Renate Harig

Das ist echt!!!

Es ist nun ein paar Jahre her. Unser Enkelsohn Tobias war damals gerade mal drei Jahre alt. Wir waren unterwegs in Speyer auf einem Jahrmarkt. Der kleine Lauser thronte auf Opas Schultern und hatte den tollsten Ausblick. Ich ging nebenher und sah so gern in das strahlende Gesicht des überglücklichen Buben. Immer wieder entdeckte er etwas Neues und tat uns dies mit seinem hellen Lachen kund. Er sah natürlich das Karussell aus luftiger Höhe schon sehr viel eher als Opa und ich und rief: „Opa, Karussell!!!“ Opa tat ganz verwundert und fragte: „Wo ist ein Karussell Tobias?“ Aufgeregt und übereifrig klemmte der Kleine Opas Kopf zwischen seine Patschhändchen und hob ihn mit einem kräftigen Ruck an, so, als wollte er Opas Hals ganz schnell in die Länge ziehen, und rief laut, daß jeder, trotz des Lärms, ihn hören konnte: „Opa, Opa, so schau doch, dort!!!“ Es war ein so lustiges Bild, das sich mir bot, dass ich mich vor Lachen lange nicht beruhigen konnte! Inzwischen hatten wir das Karussell erreicht und stolz und glücklich durfte Tobias im Feuerwehrauto ein paar Runden mitfahren.
 
Später, wir waren alle drei schon ziemlich müde vom Herumlaufen, setzten wir uns auf eine Bank, die eben frei wurde. Wir kauften uns eine Rostwurst und Tobias bekam seine so sehr geliebten Pommes und ein Fanta.
 
Wir saßen eine kleine Weile, als sich ein junger Afrikaner neben uns niederließ. Er hatte ebenfalls eine Tüte Pommes und verspeiste sie mit Freude, wie unser Tobias. Er schenkte uns ab und zu ein Lächeln. Seine weißen Zähne blitzten auffallend und man konnte schon sagen, dass seine Haut ziemlich dunkel geraten war, um nicht zu sagen schwarz.
 
Tobias hatte aufgehört, seine Pommes zu essen. Er hatte seinen kleinen Mund zwar weit offen, aber nur vor Staunen und Wundern. Seine Pommes hatte er ganz vergessen. Was in seinem Köpfchen vorging, das konnte man fast spüren. Er schaute uns an, dann wieder den dunkelbraunen Banknachbar, dann wieder uns. Der nette junge Mann lächelte Tobias an und wieder blitzten seine wunderschönen, weißen Zähne.
Es war Sommer und so konnte man wegen der kurzen, weißen Hose auch seine dunkelbraunen Beine gut sehen. Tobias war nun ganz ernst geworden, hob seine kleine Hand, streckte den Zeigefinger aus und langsam, ganz vorsichtig, im Zeitlupentempo, näherte sich der kleine Finger dem Oberschenkel des Dunkelhäutigen.

Da fuhr er, ohne seinen Finger aus den Augen zu lassen, bedächtig ein kleines Stück auf dessen Bein entlang und nahm den Finger wieder genauso langsam, fast behutsam, wieder zurück, um ihn anschließend zu begutachten. Offensichtlich vom Ergebnis enttäuscht, wiederholte er denselben Vorgang noch einmal.
 
Er glaubte, dass die Farbe des dunklen Beines nun abgegangen wäre und man sie an seinem Finger sehen könne. Dem war halt nicht so. Total verdutzt und fragend schaute er uns an, dann den jungen Mann und wieder uns und immer wieder seinen kleinen Finger, ob da nicht doch die Spur einer schwarzen Farbe zu sehen wäre.
 
Der Afrikaner, dem so etwas bestimmt noch nicht passiert ist, war ganz ruhig und lächelte freundlich als er zu Tobias sagte: „Ja, das ist echt, geht nicht ab!“ Dann musste er aus ganzem Herzen lachen und wir alle lachten so sehr, dass sich Tobias bestimmt fragte, was denn da für die Erwachsenen jetzt so lustig sei. Für ihn war dies eine Erfahrung, die er erst verdauen mußte, wie eben alles Neue, das kleine Buben im Laufe des Lebens lernen müssen.
 
Tobias hatte in seinem kleinen Köpfchen gedacht, dass der Mann geschminkt sei, so wie er zum Karneval - und diese Farbe auch abwaschbar wäre. Nie zuvor hatte er einen schwarzen Menschen gesehen, bei dem die Farbe am Körper „echt“ ist.
 
Tobias war immer schon ein neugieriges Kind und hat sich für alles interessiert.
Schon bald wusste er, dass es andersfarbige Menschen gibt und dass deren Hautfarben echt sind und sie kein kleiner Kinderfinger abrubbeln kann.
 
Wenn ich an diese Begebenheit denke, muss ich immer noch lachen!
 
 
© Renate Harig (1996) 

Unser Tobias ist nun bald 20 Jahre alt und immer noch SEHR neugierig auf alles.
Er hat nun sein Abi "in der Tasche" und wird am 6. Juni diesen Jahres (also am kommenden Mittwoch) für ein ganzes Jahr nach Australien gehen. Ein großes Abenteuer wartet auf ihn als Rucksacktourist! WIR wünschen ihm alles, alles GUTE und dass er am anderen Ende der Welt viel erleben kann! Möge er wieder gesund wiederkommen - in einem Jahr! ♥

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.06.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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