Stefanie Specht

Rückkehr

Es war Nacht in unserer Straße. Keine Kerze brannte. Es war dunkel. Kein Hund bellte, kein Hahn krähte, kein Tor knarrte. Es war still. Keine Katze war zu sehen, die eine Ratte jagte oder von dieser gejagt wurde. Keine Eule unterstützte die Jagd. Keine Bewegung war wahrzunehmen.
Außer dem Gras, dass sich unter meiner Last verbog.
Ich war schon lange nicht mehr hier gewesen. Ich wollte es nicht. Auch jetzt nicht.
Es war gespenstisch. Nicht so wie in meiner Jugend, als ich mit meinen Freunden die Gegend unsicher machte, und sich hinter jeder Ecke um die wir bogen die Polizei oder ein ärgerlicher Einwohner verbergen konnte, der uns dann den Rest der Nacht durch jagte. Wir wurden nie geschnappt. Wir lachten in meiner Erinnerung.
Nein jetzt war es anders. Zu leer. Zu einsam. Zu verlassen.
Ich wusste nicht mehr was ich erwartet hatte. Wahrscheinlich, dass alles beim alten geblieben wäre. Die Erinnerungen verblassten, doch eine wirkliche Veränderung machten die Bilder, die ich von meiner alten Heimat hatte nicht durch. Wieso auch. Wie auch.
Das erste Haus stand nicht mehr. Reste der Grundmauern waren noch zu sehen. Alles andere lag verstreut auf dem Rasen. Ein Kruzifix. Der alte Mann, der hier lebte als ich jung war hatte es über der Tür angenagelt gehabt. Daran erinnerte ich mich nach. Ich hatte ihn oft besucht als ich klein war. Er hatte mir und meinen Freunden dann immer Geschichten erzählt. Geschichten aus seiner Jugend. Wir saßen stumm um seinen Sesseln. Ganz aufgeregt was wohl als nächstes passieren würde. Keiner wagte ihn zu unterbrechen. Selbst wenn er eine Stelle übersprang und sie dann an anderer Stelle einfügte, oder wenn er wieder dieselbe geschichte erzählte, die er uns schon vorletzte Woche oder die davor erzählt hatte. Diese Nachmittage waren heilig für uns.
Danach gingen wir immer spielen und unterhielten uns darüber. Wir lachten in meiner Erinnerung.
Es war eindeutig zu ruhig. Dort war das Haus meines besten Freundes. Er blieb damals hier und hat geheiratet. Ich entschied ihn zuerst zu besuchen und ging zur anderen Straßenseite.
Ich wollte an die Tür klopfen. Da fiel mir der Geruch auf. Die Tür knirschte etwas, doch ließ sie sich leicht öffnen. Überall lag Staub. Der Dachbalken hing schief. Mir schrie ein gähnendes Loch in der Rückwand entgegen ich solle verschwinden. Ich wüsste was ich vorfinden würde, wenn ich weiter ging. Ich solle wieder aus der Ruine treten.
Ich ging weiter. Dort lagen sie. Am Frühstückstisch. Viel war nicht mehr von ihnen übrig.
Ich verließ das Haus ohne zurückzublicken.
Ich blickte mich jetzt nicht mehr um. Ich ging vorbei an all den anderen Gräbern. Zum Haus meiner Eltern.
Es war nicht mehr da. Nichts war mehr da. Trümmer. Ohne Sie.
Ich fand ein Bild. Ein gerahmtes Foto. Es zeigte mich und sie. Wir lachten in meiner Erinnerung.
Sie lachen nicht mehr. Das Glas war gebrochen. Es zerschnitt das Bild. Nur noch leere Fratzen sind zu erkennen.
Ich steckte es ein. Ich trat den Rückweg an. Ich war zu spät.
Wir lachten nur noch in meiner Erinnerung.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.03.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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