Sokrates sitzt an irgendeinem Vormittag irgendwo auf einer Parkbank und hat eine Zeitung in der Hand. Darin blättert er und findet einen Zeitungsbericht über die Probleme hochbegabter Kinder und ihrer Eltern in Deutschland. Der Artikel lautete: "Jan will doch nur so klug sein dürfen, wie er ist" (erschienen in der Rhein-Zeitung, 12. 5. 012, Journal zur Rhein-Zeitung, S. 1, verfasst von Doris Schneider. Der Artikel steht auch in der Webseite www.sokrates-buecherwurm.de, siehe Schul-Pädagogik)
Darin werden Interviews mit Eltern eines hochbegabten Jungen und mit Vertretern der "Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind" (DGHK) wiedergegeben. Die Eltern von Jan gaben in dem Interview zu erkennen, wie unglücklich ihr Sohn und sie selber oft waren, weil sie in ihrer sozialen Umgebung und auch in der Schule immer wieder auf Unverständnis bzw. Missverständnisse stießen und weil ihr Sohn im bestehenden Schulwesen nicht genügend Förderung erfuhr.
Die Hochbegabung ihres Sohnes war bereits im Kindergarten aufgefallen. Dort fühlten sich die Erzieherinnen durch das überdurchschnittliche Interesse und viele Fragen von Jan "genervt".
Auch in der Grundschule erfuhren die Eltern teilweise nicht genügend Verständnis. Einmal wurde gesagt, die schwachen Kinder benötigten mehr Förderung als der hoch-begabte Junge. Deshalb begann sich der Junge in der Grundschule bald zu langweilen und aus Konsequenz daraus zu stören und aggressiv zu werden. Er wollte sogar nicht mehr in die Schule gehen. Erst als er eine Klasse übersprang, wurde er wieder entspannter und umgänglicher.
Aber auch die soziale Umwelt machte es Eltern und Sohn nicht leicht. Jan, der bereits früh und gut sprechen gelernt hatte, ist eben anders als die gleichaltrigen Jungen, anders in seinen Begabungen, Interessen und Verhaltensformen. Während andere vor dem PC sitzen, sitzt er gerne über Büchern, schreibt eigene Geschichten oder macht erste chemische Versuche. Er galt dadurch schnell als Außenseiter, obwohl er auch gerne Rad fährt und Sport treibt.
Und andere Eltern vermuteten hinter den Versuchen der Eltern, ihren Sohn außerhalb der Schule durch Ausflüge, Konzertbesuche und Musikunterricht zu fördern, nur übertriebenen Ehrgeiz, Wichtigtuerei.
Das alles ist nach Aussagen von Beratern der DGHK keine Seltenheit. 2-3% der Kinder seien hochbegabt. Das müsste eigentlich ein Grund zur Freude sein, aber häufig würde Hochbegabung zur Belastung für Kinder und Eltern… Fehldiagnosen, Missgunst und Vorurteile wären häufig. Manche Lehrer hielten solche Kinder mehr für ADS-Fälle als für Hochbegabte… Oft gäbe es sogar Tränen in der Familie…
Spezielle Förderklassen für Hochbegabte an Gymnasien gibt es nur wenige. Schüler und Eltern müssen einen weiten Anfahrtsweg, wenn das überhaupt machbar ist, in Kauf nehmen…
Sokrates legt den Zeitungsbericht wieder fort und sinnt über diesen Artikel nach.
Sokrates (murmelt): Das ist ja eine merkwürdige Situation in einer hochtechnisierten Gesellschaft. Hochbegabte Kinder müssten doch eine Freude sein und als Zukunft für eine Gesellschaft gelten. Aber in der Realität begegnen Hochbegabte Vorbehalten und Misstrauen und werden weniger gefördert. Weniger Begabte dagegen erfahren eine intensive Förderung… Es scheint so zu sein, dass in Deutschland eine Bildung in Richtung auf Mittelmäßigkeit angestrebt wird… Dabei sind die Hochbegabten und Begabten die Zukunft eines Landes, denn sie könnten bei guter Förderung später an den Schaltstellen und in den Führungspositionen sitzen…
Während Sokrates so sinniert, kommt ein ca. 14jähriger Junge daher geschlendert, bleibt vor Sokrates stehen und fragt ganz spontan und unkonventionell:
Der Junge: Du siehst etwas komisch aus in deiner merkwürdigen Kleidung. Solche Umhänge und Sandalen sind doch bei uns schon lange nicht mehr in Mode. So waren ganz früher die Leute in der Antike gekleidet… Man meint gerade, du wärest mit deinem Mantel, Bart und nachdenklichem Gesichtsausdruck ein auferstandener alter Grieche…, so ein Typ Sokrates.
