Ines Wertenbroch

Ich will nach Haus

 

Ich will nach Haus

 

 

Es ist Ende März. Die Sonne scheint nach dem langen Winter erstmals warm und die Frühblüher sind wieder aufgetaucht. Es ist Zeit, die Balkonkästen allmählich wieder zu bepflanzen. Ich gehe in den Garten, um die Kästen zu suchen und in die Beete zu schauen, was sich dort tut.

Der Rasen ist noch kurz und vom Winter geschwächt. Dadurch kann ich sehen, dass dort mehrere braune Haufen liegen.

Es reicht! Die Schwiegermutter hat tatsächlich den Hund, auf den sie seit einigen Monaten häufig aufpasst, in den Garten geschickt. Ich habe schon geahnt, dass er dort hinpinkelt, weil der Rasen runde gelbe Flecken hat. Aber das ist zuviel! Sie hat die Haufen einfach liegenlassen!

 

Wir wohnen seit drei Jahren über den Eltern meines Mannes zur Miete. Für den Garten haben sich die Schwiegereltern nie interessiert und so haben mein Mann und ich ihn wieder auf Vordermann gebracht. Wir haben einen Baum gefällt und alte Sträucher herausgenommen. Wir haben Stauden eingesetzt und Frühblüher, damit ab dem Frühling immer etwas blüht. Wir haben das Laub gefegt und Schnee geschippt.

 

Das Verhältnis zu meiner Schwiegermutter ist immer schwierig gewesen. Sie hat sich nie bemüht, mich kennenzulernen und hatte ein Bild von mir, das sie natürlich nicht ändern wollte. Sie hat mit anderen gesprochen, dass ich nicht die Richtige für ihren Sohn sei und sich darüber beschwert, dass wir die Wohnung oben renoviert haben. Sie hätte sich als Hausbesitzerin so ohnmächtig gefühlt. Ihr würden meine Farben auch nicht gefallen. Nur hat sie mir nicht gesagt, dass sie nicht möchte, dass ich in ihr Haus einziehe.

 

Am Tag unserer Verlobung wollte mein Mann seinen Eltern von unseren Hochzeitsplänen erzählen, doch vorher ist ein Zettel von der Schwiegermutter gekommen: sie hätte mir schon mehrfach gesagt, ich sollte samstags und sonntags keine Wäsche waschen und trocknen. Die Maschine rattert so laut, wenn sie schleudert. Natürlich hat sie mir das vorher nie gesagt und schon gar nicht persönlich.

Später ist sie beleidigt, dass sie erst so spät von der Verlobung erfahren hat und bei den Hochzeitsvorbereitungen nicht einbezogen worden ist.

 

Als sie dann ohne Vorankündigung den Hund ins Haus geholt hat, obwohl ich eine Tierhaarallergie habe, habe ich mich völlig unerwünscht gefühlt. Wir konnten so nicht einmal mehr anstandshalber einen Weihnachtstag oder den Geburtstag meines Schwiegervaters zusammen feiern. Der Hund hatte Vorrang.

 

An dem Punkt haben wir angefangen, uns nach einem eigenen Haus umzusehen.

Mein Schwiegervater leidet seit Jahren still und hadert mit seiner „Lebensführungsschuld“. Ändern kann er daran nichts.

Wie oft habe ich überlegt, ob die Schwiegermutter krank ist. Vielleicht bekommt sie Alzheimer oder sie hat eine Depression, weil sie in Rente gegangen ist. Irgendwer hat dann zu mir gesagt, dass sie böse ist und genau weiß, was sie tut. Wir sollten zusehen, dass wir unser eigenes Leben führen.

 

Also haben wir uns auf die Suche gemacht. Im Januar haben wir uns das erste Haus angesehen. Der Makler erzählte, dass nur der Eingangsbereich etwas verschimmelt sei und saniert werden müsste. Es sei aber ein uriges Haus in einer tollen zentralen Lage. An den Tapeten sind die Umrandungen von Bildern und Regalböden zu sehen, weil die letzten Mieter geraucht haben. Die Heizungen sind warm und unter dem abgestandenen Rauch kriecht Schimmelgeruch hervor. Die Räume sind dunkel und die Straße davor stark befahren. Das Gartengrundstück nach hinten ist aber schön.

 

Das nächste Haus einige Zeit später ist ein sehr großer Altbau mit zwei Einliegerwohnungen. Auch wenn das nicht das Haus ist, das wir angedacht haben, sollten wir doch einen Blick darauf werfen, so der Makler.

Im Haupthaus ist jeder Raum weiß gefliest und die Decken sehr hoch. In einigen Räumen steigt vom Boden Schimmel auf. Bei den alten Häusern kommt es vor, dass es noch einen recht nahen Kontakt zur Erde gibt, so dass die Feuchtigkeit der Erde hochsteigt. Da müsste man mit einem Fachmann noch einmal gucken. Aber es sei eine gute Sache, dass man die beiden Einliegerwohnungen vermieten könnte.

 

Ein paar Wochen später haben wir uns ein sogenanntes Renditeobjekt angeschaut. Ein Klinkerhaus von 1960, mit Rohren, Elektrik und einem Badezimmer aus dem Baujahr. Die beiden Wohnungen in dem Haus sind vermietet.

