Helga Eberle

Der Traum vom Glück

Seit Stunden sitze ich brütend vor meinem Computer. Eine Überschrift auf einem leeren Blatt grinst mich an: „na Du, hast Du bald ausgeträumt?“ Jetzt gibt es keine Ausreden mehr, kein weiteres Hinauszögern, denn bis morgen muss ich über das Thema „Der Traum vom Glück“ eine Kurzgeschichte schreiben. Den Auftrag erhielt ich vor sechs Tagen, aber da hatte ich keine Lust zum schreiben. Jetzt aber brennt es unter den Nägeln, es muss mir was Fetziges einfallen. Aber was? Meine Freundin Gitte wird kurzerhand angerufen: „Kannst Du mir sagen, was Dein Traum von Glück ist?“ Gitte lacht: das ist schnell gesagt, mir fällt in dieser Bude hier die Decke auf den Kopf, mein Traum wäre eine süße 2-Zimmerwohnung mit Balkon mit einer für mich bezahlbaren Miete, und vor allem mit VAG-Anschluss, so dass ich kein Auto mehr brauche.“ Gitte, die mich so gut wie ihre Hosentasche kennt, ahnt natürlich, dass ich eine Schreibblockade habe. Sie wirft mir deshalb den Ball zurück mit einer hinterhältigen Gegenfrage: „Was ist denn Dein Traum vom Glück?“ Das hat mir gerade noch gefehlt! Auf den Mund bin ich aber nicht gefallen, wenn mir auch manchmal der Schreibteufel auf den Fingern steht: „Danke für Deine wertvolle Hilfe! Die Antwort auf Deine Frage? Mein Traum von Glück ist, dass ich eine Supergeschichte darüber schreiben werde und danach für ein halbes Jahr auf Weltreise gehe“. Gitte ist geschlagen, sie ist sprachlos, aber eine gute Freundschaft hält viel aus.

Das nächste Opfer ist mein Ex-Freund Carlo: „Weißt Du, ich bin so im Druck und mache jetzt einfach mal eine Erhebung über die Problematik. Vielleicht bekomme ich dann den Einstieg in die Story. Wie steht es bei Dir? Ehrlich, sage mir, was ist Dein Traum von Glück?“ Carlo stottert ein wenig herum, dann bricht es aus ihm heraus: „Mein Problem mit den Frauen bedrückt mich, denn ich habe immer nur Pech. Alle sind so emanzipiert und nörgeln an mir herum. Die eine sagt, ich sei ein eingefleischter Macho und für die andere bin ich ein widerlicher Softie. Keiner kann ich es recht machen. Du weißt selbst, wie es mit uns zwei lief.“ Nein, so etwas will ich gar nicht hören und drängle: „ Jetzt werde endlich konkret“: Carlo stöhnt leise vor sich hin: „Nächtelang träume ich von ihr, der Frau, die ich auf Händen tragen kann. Sie soll aussehen wie...“ und er unterbricht, „ so genau brauchst Du es nicht zu wissen.“ Aha, ich weiß genug, jedenfalls von Carlo.
Aber weiter bin ich noch nicht gekommen, oder doch? Er träumt von einem Glück, was er nie bekommen wird. Sein morgendliches Aufwachen muss furchtbar sein.

Ich sehe, dass es so niemals eine gute Geschichte wird und sage tschüss zum PC und mache einen Stadtbummel. Laufen ist gut für das Hirn. Meist fällt mir dabei etwas Gescheites ein. Das mit dem Glück ist eine komplizierte Sache. Warum müssen die Menschen vom Glück träumen, weshalb brauchen sie überhaupt Glück?
„Heute ist alles billiger“ lacht ein Plakat aus Fenster des Kaufhauses „Kleinpreis“. Eine junge Frau eilt an mir vorüber, beladen mit mehreren gefüllten Plastiktüten. Sie strahlt mich an: „alles Schnäppchen, da habe ich heute mal Glück gehabt.“ Ich frage mich: kann man Glück kaufen?

Später schlendere ich über den Münsterplatz und hole mir ein paar Kirschen. Die Marktfrau vom Kaiserstuhl erzählt mir, dass sie heute ihren Stand erst spät aufgestellt hat, weil ihr 10- jähriger Max schwer verletzt im Krankenhaus eingeliefert worden ist. .Er war auf dem Schulweg mit dem Fahrrad leichtsinnig auf eine Vorfahrtstraße eingebogen. Trotzdem sagt seine Mutter, wohl besorgt, aber hoffnungsfroh: “ Wir haben Glück, dass er noch lebt!“
Ich frage mich: hat Glück mit Leben und Tod zu tun? Klar ist, dass das Glück viele Facetten hat.

