Martina Bongartz

Der ganz normale Wahnsinn eines Tages im Lehrerdasein


Der Wecker klingelt…Was war heute gleich noch mal zu erledigen? Ach ja, da war das Fertigstellen des Protokolls und der Anruf bei den Eltern einer Schülerin. Gestern Abend war es einfach zu spät. Schon mit den Gedanken im Hinterkopf, die sich um meine Arbeit drehen,  quäle ich mich aus meinem Bett. Mein Mann? Der schläft wie ein Murmeltier- Spätschicht. Eine Spur Neid schleicht sich ein…
Im Dunkeln taste ich nach meinen Sachen-nur nicht wecken! In der Hoffnung alles in der Hand zu haben verlasse ich das Schlafzimmer, schließe leise die Tür und mache das Licht an. Es blendet fürchterlich- ein Blick auf die Armbanduhr mit zusammengekniffenen Augen: 5 Uhr-pünktlich!
Ich tappe durch den kühlen Flur, öffne die Badezimmertür. Beim Hineingehen versuche ich mein Spiegelbild zu ignorieren. Zuerst ist die Waage dran. Natürlich-trotz Hometrainer und sparsamen Essens-wieder nichts abgenommen. Für die bessere Laune wird das Radio angemacht. Naja, geht doch. Ab jetzt ist die Zeit genau vorgegeben: Duschen-Haare waschen-Abtrocknen-Fönen-Anziehen. 30 Minuten sind vorbei. Noch schnell ein bisschen Farbe ins Gesicht, dann fällt es nicht so auf, dass ich eigentlich nur müde bin.
Der nächste Teil beginnt in der Küche. Abwasch vom Vorabend, nachdem mein Mann unbedingt etwas kochen musste, Frühstück für die Schule für meinen Sohn, eigenes Frühstück. Kaffee muss zum Wachwerden sein. Schnell hole ich die Morgenzeitung-ich muss ja informiert sein. Kaum ist der letzte Bissen im Mund verschwunden, ist es Zeit, meinen Sohn zu wecken. Wie immer macht er es mir nicht leicht. Er möchte weiterschlafen, ich möchte, dass er aufsteht. Ich gewinne!
Zurück in die Küche, das benutzte Geschirr muss noch abgewaschen werden. Habe ich alles eingepackt, was ich brauche? In diesem Moment betritt J. die Küche. „Mutti, ich habe vergessen, die Mathearbeit unterschreiben zu lassen! Und kannst du mich am Nachmittag zum Training fahren?“ Sicher, sicher- irgendwie lässt sich das einrichten.  Schnell die Unterschrift, zum Glück ist die Note eine Zwei, da kann ich ruhigen Gewissens loben. Ab jetzt ändert sich mein Job. Als Antreiber bin ich dazu da, dass wir beide pünktlich das Haus verlassen. Meist gelingt das unter Aufwendung der ersten Nerven des Tages. Im Auto dudelt das Radio, J. spricht ununterbrochen. Als gute Mutter versuche ich zuzuhören und schwupp- wieder in der Radarfalle gelandet! Ein schöner Start in den Tag! Ich ärgere über mich selbst und weiß schon vorher: wenn ich das meinem Mann erzähle, bekomme ich einen Vortrag über vernünftiges Fahren, Spritsparen, Geldverschwendung,…
An der Schule lasse ich meinen Sohn aussteigen, die ersten meiner Schüler laufen mir dabei über den Weg. Einige grüßen freundlich, andere tun so, als wäre ich Luft. Ab geht es in die eigene Schule. Schon wieder der Blick auf die Uhr- ich schaffe es noch pünktlich zur Aufsicht. Schnell die 3 Treppen hinauf, Tasche abgestellt, Klassenbuch aus dem Lehrerzimmer geholt und auf dem Weg zur Aufsicht-aufgehalten. Eine Kollegin erzählt mir den Verlauf ihrer Vertretungsstunde in meiner Klasse. Das ist eine achte, in der momentan die Pubertät voll zuschlägt. Stunde nachholen oder extra Hausaufgaben oder…??? Man erwartet von mir die Generallösung. Blick auf die Uhr: Mist! Ich muss rennen, denn die ersten Schüler haben sich sicher schon eingeschlichen. Und richtig: Ich muss einige wieder auf den Hof befördern, bevor ich an der Eingangstür in der unteren Etage stehe. Manche verstecken sich hinter der Treppe-leider schaue ich dort auch hin. Es klingelt zum Reingehen. Die Tür wird aufgeschlossen. Kaum kommen die Schüler herein, gibt es die ersten zu klärenden Probleme. Da redet jemand schlecht über einen anderen, da haben sich zwei Mädchen zerstritten und können nicht mehr zusammen sitzen. Es klingelt wieder. Stunde! Ich möchte die Hausaufgaben kontrollieren. Von den 22 anwesenden Schülern haben die nur 8 gemacht. Was nun? Einträge ins Hausaufgabenheft, Unterschriften vom letzten Mal kontrollieren. Einige Unterschriften fehlen schon seit einigen Tagen. Ich müsste die Eltern telefonisch informieren, aber wann? Nach 10 Minuten können wir endlich mit dem Unterricht beginnen. Es macht Spaß, die Schüler zum Nachdenken zu bringen. Viele melden sich, aber es sind immer die Gleichen, die ich nicht erreiche. Die Stunde neigt sich dem Ende zu-neue Hausaufgaben, von denen ich weiß, dass sie wieder nicht alle morgen gemacht haben werden. Es klingelt…Die Stunde ist zu Ende, ich muss noch ins Klassenbuch eintragen.
Auf dem Weg nach draußen gibt es noch ein Problem zu klären, weil ein Schüler am nächsten Tag einen Arzttermin hat. Nun muss ich mich beeilen, denn in der nächsten Stunde hat eine zehnte Klasse Unterricht bei mir. Ich brauche die Duden. Zwei Treppen hoch mit Schultasche, in den Vorbereitungsraum und zwei Beutel mit Duden gefüllt. Gerade so zum Stundenklingeln erreiche ich keuchend den Raum in der obersten Etage. Hausaufgaben? Wieder bei den meisten Fehlanzeige, Ausreden vom Hamster, der die Hausaufgaben zernagt hat, über bösartige, kleinere Geschwister, die nur Interesse daran haben, Hausaufgaben zu vernichten bis hin zu lebenswichtigen Nachmittagsterminen, die das Lösen der Aufgaben verhindern. Ob schon mal jemand Schülerausreden gesammelt hat? Es dauert wieder einige Zeit, bis der Unterricht beginnen kann. Die Minuten vergehen schnell-viel zu schnell. Ich schaffe nicht alles, was ich geplant habe. Schade! Zum Glück kommt jetzt die Frühstückspause, Aufsicht habe ich nicht, also kann ich meine Kolleginnen treffen und einen kleinen Schwatz machen. Prompt dröhnt eine Durchsage durch die Lautsprecher: Ich muss zum Telefon. Prima! Ich bringe die Duden weg und mache mich auf den Weg. Eine Mutter traut ihrer Tochter nicht zu, dass sie vom „Zukunftstag“ alle Informationen richtig übermittelt hat. Also erkläre ich alles noch mal von vorn. Eine nette Verabschiedung und nun das Frühstück. Klingeln! Die Pause ist vorbei, ich muss in meine Klasse. Wo ist meine Schultasche? Ach ja –im Vorbereitungsraum, die Treppe wieder hoch, die Tasche geschnappt und ab in den Unterricht. Sind da nicht Arbeitsblätter? Aber wo? Nur 5 Minuten Zeit, die Klasse steht schon vor dem Raum, einige haben die Fenster im Flur weit geöffnet, spucken hinaus. Wer hat mitgemacht? Die Frage bleibt unbeantwortet. Ich schließe die Tür auf. Stundenklingeln.
Zuerst muss ich wissen, wer aus dem Fenster gespuckt hat, das dauert eine Weile. Hausaufgaben? Wieder nur ein Teil, also Einträge und bei wiederholtem Vergessen Besuch des Hausaufgabenzimmers. Der Unterricht verläuft zäh, es melden sich nur wenige. Schade, ich dachte bei der Vorbereitung, dass Frühling und Frühlingsgefühle die Phantasie der Schüler inspirieren. Neue Hausaufgaben und der Wunsch, die nächsten zwei geplanten Stunden doch noch einmal zu überdenken, um die Schüler mehr einzubeziehen, begleiten mich in die Pause.
