Iris Klinge

Afrika, mon Amour

Seit ich mich erinnern kann, spielte Afrika eine Rolle in unserer Familie.
Es fing damit an, dass meine Tante in jungen Jahren mit einem Hamburger Import-Export Kaufmann in einen entlegenen Winkel Afrikas auswanderte. Es war die Insel Fernando Poo, damals noch eine spanische Kolonie, im Golf von Guinea gelegen gegenüber des bekannten Mount Kamerun auf dem Festland.
Ich bekam regelmäßig Post aus Afrika, große Umschläge mit vielen bunten Briefmarken beklebt. Meine Tante erzählte mir damals von ihren Erlebnissen mit dem schwarzen Personal. So ertappte sie ihren Koch eines Tages, wie er die hartgekochten Eier, die mit seinen schmutzigen Händen geschält worden waren, durch die dicken Lippen zog, um sie wieder schön weiß werden zu lassen.
Wenn meine Tante bei uns zu Besuch war, hatte sie die Angewohnheit, in die Hände zu klatschen, wenn sie unsere Dienste in Anspruch nehmen wollte, wie z.B. ihr ein Bad einzulassen. Ich kam mir vor, wie ihr persönliches Stubenmädchen, das auf Abruf zur Verfügung zu stehen hatte. Aber ihre lustige Art machte allen Ärger wieder wett, wie z.B. wenn sie einen Ring verlor und uns indirekt beschuldigte, ihn geklaut zu haben. Irgendwann fand sie ihn dann in ihren Sachen wieder.
1956 schwappte der Mau-Mau- Aufstand von Kenia über Nigeria auch auf die Insel Guinea Espagnola über. Es wurden alle Europäer, die gerade anwesend waren, geköpft. – Mein Onkel war schon vorher an Malaria gestorben. Meine Tante hatte Glück, denn sie fuhr gerade auf einem Schiff in Richtung Europa. Sie sollte nie mehr in ihre Wahlheimat zurück kehren.
Aber mir war es vergönnt, viele Jahre später als verheiratete Frau mit zwei kleinen Kindern in diesen gottverlassenen Winkel von Afrika zurück zu kommen, weil mein Mann den Auftrag von der Internationalen Seezeichen Konferenz hatte, die ganze Westküste Afrikas abzuklappern, um dort die Leuchttürme und Seezeichen aufzulisten, die z.T. verschiedene Systeme hatten - englische, französische, spanische und portugiesische - und entweder veraltet waren oder überhaupt nicht mehr funktionierten.
Nach einer langen Terrorzeit unter dem damaligen Diktator, der keinen einzigen Europäer auf seine Insel ließ, war das Land umgetauft worden in „Bioko“ und restlos am Boden zerstört. Es funktionierte nichts mehr, kein Strom, keine Wasserversorgung, die Plantagen verwüstet. In seiner Not bat der Diktator dann den europäischen Entwicklungsdienst FED um Aufbauhilfe und ließ die ersten Weißen auf seine Insel. Wir waren einige der wenigen, die das Eiland betreten durften.
Die Verhältnisse in der Hauptstadt Malabo - früher Santa Isabel genannt – waren haarstäubend. Punkt 18 Uhr mit Sonnenuntergang versank die Stadt in totaler Dunkelheit. Morgens sahen wir, wie die Frauen an Wasserlöchern in der Straße mit Eimern ihr Trinkwasser holten und auf dem Kopf schaukelnd davontrugen. Das Haus meiner Tante direkt am Hafen stand noch immer unverändert da und war inzwischen von einem Schwarzen bewohnt, der es sich angeeignet hatte. Auch die Möbel waren noch die von damals. Ich hatte viele Fotos und konnte vergleichen. Der neue Besitzer machte mir ein Angebot: ich sollte das Haus wieder in Besitz nehmen - meine Tante war inzwischen in einem Heim für mittellose Rentner in Deutschland verstorben - und alles restaurieren, vor allem Wasser und Strom installieren. Ich lehnte dankend ab, und wir waren froh, als wir die Insel wieder unversehrt verlassen konnten. Ein schöner Spruch in Afrika lautete: „Töte keinen Weißen, denn die sind gezählt. Das würde auffallen.“
Und die Eindrücke, die mein Sohn in frühen Jahren von diesem faszinierenden Kontinent bekam , haben auch sein Leben entscheidend geprägt. -Er verbrachte sein erstes Schuljahr unter einer Palme bei einer jungen französischen Lehrerin, die er abgöttisch liebte. Dort hatte sie eine kleine Privatschule eingerichtet. Sein Französisch rettete ihm dann später das Leben, als er bei der Ausbildung als Fallschirmspringer (an Stelle von dem damals obligaten Militärdienst) neben einem wichtigen französischen Militär im Flugzeug sitzen durfte, um zu übersetzen. Das andere Flugzeug, in dem er normalerweise gesessen hätte, stürzte in den Voralpen ab.

