Engelbert Blabsreiter

Nur ein Tag

 

Erschöpft zog sie sich aus dem kühlen Wasser auf einen flachen glatten Stein empor.
Ein Teil der Hülle die sie so lange beherbergt hatte wurde dabei vom langsam fließenden Wasser fortgetragen.
Die Luft war kühl und so versuchte sie sich durch Zittern etwas Wärme zu verschaffen.
Ihr Körper der so lange in eine enge Hülle eingzwängt war
hatte jetzt Raum sich zu entfalten und sie fühlte die phantastische Intensität der Entfaltung ihres neuen Körpers.

Sie hatte plötzlich ein intensives Empfinden für ihre Umwelt und ihre neu geschaffenen Sinne wurden mit für sie völlig neuen Reizen überflutet.
Ihr neu geschaffenes Gehör vernahm ein leises Plätschern um den Stein an den sie sich klammerte.
Doch plötzlich fühlte sie sich beobachtet...
Da ihre Augen noch nicht richtig sehen konnten fragte sie leise...ist da wer? Wer bist du ?
Als keine Antwort kam versuchte sie es noch einmal etwas lauter.. wer bist du ??

Etwas flüsterte leise zurück...ich bin das Wasser.
Ich war all die Tage, Monate und Jahre deine Heimat, kennst du mich nicht mehr?
Die Welt stillt seinen Durst mit mir und ich beherberge und ernähre viele Geschöpfe jeden Alters in zahllosen Arten.
Ich fließe durch Bäche, Flüsse und Ströme ins Meer, verdunste dort und komme als Regen wieder auf die Erde zurück. Ohne mich gäbe es kein Leben.
Das ist so seit Anbeginn der Zeit. Aber jetzt ist es Zeit für dich mich zu verlassen und neue Wege zu gehen. Übrigens...bevor ich vergesse...dein Name ist Daily.
Dann war es wieder still. Daily lauschte noch eine Weile aber das Wasser sprach nicht mehr zu ihr.

Ganz langsam wie in Zeitlupe erhob sich die Sonne über den morgentlich nebligen Horizont und warf ihre ersten glitzernden Strahlen auf die Wasseroberfläche.
Daily fühlte die wohlig warmen Strahlen auf ihrem Körper auch wenn sie noch nicht richtig erkennen konnte woher die Sonnenstrahlen kamen.
Sie fragte in die Richtung aus der sie die wärmenden Strahlen vermutete...
Wer bist du? Warum bist du so warm ? 
Ich bin die Sonne, hauchte ihr ein Sonnenstrahl zu. Ich wärme diesen Planeten, ernähre die Pflanzen an Land und im Wasser.
Ohne mich gäbe es kein Wachstum und Leben.
Daily fühlte wie sie langsam trocknete und ihr Körper genoss die wärmenden Strahlen.
Die Haut ihrer Flügel erhärtete sich und plötzlich konnte sie sich von dem Stein erheben und flog in den Morgenhimmel in die Richtung zur wärmenden Sonne.

Daily genoss die neu entdeckten Fähigkeiten wie das Sehen und Fliegen. Sie konnte gar nicht schnell genug die Welt um sich entdecken.
Als sie langsam vom Fliegen ermüdete landete sie auf einem Blatt in einem mächtigen Baum.
Schon beim Fliegen fühlte sie etwas unsichtbares über ihren Körper streichen. Jetzt auf dem Baum wurden die Blätter von der selben unsichtbaren Kraft bewegt.
Daily wunderte sich wie viele Blätter auf einmal bewegt werden konnten und das Geräusch dazu konnte sie auch hören.
Aber sie konnte das was sie fühlen konnte nicht sehen und das machte sie unsicher.
Wer bist du ?? Warum berührst du mich ?? Fragte sie in die Richtung aus der die unsichtbare Kraft kam.
 
Ich bin der Wind meine Kleine.... ich bewege Bäume und Gräser und Wolken.
Das Wasser ist als Nebel oder Regen oft mein Gast und ich transportiere es um die ganze Welt.
Die Sonne gibt mir die Kraft mich zu bewegen und das Wetter zu bestimmen.
Ich kann deinen Körper ohne Mühe tragen und spiele gerne mit Blättern, Gräsern und dem Wasser.
Ich habe dir deine Flügel getrocknet und dich zum Baum getragen. Dein Name ist doch Daily oder?

