Veronika Bachmann

Anna am afrikanischen Markt

Märchen

 

Man muss sich einen Markt vorstellen, einen bunten, farben­prächtigen, afrikanischen Markt. Wo es mehr Armut gibt als Schönheit, viel mehr Not als Sorgenfreiheit, wo Glück nicht messbar oder sichtbar ist, aber was wissen wir denn, was Glück ist, denn bestimmt sind die Leute glücklich, wie wir glücklich sind.  Alte Frauen sitzen im Schatten an den Lehmmauern des Souks, verkaufen Henna in Säcken und die heiligen Muster zur Tätowierung dazu. Die alten Männer hocken auf Ersatzteilen von Autos, es ist so ein Land, wo alles noch nützlich ist, und es trotzdem mehr Unrat gibt, als ein Mensch gebrauchen kann. Armut.

Sieh mal da, die Plastiktüten, die auf den gelben, ausge­trockneten, abgegrasten steinigen Wiesen wachsen, so nennt es Hannes, bringt die Sache witzig auf den Punkt.

Anna und Hannes und die restliche Clique kommen mit dem Taxi von der Ferienanlage zum Souk gefahren, und auf einer freien Fläche vor der kleinen Stadt sind hunderte von schwar­zen Plastiktüten, die sich verstreut im Dornengestrüpp ver­ankert haben.

Sieh mal auf der Schafweide wachsen lauter schwarze Plastiktüten. Ja, so sieht es aus.

Im lehmgemauerten Souk gibt es alles, was man braucht und viel mehr, was man nicht braucht. Was sie nicht brauchen. Sie sind Touristen, sie sind die Reichen, sie sind die weißen Götter, sie sind die, die man ausnehmen kann. Die Dummen.

Die ewig Klugen, Gebildeten, die die von oben heruntersehen.

Es gibt Touristenramsch, und man bekommt Tee mit Pfeffer­minzblättern, kaum macht man Anstalten sich für etwas zu interessieren.

 

Anna wagte kaum zu atmen, fürchtete sich um ihre beiden halbwüchsigen blonden Mädchen, noch immer schien ihr Armut bedrückend und der Ramsch der Welt lähmend.

Es gab ein paar alte Männer, die an noch älteren Nähmaschinen saßen und Löcher flickten, Vorhänge zusammennähten, aber es gab viel mehr Männer, die auf Arbeit warteten mit ihren Uraltmodellen von mechan­isch getriebenen Nähmaschinen. Wo mancher Samm­ler viel Geld bezahlen würde, zu Hause auf einem Flohmarkt, hier waren sie Kapital, und trotzdem waren die Leute arm.

Es gab stinkende Hühner in einem großen Käfig zusammen­gepfercht, und eine verschleierte Frau suchte sich eines aus, und dann hackte man dem Tier den Kopf ab. Es gab eine Ent­flederungsmaschine, Anna ebenso fasziniert wie abgestoßen, stand da und sah zu. Die Kinder schrieen allesamt, igitt, aber wer Fleisch isst, muss auch zusehen können, wie es geschlachtet wird. (Es gibt eine Zeit vor Vogelgrippe, auch das.)

Nie wieder esse ich Fleisch, sagten sie, aber Anna wusste, schon am Abend würden ihnen die gebratenen Hühner wieder schmecken, erinnerten sie nicht im geringsten an das kahle Vieh in des Metzgers Hand. Ein und dasselbe? Niemals.

Außerdem ist es ihre Bestimmung, dass wir sie essen, oder sollen sie in dem engen Käfig den Rest ihrer Tage verbringen, sagte Anna, aber es hörte ihr niemand zu.

Sie kamen an einem weiteren Stand mit Kräutern vorbei, wohlriechend nach dem Hühnerstallgestank, in aufgerollten Leinensäcken gab es Thymian, Chilischoten, Safran, Kurkuma und Rosenblätter. Das waren die Sachen, die Anna kannte, gab anderes, was sie nicht kannte, Wagenschmiere zum Beispiel, Alraunsteine und Ginsengwurzel zur Lebenskraftsteigerung.

