Ulla Meyer-Gohr

EIN ungewöhnlicher WEG

 

            " Viel zu früh riss das Schicksal, Ben Jever, aus seinem Leben. Es war ein Leben auf der Überholspur. Jetzt bekommt er den wohl verdienten Frieden, der ihm zu Lebzeiten nicht gegeben wurde."
Der Pfarrer zeichnete ein ausführliches Kreuz in die Luft. Ein weithin hörbares Amen beendete die Zeremonie.
Franziska Jever stand, die ganze Zeit, starr wie eine Statue am Grab ihres Mannes. Aller Zuspruch und Trost prallten an ihr ab. Sie nahm die Anwesenden kaum wahr. Tochter Jana hielt ihrer Mutter eine Schaufel Sand hin.
         "Mama, lass dir helfen !"
Die dunklen Augen der Witwe blickten ins Leere. Eine, an die Brust gepresste, rote Rose hielt sie krampfhaft umklammert. Einen Moment zögerte sie noch, doch dann warf sie die Blume in das offene Grab. Die Lippen bewegten sich und formten tonlos Worte wie: WARTE  AUF  MICH ! - Dabei bahnte sich eine Träne den Weg über das blasse Gesicht.
Jetzt kam Bewegung in die Trauergemeinde. Jeder, der Anwesenden, gab dem Toten die letzte Ehre; trat an das Grab von Benn Jever und warf eine Hand voll Sand hinein. Abseits des Grabes sammelte sich die Trauergesellschaft wieder, um gemeinsam den Friedhof zu verlassen.

Langsam kehrte der Alltag in das Haus zurück. Wenn auch eine seelische Wunde, durch den Verstorbenen, blieb. Dann geschah ein denkwürdiger Tag, der alles wieder in Frage stellen sollte. - Ohnmächtig fand Jana ihre Mutter vor der Küchentür liegen dem Leben mehr ab-als-zugewandt. Der alarmierte Hausarzt eilte herbei und untersuchte die , inzwischen, ins Bett Gebrachte. Ab und zu stammelte sie unverständliche Wörter als unterhalte sie sich mit einer nicht vorhandenen Person.
        " Ihre Mutter gibt mir Rätsel auf. - Eine plötzlich auftretende Epilepsie schließe ich aus. Dafür fehlen mir eindeutig die Symptome. Eher möchte ich annehmen, dass ihre Mutter durch den abrupten Tod ihres Mannes traumatisiert wurde. Bestimmte Situationen, die später an den Tod erinnern, lassen ein plötzliches Seelenchaos entstehen. Vielleicht müssen wir sogar einen Psychiater hinzuziehen, um das Geheimnis zu lüften. - Auf jeden Fall wäre ab jetzt eine Beobachtung vonnöten. Jede Kleinigkeit könnte von Bedeutung sein und darum, Fräulein Jana, möchte ich sie bitten alles an und um ihre Mutter wahr zu nehmen. Am besten in kurzen Notizen und mit Datum vermerken. Es wäre mir eine große Hilfe. Würden sie das für uns tun ?"
        " Natürlich, Dr. Petersen !"

Verwirrt erwachte Franziska Jever am späten Nachmittag. Sie starrte ihre Tochter an, die am Bett saß und ihre, knochig gewordenen, Hände streichelte. Der Gesichtsausdruck der Witwe verriet, dass sie eine andere Person zu sehen erwartete.
        " Mama ich bin es deine Tochter Jana !"
Enttäuschung machte sich in den großen, dunklen Augen der Kranken bemerkbar.
        " Ja, Liebes, ja ! - Was ist denn ? - Warum liege ich im Bett ?" fragte sie verwundert.
        " Wir haben dich ohnmächtig vor der Küchentür gefunden !"
Franziska Jever setzte sich auf. Unsicherheit verrieten die fahrigen Bewegungen.
        " Mir fehlt nichts. Vielleicht war es eine kleine Unpässlichkeit. Es wäre kein Wunder bei den gewesenen Turbulenzen der letzten Zeit ," sie tätschelte die Hände ihrer Tochter und küsste Jana auf die Stirn dabei blies sie ihr eine widerspenstige Locke aus dem Gesicht," wir haben bereits Spätnachmittag. Ich denke eine Tasse Kaffee würde uns beiden gut tun, meinst du nicht auch ?"
        " Mama, wenn du mit mir über Vater sprechen möchtest, sag es !"
Franziska Jever presste gequält den Mund zusammen und schüttelte verneinend den Kopf.
        " Jetzt nicht - vielleicht ein ander Mal."
Jana schrieb an diesem Tag die ersten Beobachtungen über ihre Mutter nieder.

