Harald Haider

BLUTRACHE - 7.Teil

8
 
Zurück im dunklen Keller, 13:11
 
Julia zuckte wieder zusammen, als sich die schwere Tür langsam öffnete. Sekunden später blendete sie das grelle Licht seiner Taschenlampe so sehr, dass sie die Augen ganz klein zukneifen musste, als die Maskengestalt an den Tisch trat, auf dem die junge Frau gefesselt lag. Sofort spürte sie, dass etwas anders war. Durch die Schlitze seiner Maske konnte sie Feuer in den Augen erkennen, es loderte vor Wut. Irgendetwas musste ihren Entführer sehr aufgebracht haben. Sie haben mich gefunden! Die Polizei hat das Versteck entdeckt! Vielleicht lässt er mich jetzt frei, weil er keinen Ausweg mehr sieht! Aber es kann auch sein, dass er nur wieder zurückgekommen war, um mich…nein, so durfte ich nicht denken! Stark bleiben, Julia! „Es ist soweit, Schlampe!“ Auch die verzerrte Stimme klang bedrohlicher als bei den früheren Besuchen in diesem kalten Verließ. Was war soweit? Was geschah jetzt mit mir? Julia konnte erkennen, wie sehr sich ihr Entführer beherrschen musste die Fassung zu bewahren. Was war wirklich geschehen? Nie war die Angst der jungen Frau größer während ihrer Gefangenschaft größer gewesen als in diesen Sekunden. Es lag etwas in der Luft, nämlich das Böse in seiner reinen Form. „Dieser wertlose Mensch versucht wirklich deinen Retter zu spielen. Du bedeutest ihm, dreckige Schlampe, scheinbar doch mehr, als ich dachte. Der weiß ja gar nicht, auf was er sich da überhaupt einlässt!“ Zornig schüttelte die Maskengestalt die Taschenlampe hin und her, das flackernde Licht schmerzte in Julias Augen, doch plötzlich keimte ein winziger Hoffnungsschimmer in ihrem Herzen auf. Er meint Chris, er kann nur Chris meinen! Nein, er lässt mich nicht in Stich! Chris wird mich finden oder zur Polizei gehen, er wird irgendwas tun, was mir hilft freizukommen. Die trockene Kehle schnürte sich vor Aufregung zu, während sie darauf achtete ihren Peiniger keinen Augenblick aus den Augen zu lassen, so schwer das auch bei der dauerhaften Blendung halt ging. „Heute gibt es ein letztes Mal Wasser.“ Sogleich nahm der Entführer den Wasserschlauch und visierte damit Julias Gesicht an. „Trink!“ Die Wassermassen schossen auf die junge Frau zu, bevor sich diese darauf vorbereiten konnte. Eine knappe Minute lang wurde ihr Gesicht richtiggehend geflutet, dann versiegte das Wasser und nur noch einzelne Tropfen kullerten von der Öffnung des Wasserschlauchs herunter. Die Maskengestalt legte ihn neben sich auf den Boden und widmete sich dann wieder seinem Opfer. „Schlampe, nun geht das Spiel richtig los. Ich wollte dir nur eines sagen und das ist auch mit der einzige Grund, warum ich dich in deinem schicken Domizil kurz besuchen musste. In knapp fünfzig Stunden wirst du deinen letzten Atemzug machen.“ Der Entführer sagte das in so einem wuterfüllten und gleichzeitig eiskalten Ton, dass Julia nicht wusste, ob sie weinen oder vielmehr nur einfach losschreien sollte. „Außerdem brauche ich einen schönen Schnappschuss von dir, damit dieser Verlierer weiß, wie ernst es um dein Leben steht. Also lächle jetzt ganz herzig, kleine Schlampe!“ Die Maskengestalt zog aus der rechten Jackentasche ein Handy heraus, ohne einen einzigen Moment das Licht der Taschenlampe von der jungen Frau wegzuwenden. Dann hörte Julia zwei Mal ein Klicken von der Betätigung der integrierten Kamera. „Ja, das ist ganz ordentlich geworden. Müsste genügen, um ihm ein wenig Respekt zu lernen.“ Sekunden später war das Handy auch schon wieder in der Kleidung des Unbekannten mit der Maske verschwunden. Ohne es zu wollen, füllten sich Julias Augen mit Tränen und sie biss vor Furcht fest auf ihre Unterlippe, bis langsam ein kleines Blutrinnsal den Weg aus ihrem Mund fand und ihrem Kinn hinunterlief. Doch der einzige Schmerz, den die junge Frau spürte, war der Schmerz hilflos auf ihren Tod warten zu müssen. Ihr Entführer verabschiedete sich wortlos und trat den Rückweg zur schweren Eisentür an. Als er beinahe dort angekommen war, drehte er sich noch einmal zu der Frau auf dem Tisch um und sprach zu ihr mit einem hämischen Unterton: „Bereite dich auf dein Ableben vor, dein Chris wird gnadenlos scheitern, weil er einfach zu schwach ist. Er unterschätzt Eros‘ Macht! Versuche mir bitte nicht vor der großen Stunde wegzusterben. Ich möchte, dass er dich hilflos in deinen letzten Zügen sieht.“ Dann schloss er die Tür und war weg. Das war der Augenblick, an dem Julia ihr Schweigen brach und hemmungslos zu kreischen begann.
 
 
9
 
In der Firma „Der Büroexperte“, zur selben Zeit
 
„Chris? Wie siehst du denn aus?“ Mein Kollege sah mich sorgenvoll und sehr erstaunt an, als ich das Bürozimmer relativ weggetreten betrat. Erst wusste ich nicht, was er meinte, bis ich mein Erscheinungsbild im kleinen Spiegel an der Wand wahrnahm. Mein neues Designer-Hemd war an den Achseln und am Kragen total durchschwitzt, weiter zierten einige kleine dunkle Flecken den weißen Stoff. Diese mussten von der Flasche Cola herrühren, welche ich auf dem Weg zurück schnell bei der Agip-Tankstelle in Vorchdorf gekauft und im Wagen in einem Zug gierig geleert hatte. Nach dem zermürbenden Gespräch mit Eros war mein Mund wie ausgedörrt, meine Kehle fühlte sich komplett zugeschnürt an, ich war fast nicht fähig ein Wort zu sagen. Jedes Wort dieses total Irren schien meine Stimmbänder mehr und mehr zu lähmen, je länger er mit dieser unangenehmen blechernen Stimme auf mich eingeredet hatte. Ich hatte so viele offene Fragen in meinem Kopf, verstand noch immer nicht, was meine Rolle bei diesem verrückten Spiel war und warum gerade ich ausgewählt worden bin. Nie war ich ein Kind von Traurigkeit gewesen, hatte mein Leben wie erwähnt immer genossen, aber mir war kein Fehler bewusst, bis auf jenen Abend vor zwei Jahren…nein, der konnte mit diesem Irrsinn nichts zu tun haben. Dafür hatte ich wirklich schon genug gebüßt, damals ging innerhalb weniger Sekunden mein kompletter Lebenswillen verloren und es war ein kleines Wunder, dass ich ihn wieder so zurückgewinnen konnte. Da hatten natürlich meine Eltern und Tom sowie meine baldige Frau ihren großen Anteil daran, jedoch war es auch trotz ihres Beistandes wirklich eine steinharte Zeit gewesen, dessen Gedanken daran ich wie ein rotes Tuch zu meiden versuchte. Nein, was Eros anging, wollte er mich für etwas anderes büßen lassen, das hatte ich ganz stark im Gefühl, oder irrte ich mich? Und was hatte meine Ex-Freundin mit der ganzen Angelegenheit zu tun? Ich konnte mich nicht erinnern, mit ihr gemeinsam damals etwas angestellt zu haben. Gemeinsam das Leben zu genießen, konnte ja kein Fehler sein, war schließlich nicht verboten. Ein Satz ging mir nicht aus dem Kopf. Er stand in dem Brief, den mir Julia selbst geschrieben haben musste. Bitte lass‘ mich nicht wieder in Stich wie damals, als ich dich gebraucht hätte.Ich wusste wirklich nicht, was ich davon halten sollte. Bei was habe ich sie im Stich gelassen? Hatte sie unsere Trennung so sehr getroffen? Aber warum musste ich dann nach so vielen Jahren dafür gerade stehen? Nie hatte ich Julia schlecht behandelt oder ihr zu wenig Respekt entgegen gebracht. Nein, ich verstand die Welt vor lauter Fragen nicht mehr. Immer noch erhoffte ich mir inständig, dass irgendjemand alles als Farce der ‚Versteckten Kamera‘ aufklären würde, aber das war pures Wunschdenken. Vielmehr wuchsen meine Unsicherheit und Angst mit jeder Sekunde. Und nun sollte ich einfach weiter arbeiten und abwarten, bis ich in ein paar Stunden eine weitere Nachricht von Eros erhalten würde. Wie stellte sich dieser Psycho das vor? Vorher erpresst er mich mit Julias Leben, und dann soll ich einfach in Ruhe mein Leben weiter so führen, damit keiner etwas mitbekommt? Wie ernst konnte man ihn nehmen? Würde wirklich jede nicht befolgte Regel die gedrohten Konsequenzen nach sich ziehen? Ehrlich gesagt, wollte ich nicht die Probe aufs Exempel machen, auch wenn ich ganz kurz mit dem Gedanken gespielt hatte nach dem Telefonat bei der Polizei vorbeizuschauen, doch welche Beweise hatte ich für die Existenz von Eros? Ich hatte zu viel Schiss, wollte kein unnötiges Risiko eingehen. Nie könnte ich es mir verzeihen, wenn durch meine Schwäche liebgewonnene Menschen in Gefahr gerieten. Ich musste da durch, auch wenn ich noch gar nicht wusste, was eigentlich auf mich zukommen würde, davor hatte ich auch die meiste Angst. Diese Lektionen…was erwartete mich