Sie kaufte und handelte mit der kleinen arabischen Händlerin, die eine Jeans trug und keinen Tschador, die leidlich gut französisch sprach, und sie feilschten und handelten, und es war wie ein kleines Fest. Wie es sein sollte, man zahlt höchstens die Hälfte des angegebenen Preises, egal, wie reich wir sind. Und Anna hatte sich eine Frau ausgesucht, weil sie sich vor den Män­nern fürchtete, hier sollte diese Frau ein Geschäft machen. Anna verhandelte mit ihr, und die rest­liche Gruppe musste warten, die Kinder unterhielten sich über den brutalen Hühnermord, probierten die reich ver­zierten Krummsäbel, tschung, tschung.

Madeleine gab Anna noch ein paar Aufträge, Gewürze, die sie für zu Hause brauchen konnte, bring mir Safran mit und Kurkuma, was ist denn das, Chili, ach ja.

Hannes drängelte ein wenig, ihm war langweilig zwischen den Schrankwänden, die es um die nächste Ecke gab, zwischen den Orangenbergen, bewacht von zerlumpten Kindern, die in der Mitte der Ware thronten.

Anna bekam eine der schwarzen Plastiktüten voller ihrer ge­trockneter Kräuter, lehnte den Tee dankend ab, und wie sie sich umdrehen wollte, um zu gehen, winkte das schöne, ara­bische Mädchen ihr zu und steckte Anna mit ihrer staubigen Hand etwas zu, was sie nicht erkennen konnte.

C'est pour vous. Ma, psst ...

Und sie schloss schnell Annas Hand um einen kühlen Gegen­stand und Anna verwirrt und mit Herzklopfen, schob in ihre Hosentasche ein, was sie bekom­men hatte.

Sehr wohl wissend, dass man so etwas nicht macht, es könnte Rauschgift sein und hinter der nächsten Ecke standen Poli­zisten, die sie des Handels beschuldigten ... Anna kannte solcherart Geschichten, vor denen man gewarnt wird, die keiner glaubt, bis sie passieren.

Aber es könnte ein magischer Ring sein, ein Hilferuf, es könnte ein Glücksstein sein, oder die Botschaft einer Opposition ver­packt in eine kühle, metallene Hülle, es könnte wertloser Schmuck sein, ein Geschenk des Hauses ohne böse Absicht, ohne jeden Hintergedanken, ein Geschenk.

Was für Zeiten, wo man nicht nehmen kann ...

Anna ging weiter, als wäre nichts und befühlte vorsichtig mit den Fingern den neuen Besitz, es war ein kleines, unverziertes Schächtel­chen, wohl aus Metall mit einem Schnappverschluss. Sie ging weiter und sah sich um und versuchte zu ertasten, was sie bekommen hatte. Es kam keine Polizei, und sie bogen drei, vier, fünf Straßen um und niemals, niemals hätte sie mehr an diesen Stand zurückgefunden, wie es geht in einem Basar, und alles sieht gleich und fremdartig aus, die Gesichter der Menschen bedeuten einem nichts, weil man sich nicht mit der Kultur und nicht mit den Lebensgewohnheiten auseinanderge­setzt hat, es sind arme, schmuddelige Schlucker oder so.

Wie Madeleine das nannte und wies sie auf bettelnde Kinder hin und total verschleierte alte Frauen. Da, wo sie immer Touristen waren, und es trotz Feingefühl einen zu großen Unterschied gab, eine unüberbrückbare Diskrepanz, Vorurteil hin, Vorur­teils­losigkeit her.

Anna war verdammt neugierig, aber sie war auch vorsichtig, und sie beobachtete, ob irgendeine obskure Gestalt ihnen folgte, wie man es in den Filmen sieht, zwischen den Ständen springend, dann zur Not hätte sie die Schachtel fortgeworfen in einen Haufen getragener Schuhe oder zwischen baumwollene riesige Schlüpfer gesteckt, während sie tat, als würde sie sie für einen eventuellen Kauf befühlen, aber es war niemand da.

