Ute Abele

Der Mann aus der alten Zeit




Da ist dieser Mann, der sich fühlt, als sei er von einem grausamen, brutalen Zeitalter direkt in ein anderes hineingeboren. Sagen wir, in die heutige Zeit. Er steht da und staunt, wie rücksichtsvoll die Menschen miteinander umgehen. Wie bedacht man darauf ist, dass es jedem gut geht. Wie sicher man leben kann. Wie man sich gegenseitig alles Gute wünscht. Auch wenn es immer wieder misslingt, gut zu sein, so ist es aber auch oft erfolgreich. Der gute Wille ist die Grundstimmung, wenn auch behaftet mit Mängeln und Fehlern und tausend Unzulänglichkeiten. Jemand sagt ihm: „Wie bitte, hier soll alles schön sein? Aber schau doch hier und dort und da!“

Der Mann schaut, wird ein bisschen betrübt, doch dann schüttelt er lächelnd den Kopf. Er kommt geradewegs aus einer Zeit, in der absolute Willkür herrschte, wo Folter normal war, wo ein Menschenleben keinen Wert hatte. Wo Erbarmen und Mitgefühl unbekannt waren. Wo erhabene arrogante Selbstverliebtheit und Macht auf der einen Seiten und pure Verzweiflung auf der anderen Seite herrschte. Wo man hart und kalt miteinander umging. Es war dunkel, sehr sehr dunkel. Er ist unglaublich erstaunt über das Gute, das er auf einmal in den Menschen sehen kann. Über die Gutwilligkeit. Auch wenn sie oft von einem Hauch dieser alten Zeit durchzogen wird, was ihm nicht entgeht. Er sieht, dass diese Zeit nicht eine vollkommen goldene ist, aber im Vergleich zu dem, was er kennt, ist sie dennoch golden, ist offenbar ein grundsätzlicher Wandel geschehen. Er staunt unendlich. Und weint manchmal vor Freude und Erleichterung darüber. Er sieht bestätigt, was er immer in sich fühlte. Nämlich, dass die Gewaltsamkeit seiner Zeit nur eine hässliche, erbärmliche Fratze war, die vergeht. Und dass unter ihr das zutage kommt, wovon er immer träumte. Denn seine Träume hatte er sich immer bewahrt. Manchmal fällt er in Gedanken und Gefühlen in seine alte Welt zurück. Dann befürchtet er Angriffe, sieht Dunkelheit, bekommt Angst. Muss sich erst wieder erinnern, dass das vorbei ist.

„Aber es ist doch nicht vorbei“, sagt der neue Mensch, der nicht ahnt, was hinter dem Mann liegt. „Wir müssen noch so viel verbessern. Es gibt überall auf der Welt noch Krieg! Es gibt so viel Missgunst. Soviel Machtmissbrauch und Gewalt. Es gibt hungernde Menschen. Es ist nicht besser!“ „Doch“, erwidert der Mann. „Es ist besser, und zwar weil wir davon träumten. Und das, was du meinst, wovon du träumst, und auch zu Recht träumst, das wird sich ebenfalls erfüllen. Genau so wie unsere Träume aus unserer Zeit sich jetzt und hier erfüllt haben. Wenn du willst, bringe ich dich in meine Zeit zurück, dann wirst du es sehen. Willst du mitkommen?“
 





 






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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.01.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Andreas ist seit seiner frühesten Kindheit mit einer schweren unheilbaren Krankheit konfrontiert und musste den größten Teil seines Lebens in Betreuungseinrichtungen verbringen..Das Aufschreiben seiner Geschichte ist für Andreas ein Weg etwas Sichtbares zu hinterlassen. Für alle, die im Sozialbereich tätig sind, ist es eine authentische und aufschlussreiche Beschreibung aus der Sicht eines Betroffenen.

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