In der nächsten Stunde steht die Klassenleiterstunde an. Ich kann also die Pause in meinem Raum verbringen, koordiniere die Toilettengänge und kläre einige Dinge wie Entschuldigungen, frage nach dem Befinden kranker Familienmitglieder, kontrolliere Unterschriften. Die vierte Stunde beginnt. Verschiedene Fachlehrer haben sich bei mir über das Verhalten einiger Schüler beschwert. Es folgt eine hitzige Diskussion über das Geschehene. Aber irgendwie kommt nichts dabei heraus. Schüler beschweren sich über Mitschüler und über die Reaktion der Lehrer, sparen aber den eigenen Anteil aus. Wie kann ich das ändern? Wieder tönt die Pausenklingel. Es ist Essenspause: Essen-was war das gleich noch mal? Ich betrete gerade den Vorbereitungsraum, als die Schulsekretärin an der Tür steht und mich freundlich an das überfällige Protokoll erinnert. Ich schwöre, es heute zu schreiben. Jemand gießt mir einen Kaffee ein, beim Trinken klopft es an die Tür. Eine Schülerin möchte noch etwas abgeben. Klar wird das auch freundlich entgegengenommen. Ich möchte mich wieder setzen, da fällt einer Kollegin ein, dass ich in der nächsten Stunde, die eigentlich frei sein sollte, laut Vertretungsplan eingesetzt bin. Ach du Schreck! Die Klasse kenne ich nicht, was fällt mir auf die Schnelle ein? Ich krame ein bisschen in den Regalen und finde ein Buch, das ich lesen könnte. Mit den Büchern unter dem Arm verlasse ich den Vorbereitungsraum. Essen-oh, habe ich wieder nicht geschafft.
Die nächste Stunde kostet viel Nerven. Einige Schüler versuchen sich in den Vordergrund zu spielen, provozieren. Ich bemühe mich, die Ruhe zu bewahren. Die Stunde geht vorbei, hinterlässt aber bei mir einen faden Beigeschmack. Die Bücher müssen zurück in den Vorbereitungsraum und die nächste Klasse wartet schon vor ihrem Raum auf mich. Ob wir heute etwas Schwieriges machen, das ist die erste Frage. Die Leistungskurve bei den Schülern und bei mir ist jetzt ziemlich unten, trotzdem einigen wir uns auf eine Gruppenarbeit, die auch ein bisschen Spaß macht. Diese Stunde vergeht schnell. Jetzt warten noch zwei Förderstunden auf mich.
Der Raum ist fast voll, als ich eintrete. Kein Wunder, denn morgen steht ein Test an und ich werde wiederholen. Da einige Schüler der Parallelklasse anwesend sind, muss ich improvisieren, denn die sind gerade bei einem anderen Thema. Nach einer Stunde verlassen fast alle den Raum, drei andere Schüler kommen neu hinzu. Fünf Schüler sitzen nun vor mir. Sie dürfen mir sagen, was sie im Unterricht nicht verstanden haben. Bis 15.30 Uhr arbeiten wir konzentriert, dann ist der Unterricht geschafft.
Wieder Teppen steigen, Jacke und Rucksack holen-es geht nach Hause. Im Auto fällt mir ein- ich habe sowohl das Protokoll als auch den Anruf vergessen. Zu Hause wartet mein Sohn auf mich. Er hat Hausaufgaben auf, bei denen er meine Hilfe möchte. Nebenbei mache ich mir etwas zu essen, ein Brot schmieren, Kaffee kochen. Als ich mich an den Schreibtisch setzen möchte, erinnert mich J., dass ich ihn noch zum Training fahren wollte. Ich hole somit das Auto wieder aus der Garage und fahre mit ihm los. In meiner Tasche stecken Aufsätze, die sollen in zwei Tagen fertig sein. Damit werde ich die Wartezeit überbrücken. Die eine Stunde vergeht schnell und ich habe nur zwei Aufsätze geschafft. Inzwischen ist es schon 6 und ich muss für morgen noch 5 Stunden vorbereiten.
Zu Hause schicke ich J. unter die Dusche, bereite sein Abendessen vor. Was esse ich? Eigentlich habe ich keine Lust, etwas zu kochen. Auf den Hometrainer wollte ich noch…
Als J. in seinem Bett liegt, klingelt das Telefon. Mein Mann! Er hat Pause und da wir uns am Tage nicht sehen, will er wenigstens mit mir sprechen. Anschließend sitze ich bis zehn an meinen Vorbereitungen. Ich bin müde…Schnell räume ich die Küche auf, lege J.`Sachen für morgen hin und lege mich nach einer „Katzenwäsche“ ins Bett. Mensch- ich habe wieder dieses blöde Protokoll vergessen und den Anruf auch. Um mich zu entspannen, schalte ich den TV ein. Langsam schlummere ich ein, bis mein Mann nach Hause kommt. Er setzt sich zu mir aufs Bett und erzählt von seinem Tag. Ich solle auf ihn warten, bis er nach dem Essen ins Schlafzimmer kommt. Schwierig, denn mir fallen die Augen immer wieder zu. Gegen elf kommt er ins Bett. Probleme von der Arbeit hat er auch mitgebracht. Was kann er tun? Kann ich ihm nicht einen Rat geben? Gegen 12 schlafe ich ein-um 5 klingelt wieder der Wecker…

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.03.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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