Marie Dontask

Warten


Als sie ankam, war er schon da. Dieser
Ort, dieser Baum in diesem Park war ihr Platz und ein Herz mit ihren
Namen zierte den Baum unter dem er auf sie wartete. Er war um keinen
Tag gealtert. Mit seinen vierzig Jahren hatte er den Zenit erreicht.
Zum einen prangten in seinen schwarzen Haaren schon silberne, die er
nicht mehr verstecken konnte, was einen Hauch der Weisheit eines
alten Mannes versprach, von den Dingen, die er schon gesehen hatte.
Zum anderen strahlte er eine gewisse Jugendlichkeit aus und das
abenteuerliche Glitzern in seinen Augen war noch nicht dem
anstrengenden und langweiligen Alltag zum Opfer gefallen. Sie war ein
Abbild ihrer Jahre und der Dinge, die sie erlebt hatte. Schwere
Schatten zeichneten ihr Gesicht und das kleine Lächeln, das sie
hatte als sie ihn sah, erzählte von der tiefen Traurigkeit, die sie
mit sich trug wohin sie auch ging. Manchmal heilte die Zeit eben
nicht alle Wunden, und auch wenn der aufkommende Frühling mit seinem
ersten zarten grün, den länger werdenden Tagen und einer angenehmen
Wärme sie mit einer gewissen kindlichen Freude erfüllte, so war ihr
persönlicher Frühling längst verloschen und dem Ende eines zu
heißen Sommers gewichen.
„Du kommst spät“, sagte er ohne
Vorwurf. Sie setze sich neben ihn ins Gras, erinnerte sich an all die
Dinge, die sie unter diesem Baum miteinander geteilt hatten und
zeichnete mit ihrem Finger das in den Baum geritzte Herz nach. „Es
überdauert die Zeit“, sagte er „und so lange dieser Baum steht
wird sich die Welt an uns erinnern.“ Die Worte trieben Tränen in
ihre Augen, die sie sogleich bekämpfte. „Du bist um keinen Tag
gealtert und ich bin nur noch ein Schatten meiner selbst“, sagte
sie voller Neid. „Und deine gute Laune treibt dir auch keiner
aus.“. Ein zarte Berührung an ihrer Wange zwang sie, ihn
anzusehen. „Du bist genauso schön wie damals, da gibt es keinen
Zweifel und das grau steht dir gut.“ Mit einem Lächeln setze er zu
einem Kuss an, doch sie wandte sich ab. Ihr kamen die Tränen, sie
konnte nichts tun. Er erwiderte nichts, sondern schloss sie in seine
Arme und begann, das Lied zu singen, dass sie damals so gemocht
hatte.
„Hör doch auf, das macht es nicht
besser. Wir können so nicht weiter machen. Seit zehn Jahren treffen
wir uns hier als wäre all das nicht geschehen, was nun mal passiert
ist. Aber ich muss langsam in die Zukunft blicken.“
„Und ich bin hier, damit du genau das
tun kannst. Ich passe auf dich auf. Ich bin nur wegen dir noch hier,
jeden Tag an dieser Stelle und warte, so lange wie ich eben warten
muss damit du kommst. Aber in letzter Zeit kommst du immer seltener
und ich warte vergebens. Meinst du denn, das du wirklich bereit
bist?“
„Ob ich bereit war wird die Zeit
zeigen, aber es gibt da jemanden, der vielleicht ein bisschen so ist
wie du. Und er gibt mir ein bisschen von dem zurück, was ich vor
langer Zeit glaubte für immer verloren zu haben.“
„ Du weißt, dass dieser Abschied
dann für immer ist und ich nie wieder hier auf dich warten werde.
Das letzte was an uns erinnert ist das Herz, denn es überdauert die
Zeit.“
„Ich glaube ich bin jetzt bereit und
du bist es schon lange. Das hier wird uns nicht das geben was wir
wollten und du wirst nie wieder der sein, der du mal warst und sein
müsstest um an meiner Seite bleiben zu können. Ich kann jetzt
allein auf mich aufpassen.“
„Es ist deine Entscheidung. Dann ist
dies wohl unser letzter Abschied.“
Er gab ihr einen letzten Kuss und
schloss sie ein letztes Mal fest in seiner Arme, dann stand er auf
und ging ein paar Schritte voraus. Sie blickte ihm einfach nur nach
und kämpfte die Tränen weg. Denn sie wusste, wenn er noch länger
blieb, dann würde das nur den Schmerz verlängern. Er wandte sich
noch einmal zu ihr um und lächelte, dann sah er in den Himmel und
sein Geist verschwand für immer. Sie sah noch lange auf die Stelle,
wo er verschwunden war und weinte. Sie weinte um vieles, aber vor
allem um den Mann, den das Schicksal ihr so plötzlich und unerwartet
und ohne Möglichkeit sich zu verabschieden vor zehn Jahren genommen
hatte. Als es dunkel wurde besann sie sich. Es blieb die Hoffnung,
dass da jemand auf sie wartete und sie jetzt nicht mehr allein war.
Sie stand auf und machte sich auf den Weg, aber im letzten Moment
kehrte sie noch einmal zurück. Das hier war jetzt nicht mehr ihr
Platz. Mit ihrem Messer kratze sie die Namen aus dem Herz, denn das
Herz würde die Zeit überdauern, auch wenn ihre Liebe es nicht
geschafft hatte.  

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.04.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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