Sokrates (erstaunt): So ein Typ Sokrates? Hm, hm, ja, ja, der sah tatsächlich so ähnlich wie ich aus. Aber woher kennst du die Namen Sokrates und Antike? Hast du das in der Schule gelernt?
Der Junge: So etwas lernt man heutzutage doch nicht mehr in der Schule… Meine Eltern haben davon in der Schule noch gehört. Heute reden wir im Fach Geschichte nur noch von Französischer Revolution, Verfassungsformen und 2. Weltkrieg und von den Nazi-Verbrechen… Ich habe mir das über die Antike angelesen… Ich lese viel und frage meine Eltern viel… Bei denen lerne ich mehr als in der Schule... Ich weiß sogar, dass im Alt-Griechischen "Heureka" so ein Ausruf der Begeisterung und Freude war. Irgendein antiker Philosoph soll einmal gerufen haben: Heureka, ich habe die Lösung entdeckt…
Sokrates: Sag einmal, weshalb bist du denn jetzt nicht in der Schule? Es sind hier doch keine Ferien? Ist dein Lehrer krank?
Der Junge (grinsend): Ich bin einfach in der Pause fortgegangen. Mir war es wieder zu langweilig. Immer wieder wird wiederholt, damit es die anderen, die teilweise nur faul sind, endlich behalten. Und wenn ich etwas frage, was mich interessiert, dann stöhnen die anderen und rufen "Der Klugscheißer, schon wieder" und der Lehrer sagt "Er könne mir das jetzt nicht erklären… Ich solle ihm lieber helfen, den Stoff anderen Schülern klar zu machen. In einer modernen Gesamtschule sollten die Begabten die Schwächeren fördern"… Damit ist mir aber nicht geholfen. Ich habe keine Lust, Lehrer zu spielen. Ich möchte selber mehr lernen als bisher… Deswegen haue ich immer wieder aus der Schule ab und lese etwas… Heute habe ich mir ein Buch über die großen Erfindungen des 20. Jahrhunderts mitgenommen. Darin lese ich jetzt auf einer Parkbank, wo ich nicht so leicht gesehen werde.
Damit geht der Junge weiter, setzt sich auf eine Bank und zieht ein dickes Buch aus dem Ranzen. Sokrates überlegt:
Sokrates: Das war offensichtlich so ein Fall von einem überdurchschnittlich begabten oder sogar hochbegabten Schüler, der sich in seiner Schule langweilt… Sagte er nicht, er ginge in eine moderne Gesamtschule? In diesem Schultyp ist allerdings weitgehend nur Mittelmäßigkeit das Bildungsziel… Weniger begabte Schüler werden dort gefördert, überdurchschnittlich begabte Schüler werden gebremst... Man beruhigt sich von dieser Schulseite her damit, dass die begabteren Schüler die schwächeren "emporziehen" würden… Was ist das für eine naive Ideologie… Das kann zwar in Ausnahmefällen funktionieren, aber doch nicht dauerhaft bei den meisten Hochbegabten… Die wollen hauptsächlich für sich selber "geistiges Futter" und wenn sie das nicht bekommen, dann werden sie langfristig schwierige Schüler.
Ich kann nicht verstehen, was da in Deutschland derzeit für eine naive Ideologie die Oberhand hat. Irgendwann wird man merken, dass nicht die mittelmäßige Masse, sondern die geförderten Begabten die "Lenker" des Karrens Wirtschaft und Technik sind. Wer die Ungleichheit der Menschen nicht akzeptiert und die begabten Kinder nicht fördert, der schadet der Zukunft seiner Gesellschaft.
Man kann nicht einfach so denken, dass in der Schule die Mittelmäßigkeit für alle das Ziel ist und dass später dann die Universität es schon richten wird, eine notwendige Elite heranzuziehen… Wobei viele heutige Schulpolitiker bei dem Begriff "Elite" eine Gänsehaut bekommen… Denn davor haben sie Angst…
Da hat doch jemand ein Buch geschrieben mit dem Titel "Deutschland schafft sich ab". Auf die Schulbildung bezogen muss man leider feststellen, dass da etwas dran ist… Wer seine Hochbegabten nicht fördert, wird in der globalen Wirtschaft von der Spitzenriege bald verdrängt… Verdrängt von den Ländern, die ihre Eliten fördern.
Aber das war mit den naiven Ideologien schon immer so, auch in meiner Zeit in Athen. Ideologie ist eine Art von naivem Glauben, der sich gegenüber realistischem Denken verschließt. Besonders schlimm sind naive, unrealistische Schul-Ideologien…
Damit steht Sokrates auf und schlendert weiter, nachdenklich und immer wieder mit dem Kopf schüttelnd.
(Verfasst von discipulus Socratis, dem Sokrates den Artikel später zum Lesen gab)
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.05.2012.
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