Veronika Bachmann

Potlatsche und andere schwere Wörter


Potlatsche, was ist denn dies für ein
grandioses Wort, ich lerne es vor ein paar Tagen, alt, dumm, weise lernt man
niemals aus. Ich lese es in einem Artikel über das Schenken, das Glück von
Schenken.

Potlatsche, das größte Potlatsche der Welt
war vor 150 Jahren bei den kanadischen Indianern. Es wurde dann von den Weißen
verboten, den die konnten es nicht ertragen und nicht mit ansehen, wie die
Indianer einfach alles verschenkten, was sie besaßen, das alles herschenken
Fest der kanadischen Indianer.


 
Potlatsche, mir fällt dann eine Episode ein,
da war ich circa 14 Jahre alt, so ein komisches, schüchtern und verzogenes Gör.

Immer auf der Suche nach dem größten
Vorteil, sagte Mama damals, wenn man ihr den kleinen Finger gibt, nimmt sie
immer die ganze Hand. Sie sprach gern in der dritten Person über mich und ich
sollte antworten:

Ja, Mama.

In der Schule war einer, mit dem teilte ich
stets mein Pausebrot, der war noch ärmer, als wir zuhause waren, wie man Anfang
der Sechziger Jahre noch arm sein konnte, weil es nicht allen gelang auf den
Zug zum Nachkriegswohlstand aufzuspringen. Uns nicht.

So war aller Besitz wertvoll, vom Weckgummi
zur Sicherheitsnadel. Es gab Schachteln mit Knöpfen, das durfte ich ab und zu
spielen damit, es gab Bücher, die durfte ich nicht alle lesen.

Essen, teilt man nicht, man isst es und es
war immer wenig, aber ich nie hungrig. Ich teilte eben mit dem Jungen, ich gab
ihm mein Essen, er konnte es gebrauchen.

Einmal „verlor“ ich meine Handschuhe,
handelte mir ziemlichen Ärger bei Mama damit ein, du bist wirklich zu blöde,
schimpfte sie, meine schönen handgestrickten Dinger lässt du einfach irgendwo
liegen.

Er trug sie gerne und oft.


 
Nur ein einziges Mal nahm ich ihn mit zu mir
nach hause, ich konnte nicht Kinder mit nach hause nehmen, so wie es bei uns
zuging. Es war schon Sommer und wir spielten auf dem kleinen Küchenbalkon zum
Hof hin Mensch ärgere dich nicht.

Ich musste mittendrin auf den Speicher
Wäsche aufhängen gehen, in den großen Speicher mit dem riesigen Brandbombenloch
aus dem Zweiten Weltkrieg. Er kam die zwei Stockwerke mit hinauf und hockte
unter herum in dem ewig dastehenden Gerümpel, staubig und dreckig, nur die
Wäscheleinen in stetem Gebrauch und sauber.

Was ist denn dies für ein toller Samowar,
fragte er mich, damals lernte ich dieses Wort neu, er zeigte auf ein
verstaubtes ehemals bestimmt silbern glänzendes Teil.

Ein Samowar, echote ich, na, keine Ahnung,
das Zeugs hier steht schon immer da, erklärte ich in meiner kindischen Einfalt,
immer! Willst du es mitnehmen?

Ich hatte einfach keine Ahnung, was man
überhaupt damit machen konnte und noch weniger, dass es ein Erbstück von Opa
aus dem Ersten Weltkrieg war, so schenkte ich es ihm eben mal so. Und der
Junge, der sonst ähnlich still und verschüchtert war, wie sonst ich, wurde froh
und lebendig, blies den tausend Jahre alten Staub runter und nahm das Ding mit.

Samowar, Wasomar, Masowar??

Spielen wir nicht mehr fertig, rief ich und
weg war er, wie ein Dieb und das kam sogar mir in meiner kindlichen Einfalt
komisch vor.

