Veronika Bachmann

Der Perückenmacher und der Leierkastenmann

 

Die Gasse war schmal und dementsprechend dunkel, schmutzig auch und holprig, denn diese Geschichte spielt vor der Erfindung der genormten Pflastersteine.

Und sie spielt in einem ärmlichen Viertel der KleinenStadt. Denn Hannes, der Perückenmacher verstand es nicht mehr so recht sein Geld zu verdienen, er war kein erfolgreicher, tüchtiger Geschäftsmann.

Oh, seine Perücken waren sehr gut, von hoher Qualität, gewissenhaft und sauber gefertigt, aufwendig verarbeitet. Schöne Locken und schöne Farben zierten die blicklosen Köpfe seiner Modelle, Haar um Haar war mit Überlegung und Liebe eingezogen, weiß, schwarz, grau, weiß, schwarz.

Ja, anders kann man es nicht sagen, Hannes liebte seine Arbeit. Nicht, weil er vom Vater auf den Sohn nichts besseres lernen durfte, sondern weil er wirklich gerne Perücken herstellte.

Er hörte dann die Gespräche, die diese Locken, die er gerade schuf, später einmal hören würden, hochgestochene Philosophien, wilde ausufernde Flirts,  heimliches, verbotenes Liebesgeflüster, Gerichtsverhandlungen über kleine, dumme Diebstähle oder großartige Betrügereien. Er hörte das, aber natürlich hütete er sich davon zu erzählen, schließlich war es sein Geheimnis.

Denn sein Laden war klein und so finster, und wie konnte es sein, dass er von der großen, weiten Welt wusste, wo er eigentlich nichts wusste, nicht viel. Aber es gab eine Dimension, eine Ahnung in ihm, dieses Gefühl machte ihn gleichzeitig glücklich und unglücklich. Zufrieden und unzufrieden, ruhig und ruhelos in dem dunklen, stets kühlen Loch – Werkstatt – genannt. Niemals hätte er genau beschreiben können, was ihm da geschah, vor allem nicht die Zerrissenheit, wo es gut war dazusitzen und die Haarfäden zu ziehen, zu knoten, zu legen, zu zupfen und gewissenhaft zu arbeiten. Und doch gab es etwas wie Fernweh, eine unbezähmbare Lust fortzugehen. Und sei es nur noch in diese Träume, Gespräche, Geschichten, die er erfand. Denn seine Gesellenzeit war lang vorüber, der Traum fernster Jugendtage, ja, das Wandern, das hatte er geliebt.

Hannes war einer der letzten Perückenmacher der KleinenStadt – ein aussterbendes Handwerk. Nicht, dass er solche Worte dachte, aber er wusste es. Perücken kamen aus der Mode, er wusste es, ohne zu wissen, was Mode eigentlich ist und wer sie macht. Mode ist, was man eine Zeitlang tut und dann nicht mehr. So trägt man in dem kommenden Zeitalter keine Perücken mehr, so unvorstellbar dieser Sittenverfall auch sein mag, es wird so sein.

Das ist erst der Anfang vom Ende, nannte sein Vater dies, es wird alles noch schlimmer kommen. Zog  um vom großen Laden in diese kleine Werkstatt und starb, wie man das sagt, an gebrochenem Herzen. Aber Hannes wusste, es stimmte. Niemand brauchte mehr  Perücken, es wurde alles schlimmer, noch viel schlimmer.

Ganz anders. Nicht für alle Menschen war das schlimm, wenn es anders wurde, aber für seinen Vater eben schon. Hannes wusste, dass man durchaus auch eine schöne Erfahrung machen konnte, wenn die Zeiten sich veränderten. Für ihn und seine Familie ging es jedoch in diesen kommenden Zeiten stets bergab, bachrunter.

Obwohl, na ja, sein erstgeborener Sohn war nach Amerika ausgewandert und schrieb ganz erstaunliche Dinge. Dann, wenn selten genug Post kam, klang es, als wäre er reich. Als ginge es ihm gut. Wer einen so großen Schritt über das so große Wasser wagt, dem musste das Schicksal es doch gut meinen. Hinaus aus dem Mief der KleinenStadt, hinaus, solcher Mut musste belohnt werden, dachte Hannes.

Manchmal noch machten Anna, seine Ehefrau und er selbst die kleinen Ausflüge, wie damals, als ihre drei Kinder noch klein waren, liefen am Sonntag durch die Gassen zum Stadttor hinaus auf die weiten Hänge vor der KleinenStadt in den Sonnenschein, und das war gut. Hannes trank im Klostergarten das dort gebraute starke Bier, oft viel mehr als er vertragen konnte und dann gab es unendliche Ahnungen in ihm, die hochstiegen wie ungeweinte Tränen, es waren geradezu klarsichtige Momente, intensiver als die Träume während seiner Arbeitszeiten.

