(1954)
Das Schuljahr begann mit dem obligatorischen Fahnenappell. Ich war mit guten Noten in die 10. Klasse versetzt worden und stand nun als damals noch sehr engagierter ehrenamtlicher FDJ-Sekretär der Oberschule vor den zwei neuen 9. und den zwei 10. Klassen und erstattete dem Direktor der Schule Meldung. Das ging ungefähr so:
" Ich eröffne den Fahnenappell mit dem Gruß der Freien Deutschen Jugend - Freundschaft." Eine geschlossene ohrenbetäubende Antwort war das Ergebnis.
" Freundschaft", schrieen alle und dachten dabei sicherlich in Mehrheit: Hoffentlich ist der Unsinn bald vorbei.
"Genosse Bösiger, die neunten und zehnten Klassen sind zum Fahnenappell angetreten!"
"Danke", kam als Antwort und der Direktor begann zu reden.
Ich schaute während der Rede in die Runde und sah mir meine künftigen Mitschüler aus den beiden neuen 9 Klassen an. Mein Blick blieb plötzlich auf einem Mädchen haften, die mich sofort faszinierte. Ich hörte nicht mehr auf das, was der Direktor dort vor den angetretenen vier Klassen sagte. Meine Blicke galten nur noch ihr und ich weiß, daß sie es bemerkte. Noch während des Appells sehnte ich die erste Pause herbei. Und die Pause kam endlich.
"Hallo, " sprach ich sie an, " wohnst du im Internat?"
"Nein", antwortete sie und ihre Stimme vibrierte. "Ich wohne privat bei Freunden meiner Eltern."
"Klasse", erwiderte ich, "dann bist du ja nicht an die blöden Freizeitregelungen des Internats gebunden. Wie heißt du eigentlich?"
" Ursula", und dann kam ihr Familienname. "Ich bin in Plau zu Hause, mein Großvater und mein Vater haben eine gemeinsame Zahnarztpraxis."
"Können wir uns heute abends treffen?" Ich sah sie flehentlich an.
"Ja, ich muss aber um zehn Uhr zu Hause sein."
"Früh oder abends", scherzte ich und sie lachte. Ihr Lachen ließ mich erbeben. Noch nie vorher hatte ich dieses Gefühl. Ich war verliebt.
"22 Uhr meine ich natürlich, holst du mich ab? "Sie nannte mir Straße und Hausnummer sowie den Namen der Familie, bei der sie wohnte.
Ich sollte sie um 20 Uhr abholen. Die Stunden in der Schule kamen mir sehr lang vor, obwohl sie ja 45 Minuten dauerten. Bei jedem Klingeln zur Pause war ich der Erste an der Tür und auf dem Schulhof. Ich weiß, daß es ihr nicht anders erging.
"Mama", sagte ich, als ich nach dem Unterricht nach Hause kam, "ich habe heute abends um 8 Uhr eine Verabredung mit einem Mädchen, ich werde erst um halb elf zu Hause sein."
Meine Mutter war immer großzügig in solchen Dingen zu ihren Söhnen, denn in den meisten Fällen konnte sie sich auf uns verlassen. Um 19.30 Uhr verließ ich unsere Wohnung und schlenderte in die Altstadt. Röbel ist eine kleine idyllische Ackerbürgerstadt, heute natürlich viel moderner als damals. Es war von unserer Wohnung zur Altstadt nur ein kurzer Weg und ich wusste, daß ich einiges zu früh bei Ursula sein würde. Dennoch, als ich vor dem Haus stand, bemerkte ich hinter den Gardinen nicht nur Ursula, sondern auch die Tochter des Hauses und ihre Mutter, wie sie mich beobachteten. Ich glaube rot angelaufen zu sein. Ursula kam heraus und wir liefen in Richtung Hafen. Ein Stück vom Haus entfernt, ich war sicher, daß niemand aus dem Haus uns noch beobachten konnte, nahm ich ihre linke Hand in meine rechte. Hand in Hand spazierten wir über Hafenvorplatz hin zur Müritzpromenade, weiter bis nach Seelust und zurück zur Müritzpromenade. Dort ließen wir uns auf eine Bank nieder. Der Abend war sternklar und noch sommerlich warm. Wer kennt das nicht, wie dann frisch Verliebte versuchen, einander näher zu kommen.
"Sieh mal Ursel, " so nannte ich sie seit wenigen Minuten, "da ist der kleine Wagen und dort der große und der helle Stern, das ist der Polarstern, glaube ich."
"Hmmm", antwortete sie, denn sie hatte genau so wenig Ahnung wie ich. Ich legte meinen Arm um sie und zog sie an mich, spürte ihr leichtes Zittern. Wie von selbst fanden sich unsere Lippen, für mich war es der erste und schönste Zungenschlagkuß meines Lebens.
"Ich liebe dich", flüsterte ich ihr ins Ohr.
"Ich dich auch." Wieder fanden sich unsere Lippen zu einem langen Kuss."Oh Gott, es ist schon zehn Minuten nach Zehn, ich bekomme Ärger, " sagte Ursel.
Wir brachen auf. Vor ihrem Haus verabschiedeten wir uns mit einem langen Kuss. Ärger hat sie keinen bekommen, dafür konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen. Am nächsten Tag sahen wir uns in der Schule wieder und begrüßten uns mit einem Kuss.
Vorheriger TitelNächster TitelIn dieser Geschichte geht es um eine wahre Begebenheit aus meiner Oberschulzeit. Auf meiner Homepage habe ich dazu 2 weitere Geschichten mit jeweils drei Fortsetzungen veröffentlicht.Vielleicht erscheinen sie eines Tages auch hier?
Solltet ihr vielleicht vorher neugierig werden, dann besucht einfach meine Homepage.
EberhardEberhard Mehl, Anmerkung zur Geschichte
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.03.2003.
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