Nur Madeleine und Hannes und Sebastian und die restliche Gruppe, die vielen Kinder und die Araber, die den blonden Mädchen Rosen schenkten, oder sie für Kamele eintauschen woll­ten, die schmuddeligen Kinder auf der anderen Seite, die die Touristen mit offenen Mün­dern anstarrten und versuchten mit dem schmutzigen Händen etwas vom Haar zu berühren.

Anna wurde es kühl und ihr war heiß, die Enge, und die Hitze des Nachmittags, der Staub, die trockene Luft und die vielen Eindrücke machten sie müde und erschöpft.

Ich möchte gerne gehen, sagte sie leise zu Hannes und Sebastian.

Madame möchte gerne gehen, sagte Hannes laut, wenn Madame gehen möchte, müssen wir alle gehen, dann können wir nichts mehr ansehen.

Sein Tonfall war gewohnt ungeduldig und krätzig, Sebastian wie immer, nahm Anna in Schutz und strich in einer scheinbar gedankenverlorenen Geste über ihren Rücken.

Ich möchte auch gehen, schrieen alle Kinder laut und gleichzeitig, und sie einigten sie sich, dass Anna mit den Kindern mit einem Taxi vorfahren sollte, die anderen drei Er­wachsenen würden nachkommen.

Ich will in den Pool, schrieen die Jungs, und Anna dachte wie angenehm es sein müsste, sich ins warme Wasser zu legen, den Himmel anzusehen, vielleicht würde sie auch ins kalte Atlantik­wasser springen und darüber nachdenken, an welcher Küste Amerikas die Welle zuletzt versandet war, oder wie funktioniert denn das mit den Wellen? Den einzelnen Tropfen des Meeres, die eine Welle machen, größer als sie selbst, sie überrollend, dass es ein Spaß war sich auf den Wellenkamm zu setzen.

Fang dir eine Welle, und du sitzt auf dem Gipfel der Welt.

Das zu tun.

Auch im Taxi wagte sie nicht den Inhalt der Schachtel zu begutachten, sie hielt ihre große Tochter auf dem Schoß, im Fond saßen die restlichen fünf Kinder aufeinander und dementsprechend gab’s Geschimpfe und Gezeter.

Gott sei Dank war der Weg nicht weit, der Preis ausgehandelt und bezahlt. Die Kinder verschwanden lärmend in den Pool, sie nahm ihr Handtuch, ein Buch im Rucksack, wanderte an den wunder­baren Strand. Es gab wenig Wind, tief stehende Sonne vor einer breiten Wolkenbank im Westen. Die Schachtel, ja, es war eine metallene kleine Schachtel hielt sie in ihrer Hand, sie war warm inzwischen und Anna suchte eine Stelle etwas abseits. Was war wohl drin?

Der Wunschring, das wäre das Schönste. Was würde ich mir wünschen?

Aber Anna wusste, es gibt keine Wunschringe. Es gibt in der Realität keine Wunschringe. Aber es gibt nun mal auch keine endgültige Realität, war zumindest Annas Meinung über diese Welt.

Bloß, weil es bisher Wunschringe nur im Märchen gab, musste das nicht heißen, dass ich nicht einen in echt bekommen habe.

Sie zögerte, vielleicht, wenn sie die Schachtel nicht öffnen würde, dann könnte sie zumindest den Rest ihres Lebens an die Existenz eines Wunschringes glauben, aber sie war nur ein ge­wöhn­licher Mensch und gewöhnliche Menschen sind gewöhn­lich neugierig.

Sie versuchte sich an dem winzigen Verschluss der glatten sil­brig­ glänzenden Schachtel und öffnete die metallische Schließe. Drin lag auf weißer Watte eine Wurzel in Form eines kleinen Men­schen. Mit entsprechender Phantasie natürlich, denn das Stück­chen Holz war ein wenig verwachsen und missgebildet, aber trotzdem eindeutig eine winzige Menschengestalt. Und es hatte ein Gesicht voller Runzeln und Lachen. Anna war verwirrt und untersuchte das Kästchen genau, aber es gab sonst nichts zu finden, keine Botschaft, keine Erklärung, keine Schrift oder Verzierung, nur eine Wurzel - voller Zauberkraft.