Mein Papa hat sich so gefreut, sagte er am
nächsten Morgen in der Schule und schenkte mir eine Tafel Schokolade, da war mir
klar, dass es kein guter Tausch war. Sondern eben ein Geschenk. Potlatsche.

Es ging eineinhalb Tage gut, dann entdeckte
Mama die Lücke im Gerümpel des Wäschespeichers.

Wo ist denn der Samowar hingekommen? Wollte
sie wissen und tobte wie ein Furie, polternd die Treppe hinunter, dieses Gör.

Sie kannte auch das Wort, nur ich immer so
blöde?

Der was? Echote ich und sah aus meinem Buch
hoch.

Meine Mama kannte mich gut, und ich konnte
nun einmal nicht gut lügen.

Den hat bestimmt dein komischer Freund
mitgenommen, tobte sie, ich weiß das genau, ihr wart doch zusammen da oben, und
jetzt ist er weg. Der hat den Samowar von meinem Vater gestohlen, wütete sie,
wie nur sie wüten konnte.

Den holst du wieder, befahl sie mir, morgen
steht der wieder da, sonst geh ich zur Polizei und zeig ihn an, wie heißt er
denn eigentlich dein komischer Freund. Sie überlegte kurz und holte mal Luft.
Egal, das krieg ich eh raus und morgen ist der Samowar wieder da, sonst setzts
was.

Ich war wirklich kindisch, kindlich
einfältig jung, aber es war schon zu dem Zeitpunkt klar, dass es im Leben nicht
leicht schlimmere Dinge geben würde, als dieses Ding zurück zu holen. Der Gang
nach Canossa, das hatten wir grad im Geschichtsunterricht, das hab ich schon
fürs  Leben verstanden.


 
Ich muss ihn wieder heimbringen, sagte zu
ihm, in der Schule, den Wasomar, oder wie dieses Ding heißt, meine Mama hat ihn
von ihrem Vater geerbt.

Aber sie benützt ihn doch nicht, sagte er,
so dreckig wie der war, war der dreißig Jahre nicht benützt.

Ich weiß, trotzdem, ich sah so elend drein,
wie nur möglich und nie wieder im Leben war mir so elend, anders elend
bestimmt, aber nie mehr so, wie eben da.


 
Ich brachte das Teil wieder heim, eigentlich
kaum mehr wieder zu erkennen. Es schien sogar Mama zu überraschen, was es für
ein Prunkstück war. Ich wusste noch immer nicht, wozu man es benutzen sollte.

Nutzloses Zeug, maulte sie, was mach ich
denn jetzt damit, sah es an, dein Opa hat es aus Russland mitgebracht, aus dem
Krieg, aber was machen wir jetzt damit? Fragte sie, nicht mich, er stand dann
da.


 
Aber ich durfte es nicht verschenken, sollte
einer diese Welt verstehen.


 
Mama packte das Teil in den Keller, man
konnte es aus dem Verschlag blinken und leuchten sehen, wenn ich vorbei ging,
den Müll wegzubringen, das Radl zu holen.


 
Etwa eine Woche später wurde in den
Kellerabteilen eingebrochen, die Schlösser in einer nächtlichen Aktion fein
säuberlich alle aus den Holzplanken gesägt, bei uns fehlte natürlich der
Samowar.

Vom Täter jede Spur.

Das sind so Serieneinbrecher, sagte der
Polizist, die erwischen wir nie.

Potlatsche.

Dann hätts dein komischer Freund auch
behalten können, maulte Mama und weinte über den Verlust eines alten Fahrrades
bittere Tränen und die Marmeladengläser, die fehlten, mit und ohne Inhalt. Dein
komischer Freund, wenn wir das gewusst hätten.


 
Ich weinte die ganze Nacht, er redete längst
eh nicht mehr mit mir. Wollte keine Pausebrote teilen, nichts.

Der Gang nach Canossa, heute ist die
Geschichtsschreibung anderer Meinung, ich weiß.

Am Ende des Schuljahres war er fort, keine
Ahnung, wohin, mein komischer Freund.


   

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.12.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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