Alfred Hermanni

Bekifft in Deutschland- Der Mord, der keiner war

 

 

von Alfred Hermanni 22.01.2012 Alle Rechte vorbehalten

 

Es war einer dieser heißen Sommertage, wo alles still zu stehen schien.

Die Luft in der Wohnung war zum Ersticken schwül und kein Lufthauch brachte durch die offen stehenden Fenster auch nur ein Zipfelchen Abkühlung.

Obwohl ich in einem Haus am Waldrand wohnte, über einen Kilometer von der nächsten Straße entfernt, war die Hitze kaum auszuhalten.

Auch der nahe am Haus gelegene See half nicht die Temperatur zu senken.

Platt und lustlos lag ich zu Hause auf dem Sofa und beobachtete den sich langsam drehenden Deckenventilator, als die Türglocke bimmelte.

Ich musste mich also doch bewegen und schleppte mich träge zur Tür, streifte mir vorher aber noch meine Shorts über, denn nackt wollte ich nicht die Tür öffnen.

„Tach Alfred, wie geht’s dir?“, fragte mich Doris, eine Nachbarin, die einen halben Kilometer weiter, allein in einem kleinen Fachwerkhäuschen lebte.

„Hallo Doris, komm rein“, bat ich sie.

„Nein, ist nicht nötig. Ich wollte dich nur fragen, ob du dieses Päckchen für etwa eine Woche aufbewahren kannst. Ich fahre zu einem Bekannten nach Berlin.“

„Nach Berlin? Das ist ja schön. Hoffentlich hast du viel Spaß dort mit deinem Bekannten“, antwortete ich mit einem süffisanten Lächeln.

„Doch nicht was du denkst. Ihr Männer denkt immer nur an das Eine.“

„War nicht so gemeint.“

„Was ist? Kannst du nun das Päckchen verwahren?“

„Ja klar, gib her. Was ist denn drin?“

„Ein Andenken an meinen Mann. Ich hab Angst, dass bei mir im Haus eingebrochen wird, wenn ich nicht da bin.“

Ich nahm ihr das Päckchen ab und bemerkte, dass es nicht gerade leicht war.

„Danke, Alfred. Ich danke dir wirklich sehr. Pass gut darauf auf, bitte.“

„Ist doch klar, Doris.“

Ein wenig plauderten wir noch an der Tür, dann verabschiedete sich Doris und ich stellte das Päckchen auf die Schlafzimmerkommode.

Vor drei Jahren starb Doris’ Ehemann und beinahe wäre sie daran zerbrochen. Ganz über den Verlust war sie noch nicht hinweg, tiefe Wehmut erfüllte sie noch oft und so eine gewisse Traurigkeit spiegelte sich in ihrem Gesicht, wenn man sie genauer ansah.

Sie musste ihren Mann sehr geliebt haben.

Jetzt war sie fast siebzig Jahre alt und sah ihre Zukunft nur noch als düstere, leere Kluft, die sie allein nicht überwinden konnte.

Sie tat mir leid, und oft fragte ich mich, wie meine Zukunft wohl aussehen wird...

 

 

*

Das Haus in dem ich wohnte, unzweifelhaft prächtig gelegen, am Waldrand, mit Blick auf einen kleinen See, hatte leider auch seine Nachteile.

Das Handicap bestand aus manchmal fünfzig bis sechzig polnischen Arbeitsuchenden, die hier als Touristen einreisten und nun im und um das Haus herum wohnten.

Der Hausbesitzer war ein steinalt aussehender Pole, der nebenbei im Haus auch noch eine Kneipe betrieb.

Er ließ seine Landsleute auf dem Dachboden, im Keller, in den Garagen und sogar im ehemaligen Taubenschlag ihre Schlafstellen einrichten, gegen einen kleinen Obulus selbstredend, besorgte ihnen hier und da einen Nebenverdienst

und ließ sie ihr schwer verdientes Moos in seiner Kneipe wieder ausgeben.

Das ist Wirtschaft!

So kam es, dass in guten Zeiten eine halbe Hundertschaft ausgewachsener Polen das Haus bevölkerten.

