Veronika Bachmann

Das Schlauchboot


 

Das Schlauchboot.

 

Der Klostersee liegt spiegelglatt und dunkel schimmernd.

Viel­­leicht ist es einer der letzten, schönen Aben­de, es ist warm genug um hemdsärmelig draußen zu sitzen, Bier zu trinken und Brotzeit zu machen.

Mike ist da, und das allein genügt um mich zum glück­lich­sten Menschen der Welt zu machen.

Ich nehme mir dann frei von den drei Kindern und von Sebastian, meinem lang­­jährigen Lebensgefährten. Immer wenn ich mir von meiner Familie frei nehme, sperrt Seba­stian sich in den Keller zu seinem Werkzeug und han­tiert und arbeitet mit Holz. Am Ende gibt es ein weiteres skur­ri­les Kunstwerk. Er verkauft es für teuer Geld, er hat eine Menge Fans inzwischen. Wahrscheinlich baut er seine Liebe und seine Wut in diese Skulpturen und die Leute sehen das, es fasziniert sie.

In letzter Zeit nimmst du dir ziemlich oft frei, mault er, jedesmal schafft er ein weiteres außergewöhnliches Stück. Spät nachts, wenn ich heimkomme, steht es im Flur des Rosenhauses, ein dunkles Stück, mal eine Art Mensch, mal eine noch unentdeckte Tierart. Immer erschreckt es mich.

Im Laufe der Woche kommen Leute und nach zwei, drei, vier Tagen ist es fort, das Ungeheuer.

Warum macht Sebastian solche Ungeheuer? Fragt mich Louisa, sie ist meine zehnjährige Tochter.

Warum fragst du ihn nicht selber, schlage ich vor, aber sie fragt ihn nicht.

Und ich nehme wieder frei.

Mama, wo gehst du denn schon wieder hin? Fragen die Zwillingsbuben. Sie sind daran gewöhnt, daß ich ab und zu  weggehe, sie fragen trotzdem.

Ach, ich gehe ins Kino mit Margret oder zum Essen mit Manuela, erkläre ich leichthin.

So schön dich zu sehen, sagt Mike, wenn wir uns treffen. Und manchmal sagt er, du, mein Schatz oder meine liebe Madeleine, dann bleibt mir das Herz fast stehen vor Freu­de. Er nimmt mich mit seinem satten, festen Griff in den Arm und selbst, wenn ich wollte, kann ich da nicht mehr auskommen.

Wir treffen uns, wenn er den weiten Weg kommen kann aus der Stadt am Großen Fluß, manchmal mit dem Auto oder mit dem Flieger, er umarmt mich und hält mein Ge­sicht in seinen Händen.

Was soll nur aus uns werden? fragt er.

Ich weiß, was wird. Es ist nur eine Frage der Zeit, ant­worte ich, ich kenne dich gerade sechs Monate. Und, füge ich hinzu: ich liebe dich.

Wir sitzen draußen im Garten des Klosterbräues, das starke Bier schmeckt fast ein wenig zu süffig, der Kloster­see liegt ganz still, eine große, schwarze, dunkle Fläche.

Aus dem Pavillon klingt Musik, da ist wieder eine Hoch­zeit, sage ich zu Mike. Seit ich Mike kenne, sehe ich dau­ernd Hochzeiten. Romantische und schlichte Hochzeiten, dies hier scheint mir eine sehr Romantische.

Der Brautwalzer klingt leise, und mischt sich mit Stimmen der Gäste im Garten an den weiß gedeckten Tischen im grünen Gras.

Johann Strauß, tippt Mike.

Nein, widerspreche ich, das ist ein Emil Waldteufel Wal­­zer.

Und Mike sieht mich an, wie er mich manchmal ansieht, als wäre er verwirrt, oder ich doch eine Art von Hexe.

Und dann, als wir aufbrechen wollen, zu unseren Fahr­rädern lau­fen, um ins Hotel zurück zu fahren, da finden wir das Schlauch­­boot. Ein großes, schönes Schlauchboot.

Ja, vor dem Pavillon, auf dem Weg zwischen Parkplatz und Pavillon lehnt es an einem Baum.

Es gibt keine Frage, kein Zögern, verliebt wie wir sind, brau­­chen wir eine nächtliche Ruderpartie. Auf jeden Fall. Wort­los einver­standen nehmen wir das Ding auf und tragen es abseits durch die Büsche, an eine Stelle, wo man ans Wasser kommt.

Hoffentlich sind die Ruder dabei, sagt Mike, als wir es zu Wasser lassen.

Ja, schau, da am Boden des Bootes liegen zwei Paddel, erkläre ich und reiche sie ihm.

