Florence Siwak

Kollateralschaden



Es war ein herrlicher Herbsttag. Die Luft war wie Seide und die leichte Schärfe nahmen die aufgeregten Zweitklässler nicht wahr.
Die Lehrer vielleicht – die schauderten schon mal im Schatten der mächtigen Kastanien, unter denen die Kinder – angetan mit
extra angeschafften Gartenhandschuhen, auf die sie sehr stolz waren – das Laubwerk in leichte Plastikeimer sammelten.
„Sammelt alles ein, sortiert nicht, welche Blätter Flecken haben und nehmt auch die Kastanien dazu“ kommandierte der erschöpfte
Klassenlehrer, der sich enger in seinen Anorak – Marke natürlich – einkuschelte.

F 1946 grübelte über das Problem nach. Die Verbindung war abgerissen –
die Verbindung zu seinen Kameraden. Sie waren zu neunt gestartet –
vor ungefähr 9 F-Einheiten. Er wusste nicht genau, wie viel Erdenjahre das waren;
die Systeme waren alle ausgefallen, natürlich auch der Bordcomputer.
Eine F-Einheit war etwa 3 Monate. Das war nicht lange.
Er und seine Kameraden hatten schon längere Reisen unternommen –
auf weitaus interessantere Planeten. Aber so was war noch nie vorgekommen.
Hier lag irgendetwas in der Luft, etwas Störendes, etwas Zerstörendes.


Frau Mück, die Hospitantin der 2c hielt das Feuer in Gang. Eine verantwortungsvolle Aufgabe. Kräftig sollte es schon brennen,
aber es durften keine Funken überspringen. In diesem Jahr wurde das Laub der Miniermotte zum zweiten Mal direkt vor Ort verbrannt.
Am Rande der Lichtung hatte die Försterei eine gemauerte Plattform angelegt mit einer Feuerstelle, die auch als Grillplatz
genutzt werden konnte. Frau Mück hatte Feuerlöscher mitgebracht und noch 2 Eimer mit Sand gefüllt, war also gut vorbereitet,
wie sie etwas selbstgefällig dachte. Aber Recht hatte sie. Sie hatte allen Grund dazu. Im letzten Jahr gab es sogenannte „Zwischenfälle“
bei einer ähnlichen Aktion. Anoraks der Kinder bekamen Funken ab und erzürnte Eltern wollten in diesem Jahr eigentlich die
„Jagd auf die Miniermotte“ verbieten, hatten sich aber von dem jungen, neuen Klassenlehrer überzeugen lassen.
Also – alles lief bestens. Die eifrigen Kinder schleppten Eimer für Eimer an die Feuerstelle, entleerten sie in einen größeren Korb
und zwei etwas ältere Kinder schütteten die fleckigen, zerstörten Kastanienblätter triumphierend aufheulend in das Feuer.
‚Irgendwie kannibalisch‘ schauderte Frau Mück und gab sich angenehm gruseligen Gedanken hin.
‚Wie wäre es wohl, den…‘ Nein, schalt sie sich. Pass lieber auf. Und das tat sie.

F1946 meditierte, etwas, was in seinem 300 F-Einheiten langen Leben bisher
immer hilfreich gewesen war. Er suchte in seinem riesigen, überdimensional
entwickelten Gehirn nach ähnlichen Situationen, die er bezwungen hatte.
Was wohl seine Gefährten machten? Aussteigen durfte er nicht, konnte er auch nicht.
Niemand durfte sie bemerken, es sollten wie immer nur Aufnahmen gemacht werden.
Aufnahmen von der seltsamen Bevölkerung. So lautete die Anweisung.
Zu ihrer aller Besten, wie es hieß. Und so war es! Nur so konnte ihr Planet sein Überleben sichern.
Unbedingter Gehorsam war der Preis für ihr stressfreies, konfliktfreies langes Leben.
Ein Preis, das jeder gern zahlte, zu zahlen hatte.
F1946 tauchte in sich – ein weiteres Mal.
Nein, da waren keine Erfahrungen, auf die er zurückgreifen konnte,
nichts, das ihm sagte, was zu tun war.
Sollte er auf ewig abtauchen in sich.
Sein leibliches Leben verlassen, wie es vorgeschrieben war bei Entdeckung?
Nein, noch nicht! Vielleicht war es ja einem Kameraden aufgefallen,
dass sein Schiff nicht mehr im System war. Was würde er dann tun? Ihn suchen?
Nein eher nicht, dachte er nüchtern. Auch sie würden sich an die Anweisungen halten.

Jetzt kam sie – die Panik. Ein Gefühl, das er noch nie gehabt hatte,
das er auch nicht haben durfte, sollte. Er wusste dieses Gefühl nicht zu benennen.
Diese Vokabel hatte man nicht in seinen Wortschatz implantiert.
Auch Angst wurde ihm und seinen Kameraden nicht beigebracht.
Dieses Gefühl, das er jetzt hatte, als plötzlich Geräusche an seine Nerven drangen!


Langsam wurden die Kinder übermütig, entschied der Klassenleiter. „Genug“ rief er energisch und klatschte in die Hände.
Jeder noch einen Eimer ins Feuer – dann ist Schluss“.
Befriedigt sah er sich um. Das Blattwerk war zum größten Teil verbrannt. Keine Funken flogen mehr.
Es war windstill. Und warm war es auf der Lichtung geworden. Er machte mit seinen Kollegen noch einmal sorgfältig die Runde.
Inzwischen war auch der Förster eingetroffen, der sich höflich für den Einsatz bedankte und sich den Lehrern zum Kontrollgang anschloss.
„Das ist das zweite Mal, das wir direkt vor Ort verbrennen“ plauderte er mit dem Klassenleiter.
Sonst wurden die Blätter gesammelt und im Großen vernichtet“.
„Interessant“ lautete die uninteressierte Antwort.
„Nun kommt schon, Kinder, der Bus wartet schon. Frau Mück, Sie kommen dann nach, Sie wollen doch noch sicher das Feuer bewachen.“
Innerhalb weniger Minuten war Ruhe auf der Lichtung.

Das Geräusch war ein Knistern, ein eigentlich freundliches Knistern,
aber warm wurde es auf einmal, sehr warm. F 1946 war an Wärme gewöhnt.
Dieser Planet war ihm eigentlich viel zu kühl – aber so warm!
Heiß wurde es. Die Hitze konnte dem Raumschiff nichts anhaben,
aber die Atemluft wurde verbrannt, einfach aufgelöst, so dass ihm nur
noch der Weg in sein Inneres blieb. Er spürte nicht, dass er mit dem letzten
Eimer Blätter und vereinzelten Kastanien in dem Feuer landete.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.05.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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