Harald Haider

BLUTRACHE - 1.Teil

Liebe.
 
So wird üblicherweise die stärkste Zuneigung, die ein Mensch für einen anderen Menschen empfinden kann, bezeichnet. Das Wort Liebe vermittelt Wärme, Geborgenheit und die Gewissheit am Guten im Leben. Man kann dieses Phänomen, diese unfassbare Gefühlsexplosion aus der tiefsten Seele nicht eindeutig definieren. Jeder Mensch verbindet verschiedenste Empfindungen damit, bezeichnet ganz unterschiedliche Augenblicke als Momentaufnahmen der Liebe, doch alle haben eines gemeinsam. Geliebt zu werden ist die wohl intimste und intensivste Sehnsucht von uns allen. Diese fängt schon ab der Sekunde an, wo man aus dem warmen Mutterleib genommen wird und den ersten Schrei auf die große weite Welt loslässt. Der Drang nach tiefer Zuneigung zieht sich wie ein roter Faden durchs Leben, manchmal ist er nicht so stark, dann aber wieder besonders intensiv, es steigert das Selbstwertgefühl ungemein, wenn man weiß, dass man gemocht und geliebt wird, so wie man ist, mit allen Macken und Spleens, einfach weil man dieser Mensch ist, so einzigartig und wertvoll.
 
Liebe ist aber bei all den unbeschreibbar intensiven Glücksgefühlen und dem Seelenfrieden, den man dabei spürt, leider auch die brutalste Empfindung auf dieser Welt, sie kann einerseits als so richtig kitschig und fast zu schön um wahr zu sein empfunden werden, aber auch andererseits als einfach nur herzzerreißend und voller Schmerz und Traurigkeit. Diese unterschiedlichen Facetten machen aus der Liebe ein zweischneidiges Schwert, man begeht damit einen unendlich scheinenden Pfad der Glückseligkeit, aber muss stets mit einem Auge vorsichtshalber in den Abgrund blicken, der absolut nichts mit Wärme und gefühltem Frieden im Herzen zu tun hat. Oft genügt schon ein unüberlegter Schritt, mit dem man blind vor Liebe und mit rosaroter Brille auf der Nase, auf diesem Pfad ins Wanken kommt und es geschieht gar nicht selten, dass schon so ein einzelner Schritt manchen in die Tiefe reißt, die Dunkelheit ihn verschluckt und manchmal nicht mehr zurück auf den Pfad lässt, der von oben herableuchtet voller Wärme. Diese armen Individuen bleiben für immer im Würgegriff der Einsamkeit und der unendlichen Angst, weil ihnen ein wichtiges Gut genommen, nein, aus ihnen förmlich herausgerissen wurde, der Glaube an die Liebe.
 
Liebeskummer kann zermürbend sein, man sieht vor Enttäuschung und Schmerz und Wut und allem zusammen keinen Ausweg aus dem dahinvegetieren und dem Selbstmitleid, dass einen von innen aufzufressen scheint. Nicht mehr erwiderte Liebe stößt meist auf Unverständnis, man will es nicht wahrhaben, dass man sich von einem Moment auf den anderen nicht mehr auf den sicheren Pfad befindet, sondern sich aus der Tiefe der Finsternis herauszuwinden versucht. Man sucht verzweifelt nach einer Hand, die einen rettend herauszieht und zurückführt in eine Welt voll Harmonie.
 
Die folgende Geschichte handelt von der Liebe und von Liebeskummer und von dem Gefühl alleine gelassen zu werden. Es ist keine der Liebesgeschichten, wo alle am Ende ein zuckersüßes Happy End erleben. Sie handelt vielmehr von einem Mann, der von seiner Vergangenheit eingeholt wird, einer Zeit, auf die er alles andere als stolz sein kann. Vor einigen Jahren hat er einigen Menschen sehr wehgetan und nun ist er an der Reihe eine Lektion zu lernen, was Liebe wirklich ist und wie man mit ihr umzugehen hat.

 
 
 
 
 
 