Keine schrecklichen Vorfälle ereigneten sich mehr über das Jahr im Hause Jever. Der Herbst hielt Einzug. Der erste Raureif verzuckerte die Gartenwelt und die Kälte ließ an heiße, gehaltvolle Speisen denken. Die Haushälterin , Frau Marianne Elvers, hantierte den ganzen Morgen in der Küche und bereitete das Mittagessen vor. Sie stellte den Speiseplan für die ganze Woche zusammen und beschäftigte sich gerade mit der Vorbereitung der Zwiebelsuppe. Der Appetit anregende Duft machte vor der Küchentür nicht Halt. Als ein heftiger Schlag gegen die Tür, darauf ein dumpfer Fall, folgte. Die Frau zuckte zusammen. Ihr fiel vor Schreck  der Kochlöffel aus der Hand. Mit riesigen Schritten eilte sie zur Küchentür, öffnete, und sah auf die ohnmächtig, am Boden  liegende, Franziska Jever nieder. Frau Elvers hörte wie die Tochter des Hauses bereits mit dem Arzt telefonierte.
        " Ja - direkt wieder vor der Küchentür. - Das kann kein Zufall sein. - Nein - wir rühren nichts an. - Also sie kommen gleich. - Vielleicht finden sie endlich die Ursache. - Oh, hoffentlich, Dr. Petersen. - Dieser Albtraum muss aufhören. - Ja, ich bin im Haus. - Bis gleich. Aufwiedersehen !"
Frau Elvers schloss leise von innen die Küchentür.

Nachdem Dr. Petersen Franziska Jever untersucht hatte trommelte er alle Anwesenden zusammen. Er benahm sich wie ein Kriminalkommissar bei der Aufklärung eines Mordfalles. Seine kleinen, beobachtenden, Augen schossen hierhin und dorthin. Mehrere Male strich er über seinen grauen Bart.
        " Wo fand man eigentlich den Toten letztes Jahr ?" fragte er plötzlich.
        " Hinter der Küchentür. Warum fragen sie das ?"
Frau Elvers und Jana Jever sahen den Arzt verwundert an.
        " Erinnern sie noch zufällig  , welche Speise zu dem Zeitpunkt zu bereitet wurde ?"
        " Sie können Fragen stellen ? - Aber es ist ein Witz. Ich erinnere mich noch genau. Frau Jever und ich hatten vorher ein sehr anregendes Gespräch über Zwiebelsuppe und wie gesund sie ist. Als ich später die Küche betrat fand ich Herrn Jever tot hinter der Küchentür einem Herzinfarkt erlegen."
        " Und der Geruch von Käse überbackener Zwiebelsuppe drang aus der Küche wie jetzt !" ergänzte Dr. Petersen scharfsinnig.
        " Ja,  ich denke schon !"
        " Wann haben sie Frau Jever den Zusammenbruch ihres Mannes mitgeteilt ?"
        " Gleich, - sie kam gerade die Treppe herunter."
Dr. Petersens Miene erhellte sich.
        " Beim letzten Ohnmachtsanfall von Frau Jever war da auch Geruch von Käse überbackener Zwiebelsuppe im Spiel ?"fragte der Arzt noch gezielter.
Die Haushälterin musste einen Moment überlegen, dann nickte sie zustimmend.
        " Worauf wollen sie hinaus Herr Doktor ? - Doch nicht, dass der Geruch von Käse überbackener Zwiebelsuppe aus der Küche meine Mutter in Ohnmacht fallen läßt ???" ungläubig schaute Jana Jever Dr. Petersen an. Er nickte.
        " Das ist die Wahrheit. - Die Trauer nahm diesmal einen ungewöhnlichen Weg. Seitdem spielt auch die Psyche ihrer Mutter verrückt. Es braucht nur der Geruch von Käse überbackener Zwiebelsuppe aus Räumen dringen und ihre Mutter fällt in Ohnmacht. - Wenigstens wissen wir jetzt wo dran wir sind und dem entsprechend können wir mit der eigentlichen Therapie beginnen, um der armen, gequälten Frau endlich daraus zu helfen." 
  
   
  
 
   


 
  
     

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Ulla Meyer-Gohr).
Der Beitrag wurde von Ulla Meyer-Gohr auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.03.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Ulla Meyer-Gohr als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Alltagsrosen - gereimtes Leben - Großdruck von Christa Siegl



Die Autorin entführt den Leser in ihre gereimte Geschichtenwelt einerseits mit Ironie die schmunzeln läßt, anderseits regen lebensnahe Themen zum Nachdenken an. Die Gedichte muntern auf und zaubern ein Lächeln aufs Gesicht und in das Herz.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (4)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Wahre Geschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Ulla Meyer-Gohr

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Abschied von einer Großstadt. von Ulla Meyer-Gohr (Trauriges / Verzweiflung)
Der verbotene Luftballon von Ingrid Drewing (Wahre Geschichten)
Eine E-Mail-Liebe von Barbara Greskamp (Liebesgeschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen