Maike Opaska

Die Fahrt zurück

Bei nass-kaltem Wetter trat Lisa eine Zugreise an, die auch irgendwie ihr Heimatdorf berührte. Sie war nach kurzer Fahrt eingenickt und schrak plötzlich verdutzt aus dem Halbschlaf auf, als sie immer vertrautere Ortsnamen ausrufen hörte.
Der Zug fuhr immer weiter in den vernebelten Abend und Lisas Augen schlossen sich wieder, hingen alten verlorenen Bildern ferner Erinnerungen nach.
Nur die Gegenwart vermochte durch den harten Rädertakt oder dem Vorbeiblitzen roter und grüner Siganallampen, das starke Bild in ihr zu brechen.
Plötzlich hörte sie den Namen einer kleinen Stadt ihrer Jugend. Unbewußt huschte ein Lächeln über ihren Mund und wie von unsichtbaren Kräften gezogen und gelenkt, mußte sie Koffer und Mantel ergreifen und den Zug verlassen.

 
Nun stand sie auf dem schlecht beleuchteten Bahnsteig, war über ihr spontanes Tun erschrocken, schloß sich aber dann den wenigen Leuten an und gelangte durch eine alte Schwungtüre des Bahnhofs zum Städtchen. Wie lange hatte sie es nicht mehr gesehen und doch erkannte sie in der fahlen Dunkelheit, daß diese sie unverändert begrüßte.

 
Unverändert? überlegte sie noch und schüttelte dann unmerklich den Kopf, denn sie wußte niemanden mehr, den sie hier hätte aufsuchen können. Die Eltern waren gestorben, die Geschwister in andere Orte gezogen und so war sie durch einen unbedachten Schritt in ein verlorenes vergessenes Stück Leben zurückgetreten, von dem sie nichts mehr erwartete.

 
Lisa ging den Fluß entlang über die große alte Brücke, überquerte stille Feldwege und kleine alte Gassen und freute sich über jede Stelle, die sie wieder erkannte und über die alte Vertrautheit, die sie tief in ihrem Herzen für diesen Ort spürte.
Sie blieb stehen, atmete tief ein und ging dann langsam weiter bis zur Biegung des Weges und da stand sie nun vor ihrer alten Schule.
Viele Kinder strömten aus dem alten Gebäude und sie wunderte sich, weil es doch schon
abends war. Neugierig betrat sie die Schule und stieß drinnen bald auf den Hausmeister, der ihr zunickte, als hätte er sie gestern erst gesehen und er war auch bereit, der späten Besucherin deren einstiges Klassenzimmer zu zeigen. Lisa folgte dem schlurfenden Alten durch viele Gänge. Die schwankende Laterne warf gespenstige Lichtspiegelungen auf Apollos bleiche Gipsbüste. Und bald stand Lisa vor den Bänken der leeren Klasse und fragte nach ihren damaligen Freunden.
Ein Achselzucken, wortlos war der Hausmeister und manchmal, wenn Lisa wieder nach einem Namen fragte, sagte er emotionslos, "...auch schon gestorben"..
"Ja und was ist mit Professor Roither? Wissen Sie noch, der hagere Professor, den wir damals so geärgert und belacht hatten und der doch der anständigste Lehrer der Schule war? Was ist mit ihm?"
"Auch schon tot" drang es an ihr Ohr.
Langsam wurde der Hausmeister ungeduldig und rasselte mit dem Schlüsselbund. Das ging Lisa ganz schön auf die Nerven "ja, mein Gott, sind denn hier alle Menschen tot oder verschollen?"
"Nein, nein, aber Sie waren ja seither niemals mehr hier", meinte der Alte.
"Gewiß" murmelte Lisa enttäuscht, "vielleicht sollte man nie zurückkommen" Sie gab dem Hausmeister ein paar Geldscheine und verließ den toten Raum.

 
Weiter Vergangenes nachzuforschen wagte sie nicht, denn sie hatte Angst vor der einsam machenden Antwort "Fortgegangen, vergessen, verloren, verstorben..."
Sie hatte doch so vielen Menschen dieses Ortes nahe gestanden und viele Namen machten die Erinnerung an die Kindheit aus.
Lisa besann sich jetzt an Hannes. Aber warum hemmt sie denn schon kurz vor dem Bahnhof betroffen ihre Schritte? Sie wendete sich um, lief über die Brücke und stieg dann durch den dunklen Wald zum Villenviertel hinauf zu Hannes Strasse oberhalb der alten Mühle, vorbei am Gartenhaus, wo Hannes einst auf sie immer gewartet hatte.
Hannes selbst öffnete ihr, erkannte die Freundin wieder und senkte dann den Kopf.
Weshalb wunderte er sich gar nicht, warum war er nicht überrascht? Er tat ja auch so, als hätte man sie erwartet.
Zögernd reichten sie einander die Hände und saßen dann bald im Wohnzimmer zusammen. Er hatte geheiratet, seine Frau war gerade verreist.