in den kommenden Stunden? Die Unwissenheit zerrte unentwegt an meinem Nervenkostüm, das befohlene Abwarten war eine wahre Qual. Nun hoffte ich den Arbeitsalltag so gut es ging herunter zu spulen, bis ich dann der ersten Aufgabe ins Gesicht blicken musste. Vor dem Auflegen hatte Eros mir noch eindeutige Anweisungen gegeben. „Hüten Sie den Postfachschlüssel wie Ihren Augapfel. Und passen Sie gefälligst besser auf das Handy in ihrer Hand auf. Es wäre nur allzu schade, wenn ich Sie einmal nicht erreichen könnte. Also achten Sie drauf, dass der Akku nie leer wird, es nie ausgeschaltet und für Sie stets griffbereit ist. Versuchen Sie nicht zurückzurufen, der Anschluss wäre ohnehin nicht erreichbar. Warten Sie einfach auf meinen Anruf und machen Sie keinen Blödsinn. Wie gesagt, ich habe sehr viel Macht, Herr Mraz. Fordern Sie mich nicht unnötig heraus. In wenigen Stunden teile ich Ihnen mit, was die erste Lektion für Sie bereit hält. Sie werden erstaunt sein, wie kreativ ich in Bezug der kommenden Aufgaben gewesen bin. Merken Sie sich: nun gibt es kein Zurück mehr für Sie!“ Was mir sofort an Eros‘ Computerstimme aufgefallen war, war der Unterton, der sich von einem Moment auf den anderen verändert hatte, als ich meine Zusage gab. Fast schien es, als ob meine Entscheidung überraschend für ihn war und Enttäuschung bei meinem Gesprächspartner hervorgerufen hatte. Die Worte hörten sich in Folge etwas gereizt an, erst zum Ende des Anrufs hin hatten sie sich wieder stabilisiert und strotzten nur so vor unberechenbarer Eisenkälte, welche mir den Ernst der Lage klar machte. „Hallo? Bist du noch da? Du bist ja total von der Rolle. Chris!“ Wie von einer Hornisse gestochen schreckte ich aus meinen Gedanken auf, registrierte jetzt erst bewusst die Anwesenheit meines Bürokollegen. Gerhard musterte mich mit durchdringendem Blick, ich konnte die Fragenzeichen über seinem Kopf förmlich sehen. Was sollte ich ihm bloß erzählen? „Ja, entschuldige, das warme Wetter macht mir etwas zu schaffen…ich hatte nur etwas zu erledigen. Alles wieder in Ordnung!“ Quasi als Bestätigung schenkte ich meinem Gegenüber ein gezwungenes Lächeln, welches er mir scheinbar nicht wirklich abnahm. „Was ist los? Seit diesem Brief, welchen du vorhin bekommen hast, bist du wie verwandelt. Gibt es schlechte Nachrichten? Du kannst es mir erzählen, Chris, wenn dich etwas belastet.“ Ich war sehr dankbar über Gerhards Sorge, es zeigte mir, dass er mehr als nur ein üblicher Kollege war. Unter normalen Umständen hätte ich ihm wahrscheinlich etwas über meine Gedankenwelt erzählt, doch hierbei handelte es sich um gar nicht normale Alltagsdinge. Wenn man Eros Glauben schenken durfte, dann ging es hier um Leben und Tod, um die Existenz eines Menschen. Jedes Wort, welches ich Gerhard anvertrauen würde, wäre zusätzliche Gefahr für ihn. Andererseits ließ sich dieser kecke Kerl auch nicht so einfach mit einer Lügengeschichte begnügen. „Danke, dass du für mich da bist. Im Moment kann ich dir leider nicht erzählen, was mich ein wenig bedrückt. Da muss ich selber durch. Aber mach‘ dir keine Sorgen, es ist alles halb so wild, muss mich nur um eine lästige Angelegenheit kümmern. Bald bin ich wieder der Alte!“ Einige Sekunden erwiderte Gerhard nichts, blickte mich weiter an, dann wurde ihm scheinbar bewusst, dass er zu diesem Zeitpunkt nichts aus mir herausbekommen würde und setzte ebenso ein eher lahmes Grinsen auf. „Du weißt, wie du mich erreichen kannst, Chris!“ Dann wandte sich mein Kollege wieder dem Monitor zu. Ich ließ mich auf meinen Bürosessel nieder und kramte aus meinen Unterlagen die fällige Aktionsliste hervor, dessen neue Preise eigentlich schon bis Mittag auf unserer Webseite online sein müssten. Nun musste ich versuchen trotz allem meine überfälligen Aufgaben zu erledigen, um mir nicht auch noch Ärger mit dem Herrn Generaldirektor einzuhandeln, darauf konnte ich getrost verzichten.
 
