde und unsere Nachbarn, offen und offensiv, eine im Nachhinein richtige Entscheidung.  

 

Montagmorgen bringe ich meine Frau in die Asklepios-Klinik zur Aufnahme, ein seltsames Gefühl in mir, als ich sie verlasse, eine lange Umarmung, ein langer Blick, ich habe einen dicken Kloß im Hals.

„Geht alles gut?“ „Was mache ich, wenn…?“, ich mag nicht zu Ende denken.

Dieser Montag wird sehr lang,  am Abend telefonieren wir noch einmal miteinander, ich höre ihre Stimme…

Für Dienstag - 08 Uhr - ist die OP angesetzt, es folgen quälende Stunden der Ungewissheit, so gut zwei Stunden, hatte der Arzt gesagt, wird die OP dauern.

Jede Minute, die vergeht,  ist wie eine Stunde, ich schwitze, habe einen trockenen Mund.

 

Es wird Mittag, kein Anruf, ich höre meinen Herzschlag, ich versuche mich zu entspannen, geht nicht, ich habe einen heißen Kopf.

Die Uhr tickt unaufhörlich, mittlerweile ist es 12 Uhr - High Noon – immer noch kein Anruf. Ich warte weiter, 13 Uhr, 14 Uhr, 15 Uhr, keine Anrufe.

15.40 Uhr, endlich das Telefon klingelt.

 „Ich bin jetzt auf der Station“, höre ich eine leise Stimme.

„Ich komme gegen 17 Uhr“, antwortet eine fremde Stimme, meine Stimme.

Ich weine, schreie meine Erleichterung in die Stube, so dass die Grauen erschreckt aufflattern und laut pfeifen.

Wie lange ich gedankenverloren im Sessel verharrt habe, weiß ich nicht mehr, aber ich fühle eine unendliche Entspannung.

Seltsam, eine wohlige Ruhe überkommt mich, so dass ich später recht gelassen in die Klinik fahre.

Eine Stationsschwester begleitet mich ins Krankenzimmer.

Im Bett unter dem großen Fenster sehe ich ein blasses, schmales Gesicht, die dunklen Haare, leicht verschwitzt, mit einem erleichterten Lächeln im Gesicht.

Ich küsse ganz vorsichtig ihre Stirn, kann meine innere Bewegung nicht verbergen.

„Es wird alles gut“, vernehme ich ihre leise Stimme.

Nur wenige Minuten bleibe ich, jetzt ist Ruhe angesagt. „Sag allen Bescheid“, haucht sie hinter mir her.

Diesen Auftrag übernehme ich liebend gern.

 

Der Abend ist angefüllt mit Telefonaten, zunächst die engsten Verwandten, dann die Freunde und Nachbarn.

Kurz vor 21 Uhr rufe ich noch einmal in der Klinik an, so wie wir es ganz kurz vereinbart hatten.

Ein leises „Gute Nacht“ signalisiert mir den vorerst positiven Verlauf der OP, der sich sehr schnell herumspricht, so dass das Telefon bis fast Mitternacht nicht still steht.

Dann kehrt Ruhe ein, ich bin total erschöpft, mein Kopf ist so leer, erleichtert sinke ich ins Bett.

Auch wenn ich lange geduscht habe, komme ich mir vor, als hätte ich diese Nacht durchgemacht, so wie früher in jungen Jahren, denke ich in diesem Moment.

 

Es folgen einsame Tage und Nächte, in denen ich Zeit und Muße habe, nachzudenken,

stoße mit meinen Gedanken an die Grenzen der Fassbarkeit, die Zukunft bleibt verschlossen, sie antwortet nicht.

Diese Mauer kennen wir alle, wenn Selbstverständliches gar nicht mehr so absolut selbstverständlich ist.

Der große Druck der letzten Tage und Nächte verschwimmt im Tagesablauf, der geprägt ist von Telefonaten, Beantworten der vielen Mails, Besuchen in der Klinik.

Der Befund der OP steht noch aus - da ist sie wieder, diese Angst, diese Ungewissheit.

Ist das Karzinom ganz entfernt? Hat es schon Metastasen gestreut? Sind die Lymphknoten angegangen?

Der Freitag bringt die Gewissheit, dass noch eine Nachoperation erforderlich wird, ein Lymphknoten zeigt sich leicht befallen.

Für Montag ist dieser Eingriff angesetzt, eine Stunde soll er nach Angaben des Chirurgen dauern, wieder dieses angstvolle Warten.

 

Ich kann es nicht aushalten und fahre in die Klinik, an einem ganz besonderen Tag – unserem Hochzeitstag – es ist die Kristallhochzeit, und dann eine OP, eine eigene Konstellation.