Am Abend laufe ich noch auf den Erdbeeracker, um Beeren für einen Kuchen zu holen. Ganz Heerscharen von Polinnen buckeln am Boden herum, um die süßen Früchtchen zu ernten. Eine der Frauen Irina, die ich schon jahrelang kenne, frage ich dann doch noch, was ihr Traum von Glück sei. Sie wischt sich die Haare aus ihrem verschwitzten Gesicht und freut sich offensichtlich über meine Ansprache. In ihrem gebrochenen Deutsch kommt es dann zögerlich: „Meine Kinder, meine Mama, mein Mann fehlen mir. Ich muss hier arbeiten, damit wir zu Hause leben können. Ist das Glück? Zuhause bin ich auch nicht immer glücklich. Ich glaube, es gibt kein dauerhaftes Glück.“

Ich traue mich nochmal zu fragen: „Und Du? Hast Du nie einen Traum von Glück?“ „Irina schlägt die Hände zusammen und lacht laut: Ja, ja immer Geld und dann ist Glück!“ Schnell bückt sie sich wieder und legt Beere für Beere in den Korb.

Für heute habe ich genug von dem Traum von Glück und sage meinem PC gute Nacht.
Vor dem Fernseher lasse ich mich müde und desinteressiert in den Sessel fallen. Irgendeine Talkshow lässt mich aufhören: „Es ist einfach, glücklich zu sein. Schwer ist nur, einfach zu sein“ sagt der Schriftsteller von HIRSCHHAUSEN, der ein dickes Buch über Glück geschrieben hat. Diese Aussage leuchtet mir ein, denn das Immer- mehr- haben- wollen und möglichst das, was andere haben, auch noch, macht unzufrieden. Das ist es, was uns Menschen zum Träumen bringt: Es ist eine Flucht in unsere unerfüllten Sehnsüchte.
Letztendlich frage ich mich noch einmal: Warum ein „Traum-Glück“? Ist es nicht viel besser, wenn ich mich auf meine Fähigkeiten verlasse und mir ein klitzekleines Glück schaffe?
Hätte ich Carlo nicht weggeschickt, dann wäre er glücklich, doch nur vielleicht! Mir geht es jetzt so viel besser, seit wir getrennt sind. Genauer gesagt, es geht mir super gut. Wozu soll ich dann von einem fragwürdigen Glück träumen, wenn ich mit der Realität zufrieden bin?

Einen Glückstraum hatte ich in meiner Kindheit: „Ich liege im Bett bei geöffnetem Fenster und schaue in den Sternenhimmel. Die Schönheit des dunkelblauen Himmels mit seinen glitzernden Sternen und Mond berührt meine Seele. Ich fühle, wie ich zu schweben beginne. Mein Körper fliegt aus dem Fenster über die Dächer der umliegenden Häuser. Mein Verstand sagt mir: „Das ist ein Traum“, doch ich glaube es nicht. Ich schwebe bis zum nächsten Berg, dem Schönberg. Dabei fühle ich mich glücklich wie nie zuvor. Dieser Traum wiederholte sich immer wieder, denn bevor ich einschlief, loggte ich mich ein. Meist klappte es. Habe ich vielleicht nach der von mir vermissten Liebe gesucht? Klar ist, dass durch diese Glücksträume für mich sich nichts geändert hat. Um etwas vom Leben zu erhalten, muss ich mich selbst bewegen, vielleicht auch ändern.

Wir erträumen uns ein Glück, das spätestens nach der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies verloren gegangen ist. Der Kampf um das Überleben fing damals an. Mit dem Feigenblatt lässt sich auf die Dauer nicht alles richten. Ein Wunsch wird erfüllt, der nächste steht auf Abruf. Die Nachwehen reichen bis in die heutige Gesellschaft des Konsumterrors.
So ist den einst aus dem Paradies Vertriebenen nur noch eine vage Erinnerung an das verlorene Glück geblieben. Wir vergessen leider, dass die schöne Erde auch ein Geschenk Gottes ist. Nichts ist mehr vor uns sicher. Wir zerstören die gesamte Natur und damit unsere Lebensgrundlage. Und das alles aus Habgier.
Was bleibt als Trost bei der Erkenntnis des Verlorenen und nie mehr Erreichbaren? Es ist ein großes Geschenk, was uns erhalten geblieben ist: „das Träumen“. Vielleicht kann ich mir damit die unzerstörte Welt zurück holen: Den Wald am See, wo ich seit 30 Jahren meinen Sommer mit Freunden verbringe, die uralten, hohen Eichen, die voller Vogelnester waren. Und ich höre die unzähligen Vogelstimmen in ihrer Vielfalt als wäre nichts geschehen, als wäre nicht innerhalb von zwei Tagen der ganze Wald zerstört worden. - „Es ist nur ein Traum, ein Traum von einem kleinen Paradies auf Erden.“

Bleibt also nur noch die Flucht in den Traum? Dagegen wehre ich mich. Vielleicht ist es noch nicht zu spät. Andere Menschen denken genauso wie ich. Mit ihnen mache ich mich zusammen. Gemeinsam müssen wir versuchen, zu retten, was noch zu retten ist.
Und wo bleibt da das Glück? Das liegt in uns selbst, sonst könnten wir nicht träumen. Der Traum vom Glück ist ein Signal zu Selbsthilfe. Um in der Realität glücklich leben zu können, müssen wir aufwachen. Es ist höchste Zeit!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.06.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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