15:23
 
Die Zeit kroch nur so dahin, ich ertappte mich alle paar Minuten dabei auf meine Armbanduhr zu blicken und vom Büro aus den Gang im Augenschein zu behalten. Auch Gerhard entging meine Nervosität nicht. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass er gerne etwas gesagt hätte, jedoch hielt er sich angenehm zurück, auch wenn es ihm nicht leicht zu fallen schien. Nachdenklich kratzte er sich sein braunes Haar und versuchte sich auf seine Arbeit konzentrieren zu können. Was dieses Unterfangen betraf, war ich sang- und klanglos gescheitert. Die neuen Aktionen hatte ich in der doppelten Zeit wie sonst üblich bewältigt und es würde mich gar nicht wundern, wenn sich etliche kleine Schlampigkeitsfehler unter den Zahlen finden sollten. Ich entschloss selbst noch einmal einen Blick auf die umgeänderten Daten zu werfen, ging Preis für Preis, Staffelung für Staffelung durch und tatsächlich stolperte ich über den einen oder anderen Patzer. Gerade als ich die Liste endgültig in den „Aktionslisten 2011“-Ordner abgeheftet hatte, vernahm ich ein Geräusch aus meiner Hosentasche. Ich hatte eine SMS bekommen! Da ich das Mitteilungsgeräusch meines Smartphone auswendig kannte, war mir klar, dass die Nachricht von Eros kommen musste. Wie am Fussboden festgewachsen stand ich starr da, mein Puls überschlug sich vor Aufregung. Gerhard war glücklicherweise gerade in ein Telefonat vertieft. Tief atmete ich aus und ein, dann nützte ich die Gelegenheit und ließ das Bürozimmer mit einem leise gemurmelten „Ich muss schnell für kleine Jungs.“ hinter mir. Mit schnellen Schritten verschwand ich kurz darauf in der erstbesten Kabine der Herrentoilette, setzte mich hin und zog zittrig das Handy aus der Tasche. Ich hatte mich nicht verhört. ‚Eine ungelesene Nachricht‘ schmückte das beleuchtete Display. Kurz war ich dem Gedanken nah, einfach wieder ohne zu lesen zum Computer zurück zu gehen, doch mir war klar, dass ich davor nicht fliehen konnte. So nahm ich meinen Mut zusammen und drückte mit geschlossenen Augen auf ‚Öffnen‘.
 