Mit einem Strauß roter Rosen – fünfzehn – betrete ich das Krankenzimmer, aber meine Frau ist nicht im Zimmer. Eine aufmerksame Krankenschwester hat wohl meinen suchenden Blick bemerkt und beruhigt mich mit der Aussage, dass meine Frau auf dem Weg aus der Aufwachstation in die Pflegstation ist.

Ich atme tief durch, als ich sie erblicke.

„So, das ist also unser Hochzeitstag“ stellt sie mit einem leichten Lächeln fest, während ich den Rosenstrauß auf ihren Nachttisch lege, es ist eine denkwürdige, fast unwirklich zu nennende Momentaufnahme.

Nach einigen Minuten verabschiede ich mich mit dem Hinweis, sie am Abend noch einmal anzurufen.

Dieser Tag legt sich zur Ruhe, einsame Stille, nur ab und zu vom melodischen Pfeifen der Grauen erfüllt.

Ich empfinde diese Situation als besonderes Zeichen der Hoffnung, auf einen

positiven Ausgang dieser so besonderen Herausforderung unseres Lebens.

 

Es folgen wieder unzählige Telefonate, beantworte die vielen Fragen der Anruferinnen und Anrufer, die sich seit Tagen bei mir melden.

Ich notiere mir die Namen, damit ich die vielen Genesungswünsche weitergeben kann. Zwischendurch lese ich die vielen Mails, die sich Tag für Tag in meinem Mailfach sammeln und beantworte sie so ausführlich wie möglich.

Von Beginn der Kenntnis dieser Erkrankung führe ich einen Stehordner mit allen Mails und allen Antworten darauf. Mittlerweile habe ich einen zweiten Ordner angelegt, so dass ich den Verlauf akribisch nachvollziehen kann.

 

In dieser Nacht schlafe ich nach langer Zeit mal wieder tief und fest.

Ein sonniger Morgen weckt mich.

Da sind sie wieder, diese bohrenden Gedanken der Hilflosigkeit.

Es dauert einige Zeit, bis ich dann am Frühstückstisch sitze und mich stärke.

Mein Blick aus dem Fenster gleitet über das in der Morgensonne liegende Harzvorland, in gut zehn Kilometern die Silhouette des Harzes.

Friedvolle Stille atmet dieser Morgen, ich nehme dieses Panorama als gutes Zeichen, dass alles gut wird.

Ich muss alles alleine machen, ist schon seltsam, wie tief mich alles berührt.

Sie fehlt mir, ihre Stimme, ihr Lachen, ihre Nähe, ihr Atmen; wenn sie abends neben mir im Bett liegt und schneller einschläft als ich und dann manchmal leicht schnarcht, bis ich sie anstoße und sie sich zur Seite dreht.

Sie fehlt mir, die morgendliche Frühstückszeremonie, die wir jeden Tag in der Woche ausgiebig nutzen, bevor sie dann zum Dienst fährt, und ich meinen „Pflichten“ nachgehen

darf, Fütterung der Graupapageien, Säubern der Vogelstuben, Wohnzimmer aufräumen, Betten machen, Wetterdaten aufzeichnen und an den DWD weiterleiten, und den heiß geliebten PC starten.

Das Untersuchungsergebnis der zweiten Operation steht immer noch aus, es beunruhigt mich doch mehr als mir lieb ist.

Dieses Warten zermürbt, macht mich ganz kribbelig, es führt kein Weg daran vorbei, ich muss da durch, nur dieser Allerweltsschnack

Drei Tage nach der Nachoperation kommt dann die Nachricht, dass keine Lymphknoten befallen sind, eine Nachricht, die uns hoffnungsvoll stimmt.

Das Schlimmste ist nach diesen Operationen wohl überstanden, sie hat keinen sichtbaren Krebs mehr im Körper, dennoch wissen wir, dass er jederzeit wieder kommen und zuschlagen kann.

Die noch ausstehende Strahlentherapie ist eine reine Vorsichtsmaßnahme, die uns hoffentlich vor weiteren gesundheitlichen Rückschlägen bewahrt.

 

Wohltuend und tröstlich empfinden wir die zahllosen persönlichen Ansprachen per Telefon, per Mail und die herzlichen Besuche, Zeichen und Beweise menschlicher Nähe, für die wir uns auf diesem Wege bedanken, das tut gut und hilft uns weiter auf dem gemeinsamen Weg, diese Krankheit anzunehmen, mit ihr zu leben.

 

Vielleicht können wir damit auch anderen betroffenen Menschen Hoffnung geben.

 

 

© Fritz Rubin, Herbst 2011, Othfresen

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.12.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Wie herbstlich wird die Dämmerung,
wie gläsern ihrer Lüfte Kühle,
die Schatten liegen auf dem ›Grün‹
und rufen leis’ »Auf Wiederseh’n!«

Der Sommer sagt: »Adieu, macht’s gut,
ich komme wieder nächstes Jahr!«
Entflammt noch einmal mit aller Macht
den ganzen Horizont mit seinen bunten Farben!

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