Aber an dem Tag, wo die Geschichte spielt, da ist es grau draußen, grau und trostlos. An diesem Spätwintertag ist nichts übrig vom besseren Wissen der Bier- und Sommertage, ja nicht einmal von den Träumen während des konzentrierten Arbeitens.

Es gab keine Arbeit mehr. Seit vier Wochen war eine Perücke zum Ausbessern gegeben und eine neue im Auftrag vom Hohen Dichter, war längst fertig und leuchtete im kleinen Schaufenster des Souterrains. Aber man munkelte von Zahlungsschwierigkeiten des hochberühmten Mannes, außerdem war er steinalt und altmodisch und wann ging er schon noch aus und brauchte seine Perücke? Aber wenn der berühmte Mann sie nicht abholte,  ja, dann gab es nichts mehr zu essen und nicht mal mehr diesen Laden, es blieb dann nichts.

Das war wirklich eine große, schwere Sorge, Hannes sah sich gedankenverloren das gute Stück an, gute Arbeit und tröstete sich daran. Mühsam. Gute Arbeit ist niemals vergeblich, und er musste schließlich glauben, dass alles wieder gut würde, sonst wäre er gleich verloren gewesen, noch verlorener als so schon. Er hatte am Morgen begonnen ein neues Stück zu fertigen, geradeso aus Spaß und  ohne einen Auftraggeber, einfach so um etwas zu schaffen und um nicht zu sehr in Grübeleien zu versinken. Aber wem sollte sie passen, und konnte er außerdem quasi leichtfertig das letzte Material verbrauchen?

Da hörte er die Musik, leise erst und fern, (an einem ganz normalen Werktag und lange vor Erfindung der ewig dudelnden Radios), als die Welt nicht heil war, aber noch so leise.

Ach, ein Leierkasten.

Aber wie kam es, dass ein Leierkastenmann sich in diese dunkle Gasse verirrte, wo keifende alte Frauen sich  aus Fenstern beugten und die Gassenkinder laut stritten.

Ja, wie kam es?

Geradezu lustig und überschwänglich klang die Musik, lauter fröhlicher Gesang tönte dazu, es war wie ein flatterndes buntes Band  in dem Grau des Spätwinters  zwischen den engen und kalten Mauern. Die Kinder sprangen und liefen – vergaßen ihre Streits – rannten johlend die Gasse hinunter der Musik entgegen. Langsam, stetig kam sie näher, unterbrochen nur, wenn das Band des Leierkastens gewechselt wurde, und eine neue ebenso fröhliche Musik ertönte.

Hannes zitterte und betete: hoffentlich biegt er nicht ab, da  an der Ecke fünfzig Meter vor meinem Laden ab, ja, wenn er bei mir vorbeikommt, dann wird alles gut, so redete Hannes mit sich, wie mit einem Kind, das die Zukunft beschwören will. Es war gut, aber wie kam er zu diesem Glück, so unverhofft und überraschend, wie kam es, dass einer so gute Laune hatte oder sie zumindest verbreiten konnte in den sorgenschweren Zeiten?

Hannes saß da, wie vom Donner gerührt, sagt man, stimmt nicht, von der Musik berührt, wie schön so eine Musik zu hören, so einen Leierkasten zu haben und so eine Stimme dazu, so eine lebensfrohe, unbeschwerte Laune, wie schön die Straßen entlang zu ziehen von Stadt zu Stadt. Der Mann musste fremd sein, und wusste bestimmt nichts von der ärmlichen Qualität des Stadtviertels, hier waren keine Groschen leicht verdient.

Herumziehen. Arm sein. Oh ja, arm sein, aber allein sein, nur Freude haben aus dem Dreh des Kastens und an der Kraft der eigenen Stimme, das war bestimmt Glück. Es gab einen göttlichen Klang, noch mal eine andere Ahnung vom Leben. Es war wie Farbe in einem düsteren Zimmer, wie Licht, Schimmer und Freude.

Hannes schluckte, denn er hasste es zu weinen, wie konnte es sein, dass ihm nach Weinen zumute war? Wo er nicht geweint hatte, als sein jüngster Sohn starb, und nicht, als der Älteste fortging, nicht.

Aber diese Musik ... war vielleicht des Teufels, aber nein, nur weil einer Musik spielte, fröhliche, kleine, dumme, unbeschwerte Melodien voller Sehnsucht und dem Wissen vom großen, weiten Leben draußen in der Welt. Voller Sicherheit, Unsicherheit und Ahnung, wer wollte da vom Teufel reden? Außerdem, bei so schlechten Zeiten, was sollte da noch ein Teufel?

