Christine Wolny

MANCHMAL GIBT ES NOCH KLEINE WUNDER

   
Auf einer Reise kann man einiges erleben. Es bleiben viele Eindrücke zurück, negative aber auch positive.
Zum Glück überwiegen die positiven.
 
Es war auf der Rückfahrt von Gmunden nach zuhause.
Meine Reisetasche war schwerer als ich gedacht hatte, und so musste ich auf dem Weg zum Bus, der mich zum Bahnhof brachte, mehrmals stehen bleiben, um wieder etwas Kraft zu sammeln.
Wieder ein paar Schritte, ausruhen, weitergehen…..
Das hatte ich einkalkuliert. Deshalb ging ich früher los.
Am Bahnhof hatte ich Zeit. Ich holte mir einen Kaffee aus dem Automaten, der allerdings mehr nach Kakao schmeckte.
Vielleicht haben sie auch die Schilder verwechselt.
Nicht schlimm, so bekomme ich wenigstens kein Herzklopfen.
 
Dann ging das mehrfache Aus- und Umsteigen los.
Eine Frau gleichen Alters, die nur eine kleine Handtasche bei sich trug, sah mir offensichtlich an, dass ich mich mit der Reisetasche sehr schwer tat, und sie bot sich an, die Tasche gemeinsam zu tragen.
Ichwar sehr froh darüber, denn es blieben mir in Wels nur vier Minuten, um in den ICE zu steigen, der mich nach Frankfurt bringen sollte, weil der Bummelzug zu lange bummelte.
Kaum war ich eingestiegen, fuhr der Zug schon los.
 
Ichkonnte nicht richtig entspannen. Das Abteil war fast voll. Ich konnte mich nicht ausbreiten, sondern saß recht beengt neben einen korpulenten Herrn, dessen Körper gerne zwei Plätze benötigte. Um einer ständigen Berührung aus dem Weg zu gehen, neigte ich mich mehr Richtung Mittelgang. Dabei bekam ich öfters von vorbeigehenden Personen einen Schups oder durch Gepäck einen Rempler, die mich immer wieder aus dem Halbschlaf rissen.
Die Reservierung meines Nachbarn ging bis Würzburg, und so rechnete ich mir aus, dass ich wenigstens in der letzten Stunde bis Frankfurt Luft holen konnte.
Seine Frau saß ihm gegenüber. Sie würdigte mich keines Blickes, stellte ihre Handtasche auf den zweiten, freien Platz neben sich und war bestimmt sauer auf mich, weil ich ihrem Mann durch meine Anwesenheit den Reisekomfort eines freien Platzes wegnahm.
Als in Regensburg ein Fahrgast neben der Frau Platz nehmen wollte, sagte sie kurz, der sei schon besetzt.
Ja, so kann man es auch machen. Zum Glück sind nicht alle Menschen so.
Da der Zug in Frankfurt verspätet einlief, hatte ich wiederum nur vier Minuten, vom Bahnsteig zwei bis siebzehn zu laufen.
Die Bahnsteige waren voller Menschen, die bereits ihre Heimfahrt nach einem Arbeitstag antraten.
Ichmusste mich durchschlängeln, was mit meiner übergroßen Stofftasche sehr schwer war.
„Nie wieder werde ich diese Tasche benützen. Das nächste Mal nehme ich den Rollenkoffer, obwohl er vom Leergewicht schwerer ist.“
 
Solche Gedanken schossen mir durch den Kopf, während ich unentwegt weiter lief.
Eine Pause konnte ich dieses Mal nicht einlegen, da würde mir der Zug vor der Nase wegfahren. Und so hastete ich, schnell atmend, dem Regionalzug entgegen.
Geschafft.
Ichließ die Tasche im Gang stehen, vielmehr plumpste sie mir zu Boden und setzte mich auf den letzten leeren Platz, der scheinbar für mich frei gehalten worden war, und schnaufte vor mich hin.
Eine jüngere Frau mir gegenüber sitzend, hatte einen Becher mit gewürfelten Ananasstücken in der Hand. Sie bot erst dem Mann, der ihr gegenüber saß, etwas an, der jedoch ablehnte.
Dann hielt sie mir den Becher hin und ich nahm gerne ein dickes Stück jener göttlichen Frucht, die mir wieder etwas Kraft verlieh.
Dreimal reichte sie mir den Becher, und jedes Mal griff ich gierig hinein. Bald war der Becher leer.
Nun kamen langsam meine Lebensgeister wieder zurück.
Die Frau wusste gar nicht, wie gut mir ihre Erfrischung tat.
Am Zielbahnhof wurde ich von meiner Schwiegertochter mit dem Auto abgeholt.
Manchmal gibt es noch die kleinen Wunder.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.04.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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