Iris Klinge

Nori vom Orinoco

Die venezolanische Regierung bat 1979 um Unterstützung aus Deutschland, um im Orinoco Gebiet die dort lagernden Bauxit Vorkommen ausfindig zu machen. Den oberen Teil des Orinoco konnte man damals noch nicht mit dem Schiff erkunden, da sich das Flussbett ständig veränderte durch die vielen Sandbänke, die sich während der Regenzeiten bildeten und ein Ausbaggern der Fahrrinne unmöglich machten. Die einzige Möglichkeit, die Lagerstätten des Bauxits zu erkunden, war aus der Luft.

Mein Mann wurde als Experte für diesen Auftrag nach Venezuela geschickt, und ich begleitete ihn als seine Dolmetscherin.
Der Zoo Direktor von Caracas hatte eine kleine Cesna, mit der er uns durch das Dschungelgebiet fliegen sollte.
So starteten wir eines Tages im Dezember auf unseren Flug ins Abenteuer.  Tagsüber wurde der Fluss von oben fotografiert, abends landete unsere kleine Maschine auf einer Graspiste neben einem der kleinen Dörfer, die nur per Boot zu erreichen waren, denn Straßen gab es so gut wie keine.

Wir schliefen in Hängematten, die uns von den Einheimischen zur Verfügung gestellt wurden.

In einem dieser Dörfer lebten etwa 20 Papageien auf den Bäumen rings um den Dorfplatz. Es waren Gelb-Stirn-Amazonen, die bei Einbruch der Dunkelheit pünktlich um 18 Uhr von ihren Bäumen herunter kamen, um sich über die Abfälle der Fischmahlzeiten herzumachen, die ihnen die Bewohner dort hingeworfen hatten

Alle lebten paarweise zusammen, nur ein einziger junger Papageien Mann hatte keinen Partner. Er kam vertrauensvoll zu mir und setzte sich auf meine Schulter, von der er nicht mehr weichen wollte. Es war wohl Liebe auf den ersten Blick.

Kurz entschlossen kaufte ich den Bewohnern zu einem lächerlich geringen Preis diesen seltsamen Gast ab, der mich für den Rest der Reise begleitete und mit uns das Essen teilte.
Dann kam der entscheidende Moment, als wir ins Flugzeug nach Frankfurt steigen mussten. Nori, so hatten wir ihn getauft, kroch unter meine Winterjacke  und verbrachte die langen Stunden des Fluges ohne einen Piepser an mich gekauert. Bei der Ankunft in Deutschland setzte ich ihn in meine Tasche, die durch die Fotoanlage geschoben wurde. Just in dem Moment, als Nori unter der Bestrahlung saß, stoppte der Mann das Band und fing an, sich mit jemand zu unterhalten. Ich saß wie auf Kohlen und zog schließlich die Tasche samt Inhalt aus der Anlage heraus. Alles war noch einmal gut gegangen, doch heute würde eine solche Schmuggel-Aktion sicher nicht mehr möglich sein.

So landete Nori vom Orinoco in Deutschland und wurde schnell ein wichtiges Mitglied der Familie. Er durfte frei im Garten herumfliegen und begleitete uns auf die Flohmärkte, wo er die Attraktion an unserem Verkaufsstand war. Wenn jemand mit einem Eis in der Hand vorbei ging, stürzte er sich auf die Waffel, denn das war seine Lieblingsspeise. Zuerst war der Schock groß, wenn der Ahnungslose plötzlich einen Papagei auf seiner Hand sitzen hatte, doch dann löste sich schnell die Spannung und machte einem Lachen Platz. Nori wurde sogar von einem Journalisten fotografiert und bekam ein Bild in einem Buch über Bonn.

Leider dauerte das schöne Leben in unserer Familie für ihn nur wenige Jahre, weil mich die Sehnsucht nach der Ferne dazu brachte, eigene Wege zu gehen und auszuwandern. Schon bald zog eine andere Frau in unser Haus ein. Nori mochte sie von Anfang an nicht, vielleicht auch, weil sie Angst vor ihm hatte. Die Lage spitzte sich so zu, dass diese Frau eines Tages den armen Papagei samt Käfig die Kellertreppe hinunter warf.

Für Nori musste ein neuer Platz gefunden werden. Eine ältere Nachbarin war bereit, ihn zu übernehmen. Die beiden wurden ein Herz und eine Seele. Nori bekam morgens sein Frühstück auf einem Teller sitzend am Tisch serviert, fraß brav sein Butterbrot mit Marmelade und auch mal ein hartes Ei, mittags gabs Kartoffeln und Gemüse, ab und zu mal einen Hühnerknochen zum Abnagen, den geschickt in einer Pfote hielt, um das Mark heraus zu pulen.
Er lebte als vollwertiger Gefährte mit seiner neuen Partnerin zusammen, saß beim Fernsehen auf ihrer Schulter und fühlte sich anscheinend als Mensch.
Ich schätze, diese Beziehung hat der inzwischen über 90 jährigen Frau ein sinnvolles Alter beschert und sie bei bester Gesundheit erhalten. Wenn ich die beiden heute noch manchmal besuche, erkennt Nori mich sofort und begrüßt mich mit lautem Freudengeschrei.

Jetzt stellt sich jedoch die Frage, was passiert, wenn eines Tages eine Veränderung eintritt und die gute Fee Nori nicht mehr versorgen kann. Niemand von unserer Familie wohnt mehr in ihrer Nähe. Wir sind alle irgendwo im Ausland unterwegs. Auch hat sie niemand, der den armen Nori übernehmen kann. In einem Zoo würde er sicher sterben, denn die Ernährung mit weicher Kost hat ihn so alt werden lassen. Die Körner, die wir den armen Papageien füttern, sind viel zu hart und schädigen ihren Magen. Im Urwald ernähren sie sich von Früchten und Palmnüssen.

Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn ich Nori wieder nach Südamerika zurückbringen würde. Sozusagen recycling. Das Problem ist nur, dass er keine Papiere hat, keinen Nachweis seiner Herkunft, und die Behörden ihn wahrscheinlich noch immer als Gefahr für die Papageienkrankheit ansehen würden, was absolut lächerlich wäre, doch leider in Deutschland eine Realität.
 
So wünsche ich mir, dass er im Ernstfall eine neue Pflegefamilie findet, die ihn genau so liebt wie seine letzte gute Fee,  und dass er genau so glücklich  weiterleben kann wie  die letzten 34 Jahre. Das Leben eines Papageis ist normalerweise sehr lang.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.01.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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