Nicht weinen, bat er sich trotzdem, erbärmlich schluckend.

In der hintersten Schublade, ganz hinten und ganz unten lagen noch zwei große Münzen, ein fünf Taler Stück und ein ein Taler Stück, die Notreserve für die Notreserve. Hannes stand auf, griff nach dem kleinen Stück zuerst, erwischte aber den fünfer Taler.

Wenn ich dich hergebe, sagte er zu sich und dem Geld, dann wird mein Geschäft wieder aufblühen, noch einmal aufblühen. Das war eine weitere Beschwörung, ein wenn – dann.

Er konnte nicht wissen, dass es funktionierte, aber er konnte es jetzt glauben.

Und dann trat Hannes auf die Straße, stolperte die paar Stufen hoch ans Tageslicht, hielt die Münze fest umklammert, stellte sich vor seinen Kellertreppchenladen und sah nach dem Leierkastenmann.

Alt war der, schlohweiß das Haar und zerlumpt, wie nicht anders zu erwarten, aber die Augen, die strahlten, sie blinkten und funkelten voller Kraft, lachten, ja die lachten.

Wo es doch nichts zu lachen gab. Oder doch? Nein, wirklich nicht. Für diesen Moment vielleicht schon, für diese wenigen Minuten, wo der Leierkastenmann an seiner Türe vorbeizog, sie sich ansahen, sich erinnerten und einig waren. Wussten. Was denn?

Egal, schon wieder vorbei und vergessen, nur die Musik klang voller blechener Sehnsucht und Hannes ging zu dem Alten hin, Kinder sprangen um sie herum und hüpften übermütig johlend, als wäre der Alte der Rattenfänger von Hameln, sie hüpften und gingen kaum zur Seite als Hannes kam und dem Greis – waren sie nicht gleich uralt und welterfahren – die große Münze, die viel zu wertvolle Münze in die offene hingehaltene Hand legte.

Das ist für mein Leben. Murmelte Hannes, wusste selbst nicht was er redete.

Oh, vergelt’s Gott, oh vielen Dank, stammelte der andere und sie sahen sich in die Augen und wieder war Hannes überrascht, wie sie strahlen, leuchteten vor Weisheit und Abgeklärtheit, glänzten als sei Leben doch ein Kinderspiel.

Wie viel wird er wissen, wie viel wird er herumgekommen sein, dachte Hannes neidisch und doch ganz zufrieden, seltsam unentschieden, wie viel Leid und Armut hatte der gesehen und erlebt und kann sich doch am Leben so freuen.

Wie kann das sein? Dachte Hannes, aber der hat sich eben gefunden wie ich mich auch. Auch wenn es eine veraltete und brotlose Kunst ist Perücken herzustellen, ich habe mich darin gefunden. Nie etwas anderes tun können. Und der fünfer Taler hätte mir eh nicht mehr geholfen, zu wenig zu leben und zuviel um zu sterben, so soll er ihn haben. Und vielleicht wird mein Geschäft noch einmal aufblühen und genug abwerfen um mit Anna zu überleben.

Dann aber musste Hannes sich abwenden, denn das Weinen saß ganz dicht und das devote Danken des Anderen gefiel ihm nicht länger, schlimmer war jedoch der Kloß im Hals. Und der Alte sollte nicht die Tränen sehen, gleich würden sie aus seinen Augen treten, so stieg er die zwei Stufen hinunter, da liefen sie schon über sein Gesicht und jetzt wäre er beinahe gestolpert in Blindheit.

Es würde ihm nicht leid tun, dass er sich von der Münze getrennt hatte, bestimmt nicht, versicherte er sich, denn entweder der Dichterfürst holte seine bestellte und die reparierte Perücke ab oder es gab eh kein Überleben.

Und es lag etwas wie Zuversicht in den Tränen, ja, gerade in den Tränen und in der Musik, die schnell, schneller verklang im Fortziehen. Und dann war alles leichter jetzt und Hannes weinte und weinte, und alles wurde hell.

Was für eine kleine Musik für ein großes Glück sein kann, fern jedes Alltages und nichts, was sich festhalten ließ und doch war es für diesen Moment und jetzt noch immer gut.

Ahnung und Gewissheit, vielleicht würde auch Hannes eine Tages – wann? – singen und herumziehen, wandern wie der Alte. Nein, aber davon was Glück ist, davon verstanden sie alle beide etwas.

 

DANKE!

 

 

 

 

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