Veronika Bachmann

Ein Denkmal für Harry

Harry, Geschichten von der Straße, Harry ein Denkmal setzen.

 

Harry ist zweiundsechzig, er ist klein und hässlich, wie man hässlich sein kann. Harry war Jockey in seinem Leben und Schauspieler, bevor er Taxifahrer wurde.

Ja, ja, mit dem Fassbender habe ich Filme gedreht und der Volker, der kennt mi noch heut, wenn er in mein Taxi einsteigt.

Ich habe das gegoogelt und es stimmt, Harry war Schauspieler. Mit etwas Glück findet man eine Website für Harald Reeg. Schauspieler.

Aber seit fünfunddreißig Jahren ist Harry Taxifahrer, da war ich noch nicht einmal auf der Welt, mir kommt das sehr lange vor.

Jetzt nehmen sie ihm den Taxischein, ich werde nie vergessen, wie er kam, schlecht gelaunt wie immer, denn noch schlechter geht’s nicht, sie nehmen mir den Taxischein, diese Panik in der Stimme.

Sie verlängern mir die Lizenz nicht wegen Augenproblemen, sagt er und macht so eine vage Handbewegung.

Er hatte in den letzten acht Wochen fünf Unfälle, Bagatellschäden, trotzdem, Spiegel abgefahren, einen Passanten umgerammelt, einen Radler runtergeholt, Harry hat was mit den Augen.

Eingeschränktes Sehfeld, was mit den Augen, sagt er. Alle fünf Jahre wird eine medizinische Untersuchung gemacht, jetzt verlängern sie ihm den Schein nicht mehr.

Nun also läuft der Countdown, keiner will dies so recht glauben, kein Harry mehr am Dallmayr Taxistand. Wo er immer da ist, immer da war.  Noch drei Monate, noch zwei Monate, noch 3 Wochen, Kinder, wie die Zeit vergeht. Und Sommer ist das doch auch keiner.

Harry steht da auf der Dienerstraße bei Wind und Wetter, fünfunddreißig Jahre, so lang bin ich noch nicht auf der Welt, hab ich schon erwähnt, bei Sonne und Licht, beim Dallmayr, der Hausmeister, wie wir dies unter uns Taxikollegen nennen, wenn einer immer zum selben Stand zurück fährt. Die Zähne sind ihm über die Jahre ausgefallen, die Falten haben sich immer griesgrämiger im Gesicht eingegraben, Harry steht da und raucht eine und wartet auf Fahrgäste und oder Gästinnen.

Die schönen neuen Autos aufgereiht, elfenbeinfarben, gepflegte, schöne Wagen, wartend. Man kennt sich unter einander, grüßt sich, redet und erzählt, wenn die Wartezeiten mal wieder unerträglich lang sind.

Harry ist der Hausmeister dort, er mault, wenn ein Kollege nicht den alten Damen hilft mit ihren Tüten und Taschen, hast jetza du koan Anstand net, dann brauchst di da nimmer sehn lassn.

Harry pöbelt Falschparker am Taxistand an, ja siegst du des net, des is a Taxistand, koan Parkplatz, a net für deinen Porsche.

Das ist Harry, wie ich ihn kennen gelernt habe vor drei Jahren, als ich anfing Taxi zu fahren, er war bestimmt immer so.

Das ist Harry, kennt seine Kundschaft vom Dallmayr. Heilmannstraße, Bärmannstraße, Feldkirchen West, er weiß das alles.

Noch drei Tage, seit fünfunddreißig Jahren Taxifahrer, ich versuche mir das vorzustellen. Ich bin so ein Jungspund, aber ich weiß auch, er ist sehr stolz auf mich, da dort, als junge nette Kollegin, sofort akzeptiert und anerkannt.

Wie geht’s dir denn heute, Mäuslein, begrüßt er mich und gibt mir eine etwas matschige Zwetschge und versucht mir ein Küsschen auf die Backe zu drücken, aber leider ist es so feucht und unangenehm, dass ich es ihm jedes Mal wieder verbieten muss.

Alle Frauen heißen Mäuslein, auch mal Mäusebärin, der Einfachheit halber, seine großen Lieben, drei in seinem Leben hießen auch so, Mäuslein, Mäusebärin, meinen Namen kann er sich nicht merken.

Drei Jahre kenne ich ihn, seit ich zur Überbrückung als Taxifahrerin arbeite, und es war viel Zeit seinen Geschichten zuzuhören, sommers wie winters und mal zu kalt und mal zu heiß, wann kann man es uns schon recht machen?

Ich rauche noch eine, sagt er und zieht so ein grantiges Gesicht, als würde gleich die Welt untergehen, tut sie ihm zuliebe auch noch, denke ich und muss lachen.

Gewöhnlich sitzen wir dann in meinem Auto, und er erzählt mir aus seinem Leben, immer wieder, zum Beispiel wie die letzte Liebe gestorben ist, hat geraucht und dann ist sie an Lungenkrebs gestorben, einfach so.

Ja, einfach so.

Wenn ich sie nicht hören kann, diese Geschichten, dann fahr ich nicht zum Dallmayr, dann stelle ich mich woanders auf und schreibe meine Geschichten.

Heute eben die für Harry. Harry ist tot traurig, man kann es kaum mit ansehen, noch zwei Tage, dann nie mehr.

