Eveline Schönwald

An meinem letzten Tag

Wenn nichts mehr bleibt von deinen Träumen. Der Kampf ums Leben sinnlos wird, dann wird sie unendlich groß, die Sehnsucht nach dem Tod. Doch er will dich nicht erhören. Er weiß doch dass es keine Hoffnung gibt. Warum also tut er dir und deiner Familie dieses Leid nur an.
Die Nähe deiner Liebsten, die ihre eigene Hilflosigkeit hinter einem gequältem Lächeln vor dir verbergen, du kannst es nicht ertragen.
Das Lachen deiner Kinder, es tut dir nur noch weh. Dieser Schmerz übertönt sogar die Schmerzen der Krankheit, die sich durch deinen Körper frist. Denn er kommt aus dem Innern deines Herzens und droht es zu zerreißen.
Deine Familie, vor allem die Kinder haben dich bisher im Leben gehalten. Alles hast du versucht und nun ist doch alles so sinnlos…
„Noch ein halbes Jahr“, sagte der Arzt. Hoffnung endgültig bei Null. Die Gedanken und die Gefühle wirbeln durcheinander.
Nur noch ein halbes Jahr und die meiste Zeit davon in einer Klinik. Wie ertragen es dann die Anderen? Soll ich es uns lieber ersparen? Die Zwiesprache mit dir, sie hilft dir nicht weiter. Denn:
Jetzt einfach gehen, ohne ein Wort? Nein, denn ein Gehen ohne Abschied ist wie eine feige Flucht. Und feige warst du im Leben nie. Auch nicht mit dem eigenem Tod vor Augen, jahrelang.
Diese Gedanken lassen mich nicht mehr los. Ich muss darüber reden. Aber mit wem?
Mit meiner Frau, das geht nicht, weil sie es nicht verstehen würde, meine plötzliche Sehnsucht nach der Endgültigkeit. Sie würde daran zerbrechen. Dabei braucht sie doch alle Kraft für unsere Kinder. Sie sind doch noch so klein und hilflos…
Wer versteht, was und wie ich mich jetzt fühle und wer erträgt mit mir meine letzte Entscheidung?
Und wer ist hinter her für meine Familie da. Erklärt ihnen meinen Weggang?
Meine Gedanken gehen von Freund zu Freund, aber ich kann keinen finden, der stark genug dafür ist. Oder vielleicht doch! Aber kann ich ihr, die selbst schon kurz davor war, für immer zu gehen, diese Last und Verantwortung aufbürden?
Ich sehe sie vor mir. Ihre Augen, die immer mehr sagen, als ihr Mund.
 
Ratlos laufe ich durch die Straßen der Stadt. Das Leben ringsumher nervt mich, obwohl ich es nicht wirklich bewusst aufnehme.
Plötzlich ist da ein ätzender Ton, dass quietschen der Bremsen des Autos, vor dem ich gerade stehe holt mich in die Realität zurück. Es scheint so, als hätte sie dieses Auto geschickt, um zu sagen: „Komm, ich bin für dich da…“ Es ist ein merkwürdiges Gefühl, aber ich fühle mich jetzt einfach nur erleichtert. Denn ich kenne nun mein nächstes Ziel.
Wo hab ich jetzt nur das blöde Auto geparkt. Suchen sehe mich um, denn ich weiß nicht, wo ich gerade bin. Egal jetzt muss ich schnell zu ihr. Aber ist sie überhaupt daheim, denn normalerweise ist sie um diese Zeit unterwegs. Da ist eine Telefonzelle, mit zittrigen Händen wähle ich ihre Nummer. Endlosen rennen die Sekunden dahin. Dann, erleichtert höre ich ihre Stimme: „Hallo?“ Sie ist da, aber ich bekomme keinen Ton heraus und lege einfach wieder auf… Sie ist daheim und nur das ist es, was jetzt zählt. Wo ist jetzt nur das Auto.
Fast eine halbe Stunde vergeht und ich stehe davor.
Viel zu schnell rase ich durch die Stadt, denn zu groß ist meine Angst sie nun doch nicht anzutreffen. Da ist ihre Straße. Ihr Haus. Nur der Platz wo sonst ihr Wagen steht ist leer.
Aber da öffnet sich, wie von Geisterhand die Tür des Hauses. Da ist sie …
Noch nie war ich so schnell aus meinem Auto raus.
 