Woher kennst du meinen Namen fragte Daily?

Ein Wassertropfen und ein Sonnenstrahl haben mir erzählt, dass du das Wasser verlassen hast und jetzt die Welt entdecken willst. Aber jetzt bist du ja schon fähig alleine zu fliegen.

Plötzlich hörte das Rauschen der Blätter auf und Daily war wieder alleine.

Daily langweilte sich plötzlich und so entschloss sie sich den Weg unter dem Baum auf dem sie saß entlang zu fliegen.
Im warmen Sonnenlicht taumelte sie durch die Luft und genoss den Blick auf die glitzernde Wasseroberfläche des Flusses, das Grün der Wiesen und Bäume.
Ein großes Glücksgefühl füllte sie aus und sie genoss ihr Dasein in dieser wunderbaren Welt.
So ging es viele Stunden ohne zu ermüden oder Rast zu machen.

Als plötzlich ein Radfahrer auf dem Weg entlang fuhr, prallte Daily genau auf das Auge des Radfahrers.
Der Aufprall war so heftig, dass sie halb bewustlos war als sie von der Tränenflüssigkeit eingeschlossen wurde.
Der Radfahrer wischte sie mit einem Finger aus dem Auge und schüttelte die Träne in die sie eingebettet war auf das Gras neben dem Weg.
Dort zerstieb der Tropfen mit ihr und Daily blieb ganz nass und benommen liegen. 

Als sie wieder zu sich kam hörte sie ein leises Zirpen neben sich aber sie konnte nicht erkennen woher es kam.

Wer bist du? ... Fragte sie ganz schwach und leise in die Richtung aus der das Zirpen kam. Aber es kam keine Antwort.
Dann nahm sie alle Kraft zusammen und fragte noch einmal..wer bist du???....
Da hörte das Zirpen plötzlich auf und eine Stimme aus einem kleinen Loch im Boden antwortete.
Ich bin eine Grille und musiziere in den Abendstunden gerne ein bisschen.

Wieso machst du das fragte Daily?

Ich versuche mit meiner Musik ein Weibchen anzulocken antwortete die Grille und wenn ich am Rand meines Wohnloches sitze dann klingt es noch lauter.
Aber das kannst du ja nicht wissen Kleine...sprach die Grille und verschwand in ihrem Loch.

Daily hatte keine Kraft mehr sich zu bewegen und so musste sie bewegungslos zusehen wie sich die warme Sonne hinter dem Horizont verbarg.
Langsam kroch die Kälte in ihren Körper und sie wurde immer schwächer.
Als sich eine gelbe Scheibe über den nächtlichen Himmel schob schaute sie verwundert auf.
Zuerst dachte sie es wäre wieder die Sonne die sich wieder blicken ließ, aber sie erkannte sehr schnell, dass keine Wärme von der Scheibe ausging.
Nur ein gelbes Licht in Form von schwachen Lichtstrahlen.
Mit letzter Kraft hauchte sie der gelben Scheibe zu... wer bist du?....Wieso bist du nicht warm ?

Ich bin der Mond, sanft und doch so mächtig. Nach mir berechnet sich die Zeit und auch die Wasser aller Meere folgen meinem Lauf.
Ich wirke auf viele Wesen dieser Erde ohne, dass sie es erkennen können. Manchmal zeige ich mich in voller Größe, manchmal aber auch nur einen Teil von mir.

Das Ende deiner Zeit in diesem Körper ist nun gekommen Daily, deshalb beleuchte ich dein Lebensende mit den schönsten Strahlen mit denen ich dir leuchten kann.
Dein Leben währt nur einen Tag Daily, ohne dass du es wusstest denn nur so konntest du ohne Angst leben. Wenn du das schon am Anfang deines Lebens gewusst hättest,
dann wären die wenigen Stunden deines Lebens von der Angst vor dem nahen Tod geprägt gewesen und du hättest dein Leben nicht so genießen können.
Du bist heute als Eintagsfliege zur Welt gekommen und so geht dein Leben jetzt auch zu Ende Daily....hauchte ihr der sanfte Mondlichtstrahl im letzten Moment ihrer Wahrnehmung zu.

Die ruhigen Worte des Mondlichtstrahls geleiteten Daily träumend sanft in eine andere Welt hinüber...

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.05.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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