Ich putze meine Wohnung, sagt er, und ich geh Radl fahrn, sagt er, ich schlaf jeden Tag so lang, wie ich will, sagt er, aber wir alle Kollegen wissen, dass er lügt, seit fünfunddreißig Jahren Taxifahrer, da tut man nichts mehr als Taxi fahren, Tag und Nacht und im Traum und beim Wachsein, so ist das.

Er ist immer da am Dallmayr mit der immer gleichen schlechten Laune über das immer gleich schlechte Geschäft, seit fünfunddreißig Jahren, dies tief eingegraben in seinem Gesicht. Er ist sehr tapfer und er wird jeden Tag, der vergeht tapferer, weint nicht, obwohl er gerne weinen würde, immer gestresster und verhuschter gleichzeitig, Was soll ich schon daheim tun, fragt er, da ist sie wieder die Panik in der Stimme. Ich rauch noch eine.

Ich bleibe im Auto sitzen, stehe endlich als Erste in der Reihe, das Fenster offen, tatsächlich ein ziemlicher Scheißsommer, ich nehme den Block und beginne zu schreiben.

Ich sehe ihn, da steht er, mit dem Bäuchlein, von mein täglich Bier gib mir heute und noch eine Flasche Wein hinterher, da steht er, jeden Tag tapferer.

Jetzt kullert mir grad eine Träne über die Backe, fünfunddreißig Jahre, einmal Taxifahrer, immer Taxifahrer, sagt er immer.

Was ist denn Mäusebärin, was musst denn wieder weinen, fragt er, außerdem, was schreibst denn heut wieder, ich rauch noch eine, sagt er, steckt sich die Neue an, tritt die Alte aus, da liegen bestimmt schon zehn Kippen.

Kein Fahrgast weit und breit, sauschlechtes Geschäft, nicht einmal seine alten Damen sind da, Urlaubszeit.

Dann die alte Frau Doktor, endlich.

Löwithstraße, sagt er, kein Trinkgeld, weißt du, wo die Löwithstraße ist? Die muss man nun mal wirklich nicht kennen.

Ich weiß wo die Löwithstraße ist, ich bin da aufgewachsen, sage ich, etwas ungnädig, nicht zum ersten Mal. Er kann es sich nicht merken.

Später bin ich wieder da, auch so eine Wiederholungstäterin, wenn ich in die Stadt komme, fahre ich gerne zum Dallmayr.

Harry ist da, noch eindreiviertel Tage.

Eine alte Dame, ich kenne sie, ich kenne sie, aber wie war das jetzt, wo wohnt die.

Heilmannstraße, sagt er mir, da oben in Solln, du musst die Isar rauf fahren und immer am Asamschlößel erzählt dir die Alte die Geschichte von ihrem erfolgreichen Architektenehemann, die Alte ist 95.

Ach ja stimmt, aber ich kann die alten Damen nicht auseinander halten, für mich sehen die alle gleich alt aus. Doch es ist echt unglaublich, prompt erzählt sie mir am Asamschlößel wieder, dass ihr Mann das Klinikum Großhadern gebaut hat. Fünf Euro Trinkgeld, die Frau erzählt jedes mal in der Kurve zum Asamschlössel die Geschichte von ihrem Ehemann, ja, das ist so gewesen, sagt sie.

Dallmayr wieder, Harry ist da.

Der Alte von der Hochkalterstraße, sagt er, ich packe Tüten und Taschen in den Kofferraum.

Wo ist die denn gleich wieder? Der Hochkalter am Dachstein, aber die Straße?

Hinter der Tela, flüstert Harry mir zu, Tela ist die Abkürzung für Tegernseer Landstraße, die Frau ist 95 und er ist 83, was kriege ich erzählt, ist ja klar.

Wir hatten so ein schönes Leben, aber jetzt ist sie 95 und ich bin 83, ich helf ihr, so gut ich es kann. Sagt mein Fahrgast. Vier Euro Trinkgeld.

Ach Harry, du wirst mir fehlen, ich sitze da und schreibe, wieder kullert eine Träne.

Noch eineinhalb Tage, sagt er. Ich rauch noch eine, er steht als erster, bis ich zurückkomme.

Was schreibst du heute denn eigentlich heute wieder für einen Roman, fragt er, ich würde ich ja schon so gerne mal darin vorkommen, schreibst du mal was über mich?

Ja, Mäuslein, ich schreib mal was über dich. Harry ein Denkmal setzen.

Es eilt ein junger Mann herbei, ich sehe ihn, Google, denke ich, der wir bestimmt –Flughafen- sagen, ich sehe ihn aus den Augenwinkeln. Google hat im Alten Hof ein großes Büro, die kennt man die Typen.

Harry steht als Erster, und ich sage, du der, der sagt Flughafen, der ist von Google.

Google was? fragt Harry, und der Typ steigt ein und Harry macht nur das Siegeszeichen, Flughafen ist wie die Rosine im trockenen Brötchen, eine einzige Rosine, und ein klitze klitze kleines Lächeln rutscht über sein Gesicht, ganz ein kleines Lächeln.

Pass gut auf dich, will ich rufen, aber Harry ist schon weg, pass auf, rufe ich, dass du nicht auf letzt einen schlimmen Unfall baust.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.12.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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