Veronika Bachmann

Die roten Schuhe

 

 

Geburtstage sind immer schwer zu ertragen. Wie oft bekommt man Dinge, die man sich gar nicht gewünscht hat – all dieses grässliche nützliche Zeug  und nie kriegt man genau, was man sich eigentlich gewünscht hatte.

Jedenfalls war es bei Anna so. Und Verallgemeinerungen zählten nicht, egal.  Sie musste dann ihr Enttäuschung verbergen und sogar Begeisterung heucheln, eine schwere Aufgabe. Meist gelang es ihr nicht besonders gut und sie fühlte sich so ertappt und voll von schlechtem Gewissen, weil man denen, die ihr eine Freude bereiten wollten, nun so gar keine Freude zurückgeben konnte. Dass dies nicht der Zweck von Geburtstagsgeschenken war, wusste sie damals noch nicht, sie war ein braves Kind, und tat was Mama von ihr erwartete, so gut sie konnte. Selten gut genug, deshalb war sie aber gerade so erbarmungslos mit sich, wie Mama es mit ihr war.

Zu ihrem zwölften Geburtstag wünschte sie sich rote Leinenschuhe, wie sie gerade modern waren. Und welch Wunder, die Mutter ging mit ihr in einen Laden und kaufte sie. Sie waren nicht teuer und sie passten auch – abgesehen davon, dass ihre Füße für ihr Alter sehr groß waren – und eigentlich hätte sie nun zufrieden sein können. Kleine Anna, große Schuhe.

Rote Schuhe, wer trägt denn rote Schuhe, fragte ihre Mutter und sah skeptisch auf die riesigen Latschen, bist du sicher, dass du sie haben möchtest.

Die Alte verstand nichts von Mode, die hatte nicht das junge, schöne Mädchen vom Schulhof gesehen mit dem schwingenden Rock und den roten Schuhen. Die Mutter wusste nichts von dem perlenden Lachen des Mädchens, die war so freundlich und so strahlend, dass Anna ihr mit offenem Mund hinterher starrte, so wollte sie sein und würden rote Schuhe nicht helfen?

Und die Verkäuferin fragte ganz besorgt: passen dir die Schuhe auch, sind sie dir nicht zu groß.

Nein. Anna war klein und hatte zu große Füße für ihr Alter. Verdammt.

Anna antwortet brav: sie passen, und sie sah sich im Spiegel an, nicht ganz glücklich. Irgendwie musste sie zugeben, die roten Schuhe sahen an ihr komisch aus, nicht nach einem freudestrahlenden jungen Mädchen.

Meinst du wirklich, du ziehst sie an, insistierte ihre Mutter weiter, weißt du, sonst sparen wir das Geld und kaufen dir lieber was gescheites zum Geburtstag.

Was Gescheites – nichts hasste sie mehr, als diese altmodischen Klamotten, die ihr die Mutter immer verpassen wollte.

Weißt du, ich möchte nur nicht, dass sie wieder nur im Schrank stehen, bohrte die Alte, weil du sie nicht anziehst.

Aber ich zieh sie an, kam patzig Annas Antwort, zu patzig und zu trotzig.

Und dann wechselte sie schnell und fast erleichtert in ihre alten Treter, unscheinbare, scheußliche Kloben zu einem langweiligen blauen Rock – warum wollte sie jetzt heulen?

Keiner hätte es verstanden, die Mutter nicht, erst recht nicht die Verkäuferin, so hielt sie ganz still und trug mit Widerwillen die Tüte.

Geburtstagsschuhe.

Den nächsten Tag, Sonntag machten sie einen der üblichen Ausflüge. Das heißt man fuhr in eine andere kleine Stadt, so eine mit einem hübschen alten Marktplatz und einer großen Kirche und den Autos davor. Und ihr Vater studierte dann stundenlang die Fresken, Bilder und Kruzifixe der Kirche, untersuchte den Brunnen, las den Reiseführer darüber vor, besah sich Inschrift, jeden Stein.

Weil er ein Buch darüber schreibt, erklärte ihre Mutter, wir haben es dir doch schon hundert Mal gesagt.

Sie wusste es, aber es war sterbenslangweilig und vollkommen klar, dass es nur ein Flop werden würde, denn wer sollte schon so ein Buch lesen, sich für Kirchen, Fresken und Kreuze interessieren.

Sie trug die roten Schuhe, die Geburtstagsschuhe, ach ja, zu hause hatte sie sie vor dem Spiegel noch mal probiert und nicht so schlecht gefunden und trug sie zum Frühstück im Haus und ließ sie an, als die vierköpfige Familie losfuhr.

Vater. Mutter, Kinder.

