Inga Rothe

Der Fremde mit der Geige

© Inga Rothe

Manuela saß da und wußte nicht, wie sie sich und die vier Kinder durchbringen sollte. Der Monat hatte gerade angefangen. Heute gab es noch einmal Nudeln mit Tomatensoße, aber was soll ich morgen kochen?
Seit vier Monaten lebte sie nun getrennt von ihrem Mann, der ihr außer Schulden nichts hinterließ. Das gemeinsame Haus hätte er ihr am liebsten auch noch genommen.
Also einen Dispokredit brauchte sie gar nicht erst zu denken. Eine Hypothek kam auch nicht in Frage, da sie zum Schutze der Kinder diese sogleich ins Grundbuch hatte eintragen lassen.
Ein Blick auf ihrer Uhr zeigte, das die Kinder gleich aus der Schule kamen. Sie ging in die Küche, um das Essen zuzubereiten. Kaum war es fertig, klingelte es auch schon. Die beiden Jungen betraten fröhlich das Haus. Die Älteren kamen erst gegen 16:30 Uhr.
Manuela seufzte, sie beneidete ihre Kinder, so unbeschwert, ohne Sorgen wollte sie auch einmal wieder sein.

Nach dem die Kinder im Bett waren, schlug Manuela die Zeitung auf. So konnte es ja nicht weiter gehen! Sie brauchte Geld und das sehr schnell! Außer Vollzeitjobs fand sie aber nichts.
Sie nahm die Hundeleine und ging mit ihrem Hund hinaus. Wie lange es war, wußte sie nicht mehr.
Plötzlich blieb der Hund stehen und zog zur rechten Seite.
Manuela zuckte aus ihren Gedanken und schaute in dieser Richtung. Sie war in dem Park angekommen und auf einer Bank saß ein Mann. Es war schon ziemlich dunkel, aber im Schein der Laterne konnte sie ihn sehen.
„Na, wer bist du denn? Hast wohl Hunger, dann komm, iß du die Wurst!“ Er reichte dem Hund seine Bockwurst, bevor Manuela etwas sagen konnte.
Sie schaute sich den Mann an, der da in einer schäbigen Jacke saß. Um ihn herum waren lauter Einkaufstüten, die mit allen möglichen Kram gefüllt waren und oben drauf sah sie eine Geige.
„Oh, da ist ja auch dein Frauchen. Hallo, habt ihr einen Spaziergang gemacht?“ sprach er sie mit einer freundlichen Stimme an.
Manuela wollte den Hund zurückziehen, aber der ließ sich von ihm ausgiebig kraulen.
Irgend etwas hielt sie auch zurück.
So kamen sie ins Gespräch. Er erzählte von seinem Schicksal. Seine Frau hatte ihn verlassen. Zum Glück hatten sie keine Kinder. Er mußte für deren Schulden aufkommen und es blieb ihm nichts anderes übrig, als sein Restaurant aufzugeben, in dem er sowieso alleine arbeiten mußte.Das Haus mußte verkauft werden, um so alle Schulden zu tilgen.
Nun stand er da, ohne jeglichen Pfennig und wußte nicht wovon er eine Miete zahlen sollte. Er verkaufte alles, seine Möbel und was eben noch zu Geld gemacht werden konnte.
Alles was er noch besaß, war in diesen Tüten. Noch war er froh, das es Herbst war, was im Winter wird, er wußte es nicht.
Manuela war geschockt. So schnell konnte es gehen und fragte ihn, warum er denn nicht zum Sozialamt gehen würde. „Nein, niemals! Ich habe noch nie Schulden gemacht und das wird auch immer so bleiben! Man hat mir alles genommen, aber nicht meinen Stolz!

Manuela lächelte, ihr ging es ja ebenso. Sie wollte auch nicht zum Sozialamt. Irgendwann müßte sie ja Geld bekommen. Das Kindergeld war neu beantragt, aber es dauerte eben seine Zeit.
Nun kam ihr ihre Situation gar nicht mehr so schrecklich vor, ging es doch anderen Leuten noch viel schlechter!