Sie steht lachend da, aber ihr Lachen erstirbt in ihrem Gesicht. Mit schnellen Schritten gehen wir aufeinander zu. Und zum ersten Mal im Leben liegen wir uns in den Armen.
Kein Wort kommt über unsere Lippen. Wir halten uns nur aneinander fest, so als würden wir uns sonst verlieren…
Spüre wie mir die Tränen über die Wangen rinnen. Erschreckt fährt sie zusammen, als ich das Schluchzen nicht mehr unterdrücken kann. Schweigend nimmt sie meine Hand und geht mit mir zu meinem Auto. Sie öffnet die Beifahrertür und schiebt mich hinein, denn ich hatte vergessen in der Eile abzusperren…
Die Fahrt führt uns zu unserem Ort im Wald ….
 
Wenig später gehen wir schweigend den schmalen Weg entlang. Plötzlich spüre ich ihre kalte Hand in meiner. Es ist wie früher an ihrem Krankenbett. Nur war ich es, der damals ihre Hand in der Klinik einfach nahm, um ihr Trost zu geben.
In mir brodelt es, denn ich spüre dass sie jetzt meine Beschützerrolle übernimmt. Ein Lächeln fliegt über mein Gesicht, bei diesen Erinnerungen an früher. Und ich fühle mich einen Augenblick, wie schwerelos. Möge dieser Zustand ewig bleiben.
Doch dann bleibt sie stehen und schaut mich, mit ihren Augen fragend an. Dieser Blick, ist so offen und fordernd. Wie sieht es erst aus, wenn ihre Augen voller Glück strahlen. Ich würde im Augenblick sonst was dafür geben, könnte ich es nur einmal sehen. Warum überkommen mich jetzt diese Gedanken?
„Was ist mit dir?“ ihre Frage holt mich in die Realität zurück. Und für einen Moment schäme ich mich für meine Gedanken.
„Warum bist du ausgerechnet hier her gefahren, Eve?“ Diese Frage hätte ich mir eigentlich sparen können, denn hier waren wir schon oft. Immer dann, wenn sie nicht mehr weiter wusste. Es war unser Ort des Vergessens.
Doch statt einer Antwort, schaut sie mich einfach nur ganz traurig an. Und plötzlich ist sie wieder da, die Angst. Mein Hals wird enger und in meinen Augen sammeln sich die ungeweinten Tränen.
Sie legt ihren Arm um mich und beginnt ganz leise eine Melodie zu summen. Noch nie im Leben war sie mir so nah, wie in diesem Moment. In diesem Augenblick sind wir eins, im gemeinsamen Schmerz und der Angst um das Leben.
Und zum ersten Mal überhaupt kann ich meinen Tränen freien Lauf lassen und ich schäme mich nicht dafür.
„Franky, bitte rede endlich, denn es tut mir weh dich so zu sehen.“, höre ich leise ihre fordernde Stimme und ich weiß, jetzt muss ich es ihr sagen: „Eve ich brauche dich und du musst mir helfen zu gehen.“
Zornig springt sie auf und schreit mich mit zornigem Blick an. „Nein!“ Mehr als bestimmend klingt dieses Wort. Es ist wie ein Peitschenhieb, der mich trifft. „sag endlich was los ist, sonst bin ich weg“, schimpft sie.
Und endlich sprudeln die Worte, wie ein Wasserfall aus mir heraus. Und während ich mir alles von der Seele rede, setzt sie sich wieder ganz nah an meine Seite. Streicht mir mit sanftem Druck über den Rücken. Und es tut so gut.
Und je mehr ich rede, umso besser geht es mir. Ich fühle mich erleichtert und frei...
Ich weiß jetzt, sie wird für meine Frau und die Kinder da sein. Auch wenn ich  mein gerade gemachtes Versprechen brechen muss. Irgendwann wird sie es verstehen und mir verzeihen....


Nachtrag: Ich habe diese Geschichte aus der Sichtweise meines besten Freundes geschrieben. Er hieß Frank und beendete am 17.09.1995 sein Leben, weil es für ihn keine Chance, gegen den Krebs mehr gab.
Ich schrieb sie für seine Familie und mich selbst, zur Erinnerung und gleichzeitig auch als Mahnung.
Auch wenn die eigene Situation aussichtlos ist, so gilt es umso mehr auch bis zum Ende füreinander da zu sein. Aber nur sehr wenigen Betroffenen gelingt es wirklich, weil sie für ihre Angehörigen nicht zur Last werden wollen. Frank sagte damals zu mir:  "Meine Kinder sollen sich später an meine Lebenfreude erinnern und nicht an einen Menschen, dessen Leben nur durch Maschinen erhalten wurde..."

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.01.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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