Die Eltern vorne im Wagen redeten über die zusehends verbaute Landschaft, man fuhr etwa eine Stunde, kleine Landschaften, hügelauf, hügelab Richtung Apfelbaumland, dann kam die Kreisstadt, ein betonierter Markplatz mit Brunnen, glatte Fassaden und ein eher unscheinbarer Dom. Eine Eisdiele etwas zurückgesetzt. Da bekommt ihr ein Eis, wenn ihr brav wart, die üblichen Drohungen, und sie liefen gemeinsam die holprige Straße hinauf.

Und alle Leute, die ihnen entgegen kamen oder sie überholten, starrten auf Annas rote Schuhe. Ja. Ganz sicher. Auf ihren Vater mit dem Reiseführer und der Kamera, auf die strahlend schöne Mutter, den schlürfenden Jungen im Schlepptau guckte keiner. Alle starrten auf Anna in den roten Schuhen, auf das Kind mit den roten Schuhen. Lustlos hinterher dackelnd. Sie sah sich in einem Schaufenster gespiegelt und erschrak plötzlich, so scheußlich hingen die die Leinenlatschen an ihren Füssen. Als gehörten diese Füße nicht zu ihrem Körper, ja nicht einmal zu ihren Beinen, nicht zu ihr. Das war nicht sie selbst da in dem großen Glas gespiegelt und die nächsten Passanten starrten ganz schamlos auf ihr Schuhwerk. Schamlos und ungeniert.

Sie wollte schreien und flüchten und fortlaufen und umkehren und nie wieder so herumlaufen, sie wollte ins Auto flüchten, nie wieder so frei herumlaufen mit dieser guten gekleideten Mutter, dem alten Papa mit dem zerfledderten Reiseführer in der Hand und dem Deppen, den sie ihren Bruder nennen sollte, nie wieder.

Im Halbdunkel der Kirche setzte sie sich auf eine Bank und sah sich die Engel an, die Putten, den Heiland am Kreuz, einen Sensenmann und einen Totenschädel als Türstock. Manche Leute fanden wahrscheinlich Trost in einem Gebet, aber sie wolle nie mehr fortgehen mit den roten Schuhen an ihren Füßen. Sie wollte auf keinen Fall ein Eis essen gehen, sicher nicht, nein Mama, vielen Dank, ich will kein Eis, ganz bestimmt nicht, sicher nicht. Sie betete dann doch, dass sie bald wieder heimfahren durften ohne einen langen Stadtbummel machen zu müssen oder gar eine ernsthafte Stadtbesichtung, aber ihre Gebete wurden natürlich nicht erhört. Nur wieder heim, gabs nicht.

Weil ihr Körper zu klein war im Vergleich zu den riesigen Füßen und den dürren Gliedmaßen, unmöglich. Nie wieder die roten Schuhe anziehen, nie wieder

 

Was für eine Enttäuschung, dass es so schwer ist, dir eine Freude zu machen, klagte ihre Mutter und warf die quasi ungetragenen Schuhe zu Weihnachten in die Kiste für das Hilfswerk.

Ich wusste doch, dass du sie nicht anziehen würdest, ich wusste es, ich kenne dich doch, behauptete die Mutter. Wahrscheinlich hast du ein Mädchen laufen sehen, die war schön und trug rote Schuhe, na ja, was solls.

Warum war sie kein schönes junges Mädchen, warum wurde sie von ihrer Mutter so missachtet, warum?

Und gerne hätte sie ein wenig getanzt in ihren roten Schuhen wie Moira Shear in dem wunderbaren Film über die Liebe, die Arbeit und den Teufel.

Einmal werde ich es dir beweisen, dachte Anna, wünschte sich Anna, wusste zwar nicht so recht was, hörte nur ihre Mama leise schimpfen.

 

Und abends als Mama mit Papa ausging zu einem Vortrag über sein neues Buch, trug sie einen Fuchskragen und goldene Armbänder und sie sah so schick aus, so schick wie Anna nie aussehen würde.

Heute haben wir das Geburtstagsgeschenk der Tochter zum Hilfswerk gegeben, sagte sie zu ihm, als sie schon in der Tür standen, und Anna es noch hören konnte, weißt du noch, die roten Schuhe, die sie sich so gewünscht hatte, gedrängelt und gequengelt hat sie, um sie zu kriegen und kein Mal hat sie sie getragen, fuhr die Mutter fort, aber der Papa hörte eh nicht zu. Und es machte natürlich auch keinen Sinn für Anna zu sagen, sie hätte sie wenigstens einmal getragen. Denn einmal ist keinmal, ach was du nicht sagst, und so stand sie einfach schlecht da, küsste wie gefordert die Eltern.

Wiedersehen, sei schön brav bei Oma, forderte die Mama.

Keine Schuhe, keine Entschuldigung möglich, keine Rechtfertigungen, nichts, es war ein paar Tage vor Weihnachten, und sie wollte sich nie mehr etwas wünschen, nie mehr. Nichts mehr wünschen, nichts mehr kriegen müssen, NIE.

 

DANKE!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.02.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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