 
"Und mich hast du also vergessen?" fragte Lisa.
"Nein, du vergassest uns und dein ganzes früheres Leben hier" antwortete Hannes langsam und leise. Da überfiel Lisa der verwegene Gedanke, daß sie ja ausgesteigen sei aus dem Zug, um Hannes zu besuchen, den Menschen, dessen Liebe ihr all die Jahre gefehlt hatte, ob sie es nun wahrhaben wollte oder nicht. Es war so. Und daß eine glückliche Stunde sie gerade jetzt hierher führte, da sie allein waren und niemand ihre wieder erwachte Leidenschaft hindern könnte.
Hannes bekannte Lisa seine Not und Einsamkeit, als sie damals fortging und daß er die trennenden Jahre auszulöschen versuchte, um seine Sehnsucht zu stillen.
"Du mußt auch wissen", sagte er schmerzlich lächelnd, "daß ich sehr lange auf dich gewartet habe. Und weil du nie kamst, stand ich vor der schweren Entscheidung zwischen dir und der Anderen."
"Ja, Hannes, aber du hast in mir nur die Geliebte gesehen, ich aber wollte deine Gefährtin sein. Du warst und bist ein Mann, der wohl das Höchste und Beste will, den Entschlüssen dazu aber ausweicht."

 
"Ich wollte nicht alleine sein, so gab ich meiner jetztigen Frau, die mich bedenkenlos an sich riß und nicht zauderte und schwieg wie du, den Vortritt. Ich heiratete sie und versuchte, dich zu vergessen, Lisa."

 
"Und du bist glücklich geworden, Hannes, sehr glücklich ?!"
"Vielleicht nicht so sehr, wie wir beide es einmal sein wollten. Ich glaubte, wir haben uns das Leben so wunderbar vorgestellt, wie es eben nicht wirklich sein kann, Lisa."

 
Hannes Hände umklammerten jetzt Lisas blosse Arme, streichelten das weiche Rund ihrer Schultern. Er wollte sie umarmen, er spürte, wie ihm zum letzten Mal seine Jugend hingehalten wurde "sei wach und nimm".
Lisa aber löste sich sanft und behutsam aus seinem Bann, ganz leise, zitternd, dennoch ruhig und fest.

 
Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, fragte Lisa bittend, "darf ich deine Kinder sehen"? Er führte sie durch die Wohnung in ein kleines Zimmer, machte Licht.
Lisa sah einen Bubenkopf tief in die Kissen des Kinderbettchens gewühlt und in einem anderen Bettchen, ein kleines Mädchen mit dem Daumen im Mund, tief schlafend. Sie betrachtete die Kinder, nahm Hannes an der Hand und zog ihn aus dem Zimmer. " Das ist es, weshalb ich nie zurück könnte, selbst wenn ich es mir wünschte, denn Du hast Boden unter den Füssen gefunden, während ich suchte und wartete und irrte. Unsere Jugend, Hannes, - sie ist tot."

 
Mit einem flüchtigen, dennoch innigen Kuss streifte Lisa seine Stirne und tief in ihr spürte sie, daß sie längst wieder die Straße zum Bahnhof voranschritt.

 
Als sie am Waldrand angekommen war, sah sie von weitem bunt erhellte Papierlaternen und hinter den Bäumen und dem Buschwerk erklang wiegende Musik. So war es kein nebelgrauer Herbsttag mehr, sondern ein wunderbarer Sommerabend voll süsser Geheimnisse ganz so wie einst jene Nacht mit Hannes, ...ja, so wie damals, damals....
Schatten tanzender junger Leute schwebten im Grün an ihr vorbei.
Einst liebten Hannes und Lisa einander, jetzt lieben andere jungen Leute, denn es ist nun deren Zeit gekommen.
Die Zeit, - ein Nichts im Aufwind des Lebens.

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Maike Opaska).
Der Beitrag wurde von Maike Opaska auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.02.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Maike Opaska als Lieblingsautorin markieren

Buch von Maike Opaska:

cover

Mittagsläuten von Maike Opaska



Weil ich das Verschwenderische des Lebens begriffen habe, die Extreme erkannte und über den Weg von einem zum anderen nachzudenken anfing, weil ich verstand wie elend es ist, wußte ich auch, wie schön es ist und weil ich erkannte, wie ernst es auch ist wußte ich auch wie fröhlich es ist.

Und weil ich begriff wie lang und wie kurz der Weg zwischen beiden ist, nahm ich ihn auch wahr und so ist mir heute jeder Schritt es wert eingehalten zu werden, weil hinter jedem Ereignis sich ein anderes verbirgt und sichtbar wird.

Und deshalb schrieb ich diesen Gedichtband.

Wen Du auf deinem Weg bist, dann kann dir dieses Buch ein treuer Begleiter sein!

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Wie das Leben so spielt" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Maike Opaska

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Anfänge von Maike Opaska (Sonstige)
mundtot gemacht von Annie Krug (Wie das Leben so spielt)
Der Tod eines Sterblichen von Savah M. Webber (Trauriges / Verzweiflung)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen