Florence Siwak

Der Komplize



Zum ersten Mal seit langer Zeit war Herbert in der Lage,  Heidi  entspannt und ohne Groll zu ertragen.
Bald ist es ja vorbei dachte er und ich kann die Jahre, die mir noch bleiben, in aller Ruhe genießen. Vielleicht ja sogar mit Vera.
Versonnen spann er diesen angenehmen Gedanken weiter. Aber noch nicht zu weit. Er musste ja nun nichts überstürzen.
 
Normalerweise hätte Heidis wehleidiges Geplapper ihn zur Weißglut getrieben. Heute konnte er sogar dann und wann mit einem
müden Lächeln beifällig lächeln; wenn sie ihn wieder mal mit ihren blassblauen Augen Beifall heischend anblickte. Sie nickte dann
immer bestätigend mit dem schief gelegten Kopf, so dass ihre krausen graugelben Locken wippten.
Hatte er diese Eigenschaft wirklich mal reizend gefunden? Ihn schauderte. Aber in den ersten Jahren ihrer Ehe hatte er für ihre
Eigenheiten viel liebevolle Toleranz aufgebracht. Das war lange vorbei.
 
Mittags gönnte er sich zu einem guten Essen zwei Gläser Rotwein – volle Gläser. Gut war das Essen auch nur, weil er es zubereitet hatte.
Der wunderbare Lammrücken war zu schade für Heidis ungeschickte Finger. Das Essen war jedenfalls ein voller Erfolg.
‚Fast ein Abschiedsessen‘ lächelte er verstohlen.
 
„Legst du dich auch etwas hin?“ gähnte Heidi und grunzte wenige Minuten später mit offenem Mund auf der Couch.
Herbert versuchte sie objektiv zu betrachten. Schön sehen wir ja alle nicht aus, wenn wir so haltlos vor uns hin sabbern dachte er.
Ob wohl Vera auch Reize einbüßt, wenn sie sich so gehenlässt?
Er gestattete es nicht oft, sich in Gedanken mit der reizvollen alleinstehenden Nachbarin zur Linken zu beschäftigen.
Zu groß war seine Angst, seine Gefühle würden auf einmal deutlich werden. Gefühle, die er in 30 Jahren Ehe so nach
und nach begraben hatte.
Bis dann plötzlich – im April der Frühling auch zu ihm kam, der zweite oder dritte vielleicht.
Mit einer blühenden brünetten lebenslustigen und fröhlichen Frau zog Hoffnung ein.
 
Er beobachtete sie; kannte bald ihren Lebenslauf. Erfuhr, dass sie gern im Garten arbeitete – genau wie er.
Sie mochte Kinder, hatte aber mit ihrem verstorbenen Mann keine, was sie sehr bedauerte.

Dafür kümmerte sie sich rührend um die zwei Enkelsöhne der anderen Nachbarn, wenn sie dort auf Besuch waren.
Jetzt waren große Ferien und die Kinder waren mit den Eltern in den Ferien, begleitet von den Großeltern.
Herbert hütete wie jedes Jahr in den Ferien das Haus und den Garten. Er war schon lange nicht mehr in Urlaub gefahren.
Zuerst war das Geld knapp, dann verging die Lust daran, mit Heidi 24 Stunden am Tag zu verbringen. Kinder hatten sie nicht;
Heidi war immer zu kränklich gewesen – zu zart, wie sie es lieber nannte.
Zu Hause blieben ihm der Garten, die Unterhaltungen mit den Nachbarn und seit Kurzem Vera!
 
Er seufzte. 65 war er jetzt; seit einigen Jahren Rentner und in einigen Jahren – tot!
Und bis dahin?
 
‚Nein, ich will noch mal leben‘ gestand er sich energisch ein.
 
Er hatte sich angewöhnt, erst spät am Abend ins Nachbarhaus zu gehen, um nach „dem Rechten“ zu sehen.
Wenn er Glück hatte, lag Heidi schon im Bett und er konnte sich noch etwas seinen Wachträumen hingeben,
bevor sie ihr Schnarchprogramm startete.
Getrennte Schlafzimmer? „Gibt es bei mir nicht“ hatte sie kategorisch abgelehnt.
Natürlich hätte er sich durchsetzen können. Aber – Stärke beweisen war noch nie seine Stärke gewesen.
Er schmunzelte über diese Selbsterkenntnis, als er abends nach dem Tatort Heidi zurief, dass er nach nebenan gehen würde – Blumen gießen.
 
„Ich gehe schon nach oben“ brummte sie. „Mir ist gar nicht gut. Ich glaube, ich muss mich übergeben…“
Sie schlurfte ins Schlafzimmer, gekleidet wie immer in eine ihrer ausgeleierten schwarzen Leggins.
Zuhause muss man sich ja nun wirklich keine Mühe geben… war ihr Motto.
Naja, er würde sich jetzt Mühe geben.
 
Sorgsam goss er die Zimmerpflanzen und überprüfte fachmännisch, ob der Garten eine Berieselung nötig hatte.
Nein, heute noch nicht. Morgen. Obwohl – morgen würde er ja abends eher nicht in der Lage sein, an so etwas wie
Nachbars Garten zu denken. Aber dann könnte ja Vera helfen. Sie würden dann gemeinsam diese kleinen Pflichten erledigen;
Hand in Hand. Und dann vielleicht ein Glas Wein, etwas Mitleid…
 
Aber erst mal – an die Arbeit.
 
Johannes, der verreiste Nachbar, einer von Herberts wenigen Freunden, war ein begeisterter Jäger.
Davon zeugten diverse präparierte kleinere Wildtiere, Raubvögel und Nagetiere, die zartbesaiteten Gemütern erst mal einen Schrecken
einjagten, wie sie von ihren Regalen oder von der Wand mit ihren Glasaugen mahnend auf die Besucher herabblickten.
Herbert, weniger zart besaitet und schreckhaft, hatte sich seinen Favoriten ausgesucht; seinen Verbündeten.
Er schnappte ihn sich – den geschmeidigen kleinen Räuber.
 
„Gegen Marder ist kein Kraut gewachsen“ hatte Johannes geschimpft, als Herbert ihm letztes Jahr Vorhaltungen gemacht hatte,
als er triumphierend mit einigen dieser kleinen Raubtiere nach Hause kam – als Jagdbeute. Wir haben alles Mögliche probiert, nichts hat geholfen.
Kleine Säckchen mit Hunde- und Katzenhaaren, Ultraschall und Maschendraht. Johannes hatte  Toilettensteine und Mottenkugeln unter
die Motorhaube gehängt. Die Nachbarn wetteiferten mit Kreativität, aber geholfen hatte alles nichts.

Das größte und schönste Exemplar, das Johannes hatte präparieren lassen, sollte ihm jetzt als Komplize zur Hand gehen.
 
Er packte das langschwänzige Tier, stopfte es in eine Tüte und ging in seine Garage hinüber.
Es war kein Problem für ihn zu tun, was getan werden musste: die Bremskabel durchzunagen oder besser: durchnagen zu lassen.
Die Zähne des kleinen Raubtiers waren vielleicht nicht mehr scharf genug, um Beute zu reißen, aber für die Kabel des alten Mercedes
reichte es allemal.
 
Nach getaner Arbeit trug er das brave Tier zurück zu seinem Standort.
 
„Gut gemacht“ bedankte er sich, löschte das Licht und ging hinüber, um sich noch den Spät-Krimi anzusehen.
Er schlief gut in dieser Nacht. Tief und traumlos. Selbst Vera suchte ihn nicht heim. Er war zufrieden mit sich und der Welt.
Der nächste Morgen, der Mittwoch, Heidis Klatschtag im Örtchen unten im Tal, entsprach so gar nicht seiner guten Stimmung.
Es schüttete wie aus Kannen. Heidis Laune war auf der Skala von 1 bis 10 bei Null angelangt. Ihr war nicht gut; das wiederholte sie
wieder und wieder. Demonstrativ rieb sie sich den Magen.
Würde sie etwa gar nicht fahren?
Herbert verkniff sich den Hinweis auf die zwei Kohlrouladen aus der Büchse zum Abendessen, die Flasche Wein, die Pralinen.
Er war ja so eins mit sich und der Welt, dass er ihr sogar anbot, ihr einen Tee zu machen, was sie zu misstrauischen Bemerkungen
veranlasste.
„Mir geht es auch nicht so toll“ beruhigte er sie. Und das stimmte. Ihm war übel; leichter Schwindel überkam ihn und er spürte,
wie sein dünnes Hemd am Rücken klebte, obwohl es wirklich nicht so warm war.
„Ich glaube, ich gehe noch mal ins Bett“ brachte er gerade noch heraus, bevor der Schwindel ihn überwältigte und er sich auf die Couch sinken ließ.
Heidi kreischte auf. Sie war in den 30 Jahren ihrer Ehe nicht gewöhnt, sich um Herbert zu sorgen. Er war doch unverwüstlich, unkaputtbar sozusagen.
Nichts hatte ihn bisher umgeworfen.

Voller Panik vergaß sie ihre eigenen Beschwerden und rannte zu Vera hinüber, die noch beim Frühstück saß, sie aber sofort begleitete,
als sie hörte, dass es Herbert nicht gut ging.
 
„Er muss sofort ins Krankenhaus“ bestimmte sie resolut.
Es geht schneller, wenn Du ihn runter fährst; dann ist er in 5 Minuten im Spital. Der Notarzt braucht länger.“
 
Herbert versucht verzweifelt, sich verständlich zu machen.
„Nein, nicht Kranken….“ röchelte er, wurde aber von Vera liebevoll und bestimmt abgewehrt.
 
„Natürlich musst Du ins Krankenhaus“!
 
„Krankenwagen, lieber Krankenwagen“ brachte er gerade noch heraus, bevor er ohnmächtig wurde.
 
„Ich kann nicht fahren“ kreischte Heidi. „Mir ist übel!“
Tatsächlich war sie grün im Gesicht und der Schweiß lief ihr von der Stirn.
 
„Dann fahre ich“ erklärte sich Vera sofort bereit.
„Hilf mir wenigstens. Wir nehmen Euren Wagen; meiner ist vollkommen zugebaut; ich habe ihn eine Woche nicht rausgefahren.“
 
Gemeinsam schafften es die beiden Frauen, Herbert in den alten Mercedes zu schleppen.
 
Er kam kurz wieder zu sich, seine Einwände wurden aber auch dieses Mal nicht beachtet.
 
Das Letzte, was er von Heidi sah, war ihr grünlich weißes ungesundes Gesicht; da war der Wagen auch schon auf der Straße ins Tal.
 
Er spürte noch die Beschleunigung, konnte aber nichts mehr sagen, keine Warnung aussprechen.
 
‚Na wenigstens gehe ich mit Vera in die ewigen Jagdgründe und nicht mit Heidi‘ dachte er, bevor der Wagen von der Straße abkam.
Ob sein Herz vor oder nach Unfall aufhörte zu schlagen, konnte man nicht mehr feststellen. Aber das war ja auch eigentlich egal.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.03.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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