Der Mann erzählte, am Vormittags geht er in die Stadt und spielt Geige. Es gibt Menschen die reden, die schreiben sich alles von der Seele. Er aber spielte! Danach werfen ihn die Leute Geld zu. Das sei schon schlimm genug, aber da er die Geige sehr gut beherrscht, sehe er es als seinen Verdienst an. Eine Arbeit fand er nicht, obwohl er ja erst 33 war, da er keinen Wohnsitz angeben konnte.
„Tja, so ist das, keine Wohnung, keine Arbeit!“ endete er und schaute Manuela an. „Oh, tut mir leid, ich wollte sie nicht mit meinen Sorgen belasten.“.

Manuela hatte Mitleid mit ihm und fragte, da es anfing zu regnen, ob er nicht Lust hätte, ein Zimmer in ihrem Haus zu beziehen.
Er lehnte ab, denn er könne keine Miete bezahlen. „Das können sie ja später tun. Vielleicht kann man es ja auch mit Leistung verrechnen.“ lächelte Manuela.
„Wie meinen sie das?“ fragte er.
Nun erzählte sie, nachdem sie sich unter einen Baum gestellt hatten, wie es ihr ergangen ist.
Das sie nun da stehe und auch nicht wußte wie es weiter geht. Ihre Gelder auch noch nicht gekommen sind und er sich selber versorgen mußte.

Zwei Menschen also, mit ähnlichen Schicksal, das wenn sie es zusammen anpacken würden, schaffen könnten.

Es ging auf Mitternacht zu und die Beiden wurden sich einig.
Komisch, dachte Manuela, niemals hätte sie gedacht, das sie einmal so handeln würde. Schließlich war das ein völlig Fremder für sie. Wer aber so gut zu Tieren ist, der konnte kein schlechter Mensch sein!

Thorsten, so hieß er, bezog also das Gästezimmer. Er hatte sein eigenes Bad und durfte die Küche mit benutzen.
Morgens wurde er von lautem Kinderlachen geweckt, hielt sich aber bewußt ruhig, weil er ja nicht wußte, ob deren Mutter ihnen schon von ihm erzählt hatte.
Das hatte sie noch nicht, sie wollte bis zum Nachmittag warten. Nachdem die Kinder fort waren, kam Thorsten frisch geduscht und umgezogen in die Küche.
Manuela erschrak, denn so hatte sie ihn noch nie gesehen. Er hatte eine tolle Ausstrahlung und dann seine blaue Augen, die nun ihre trafen. Ihr wurde bewußt, das sie errötete.
Thorsten sah ebenfalls eine schöne junge Frau vor sich, die, wenn auch etwas blass, dünn und ein paar Sorgenfalten um ihren Mund, noch viel jünger aussah.

„Guten Morgen, darf ich mich zu ihnen setzen?“ fragte er höflich.
Manuela goß ihm einen Tee ein, ohne ihn überhaupt zu fragen, um so die peinliche Situation, wie sie es fand, zu überspielen.
„Ich werde gleich in die Stadt fahren, um zu Spielen. Sicher wird es ein fröhliches Konzert, denn ich fühle mich hier pudelwohl.“ sagte er und der Hund lag ihm schon wieder zu Füßen.
„Oh, das ist gut, wir brauchen einen Mietvertrag, den könnten sie da besorgen, dann steht einer Anmeldung nichts mehr im Wege.“ erwiderte sie.