Die Wochenenden waren dann immer besonders interessant. Ich habe noch nie Männer soviel trinken, nein saufen gesehen. Die Mengen die dort die durstigen Kehlen hinunterflossen, wurden nur noch von der Unmenge an Gesang und Gegröle übertroffen, das umso lauter war, je später der Abend wurde.

Reibungspunkte zwischen mir und einigen Polen entstanden zwangsläufig und mit manchen war ich schon aneinander geraten.

Es war ein lautes Haus.

Auch jetzt war es wieder sehr laut und aus dem Nickerchen, dass ich machen wollte, wurde nichts.

Also baute ich mir einen kleinen Joint, um dann ein wenig müder zu werden.

Ich rauchte das kleine Tütchen und legte mich zurück auf die Couch.

Die Gedanken flossen durch mein Bewusstsein, verweilten hier, dann mal dort und allerlei unzusammenhängende Bilder ließ ich vor mir Revue passieren.

Ich dachte an Doris, das Päckchen und plötzlich bildete sich ein großes Fragezeichen vor meinem inneren Auge.

Was war wohl in dem Päckchen?

Geht mich nichts an.

Was könnte da wohl drin sein?

Das weißt du doch. Ein Andenken.

Was für Andenken?

Egal, ein Andenken eben.

Das Päckchen war nicht verschlossen oder verschnürt, man könnte ja mal nachschauen.

Die Neugier siegte und ich ging los und schaute es mir an.

Langsam und mit schlechtem Gewissen hob ich den Deckel an und spähte durch den Spalt. Nur ein schwarzes Tuch, dass etwas umhüllte war zu sehen.

Also nahm ich den Deckel ab und wickelte den Inhalt aus.

 

 

*

Als ich sah was ich in Händen hielt, fiel mir auch wieder ein, dass Doris mir vor einer Weile einmal erzählte, dass sie diese Dinger, die ich nun vor mir sah, seit dem Tod ihres Mannes zuhause liegen hat.

Ein 3.57ger Magnum Revolver und eine Pistole Kaliber 7.65 und beide von Smith & Wesson. Der große und sein kleiner Bruder.

Vorsichtig begutachtete ich den Revolver. Er war geladen und gesichert.

In der Pistole steckte ein volles Magazin, beide Waffen waren sehr gepflegt

und wirkten sehr gefährlich.

Mit Schusswaffen hatte ich bisher noch nie zu tun gehabt, als ehemaliger Kriegsdienstverweigerer waren sie mir sowieso ein Gräuel.

Und nun hatte ich zwei mörderische Vertreter einer von mir verabscheuten Welt

vor mir liegen und war tatsächlich von ihnen fasziniert.

Neugierig geworden nahm ich die Magnum auf. Sie wog schwer in meiner Hand.

Langsam hob ich den rechten Arm und zielte durch das offene Schlafzimmerfenster hinaus.

Schnell begann meine Hand zu zittern und ich unterstützte sie mit meiner Linken. In meiner Fantasie legte ich auf einen imaginären Gegner an und ließ ein leises Peng über meine Lippen gleiten. Gefolgt von einem weiteren Peng.

Ich fühlte mich immer jünger und begann Cowboy und Indianer zu spielen.

Ich erlegte einen Indianer, der in den Bäumen hockte, den anderen schoss ich von seinem Pferd herunter. Das Dope wirkte.

Dann spielte ich Detektiv und knallte ein paar üble Halunken nieder, die mit Maschinenpistolen auf mich anlegten. Das Dope wirkte weiter.

Zum Schluss erschoss ich noch ein paar Aliens und gelangte wieder in die Realität zurück.

Behutsam legte ich den schweren Revolver auf die Kommode und nahm die kleinere Pistole. Sie war wesentlich leichter und lag griffig in der Hand.

Von draußen hörte ich Stimmen die sich mir näherten.

Ich ging zum Fenster und sah zwei junge polnische Besucher, die leicht schwankend über die schmale Zufahrtstraße gingen, die zu unserem Haus führte.