 
Letzte Vorbereitungen

1
 
Samstag, der 26.März 2011
 
Linz, 23:35
 
Julia
 
Was war das?
Julia schnellte von ihrem Kopfkissen hoch. Ein Geräusch hatte sie unsanft aus ihrem Schlaf geweckt. Die junge Frau war von einer Sekunde auf die andere hellwach. Zaghaft fuhr sie sich durch ihr rabenschwarzes langes Haar, für welches sie ihre Freundinnen stets beneideten und sah sich zaghaft im Zimmer um. Normalerweise wäre sie an diesem Abend mit ihren Mädels ein wenig durch die Linzer Innenstadt gezogen um das Nachtleben zu genießen, doch seit zwei Tagen ließ sie eine hartnäckige Magen-Darm-Infektion nicht los. So blieb sie trotz aller versuchten Überredungskünste zu Hause in ihrer komfortablen 80m²-Wohnung leicht außerhalb des Stadtzentrums und hütete zum auskurieren das Bett, oder besser in ihrem Fall die Wohnzimmercouch. Julia horchte, doch konnte bis auf den Lärm aus dem Fernseher, wo gerade irgendein amerikanischer Thriller lief, nichts an ungewöhnlichen Geräuschen wahrnehmen. Wahrscheinlich war dieser schlussendlich der Übeltäter gewesen, der sie aus dem so angenehmen Schlaf gerissen hat. Wie lange hatte sie eigentlich geschlafen? Schnell suchte Julia den Blick an die Wanduhr, welche über der Zimmertür angebracht war. Fast zwei Stunden war sie im Land der Träume gewesen, während dem Fernsehen ganz tief eingenickt. Mit ihrer rechten Hand tastete die Frau nach der Fernbedienung, die auf dem kleinen runden Couchtisch vor ihr gleich neben ihrem Handy, einer XXL-Packung Zwieback und einer Tasse mit mittlerweile kalt gewordenen Pfefferminztee lag und bereitete der Mörderjagd auf dem Bildschirm ein jähes Ende, indem sie den roten Knopf drückte. Sogleich kehrte totale Stille in der Wohnung ein. Julia lauschte noch einmal, blieb eine Weile zugedeckt in ihrer weichen Fleecedecke auf der beigefarbenen Eckcouch sitzen. Sie kam zur endgültigen Schlussforderung, dass wirklich der Fernseher das Aufweckkommando gewesen sein musste. Erleichtert atmete die Dreißigjährige einmal kurz durch. Welch Streiche einem der Verstand doch spielen kann, dachte sich die Frau und entschied noch schnell ins Bad und danach ins Bett zu gehen, anstatt noch länger im Wohnzimmer zu verweilen. Sie überlegte einen kurzen Augenblick den schon kalten Tee auszutrinken, ließ es aber doch lieber bleiben. Noch etwas geschwächt von ihrem rebelenden Magen erhob sie sich vom gemütlichen Sitzplatz, trottete barfuss und eingehüllt in ihrem kuscheligen Hausanzug im Dunkeln geradewegs in das benachbarte Badezimmer. Wäre sie mit den Gedanken nicht schon zur Hälfte wieder in ihrer Traumwelt gewesen, hätte sie vielleicht bemerkt, dass die Zimmertür zu ihrem Büroraum, in dem sie vor ein paar Stunden noch gesessen und an ihrem Computer gearbeitet hatte, nur angelehnt war. Eine von Julias Macken war jedoch, dass sie prinzipiell alle Türen hinter sich schloss, wenn sie die Räume verließ beziehungsweise auch alle Türen schloss, die in ihrer Nähe überhaupt offen standen. Sie konnte nicht ahnen, dass sie seit kurzem nicht mehr alleine in ihrer sonst so sicheren und gemütlichen Wohnung war, eine maskierte Person, die sie zum einem tödlichen Spiel missbrauchen wollte, in dem ihr Leben an einem seidenen Faden hängen würde. Nichts ahnend machte Julia im Badezimmer das Licht an und musterte sich ein paar Momente im Spiegel über dem Waschbecken. Oh mein Gott, Julia, du siehst echt beschissen aus! schoss es der jungen Frau durch den Kopf. So eine Mageninfektion konnte einen schon ziemlich auslaugen und alleine der Anblick des blassen Gesichtes ihr gegenüber hätte fast erneut dazu geführt, dass ihr wieder übel wurde. Hoffentlich fühle ich mich bald wieder wohler. Muss ich mich halt morgen noch mal richtig schonen. Julia drehte den Wasserhahn des Waschbeckens auf und spritzte sich eine erfrischende Ladung in ihr Gesicht. Ah, das tut gut! Dann schnappte sie sich ihre elektrische Zahnbürste und bearbeitete damit zwei Minuten gründlich ihr Gebiss, spülte ihren Mund gut aus und verließ nach erneutem Betätigen des Lichtschalters das Zimmer Richtung Nebenraum, wo das Bett schon einladend auf sie wartete. Langsam zog sich die Frau ihren Hausanzug aus und legte ihn auf den Hocker am Fußende des Bettes, nahm sich ihr kurzärmeliges rotes Nachthemd und streifte es sich über. Dann schlüpfte sie schnell unter die warme Decke, begab sich in Schlafposition, was bei Julia hieß, sie lag Richtung Fenster gedreht auf der Seite, und schloss ihre Augen. So, gute Nacht! Schnell hatte sich der Körper wieder entspannt und der Schlaf rollte innerhalb weniger Minuten über sie hinweg. Totale Stille in der Wohnung, nur das tiefer und ruhiger werdende Atmen war aus dem Schlafzimmer zu vernehmen. Absolut nichts deutete darauf hin, dass es nicht mehr lange dauern sollte, bis Julias Albtraum beginnen würde, ein Albtraum, aus dem es kein einfaches Aufwachen als Entkommen gab.
 