Als Pilot fing er dann nach Beendigung seiner Ausbildung an, für Krankenhäuser in Nigeria Material und Medikamente zu transportieren, die ihm von deutschen Stellen zur Verfügung gestellt wurden. Es entstand eine gemeinnützige Organisation, um vor allem der Landbevölkerung in entlegenen Gebieten zu helfen. Ohne damit zu rechnen bekam er dann von einigen Häuptlingen Geschenke in Form von alten Bronzefiguren, die alle nach dem Prinzip der verlorenen Form hergestellt worden waren, d.h. in Wachs geformt, dann mit einem Lehmmantel umgeben, in die die geschmolzene Bronze gegossen wurde. Jede Figur war einmalig und nicht reproduzierbar.
Er baute sich im Lauf der Jahre eine Sammlung von antiker Kunst aus Nigeria auf, für die sich dann Museen aus der ganzen Welt interessierten. Es entstand ein reger Austausch, denn für Ausstellungen lieh mein Sohn seine Kunstschätze an die verschiedenen Museen aus.
Die Liebe meiner Familie zu Afrika ließ uns mit dem Auto an den Rand der Sahara fahren, wo wir dann auf Kamele umstiegen und einige Tage mit den Nomaden durch die Wüste zogen, nachts mit ihnen am Lagerfeuer saßen, bevor der Schlaf uns übermannte und wir auf dem Sand in Decken gehüllt einschliefen, denn es wurde nachts lausig kalt, während uns tagsüber die Sonne versengte.
Die abgelegten Kleider unserer Kinder waren ein willkommenes Gastgeschenk und wurden von den Frauen mit Silberschmuck als ungewollte Gegenleistung honoriert. Die Armreifen und Halsketten bestanden aus geschmolzenen Maria-Theresia-Talern, mit denen in jener Region Tauschhandel zum Ankauf von dringend benötigten Waren getrieben wurde. Lediglich meine wenigen Goldringe wurden zum Objekt der Begierde bei den jungen Mädchen, die sie mir abzuschwatzen versuchten, weil sie so gut wie keinen Zugang zu Gold hatten.

Kurz bevor die Nelken -Revolution über Angola hereinbrach, besuchten wir noch die Etoscha Pfanne mit einem Geländewagen kreuz und quer durch die Steppe, um die vielen Tiere zu beobachten, die es damals noch dort gab, bevor sie den ausgehungerten Wilderern zum Opfer fielen. In der Namib Wüste lagen die Halbedelsteine wie Rosenquarz in riesigen Bergen herum, und jeder konnte sich so viele mitnehmen, wie er für die Abgrenzung seines Gartens benötigte. Der Sternenhimmel in der Wüste war überwältigend. Kein künstliches Licht verdunkelte den Blick auf das Universum mit einer Unmenge von Meteoriten und Sternschnuppen. Das Kreuz des Südens strahlte uns an, und wir wussten, dass wir nie mehr von diesem Kontinent los kommen würden.
Was heute in vielen Gegenden Afrikas geschieht, die Ausbeutung der Bodenschätze in skrupelloser Weise stimmt mich sehr traurig, denn die Bevölkerung leidet weiter unter Hunger und Armut, während sich einige Großkonzerne rücksichtslos bereichern, und sie haben leider die afrikanischen Staatsmänner durch Bestechung auf ihre Seite gebracht.
Wie lang wird das noch weitergehen? Wann werden das afrikanische Volk anfangen sich zu wehren, so wie sie es damals gegen die Kolonialmächte getan haben. Nur heute ist die Ausbeutung legalisiert und geschieht unter den Augen der Großmächte.
Auch in Südamerika, wo ich inzwischen lebe, wird die Schere zwischen Reichen und Armen immer größer, auch hier nehmen die Kriminalität und Drogensucht rasant zu, auch hier ist Handlungsbedarf, doch meine Liebe gehört weiterhin dem afrikanischen Kontinent.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.01.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Zwei sensible Frauen, die sensible Gedichte schreiben. Beide schürfen tief. Da bleibt nichts an der Oberfläche. Beide schöpfen aus ihrem emotionalen Reichtum und ihrem souveränen Umgang mit Sprache. Dabei entfalten sie eine immer wieder überraschende Bandbreite: Manches spiegelt die Ästhetik traditioneller formaler Regeln, manches erscheint fast pointilistisch und lässt viel Raum für die eigenen Gedanken und Empfindungen des Lesers. Ein ausgefeiltes Sonett findet sich neben hingetupften sprachlichen Steinchen, die, wenn sie erst in Bewegung geraten, eine ganze Lawine von Assoziationen und Gefühlen auslösen könenn. Bildschön die Kettengedichte nach japanischem Vorbild! Wer hier zunächst über Begriffe wie Oberstollen und Unterstollen stolpert, der hat anhand dieser feinsinnigen Texte mit einem Mal die Chance, eine Tür zu öffnen und - vielleicht auch mit Hilfe von Google oder Wikipedia - die filigrane Welt der Tankas und Rengas zu entdecken. Dass Stefanie Junker und Monika Wilhelm sich auch in Bildern ausdrücken können, erschließt an vielen Stellen eine zusätzliche Dimension [...]

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