Ich kannte beide, sie waren schon fast ein Jahr hier im Urlaub und regelmäßig hatte ich Stress mit ihnen, wenn sie nachts besoffen im Haus herumlärmten.

Sie waren beide dicke Kumpel und man sah sie eigentlich immer nur zusammen.

Treffenderweise waren sie auch namentlich sehr affirmativ.

Der eine hieß Slonina und der andere Czybula. Zu deutsch: Speck und Zwiebel.

Speck ging ein paar Schritte allein weiter und nestelte an seiner kurzen Hose.

Offensichtlich wollte er pissen.

In mir erwachte wieder der Spieltrieb und ich ging einen Schritt zurück, damit mich Zwiebel nicht sehen konnte, ich aber Speck voll im Visier hatte.

Ich legte langsam an und mit einem leisen Peng knallte ich ihn in meiner

Fantasie ab. Das Dope wirkte immer noch.

Das Spiel gefiel mir und ich spannte langsam den Abzugshahn. Noch einmal zielte ich auf ihn und ließ die Pistole nach dem imaginären Schuss in meiner Hand wippen, als ein Knall ertönte und ich einen Rückstoß in meiner Hand spürte. Ein Schuss hatte sich gelöst.

Ein lauter, durchdringender Schrei drang an mein Ohr und ich sah wie Speck

bäuchlings im Gestrüpp lag und Zwiebel zu ihm eilte.

 

*

 

Ich hab ihn erschossen! Dieser erschütternde Gedanke brannte sich in mein Hirn und ließ mich auf die Knie sinken.

Ich hab ihn hinterrücks erschossen! Das war Mord! Keiner wird glauben, dass das ein Unfall war.

Nun hörte ich auch Zwiebel schreien, er kreischte und fluchte, alles auf polnisch. Ich verstand kein Wort.

Aber das ich jemanden umgebracht hatte, das verstand ich sehr wohl und ein eisiges Gefühl des Schreckens durchfuhr meinen Leib.

Vorsichtig spähte ich durch das Fenster und sah gerade noch wie Speck von zwei anderen um die Hausecke geschleift wurde. Blutspritzer waren auf dem Straßenbelag zu sehen.

Fassungslos blickte ich auf die Pistole in meiner Hand. Sie war nicht gesichert, ich hatte nicht darauf geachtet.

Du musst sie verschwinden lassen. dachte ich.

Entweder würden mich die Polen lynchen oder die Polizei ist bald hier, war mir klar.

Was sollte ich machen?

Gleich treten mir die Polen die Tür ein und schlagen mich tot, da war ich mir sicher.

Wirf die Waffen in den See war mein erster Einfall. Aber da würde die Polizei als erstes suchen und außerdem müsste ich raus und irgendwie an den Polen vorbei.

Jeden Moment würde ich das Getrampel heraufstürmender Männer hören, entweder Polizei oder wütende Polen.

Aber ich hörte nichts.

Angestrengt lauschte ich den Geräuschen von draußen.

Kein Martinshorn, keine lauten oder aufgeregten Stimmen.

Nichts auffälliges.

Sekunden zogen sich zu Minuten, aus Minuten wurden quälende Stunden.

Nach über zehn Minuten immer noch nichts und nach einer halben Stunde

stand ich noch immer allein und erschreckt in meinem Schlafzimmer.

Außer, dass ich einen jungen Polen erschossen hatte, war nichts passiert.

 

*

 

Die letzten Stunden waren die Hölle für mich. Mittlerweile war es Nacht geworden. Selbstquälerische Gedanken fegten durch meinen Geist und ließen mich nicht einschlafen. Nichts war geschehen. Keine Polizei, kein Rettungswagen.

Als ob nichts passiert wäre.

Aber ich sah doch Blutspuren auf der Straße.

Ich sah wie sie Speck wegtrugen.

Ich habe die Schreie gehört.

Wilde Vermutungen schossen mir durch den Kopf. Wenn die Polen illegal hier waren, wollten sie natürlich keine Polizei hier haben!

Aber warum kamen sie nicht zu mir?

Wollten sie auf eine bessere Gelegenheit warten?

Vielleicht heute Nacht, wenn alle schliefen und es keine Zeugen gab?

