Roy Köhler

Das letzte Lächeln

Ein letztes freundliches Wort soll Frohsinn vermitteln. Niemand sollte merken, dass ein jedes Glück schon längst
seinen Weg hinaus aus seinem Herzen gefunden hatte. Behutsam legte er den vergoldeten Füllfederhalter zurück in das mit
edlen Mustern verzierte Etui, nachdem er mit leichtem Druck den Deckel zum Schutz vor einer
Austrocknung der Schreibfeder an der Spitze des Schreibutensils befestigte. Vorsichtig nahm er das frisch
beschriebene Blatt Papier und betrachtete es noch ein mal äußerst gründlich; Hatten sich Schreibfehler
eingeschlichen, gab es Schmutz auf dem Papier? Alles musste perfekt sein. Wenn er schon nicht dazu in
der Lage gewesen war sein Leben in neue Bahnen zu lenken, so wollte er wenigstens dieses Vorhaben
fehlerfrei zu Ende bringen, so, dass wenigstens ein einziges mal etwas nach Plan verliefe. Der Brief
schien in Ordnung zu sein, es gab keine Anzeichen einer falschen Ausdrucksweise und das Papier
erstrahlte weißer als es das hellste Licht zu tun vermochte. In Schönschrift und violetter Farbe, bildeten
die Sätze, die letzten die er je verfassen würde, einen allumfassenden Abschied an eine der wenigen
Personen, die ihm, in seinem kurzen Leben, zumindest einen Halt zu geben versuchten.
Er vergoss eine Träne für jeden Buchstaben den er geschrieben hatte, es fiel ihm schwer die passenden
letzten Worte zu finden. Würden sie ihn vermissen? Was würde wohl ein Reporter zu berichten haben,
wenn er die Geschehnisse in seinem Umfeld ab dem morgigen Tag zu dokumentieren hätte? Rasant stieg
sein Puls in unermessliche Höhen.
All dies würde er nicht mehr erfahren, wenn er diesen Ort verlassen und an einen Besseren gehen würde.
Doch war es sinnlos, sich weiter darüber den Kopf zu zerbrechen. Unter dem Strich, ließ die Bilanz seines
Lebens nicht wirklich auf Besserung schließen, und noch einmal zwanzig Jahre die Welt durch die
Bruchrillen einer geächteten Seele zu betrachten, standen außer Frage. So legte er mit einem Gefühl der
Sicherheit den Brief zurück auf den Tisch, nahm einen Umschlag aus der Verpackung neben sich vom
Sofa, faltete sorgsam den Brief und steckte ihn in das Behältnis. Aus der Grabkerze, die er vor wenigen
Minuten erst angezündet hatte, schöpfte er eine geringe Menge Wachs, um den Brief und damit seinen
Inhalt zu versiegeln.
Ruhige, klassische Musik ertönte aus den Boxen der Stereoanlage im Wohnzimmer zwei Zimmer weiter,
als er sich im Badezimmer zu entkleiden begann. Jedes Kleidungsstück faltete er vernünftig zusammen,
bevor er es auf die Toilettenbrille legte. Währen dessen plätscherte leise lauwarmes Wasser in die
Badewanne. Ein Duft von Badezusatz lag in der Luft und schließlich, als auch der letzte Zentimeter
seines Körpers entblößt war, stieg er in die Wanne und lehnte sich zurück, das Gefühl des warmen Aquas
um sich herum genießend. Etwa eine viertel Stunde lag er einfach nur da und starrte zur Decke.
Wieder stieg sein Puls, seine Atemfrequenz stieg, und trotz des warmen Wassers breitete sich ein Gefühl
der Gänsehaut über seinen ganzen Körper aus. Denn die Zeit war nun gekommen um sich ein letztes mal
zurück zu erinnern, an alte Erlebnisse, Bilder aus dem Gedächtnis; Sein Gesicht verkrampfte sich
ruckartig, als der kalte Stahl die obersten Hautschichten seines Handgelenks durchdrang und ihm ins
Fleisch schnitt. Es würde nicht mehr lange dauern, bald hätte er es geschafft.
Behutsam strich er mit den Fingern der rechten Hand über die schmerzende Wunde im linken
Handgelenk. Sie fühlte sich rau an, und Feuchtigkeit bildete sich entlang der aufklaffenden Haut. Das
Messer, welches er sich bereit gelegt hatte,verschwand mit einem Ruck durch das offen stehende
Badezimmerfenster. Noch war es ein pochender Schmerz, der sich durch seinen linken Arm zog, doch
schon bald verwandelte sich der Schmerz in ein taubes Kribbeln.
Allmählich fiel es ihm immer schwerer zu atmen, doch litt er nicht unter Atemnot. Ein Gefühl der
Kraftlosigkeit breitete sich in ihm aus, als er durch den hohen Blutverlust seiner Hauptschlagader langsam
ins Delirium geriet. Das Wasser in der Badewanne wurde immer trüber, nach und nach brach sich das
Licht zunehmend in milden Rottönen, bis das Wasser schlussendlich vom Blut kaum noch zu
unterscheiden war.
Eine kleine, unscheinbare Träne lief ihm an der Wange herunter. Doch war es keine Träne der Trauer,
keine Träne der Angst – Sondern eine Träne der Freude. Endlich, nach allem was war, würde er seinen
wohlverdienten Frieden finden. Um ihn herum schien sich alles zu verdunkeln.
Seine Sicht wurde verschwommener, sein Körpergefühl zunehmend schwerer. Als er dann nichts weiter
vernehmen konnte als ein rauschen in seinen Ohren, fühlte er sich geborgen und frei. Während er einen
letzten, kraftvollen Atemzug machte, war sein letzter Gedanke nicht viel mehr als ein einfaches „Lebe
Wohl, Welt“. Und während seine Seele seinen Körper verließ, verschwand aus seinem Gesicht
das letzte Lächeln ...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.02.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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