Tim Pfennig

Nur ein wenig Freundlichkeit

Der Wecker surrte, der Beginn einer neuen, trostlosen Woche. Herr Meier stand wie jeden Arbeitstag pünktlich auf. Wenn auch inzwischen nicht mehr ganz so gerne wie vor einigen Jahren. Er sprang unter die Dusche, zog sich an und frühstückte noch schnell eine Kleinigkeit. So wie er es jeden Tag die letzten Jahre machte. Er schaute auf die Uhr: „Ach, wie die Zeit wieder verfliegt“, schnell schnappte er sich seinen grauen Hut. Jener Hut, welcher ihn die letzten Jahre zur Arbeit stets begleitete.

Er ließ die Wohnungstür hinter sich ins Schloss fallen und ging wie jeden Tag die kurze Strecke bis zur Haltestelle zu Fuß. Auf dem Weg dachte er wieder an jenen Busfahrer, welcher ihn täglich mit der fehlenden Freundlichkeit begrüßte. Manchmal dachte er daran, lieber das Geld für ein Taxi auszugeben, nur um nicht jeden Tag in das gleiche grimmige Gesicht dieses Busfahrers schauen zu müssen.

Kaum zwei Minuten wartete er an der kleinen Haltestelle und da kam auch schon der große Omnibus der Linie 9 um die Ecke. Wie jeden Tag die letzten Jahre fuhr er schnell heran, um dann sehr abrupt zu stoppen. Die vordere Tür öffnete sich und Herr Meier stieg ein, die Monatskarte bereits in seiner rechten Hand. In der linken seine Aktentasche.
„Fahrkarte“, murmelte der Busfahrer in einem pampigem Ton. Herr Meier dachte sich nur, dass der Fahrer ihn nach den ganzen Jahren langsam kennen sollte. Jeden Tag zeigte er ihm schließlich seine Monatskarte. Kommentarlos hob er die Hand mit dem Fahrschein und ging dann in den hinteren Teil des Busses. Strafte den Fahrer im vorbeigehen mit einem verachtenden Blick.
Noch bevor er seinen Platz erreichte, schloss sich die vordere Tür und der Busfahrer stieg auf das Gaspedal. Durch den rasch anfahrenden Bus stolperte Herr Meier und konnte sich gerade noch mit einem schnellen Griff an die Haltestange fangen. Sein grauer Hut fiel jedoch zu Boden. Er blickte mit einem zornigen Blick nach vorne zum Fahrer, doch dieser schenkte ihm keinerlei Beachtung. Wütend hob Herr Meier seinen grauen Hut auf, klopfte den Dreck ein wenig ab und setzte sich.

Nach wenigen Stationen erreichte er sein Ziel. Er drückte den Halteknopf, der typische Signal Ton erklang. An der hinteren Tür wartend, kam Herr Meier erneut durch das starke Abbremsen ins Schwanken. Diesmal hatte Herr Meier in wissender Voraussicht vorher nach einem festen Halt gesucht. Trotzdem regte er sich erneut auf. „Kann dieser Mensch nicht einfach ein wenig sachter Bremsen“, dachte er sich. Die Tür öffnete und er stieg aus.

Er ging mit eiligen Schritten die letzten paar Meter zu seinem Arbeitsplatz. Der Bus stand bereits dort, fertig für den Fahrerwechsel. Herr Meier stieg mit dem gleichen genervten Blick ein wie jeden Tag. Er nahm seinen grauen Hut ab und setzte sich auf den Fahrersitz.
Eilig schloss er die Tür, trat aufs Gaspedal und setzte die Fahrt der Linie 9 fort. Nach wenigen Metern bog er um die Ecke, wo wie jeden Tag dieser komische Fahrgast mit dem leicht dreckigen, grauen Hut auf ihn wartete.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.01.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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