Hella Schümann

Erster Brief an Roman


Lieber Roman,
da ich Dich weder schriftlich noch telefonisch erreichen kann, schreibe ich dir einen magischen Brief, einen Brief von Herz zu Herz.
So oft denke ich, wenn ich dir doch erzählen könnte was mich bewegt, oder was ich erlebt habe. Wie gerne würde ich von dir etwas in dieser Richtung hören, wo bist du in diesem Moment, was machst du gerade oder wovon träumst du?
Ich liege gerade im Krankenhausbett und habe viel Zeit zum Nachdenken. Ist es nicht seltsam, dass bei mir jede schöne, reale Geschichte immer ein trauriges Ende hat?
Da ich schon seit 5 Jahren allein lebe und sich alle Feiern für mich sehr trostlos anfühlten, hatte ich die geniale Idee, alles selbst zu gestalten nach meinem Geschmack.  Es fing an bei meinem letzten Geburtstag. Ich kannte den Kellner von einem edlen Weinlokal und dachte, es wäre schön, dort meinen Geburtstag mit mir allein zu feiern. Bernd der Kellner sagte sofort:" Ich decke Dir den Tisch richtig schön ein." Und das hatte er auch getan, mit Rosenblättern und edlen Gläsern(Römer), die Kerze nicht zu vergessen. Ich konnte alles sehr genießen, das schöne Fachwerk, das Gemurmel der Gäste (das gab mir das Gefühl, nicht allein zu sein), die nette, aufmerksame Bedienung und das leckere Essen. Endlich konnte ich auch mal ein Glas Wein trinken, denn ich wollte mit der Taxe nach Hause fahren.
Das Praktische an dem Lokal war, dass die Taxen gleich um die Ecke standen. Leider muss man ja immer die erste Taxe nehmen und das war diesmal ein Fehler, denn kaum war ich eingestiegen, fasste mir der Fahrer auf den Oberschenkel.
"Das möchte ich nicht!" sagte ich energisch. "Was möchten Sie nicht" fragte er zurück. "ICH MÖCHTE NICHT, DASS SIE MICH ANFASSEN".
Hatte er gedacht, die alte Tante kommt allein aus dem Lokal, sie braucht jetzt bestimmt einen Mann, nämlich mich, Türke und Taxifahrer. In solchen Situationen fehlst Du mir, liebster Roman.
Diesen Weihnachten wollte ich mir auch mal ein schönes Fest gestalten, nachdem ich 4 mal allein war,  sollte es dieses Mal ein Fest woanders und mit fremden Leuten sein. So meldete ich eine Reise an: 4 Tage Rügen. Ich wollte fotografieren und der Wetterbericht versprach Regenwetter über Weihnachten hinaus. Wenn auch die Feier am Heiligabend sehr nüchtern und befremdend waren, Ossiweihnachten eben, (ich sorgte dafür, dass überhaupt Musik eingespielt wurde). Die anderen regten sich auf, dass es das im Prospekt versprochene Geschenk nicht gab, der Busfahrer sprach während der Fahrt kein Wort, hinter dem Mann mit der roten Jacke musste die Reiseleiterin herlaufen, obwohl er einen Rollator mithatte, lief er ohne davon und er war so flink, dass es schwer war, ihn einzuholen. Einmal verschwand er hinter einer Hausecke und war nicht wieder zu finden. Die ganze Reisegesellschaft musste auf ihn warten.
Für mich aber war es mein schönstes Weihnachten, ich hatte nette Gesellschaft, wir haben viel gelacht und mit Ingrid (73 J.) bin ich zweimal über die wunderschöne Hängebrücke von Sassnitz gelaufen. Ich habe über 700 Fotos gemacht und sie sind trotz Regen und durch die Scheibe des fahrenden Busses sehr schön geworden.
Nun gab es natürlich wieder zwei Wermutstropfen: Beim Umstieg vom großen in den kleinen Transferbus setzte sich der alte Mann mit der roten Jacke neben mich und während ich noch dachte, hoffentlich stinkt er nicht, sagte er:" Hier ist ja Rauch-und Alkoholverbot und Frauenangrabbelverbot, fügte ich hinzu, weil er meinen Oberarm ergriffen hatte und ich kenne das schon, wenn die Hand dann zufällig an den Busen rutscht, vor allem, weil wir sehr eng gedrängt saßen.
Schon im Bus spürte ich die aufkommende Erkältung. Zu Hause angekommen war mein erster Weg zum Computer und da sah ich Dein kleines Geschenk, Deine Antwort auf meine Mail und Du hast bis Heiligabend gewartet um sie zu schreiben. Wie schön...
Danach konnte ich nur noch meinen Koffer ans Bett stellen und habe dann 3 Tage im Bett gelegen, nur zum Essen bin ich nach unten gegangen. Dann hatte ich ganz viele Engel, die für mich eingekauft haben und Mariola kochte mir Hühnersuppe, bis ich schließlich um 22:30 Uhr den Notarzt rief, der mich dann ins Krankenhaus brachte, Diagnose Lungenentzündung.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.01.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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