Die Mieter sind sehr nett und wohnen noch nicht lange in den Wohnungen. Sie haben das Laminat selbst gelegt und die Türen mit bunten Tüchern behängt, damit man nicht sieht, dass sie unterschiedliche Holzfarben haben.

 

Im Internet habe ich dann ein Haus gefunden, das ohne Makler verkauft werden soll. Über E-Mail habe ich Kontakt aufgenommen und meine Telefonnummer hinterlassen. Der junge Mann meldet sich dann auch am gleichen Tag. Er studiert und fährt am Wochenende immer nach Hause. Dann könnte man einen Besichtigungstermin vereinbaren. Er muss das am nächsten Wochenende mit seiner Mutter besprechen.

Der Besichtigungstermin hat sich dann noch um vier Wochen hinausgezögert, da bei den Verkäufern immer etwas dazwischen gekommen ist.

 

Von außen wirkt das Haus gepflegt und hat einen schönen Vorgarten.

Als wir in das Haus getreten sind, kommt uns ein kalter Geruch von Männerparfum entgegen. Die Hausbesitzerin, die noch dort lebt, zeigt uns die Räume. Die Armaturen und Fliesen der Badezimmer sind in braun gehalten.

Bis auf das Wohnzimmer wirken die Räume dunkel und kalt. An diesem sonnigen Tag muss man das Licht in der Küche anschalten.

Die als neu deklarierte Einbauküche entpuppt sich als 10 Jahre alt und mäßig gepflegt.

Der Garten um das Haus ist zwar nicht in Form, doch grundsätzlich schön angelegt. Zum Nachbargrundstück gibt es nur einen kleinen Maschendrahzaun.

An diesem Tag sitzen die Nachbarn direkt am Zaun, grillen und lassen ihre Hunde in ihrem Garten heraumlaufen. Einer der Hunde hat uns entdeckt und springt mit lautem Gebell an den Zaun. Mir bleibt fast das Herz stehen.

 

Die Suche nach dem richtigen Haus zieht sich noch bis zum Jahresende hin. Fast hätten wir eines gekauft, doch die alten Mieter sind nicht ausgezogen und so ist der Kaufvertrag nicht zustande gekommen.

Der Makler hat Mitleid mit uns und zeigt uns nach einigen Monaten ein anderes Haus.

Das ist es dann. Es entspricht endlich in jeder Hinsicht unseren Vorstellungen und wir können zwei Monate nach dem Kauf einziehen.

 

In die Wohnung der Schwiegermutter ist dann der Bruder meines Mannes mit seiner Frau und deren Sohn aus erster Ehe eingezogen. Die Frau meines Schwagers ist beim Einzug hochschwanger. Mein Schwager und seine Frau leben in dieser Wohnung zum ersten Mal zusammen, da sie vorher eine Fernbeziehung in Kauf hatten nehmen müssen. Sie hatten von Anfang die Idee, dass sie in unsere Stadt ziehen wollten, wenn sie zusammenziehen würden.

Dennoch haben sie in der Zeit ihrer Fernbeziehung geheiratet und bereits das erste gemeinsame Kind geplant. Mein Schwager, der kurz vor dem Umzug 500 Kilometer von seinen Eltern entfernt gelebt hat, gibt seine unbefristete Arbeit drüben auf und beginnt eine neue in unserer Stadt. Da meine Schwägerin ebenfalls viele Kilometer von unserer Stadt gelebt hat, muss ihr Sohn die Schule wechseln und auch sie muss sich neu zurecht finden.

 

Ein Haus können sie so schnell nicht finden und sind unter dem Zähneknirschen der Schwiegermutter in unsere alte Wohnung gezogen.

 

Das Kind kommt auf die Welt, als sein Vater gerade dabei ist, seine alte Wohnung in der anderen Stadt aufzulösen.

 

Die Monate vergehen Die Suche nach einem Haus für die junge Familie gestaltet sich sehr schwierig. Die Häuser sind renovierungsbedürftig, zu klein, zu teuer oder zu weit weg von allem. Die Stimmung zwischen meinem Schwager und seiner Frau ist oft gereizt. Er ist durch seine Arbeit tagsüber nicht zu Hause. Das Baby schreit und will versorgt werden. Sein großer Bruder fühlt sich zurückgesetzt und hat Schwierigkeiten, sich in der neuen Schule einzufinden. Meine Schwägerin hat kaum noch Kraft und wird immer launischer.

 

 

Inzwischen ist es Ende März. Der erste Frühling in unserem Haus. Die Sonne scheint nach dem langen Winter erstmals warm und die Frühblüher sind aufgetaucht. Es ist Zeit, die Balkonkästen allmählich zu bepflanzen. Ich gehe in den Garten, um die Kästen zu holen und in die Beete zu schauen, was sich dort tut.

 

Da höre ich jemanden meinen Namen rufen. Es ist meine Schwiegermutter.

„Ich brauche ein bisschen Ruhe. Darf ich mich zu dir in den Garten setzen und ein bisschen die Sonne genießen?“

Sie ist außer Atem, ihre Stimme zittert und sie hat Tränen in den Augen.

 

 

 

03.01.2012 

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