Sonntag, der 27. März 2011
 
0:26
 
Als sich das ekelhaft riechende Tuch auf Julias Nase und Mund presste, riss diese die Augen augenblicklich weit auf. Eine Gestalt mit einer Maske, weiß und mit schwarzen Flammen um die Augenlöcher, stand direkt über ihr. In Panik ruderte sie mit den Armen, versuchte durch den weißen Stoff zu schreien. Der intensive Geruch zog sich durch beide Nasenlöcher, benebelte die Sinne und je mehr sie sich zu wehren versuchte, desto schwerer wurde ihr Körper. Julia versuchte sich irgendwie durch Drehen des Kopfes vom Gestank zu befreien, doch das Tuch wurde weiter fest auf ihr Gesicht gedrückt. Was ist hier los? Was passiert mit mir? Hilfe! Unter der Decke zappelten ihre Beine, verzweifelt versuchte sie alle ihre Kräfte zu mobilisieren, doch nichts brachte die Gestalt neben ihrem Bett dazu loszulassen. Mit jeder Sekunde schwanden Julias Energien mehr und mehr, ihre Lider wurden unerträglich schwer und sie war machtlos dagegen, die Kontrolle über ihren Körper zu verlieren und ihrem nächtlichen Besucher somit gnadenlos ausgeliefert zu sein. Keine Minute nach Beginn des Angriffs verlor die junge Frau endgültig das Bewusstsein und sie erschlaffte in den letzten chancenlosen Bemühungen der Gegenwehr. Die Gestalt neigte sich neugierig mit dem Kopf über Julia, betrachtete sie mit Freude und Genugtuung und ließ nach einigen weiteren Sekunden das Tuch von ihrem Gesicht gleiten. „So, das Spiel kann jetzt bald beginnen,“, flüsterte es mit verzerrter Stimme in Julias rechtes Ohr, „und du wirst die Hauptrolle im ersten Spielzug spielen.“
 
2:07
 
Wo bin ich? Warum kann ich mich nicht bewegen? Was ist mit mir passiert? Als Julia langsam von der Betäubung erwachte, fühlte sich ihr Kopf an, wie ob ein Vorschlaghammer Walzer darauf getanzt hätte. Finsternis und Kälte umgab sie. Sie spürte Lederriemen auf ihrer Haut, die sie an Brust, Hüfte und Beine an ihre Liegefläche fixierten. Wer hat mich hier angebunden?Was ist hier nur los? Benommen versuchte sie die Fesseln zu locken, doch sie konnte nicht den geringsten Spielraum für Bewegungen erzielen, festgeschnallt lag sie da auf einem riesigen massiven Eichentisch ohne eine Möglichkeit zur Flucht. Panik stieg in Julia hoch, sie konnte oder besser wollte dieses ganze Szenario nicht wahrhaben. Dann drangen die wagen Erinnerungen durch und Julias Blick verharrte. Ja, da war dieser Fetzen auf meinem Gesicht. Ich konnte es nicht wegreißen. Und da war diese Maske vor mir. Ich schlug um mich. Ich versuchte zu schreien. Ich wurde müde. Mein Körper war wie gelähmt. Dann bin ich hier aufgewacht. Dieser Jemand in meinem Schlafzimmer muss mich hierher gebracht haben, wo immer das auch sein mag. Wo bin ich nur? Oh mein Gott! Mittlerweile hatten sich Julias Augen etwas an die Dunkelheit gewöhnt und sie blickte direkt an eine Betondecke, von der eine Glühbirne an einem langen Kabel herunterhing. Ein Versuch den Kopf zu drehen um mehr von ihrem Aufenthaltsort zu erhaschen, scheiterte damit, dass schon die kleinste Bewegung davon starkes Schwindelgefühl in ihr hervorrief. So blieb sie liegen, festgeschnallt im dunklen Raum, nur bekleidet mit ihrem Nachthemd und versuchte einfach zu lauschen, jedes Geräusch zu orten, dass ihr zur Orientierung helfen konnte, doch außer ein leises Rauschen aus weiter Ferne wurde ihr kein Laut geschenkt, außer das nun langsam beginnende Wimmern und Schluchzen, welches dann immer lauter wurde und schließlich in weinerliches Schreien überging. „Helft mir, bitte holt mich hier raus!“ Das muss ein böser Traum sein, lieber Gott, lass es einfach ein verflucht böser Traum sein und mich aufwachen! Bitte!!!  

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.03.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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