Andreas Rüdig

Dessous

Liebe Redaktion,

 

Reizwäsche ist unsittlich und verdirbt die Moral. Sie gehört daher abgeschafft. Ich werde es aber nicht bei diesem Leserbrief an Ihre Zeitung belassen. Mein Kampf wird darüber hinausgehen. Kampf den Dessour-Wäscheläden! Kampf den Bordellen! Kampf dem Laster und der Lust.

 

Euer

 

Unterhosen-Mann

 

 

 

Dieser Leserbrief hat uns heute erreicht, liebe Leser. Wir werden den Kampf aufnehmen. Wir werden die Dessous-Industrie fördern. Wir werden auch weiterhin dem LKW, äh, nein, Entschuldigung, dem Laster Vorschub leisten.

 

Unser Reporter Friedrich-Wilhelm hat sich gestern mit dem kleinen Marvin unterhalten. Seiner Meinung nach ist seine Mama eine ganz normale Hausfrau. Sie kriegt zwar immer wieder "reichlich Damenbesuch", wie es Marvin ausdrückt. "Die Frauen benehmen sich dann immer ganz komisch und schicken mich raus zum spielen. Einmal bin ich aber heimlich ins Haus geschlichen. Die Frauen waren alle halbnackt. Sie haben sich gegenseitig komische Unterwäsche gezeigt und dabei gekichert. Nur geküßt haben sie sich leider nicht. Ich hätte schon gerne gesehen, wie es aussieht, wenn isch Frauen küssen. Gelohnt hat sich der Anblick aber trotzdem. Mein Pimmel war auf einmal groß und hart und meine Unterhose ganz naß. Pinkelt man als Mann immer in die Hose, wenn man nackte Frauen sieht?"

Was Marvin nicht wußte: Seine Mama veranstaltet regelmäßig Dessous-Modenschauen für Frauen. Marvin hat eine davon gesehen.

 

Bei uns in der Straße gibt es einen ganz speziellen Bekleidungsladen. Er war ursprünglich ein Fachgeschäft für Nutten. "Ich kaufe dort auch heute noch Slips ouvert," berichtet Tatjana, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte. "Wer will schon zu einer Erna Müller oder Emma Meyer gehen," fragt sie in aller Unschuld. Aber warum slip ouvert? "Naja, damit die Freier es bequemner haben. Ihr Freudennuckel ist  dann schneller in seinem Bestimmungsort." Nanu - seit wann drücken sich Prostituierte so verschämt aus? "Eigentlich immer schon. Was meinen Sie wohl, wie vielen älteren Herren zu Hause langweilig ist? Die kommen dann zu mir und toben sich richtig aus. Der älteste Kunde war 88 Jahre alt. Als er kam, war er kurz vor dem Herzinfarkt. Als er ging, war er wieder der Jungspund aus frühen Tagen. Sie sehen: Die richtigen Dessous an der richtigen Stelle sind gut für die Gesundheit, belebend, erfrischend und durchblutungsfördernd.

 

Friedrich-Wilhelm hat dort etwas für den Magen und gegen den kleinen Hunger zwischendurch unternommen. Er hat einen eßbaren Büstenhalter gekauft. "Es gab leider nur Pfefferminzgeschmack. Erdbeer oder Schokolade wäre mir lieber gewesen." Auf die Spesenrechnung darf Friedrich-Wilhelm den Eß-BH aber nicht setzen. Wir bezahlen doch keine Lebensmittel.

 

Friedrich-Wilhelm wird morgen ins Museum gehen. Dienstlich natürlich. Unsere Stadt war früher ja bekanntlich eine Hochburg der Bekleidungs-Industrie. Im Bekleidungsmuseum gibt es eine Ecke, die speziell der Unterwäsche und insbesondere der Reizwäsche gewidmet ist.

"Wir würden diese Tradition gerne wiederbeleben," berichtet Friedeberg von der städtischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft. "Was meinen Sie wohl, wie gut sich erotische Bekleidung verkauft? Wir hätten da auch ein paar Modedesigner an der Hand, die sich auf Dessous spezialisiert haben. Die würden gerne was bei uns machen. Unser Bürgermeister ist aber ein Moralapostel. Er möchte nur `sittsam und züchtig´ gekleidete Damen bei uns in der Stadt sehen, wie er immer wieder betont."

Vor wenigen Minuten hat Hans-Adam bei uns in der Redaktion angerufen. Er sei alt wie Methusalem und habe trotzdem seine Erfahrungen mit Dessous. Als junger Mann sei er oft ins Kabarett gegangen. Die Musik und die vielen hübschen Mädchen hätte es ihm oft angetan. Dann sei ihm eine Dame aufgefallen, die immer nur in Korsett und Federboa aufgetreten sei. "Wunderhübsch" sei sie gewesen. Eines Abends habe er sich getraut, sie anzusprechen. Und sie auf einen Kaffee einzuladen. Offenbar lebte sie nur auf der Bühne auf; sie traute sich jedenfalls nicht, ihm in die Augen zu schauen. Ihm wurde bald klar, warum. Es stand nämlich seine eigene Schwester vor ihm. "Jetzt ist erst recht ein Kaffee fällig. Was machst du hier?" Die Antwort konnte Hortense ihm schnell liefern. Sie liebte schöne Kleider genauso wie gelegentliche Freikörperkultur. Das konnte sie nur auf der Bühne ausleben. Sie traute nicht nicht, ihren Eltern davon zu erzählen. "Die hätten es mir doch verboten."

Sein Glück hat Hans-Adam trotzdem im Kabarett gefunden. Er wurde Bühnen-Schneider, der die Kostüme der Schauspielerinnen anfertigte. Dabei lernte er auch Herta kennen. "Hinsichtlich Aussehen und Charakter war sie meiner Schwester sehr ähnlich. Ich konnte mir also sicher sein, daß es mit uns klappen würde." Die Ehe habe bis heute gehalten, gelegentliche Seitensprünge - wie es sich bei einem Künstlerehepaar gehöre - nicht ausgeschlossen...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.02.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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