Schauen Sie zu Ihrem Wagen! Die erste Lektion wartet auf Sie! Eros. Ich stand nur noch wenige Meter von meinem Skoda entfernt und sah sofort das Kuvert, welches unter den Scheibenwischern steckte. So unauffällig ich nur konnte, musterte ich jeden Winkel des Parkplatzgeländes, jeden Zwischenraum zwischen den verschiedenen Fahrzeugen, aber auch dieses Mal war ich auf der Suche nach einer verdächtigen Beobachtung komplett erfolglos. Konzentriert schritt ich zum Wagen, strich mit einer Hand unbewusst über den silbermetallicfarbigen Lack, während ich mit der anderen die neue Botschaft von Eros aus seiner Position herauszog. Erneut konnte ich die rote Wachsversiegelung auf dem Kuvert erkennen. Verstohlen bewegte ich es zwischen meinen Händen umher und entschied, zum Lesen in den Wagen zu gehen. Kaum spürte ich den Stoff des Sitzes auf meinem Rücken, riss ich auch schon das Papier auf und zog einen weißen Zettel heraus, auf dem ich nicht überraschend die mittlerweile bereits bekannte verschnörkelte Schrift erkennen konnte. Noch einmal versicherte ich mich, dass niemand in meiner Nähe war. Tief in mir spürte ich jedoch wachende Augen auf mir, die jeden Schritt, jede Bewegung von mir überwachten. Mein Herz schlug so laut, dass es mich beinahe in meinen Ohren schmerzte. Ich fühlte mich richtig elend, aber nun musste ich da durch. Ich fokussierte meinen Blick auf den Anfang des Briefes und begann leise zu lesen.
 
Herr Mraz,
 
sind Sie bereit für Ihre erste Lektion?
Eigentlich haben Sie ohnehin keine Wahl mehr.
Ich komme daher auch gleich zur Sache.
Lesen Sie sich die folgenden Zeilen sehr gewissenhaft durch, danach werden Sie den Brief in den Abfallcontainer neben dem Hintereingang werfen.
Ab diesem Augenblick bleiben Ihnen insgesamt 48 Stunden die Schlampe zu finden.
Sollten Sie scheitern, stirbt sie.
In diesen zwei Tagen werden Sie Aufgaben erhalten.
Diese rate ich Ihnen zu befolgen.
Natürlich werden Sie jede SMS-Nachricht nach dem Durchlesen sofort wieder löschen und jeden Brief bis zur Unkenntlichkeit verbrennen.
Für jede erfolgreich absolvierte Aufgabe erhalten Sie von mir Daten.
Nur diese können Sie zum Ziel führen.
Sollten Sie sich weigern, eine Aufgabe zu meistern, gibt es keine Daten und somit verringern sich die Überlebenschancen der wertlosen Frau drastisch.
Halten Sie sich stets an die 12 Regeln, die ich Ihnen mitgeteilt habe.
Ich würde jeden Fehler ohne zu zögern bestrafen.
Für die erste Aufgabe begeben Sie sich heute Abend, 20:00 zur Welser Traunbrücke.
Sie werden dort einen Anruf erhalten.
Seien Sie pünktlich, ich warte nicht gerne.
 