Nachdem er gegangen war, machte Manuela sich an den Haushalt. Gegen 11 Uhr stöberte sie durch die Vorratskammer. Gähnende leere schlug ihr entgegen. Da eine Tüte Zucker, 2 Tüten Mehl, eine Tüte Suppennudeln, das war es. Was nun, fragte sie sich. Im Kühlschrank hatte sie noch 6 Eier und Margarine und Öl.
Wenn sie ein Brot backen würde, reichte das bis morgen früh.
Bevor ihre Kinder verhungern müsse sie nun doch zum Sozialamt gehen und um Almosen betteln, fuhr es ihr durch den Kopf.
Da klingelte es und eine Nachbarin fragte, ob sie Äpfel gebrauchen könne, sie wüßte nicht mehr wohin. So viele Äpfel hatte sie noch nie aus dem Garten geerntet.
Manuela nahm sie dankbar an und zauberte daraus Apfelpfannkuchen.
Bei dieser Menge konnte auch sie mit essen und es blieben auch noch genug für Thorsten.
Als alle Kinder da waren, der Tisch abgeräumt war, setzte sie sich an dem Tisch und bat die Kinder, ihr zuzuhören. Sie erzählte von Thorsten und das dieser jetzt ihr Mieter sei. Allerdings dürfte er auch die Küche nutzen.
Die Kinder zeigten Verständnis. Da ging die Tür auf und Thorsten stand da. So gleich wurde er vom Hund in Beschlag genommen und dadurch hatte er natürlich auch bei allen Kindern ein Stein im Brett.
Als dann endlich am Abend Ruhe einkehrte, saßen Manuela und Thorsten zusammen, um den Mietvertrag fertig zu stellen.
Thorsten griff in seine Tasche und legte ihr 30 € hin. „Das ist erst einmal meine Anzahlung, wenn ich weiter so spiele, werde ich noch reich“ spottete er.
Manuela wolle ablehnen, da er ja nichts mehr hatte, aber Thorsten schob ihr das Geld wieder hin.
„Meinen sie nicht, sie können es besser gebrauchen als ich?“ fragte er. „ich weiß doch wie das ist und dann noch vier Kinder zu ernähren. Außerdem habe ich heute doch köstlich gespeist. Hm, Apfelpfannkuchen.“
Manuela liess sich überreden und nahm das Geld dankbar an. So mit waren wieder ein paar Tage gerettet.

Am nächsten Tag meldete er sich beim Einwohnermeldeamt an. Danach spielte er noch einmal in der Stadt Geige. Es sollte das letzte Mal sein, denn morgen wollte er sich Arbeit suchen.
Es waren himmlische Lieder, so voller Leidenschaft gespielt, das die Menschentraube immer größer wurde.
Thorsten bemerkte es gar nicht, er war einfach in seiner Welt eingetreten.
Als er aufhörte, nahm er seine Umwelt wieder wahr und der Beifall der Menge war überwältigend.
Plötzlich sprach ihn ein Mann an, der vorgab, Leiter eines Musikexembles zu sein. Er war so begeistert von Thorsten, das er ihn fragte, ob er nicht Lust hätte bei ihm zu spielen.
Natürlich sagte dieser zu und man verabredete sich am nächsten Abend.
Fröhlich kam Thorsten nach Hause und erzählte es sofort Manuela.
„Es scheint unser Glückstag zu sein, lachte sie, denn auch ich habe heute meine Gelder bekommen!“

