Veronika Bachmann

Anna und der Marathon

Eigentlich schwindelt Anna niemals, nicht wirklich, nicht mal nur so, um sich besser zu machen, das ist einfach nicht ihre Art. Sie steht zu ihren Niederlagen, wie zu ihren Siegen, sie steht sicher und fest im Leben, sie braucht nicht zu schwindeln, denn sie weiß, was sie tut und macht und warum.

 

Aber das mit dem Marathon war irgendwie eine ganz besondere Sache, Niederlage. Nun könnte man ja denken, nach all diesen Jahren ist die ganze Sache verjährt, so lang ists zurück, mindestens 20, 22, 23 Jahre, nein, ja, ungefähr so, es gab erst ein Kind, und das wird 25 Jahre, also irgendwann zwischen dem ersten Kind und den anderen zwei. Es gäbe Kalender um das nachzusehen, Anna weiß schon jetzt, sie wird morgen keine Lust dazu haben.

 

Sie sitzt bei Madeleine am Küchentisch, es ist Medelsabend, mal wieder eine größere Runde und alle gackern und haben was zu erzählen.

Madeleine hat bald Geburtstag, das Maikindchen. Plant leise und laut.

Sagt sie: wir werden dieses Jahr 55 Jahre alt und weise und irgendwie hätte ich so Lust mir noch mal was zu beweisen, ich hätte Lust es mir mit meinem ersten Marathon in meinem Leben zu beweisen.

Anna, etwas verwundert, was willst du dir denn beweisen? Sie wird auch 55, darum das wir.

Falsche Frage.

Das musst du doch wissen, du bist doch schon in New York den Marathon gelaufen, wann war das denn überhaupt?

Ich war so … 35, überlegt Anna laut, eigentlich sollte sie wirklich wissen, in welchem Jahr das, es war schließlich das Jahr, in dem sie Papa und WW wieder getroffen hat. Das ist es doch, was zählt in der Rückschau auf das Leben und trotzdem …

 

Es leuchtet in Anna nur eine Art von Niederlage auf, am Küchentisch, drinnen sitzen, es ist ein kühler regnerischer Apriltag, Weißweingläser und Essenreste auf den abgekratzten Tellern. Nur ein seltsames schmerzliches Bild einer Niederlage. Es wäre eine Gelegenheit zu sagen, damals hab ichs nicht geschafft, ich habs zwar immer behauptet, aber es stimmt nicht, ich hab damals bei Kilometer 35 abgebrochen, 35 Jahre, 35 Kilometer.

Sie sagt nichts, Anna sitzt da und starrt gedankenverloren in ihr Weinglas.

Wie war denn das damals, bohrt Madeleine wieder, du warst dort doch allein, wie kam das denn??

Anna denkt, okay, 55 Jahre sind 55 Kilometer, trinkt einen Schluck Wein. Ich hab zuviel getrunken.

Es war so schlimm, sagt sie laut, dass ich es nie wieder machen werde, die Leute reden von einem Laufrausch, aber ich, ich war krank damals. Ich musste so kotzen und mir war so elend, erzählt sie und hat ihre Bilder vor Augen, teilt sie nicht genauer mit.

Es ist doch egal bei welchen Kilometern, denkt sie, ich konnte nicht mehr, ich wollte nur noch dem Pulk und den Leuten entkommen, dem Laufen, ich konnte nicht mehr. Kotzen. Danach hatte sie den totalen Blackout und einfach keine Ahnung, wie und vor allem wo sie geblieben war. New York war ein großer Häuserschlund und Klein-Anna darin, ehrgeizig, aber verloren. Am Ende dieses Trips, nein, als sie wieder klar denken konnte, fehlten ihr fast zwei Stunden, und sie hatte einfach keine keine Ahnung, was sie gemacht hatte in der Zwischenzeit. Geschlafen, in Ohnmacht gefallen, auf der Straße gelegen. Keine Erinnerung und hoffnungslos. Als sie wieder zu sich kam, trug sie ihr Laufnummerlaibchen in der einen Hand zerknüllt, ihre Schuhe ordentlich mit den Schuhbändern zusammen gebunden in der anderen Hand, sie lief rum, und kam erst allmählich zu Bewusstsein. Es war wie ein ganz großer Schreck, erinnert sie sich, ich habe ein Kind und ich will noch Kinder und ich weiß nicht …sie lief barfuss durch das novemberliche New York, keine Peilung, wie betrunken, würden die Kinder das nennen, Anna bei Marathon in New York.

 

Anna erzählt es nicht, am Medelsabend an dem Tisch, sie sagt dann nur, es war ganz schlimm, guckt weiter in ihr Weinglas. Am nächsten Morgen konnte ich nicht mehr aufstehen, erklärt sie, weil ihr plötzlich alle zuhören, all die vielen Kilometer auf dem Asphalt, und ich war irgendwie völlig falsch trainiert und hatte nur so billige Schuhe, es war einfach unmöglich, kein Mensch würde heute mehr so einen Marathon angehen und laufen. Mit Jet-lag, blauäugig zu schnell gestartet, und von Rhythmus hatte ich damals auch noch nix gehört, wie gesagt, nie wieder. Jetzt hat sie genug gesagt, findet sie.

Madeleine wird schon verstehen, dass es keinen weiteren Marathon geben wird. Die anderen Medels am Tisch haben auch genug gehört und beginnen wieder zu quasseln, zwei Stunden, die in Annas Leben fehlen.

Mit 35 Jahren 35 Kilometer, folglich mit 55 Jahren 55 Kilometer. Anna, sagt sie zu sich, ein Marathon hat 42,5 Kilometer, ich habe zuviel getrunken, aber mein Körper wird das nie vergessen, da war was falsch, damals, ich werde das nicht vergessen, es war wie ein kleines Sterben.

Es gibt so ein Seite im Web, von null auf 42, hört sie Madeleine sagen, die reden also immer noch vom Marathon.

Dann würde ich ja noch jünger werden, denkt Anna, da könnte ich mir doch  noch was beweisen, trinkt doch noch einen Schluck Weißwein.

Was willst du dir denn beweisen? Fragt sie plötzlich mittenrein, jünger wird man davon jedenfalls nicht, man müsste schon super gut trainiert sein, sagt sie.

42 Jahre für 55 Kilometer bei einem Ruhepuls von 130, was kommt denn dann da raus? Das ist eine der interessanten Rechnungen, Annas Rechnungen. 42 Kilometer für 55 Jahre, oder so.

 

Also, erklärt Madeleine am 10.10.2010 ist in München ein Marathon, da dacht ich, das wär mal was für uns, da lassen wir uns von Mike auftrainieren, das ist dieser junge Sportlehrer aus meiner Schule und dann machen wir das und laufen so eine Zeit um 5 Stunden 50 Minuten.

Dann bin ich doch wieder so alt, denkt Anna, ich muss jetzt heimgehen, beim Ruhepuls um 130, wie alt werde ich denn dann.

Morgen kommt meine Dicke zur Therapie, sagt sie, da will ich fit sein, die schafft nichts, nicht einmal 10 Meter.

 

tschau Medels dann bis zum nächsten Mal

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.02.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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