Es ist Zeit für Sie die erste Lektion zu lernen.
 
Eros

 
Was sollte ich nun von diesem Brief in meiner Hand halten? Viel schlauer war ich nicht geworden. Ich wusste weder, wo Julia ist oder was sie mit diesem Eros am Hut hatte noch war mir klar, was mich auf der Traunbrücke erwartete. Mir schwante nichts Gutes, dessen war ich mir auf jeden Fall bewusst. Was mir auch Kopfzerbrechen aufgab, war die Tatsache, dass ich von einem Platz zum nächsten dirigiert wurde, obwohl sich alle bisherigen Fakten in einem einzigen Brief ausgegangen wären. Was brachte Eros diese ‚Schnitzeljagd‘, um das Wort aus der Konversation mit dem Postfilialleiter aufzugreifen? Er wollte wahrscheinlich einfach Katz und Maus mit mir spielen, demonstrieren, dass ich nach seiner Pfeife zu tanzen habe. Das schien ihm Spaß zu machen. Eros wollte mich auf Trab halten, je mehr ich seinen Kuverts nacheilen musste, desto weniger blieb mir Zeit, klar zu denken. Zeit, das war ein gutes Stichwort. 48 Stunden, also zwei Tage blieben mir, um meine Ex-Freundin zu finden, ansonsten…nein, das konnte nicht sein. Obwohl ich weiterhin nicht den geringsten Schimmer hatte, wer dieser verdammte Eros war, war es verdammt schwer jemanden einen Mord zuzutrauen. Ich wollte sicher nicht, dass er mich vom Gegenteil überzeugte. Darum musste ich einfach alles machen, was mir befohlen wurde, so skurril sich das auch anhören mochte. Wie hatte der Unbekannte so schön in den vor mir liegenden Zeilen geschrieben? Eigentlich haben Sie ohnehin keine Wahl mehr. Genau, dieser Satz entsprach leider der Wahrheit. Ich hatte mich auf dieses Spiel, soweit man das so überhaupt nennen konnte, eingelassen und nun gab es kein Zurück mehr. Ein Blick auf meine Armbanduhr signalisierte mir, dass ich den nächsten Hinweis in ungefähr viereinhalb Stunden erhalten würde. Ich packte das Stück Papier in das Kuvert zurück und begab mich wieder zurück in Richtung Personaleingang. Bei jedem einzelnen Schritt dorthin wurde ich das unwohle Gefühl nicht los, die gesamte Zeit beobachtet zu werden. Ich gab mir aber nicht mehr die Mühe mich großartig umzusehen, denn ich hätte ohnehin wieder keine Menschenseele entdecken können. So, da stand der Abfallcontainer direkt vor mir. Ich bewegte das Kuvert ruhelos in meinen Händen umher, fragte mich, was passieren würde, wenn ich es nicht wie befohlen hineinwarf, sondern bei mir behielt, um einen Beweis für Eros‘ Identität zu haben. Soll ich es riskieren? Fast hätte mein Mut und Leichtsinn meinen Verstand besiegt, doch dann hörte ich leise Julias Stimme in mir. Ich vertraue darauf, dass du mir hilfst.Das hatte sie in den Brief hineingeschrieben und dieser Satz zerstörte augenblicklich alle meine tollkühnen Ideen. Ich konnte und durfte es nicht riskieren, diesen Irren unnötig zu reizen. Wenn ich richtig mit meinem Gefühl lag und er mich auf Schritt und Tritt verfolgte, dann würde er es sofort bemerken, wenn etwas nicht nach seinen Spielregeln verlief. Tief atmete ich durch und ließ das Kuvert im Behälter verschwinden. Mir war bewusst, dass er am Abend nicht mehr zu finden sein würde. Keine Spuren. Das war Eros‘ Devise. Ich öffnete die schwere Tür und betrat wieder das Innere des Bürogebäudes. Dabei bemerkte ich leider den bärtigen Mann mit der braunen Baseballkappe nicht, der mich dabei fasziniert von seinem Versteck aus fotografierte. 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.03.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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