Endlich wurde das Leben wieder erträglich. Thorsten hatte viel Erfolg und hatte eine große Karriere vor sich. Er wohnte immer noch bei Manuela, da er meisst abends auftreten mußte, hatte er tagsüber viel Zeit. Er half ihr das Haus instand zu halten und war nützlich wo er nur konnte.
Sie aber machte sich Gedanken, was ist, wenn er sich eine eigene Wohnung nahm, jetzt wo er es doch geschafft hatte. Sie wurde immer trauriger und das fiel auch Thorsten auf.
Er konnte es sich gar nicht erklären. Sie war ihm doch in all den Monaten so vertraut geworden.
„Sag mal Manuela, wie wäre es, wenn wir das Sie weglassen?“
Sie war damit einverstanden und Thorsten lud sie daraufhin zum Essen ein, als er seinen freien Abend hatte.
Sie betraten ein wunderschönes, urgemütliches Restaurant, am Ende der Stadt. Manuela viel auf, das er wohl öfters hier gewesen sein mußte, denn man kannte ihn und grüßte sehr freundlich.
Nach dem Essen fragte Thorsten, was denn nun mit ihr los sei.
„Willst du, das ich bei euch ausziehe? Ich verstehe das ja, schließlich bin ich so etwas wie ein Eindringling in eurem Reich.“
Also doch, dachte sie und es war, als wenn jemand sie in die Tiefe zog.
„Wenn du meinst, kann ich dich daran nicht hindern, du bist ja eigentlich nur unser Mieter und mußt selber wissen, was du willst.“ entgegnete sie zaghaft.
„Also ich soll dir sagen was ich will. Willst du es wirklich wissen?“ fragte er und nahm ihre Hand. Manuela konnte nichts sagen, ihr Herz schlug wie wild.
„Ich möchte bei dir, nein, bei dir, den Kindern und dem Hund bleiben. Vielleicht magst du mich ja auch ein wenig und wir könnten, wie das Schicksal uns schon zusammengeführt hat, zusammen bleiben.“ So, nun ist es raus, dachte Thorsten und schaute Manuela fragend an.
Diese bekam immer noch keinen Ton hervor. Dachte zurück, an den Abend, als sie sich kennengelernt hatten. Was ist aus ihm geworden, oder war er schon immer so?
„Manuela, warum sagst du nichts?“ Sie schreckte aus ihren Gedanken.
„Ja, Thorsten, ich möchte es auch. Ich kann mir ein Leben ohne Deine Anwesenheit nicht mehr vorstellen und dachte schon, irgend wann wirst du uns verlassen wollen.“ hauchte sie.
„Was denkst du von mir, ich glaube, ich habe mich in dich verliebt und wollte die Situation nicht ausnutzen. Aber denke noch einmal in Ruhe darüber nach. Übrigens, das hier ist mal mein Restaurant gewesen und wer weiss, vielleicht kaufe ich es mal zurück, das Recht habe ich und wir beide bauen uns hier unsere gemeinsame Existens auf, aber nur, wenn du es möchtest.!“
Manuela konnte ihr Glück nicht fassen und konnte nur noch schweigend seine Hand nehmen. Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen, aber hier in dem Restaurant, nein, sie hielt sich zurück.
Als sie wieder auf dem Heimweg waren, sagte Thorsten: „Der Hund bekommt von mir eine extra Wurst, denn ohne ihn, hätte vielleicht auch das Schicksal einen anderen Weg genommen.!“
Manuela blieb stehen und legte ihren Kopf an seine Schulter. Nur der Mond sah ihre Glücksträne.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.03.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Aus dem Wald in die Pfanne ... Tief unterm Büschel Gras versteckt, mit einem Blatt noch abgedeckt, beobachtet ein Pilz im Wald so manch befremdliche Gestalt. Sie schlurfen, ein paar trampeln auch, in Stiefeln und 'nem Korb vorm Bauch, das scharfe Messer in der Hand, den Blick zum Boden stets gewandt. Ein Freudenschrei, ein scharfer Schnitt, so nehmen sie Verwandte mit; und der versteckte Pilz, der weiß, im Tiegel ist es höllisch heiß. So brutzeln aber will er nicht! Da bläst ein Sturm ihm ins Gesicht, es rauscht und wirbelt ringsherum, schon bebt der Wald - ein Baum fiel um. Genau auf seinen Nachbarn drauf. Das ändert seinen Denkverlauf: "Welch übles Ende: Einfach platt! Da mach' ich lieber Menschen satt." Drum reckt er sich aus dem Versteck, er will jetzt plötzlich dringend weg: "Vergesst mich nicht! Ich bin gleich hier und sehr bekömmlich, glaubt es mir."

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