Anna schloss die Hand um die Gestalt, saß mit nackten Füßen im Sand, das Meer rauschte so gewaltig, wie es wohl war, und sie fühlte das warme Stückchen Holz, sauber, dunkel, ohne eine Spur von Schnitzerei, ein kleiner Mensch in ihrer Hand.

Voller Wunschkraft, Anna wusste, es war einer jener magischer Gegen-stände (wie alle Gegenstände der Welt magisch sind, wenn wir ihnen die Macht dazu geben,) so einer, den man be­fragen konnte, wenn man traurig war und der einem half, wenn man in Not war, einer, in dem man sich gespiegelt sah. Aber warum war es ein Geheimnis, warum hatte die junge Frau es ihr nicht einfach gegeben, und alle konnten es bewundern?

Nein, es würde ihres sein und nur ihres, verborgen unter dem Kopfkissen, und half bestimmt beim Zaubern gegen die Unbilden der restlichen Welt. Ganz bestimmt. Sie legte die Figur zurück und wickelte das Kästchen in ihr Handtuch, ging in den riesigen kalten Atlantik. Schwimmen bis Amerika, in Gedan­ken.

Noch Stunden später fühlte sich die rechte Hand, mit der sie die Figur umschlossen hatte ganz warm an, ganz anders wie sonst, aber das war natürlich nur Einbildung, und manchmal legte sie die rechte Hand in die linke, um etwas abzugeben, umzuleiten.

Die Schachtel verbarg sie unter ihrem Kopfkissen.

 

Und dann am Ende der Woche vergaß sie sie mitzunehmen ... beim Einpacken und Herrichten der Koffer. Beim, wie immer zu hektischen Aufbruch, da vergaß sie die Schachtel unterm Kopf­kissen. Im Flugzeug fiel es ihr ein, verdammt, die Puppe, aber irgendwie war das schließlich typisch für Anna.

Weil es eine Wunschpuppe war und bleiben würde bis ans Ende ihres Lebens, wenn sie nur an das warme Gefühl in ihrer Hand dachte, an diese Art von magischer Kraft, die sie gespürt hatte, und konnte sich daran erinnern, jederzeit. Manchmal legte sie den Kindern die Hand auf, und sie wurden ganz ruhig, und ein paar Kranke wurden gesund, aber das eine hat mit dem anderen auf keinen Fall etwas zu tun. Denn die Kran­ken waren nicht wirklich krank, und die Kinder genossen es nun mal berührt zu werden ... und so weiter und so fort.

Beim Heimflug, und später immer mal wieder überlegte sie, was wohl mit der Puppe geschehen war, ja, sie dachte an das junge arabische Mädchen, dass das Zimmer geputzt hatte, wahr­schein­lich hatte die das Schächtelchen gefunden und an sich genommen und vielleicht half die Puppe dem Mädchen, und das war irgendwie gut, denn diese viele, viele Kraft in der Puppe - ja, das war irgendwie unheimlich gewesen. Und die junge Putzfrau, die brauchte noch viel Kraft und die konnte sie bestimmt gut gebrauchen.

 

Im Herbst fliegen wir dort wieder hin, dachte Anna, und dann gehe ich wieder auf den Markt, und ich suche die Kräuterfrau und ich erzähle ihr von meinem Missgeschick, aber so würde es auch nicht enden ...

 

Nicht wie im Märchen, aber dieses Gefühl der Kraft, das blieb viele Jahre in der Hand, wenn sie sich erinnerte, aber irgendwann erinnerte sie sich nicht mehr so intensiv, wie es eben so ist.

Es war nur ein Stückchen Holz in einer silberigen Schachtel, mehr nicht.

 

Bitte, DANKE!

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.12.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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