Eigentlich hasse ich Bootfahren, ich habe immer Angst zu kentern. Ich weiß, als Kind fuhr mein Vater mich und meine Mutter am Negertsee spazieren, das war kurz bevor sie starb. Sie benahm sich hysterisch, wenn es nur leicht schaukelte, vielleicht habe ich ihre Angst übernommen.

Mit mir kann dir nichts passieren, behauptet Mike im Ton­fall der Überzeugung. Was sie so sagen diese Männer.

Ich glaube ihm.

Vorsichtig klettere ich ins Boot, das Plastik ist kalt und klamm.  Wellen breiten sich leise glucksend aus.

Mike hängt die Paddel ein, stößt vom Ufer ab, schwingt sich elegant herein und dann rudert er ganz ruhig und sicher über die tiefschwarze Fläche des Sees.

Natürlich habe ich Angst, nicht, weil ich mich nicht auf jeden Fall retten könnte, ich bin eine gute Schwimmerin. Es gibt keine Gefahr, ich habe trotzdem Angst.

Es ist mehr ein: was werden die Leute sagen, diese Zwei klauen sich ein Boot und rudern nachts über den See.

Fahr bitte nicht ins Licht des Pavillons und des Kloster­gartens, sage ich zu Mike, da drüben, da ist eine Bucht mit dem offiziellen Bootsverleih.

Später liegen wir leise schaukelnd zwischen den hölzernen Ruderbooten, ich in seinen Armen und sprechen wir über die großen Sachen. Und die tiefen Gefühle. Über die Wege, die weiten Wege zueinander.

Und wie können wir das meistern? Was sollen wir nur machen?

Aber es ist eine Frage der Zeit, und ich bitte um inno­vative Lösungen, das ist es, was ich sage, immer wieder.

Ich sehe eine Sternschnuppe, klar, wenn man im August lange genug in den Nachthimmel schaut, sieht man immer eine Sternschnuppe. Um sich etwas zu wünschen.

So kommen wir nicht weiter, sagt Mike am Ende dieser Gespräche immer, leicht ver­zweifelt. Ich fahre uns zurück.

Er platscht und schaukelt, ich setze mich auf und halte mich ein, während er uns wohlbehalten ans Ufer zurück­bringt. Knirschend ratscht das Boot ans Ufer.

Beim Aussteigen gelingt es mir, mich in meiner typischen Art unge­schickt anzustellen. Statt ins Trockene zu sprin­gen, latsche ich voll ins Wasser. Der linke Schuh voll, die Socke naß, ich stehe mit der Hose bis zum Knöchel im seichten See.

Gott sei Dank bemerkt es Mike nicht, oh, es ist mir unan­genehm und peinlich, aber niemals würde ich klagen oder etwas sagen. Du, ich bin aus Versehen ins Wasser gestiegen. Nie.

Er zieht das Boot an Land, und dann stehlen wir uns durch die Büsche davon, wie Diebe in der Nacht, ich mit dem quat­schenden Schuh.

Den nächsten Morgen, nein, nachts um vier, als ich heim radle vom Hotel ins Rosenhaus, gießt es wie aus Kübeln. Ich bin in Null Komma nichts bis auf die Haut durch­näßt.

Natürlich denke ich wieder nicht an Sebastians Skulp­turen, aber als ich leise aufsperre, quatschend in beiden Schu­hen und mit triefenden Haaren, sehe ich im schwach er­leuchteten Flur ein riesiges Stück, fast wie ein Möbel, nein, ein Boot. Ein leckes, angeschlagenes Boot mit einer Galionsfigur, groß und hölzern, eine Art Nixe und Hexe in einem, er­schrocken sehe ich mich darin gespiegelt.

Was soll ich nur machen? Denke ich dann seufzend.

Unsere nächtliche Ruderpartie war sehr schön, sagt Mike am nächsten Morgen beim gemeinsamen Frühstück, wann findet man denn am Wegesrand ein Boot?

Ja, wann findet man am Wegesrand ein Boot, echoe ich etwas einsilbig. Aber wir hätten es zurückstellen sollen, hoffent­lich haben die Hochzeiter es wieder gefunden.

Ja, wir hätten es zurückbringen sollen, murmelt Mike. Dann packt er seine Siebensachen und fährt die weite Strecke in sein zu Hause. In sein Leben.

Mach's gut, meine liebe Madeleine, bis bald.

Und ich gehe in die Schule, in mein Leben als Lehrerin und Mutter. Ja, bis bald.

Sebastians Boot ist irgendwie unverkäuflich. Später nützt er es als riesigen Pflanztrog auf der Terrasse des Rosen­hauses. Die lecke Stelle mit Gartenfolie abgedeckt, voller Erde mit blühen­dem Heidekraut bepflanzt, ist es ganz hüb­sch anzusehen, ja, ja. Trotz der Galionsfigur.

Was sollten wir denn wohl sonst damit machen? fragt Sebastian.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.03.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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