In einem seiner Romane lässt Martin Walser seinen Protagonisten sagen: „ Ich lief immer an der Wand entlang und hoffte darauf, dass die Wand irgendwann aufhört und das Leben beginnt. Aber die Wand war das Leben.“
Wie viele Menschen leben mit dem Blick in die Zukunft, die endlich die ersehnte Freiheit von den Einschränkungen des Berufs, des Familienlebens oder anderer Verpflichtungen bringen soll. Ich habe etliche gekannt, die nicht in der Gegenwart leben konnten oder wollten, immer auf der Suche nach dem besseren Leben, das in der Zukunft stattfinden sollte. Und dann bricht plötzlich eine Krankheit über sie herein.
Die Wand wird zum Gefängnis. Der Weg ist abgeschnitten. Jetzt heißt es Umdenken. Nichts ist mehr, wie es war. Was vorher selbstverständlich erschien, wird jetzt kostbar: die Gesundheit.
Nun ist die Gegenwart ganz wichtig, die Zukunft kann warten.
Je nach Schweregrad der Krankheit brauchen wir kürzer oder länger, um wieder zurück in die Normalität zu finden. Doch wir schätzen jetzt die neue Gegenwart mehr als vorher. Wir sind dankbar, wieder an der Wand entlang gehen zu dürfen, anstatt uns im Kreis zu drehen oder uns überhaupt nicht mehr bewegen zu können. Die kleinen Freuden des Lebens gewinnen wieder Bedeutung.
Denn alles hat seine Zeit. Wir durchlaufen die einzelnen Phasen unserer Existenz, die stressigen in der Mitte des Lebens, und die weniger anstrengenden im fortgeschrittenen Alter. Die Wand ist zwar da, aber sie hat Fenster und Türen, durch die wir die Schönheit der Welt erkennen, und wir sollten alles genießen, was wir auf unserer Reise geschenkt bekommen.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.01.2012.
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