Nervös kaute ich an meinen Fingernägeln und hatte nur noch Angst.

In dieser Nacht fand ich keine Ruhe.

 

*

 

Ich konnte nicht frühstücken, nicht einen Bissen bekam ich runter.

Stattdessen schüttete ich mich mit Kaffee zu.

Entsprechend nervös und fahrig tigerte ich in meiner Wohnung hin und her und hatte nur dieselben quälerischen Gedanken in meinem Kopf, die mir letzte Nacht

den wahren Horror erfahren ließen.

Die Aussicht auf viele Jahre Knast hielt mich auch weiterhin davon ab, mich selbst der Polizei zu stellen.

Ab und zu schaute ich aus dem Fenster.

Dunkle Wolken zogen auf, ein Gewitter nahte. Beängstigend erschienen mir die schweren Wolken, die drohend über mir hingen und genau so empfand ich auch meine Gemütslage.

Bald darauf schüttete es wie aus Eimern und wusch die Blutspuren von der Straße.

 

*

 

Das Gewitter ließ nach, der Regen hörte auf und ich hörte Stimmen die sich auf polnisch unterhielten.

Vorsichtig spähte ich aus dem Fenster.

Und traute meinen Augen nicht.

Da standen sie. Speck und Zwiebel.

Speck hatte eine dicke Beule am Kopf und einen über und über geröteten

Oberkörper. Selbst die Beine sahen aus als ob er mit einer Feuerqualle geschmust hätte.

Genau wie Zwiebel. Auch er hatte dieselben Rötungen vorzuweisen.

Ich fühlte wie eine große Erleichterung durch meinen Körper strömte und lief sofort zur Wohnungstür.

 

Im Hof fand ich beide auf einer Bank sitzend. Sie hatten eine Flasche Bier in der Hand und prosteten sich zu.

Ich grüßte und fragte mit völlig ahnungsloser und unschuldiger Miene was passiert sei.

Mit holperigem deutsch erzählte Zwiebel was geschah.

Speck war wie immer sehr betrunken über die Straße gegangen, um zu pissen.

Als er so schwankend am Wegesrand stand, hörte er einen lauten Knall und erschreckte sich dermaßen, dass er das Gleichgewicht verlor, vornüber in die Brennnesseln stürzte und mit dem Kopf auf einen Stein schlug.

Zwiebel eilte ihm zur Hilfe und weil auch er ziemlich besoffen war, rutschte er aus und fiel genau wie Speck in die Brennnesseln. Beim Versuch aufzustehen hat er sich seine rechte Hand auch noch an einer Glasscherbe aufgeschnitten.

Die ganze Nacht konnten sie nicht schlafen weil sie sich fühlten als ob sie mit einer Feuerqualle gebadet hätten.

 

Niemand ist gestorben. Kein Mord war geschehen. Ich muss nicht in den Knast und gelyncht werde ich auch nicht.

Diese Erkenntnisse halfen mir das Geschehene zu vergessen und die Waffen nicht mehr anzurühren.

Ob ich noch mal Cowboy und Indianer spiele?

Ich glaube eher nicht.

 

 

Ende

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Alfred Hermanni).
Der Beitrag wurde von Alfred Hermanni auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.01.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Alfred Hermanni als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Lyrik und Gedankenwege. Gedichte und Kurzgeschichten von Wolfgang Scholmanns



Vielleicht machst du hier eine kleine Rast,
lieber Leser. Mag sein, du findest dich
im einen oder anderen der Worte wieder,
begegnen dir in den Geschichten und
Gedichten eigene Erinnerungen,
Begegnungen, Gefühle und Gedanken
eines oft tief in sich Versunkenen.
Das würde mich freuen,
wäre mir mehr als Lohn genug."

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Wie das Leben so spielt" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Alfred Hermanni

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Der Hund und das Licht über den Bergen von Alfred Hermanni (Abenteuer)
Hab dich ganz doll lieb von Achim Müller (Wie das Leben so spielt)
Berlin ist die einzige Stadt... für Ingrid Grote von Kerstin Köppel (Erinnerungen)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen