Helmut Wurm

Sokrates und Gründe den Lehramtsberuf anzustreben

Diese halb-private, halb-offizielle Analyse des Sokrates und seines alten Freundes, der mehrere Jahrzehnte ein Studienseminar geleitet hat, hat eine Vorgeschichte.

Sokrates ist nämlich gelegentlich bei ihm zu Gast und das letzte Mal haben beide wieder die nur mittelmäßigen PISA-Ergebnisse der teilnehmenden deutschen Schüler besprochen und haben sich dabei gefragt, weshalb trotz der vielen öffentlichen Diskussionen - oftmals  ist es ja nur ein öffentliches Gerede - und trotz der jüngsten Reformbemühungen die Ergebnisse nicht signifikant besser geworden sind. Beide waren sich einig, dass es mehrere Gründe dafür gibt, z.B. unreale Schul-Ideologien und Reformbemühungen, aber ein Grund, so hat der alte Seminarleiter gesagt, läge auch in der Lehrerschaft selbst, also bei denen, die vor Ort die schwere Arbeit der Bildung und Erziehung zu bewältigen haben. Und obwohl er als Studienseminarleiter sich alle Mühe gegeben habe, gute, dauerhaft engagierte Lehrer heranzubilden, so sei er doch immer auch an diejenigen Menschentypen gebunden gewesen, die Lehrer hätten werden wollen. Wo die Falschen und Ungeeigneten Lehrer werden wollten, da könne auch die beste Ausbildung nur wenig erreichen.

Er möchte nicht falsch verstanden werden, fügte er hinzu. Natürlich gebe es unter den deutschen Lehrern hervorragende und sehr engagierte Pädagogen und es gebe, wie in allen Betrieben, eine große Masse mittelmäßiger Mitarbeiter - aber es gebe eben auch jene anderen, und das seien nicht nur vereinzelte…

Darauf hatte ihn Sokrates gefragt, welche Lehramtsanwärter-Typen ihm in den vielen Jahrzehnten denn so über den Weg gelaufen wären, und da hat der alte Studienleiter gesagt, er habe mal angefangen, darüber eine private Statistik zu führen, habe diese dann aber nicht weiter fortgeführt, da er im Rahmen der Ausbildungsverpflichtungen dazu keine Zeit mehr gehabt habe. Aber eigentlich müsste eine solche Statistik doch einmal gemacht werden, wenn man von der Seite der Lehramts-Bewerber her das deutsche Schulsystem verbessern wolle.  

Denn wenn man einen steigenden Anteil von sehr geeigneten und engagierten Jung-lehrern gewinnen und wenn man den Anteil derjenigen, die besser nicht Lehrer werden sollten, verringern könne, dann sei dem Schulsystem doch schon wieder etwas geholfen.

Und Sokrates hatte weiter den Vorschlag gemacht, doch einmal eine solche Statistik zu wagen. Er kenne eine Reiher junger, an Pädagogik interessierter Studenten und hier im Studienseminar gäbe es sicher auch eine Reihe junger Lehramtsanwärter, die sich dazu zur Verfügung stellen würden, an einigen Universitäten als Befrager und Beobachter Informationen zu sammeln, aus welchen Gründen Studenten anstrebten, in den Lehrberuf zu gehen.

Der Vorschlag wurde von seinem Freund angenommen und man beschloss, für ein Semester gut 2 Dutzend solcher unauffälliger Analysten unter die Lehramtsstudenten auszusenden. Und der alte Studienseminarleiter erklärte sich bereit, nach seiner Erinnerung seine begonnene Statistik, so weit wie das möglich sei, zu ergänzen.  

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Ein halbes Jahr später:

Sokrates und der Studienseminar-Leiter sitzen in einem Arbeitsraum des Seminars zusammen. Die Ergebnisse sind bereits geordnet und ausgewertet. Jetzt möchte man noch Schlüsse daraus ziehen.

Der alte Seminarleiter (beginnt die Vorstellung der Ergebnisse): Es zeichnen sich folgende Hauptgründe für die Wahl des Lehramts-Berufes ab:

Es liegt bei dieser ersten Interessenten-Gruppe ein echtes Interesse an Pädagogik, Bildungsvermittlung und Erziehung vor. Diese Personen haben zu einem erheblichen Teil die Motivation aus einer früheren oder noch andauernden Tätigkeit als Pfadfinder- und Wandervogelführer und als Gruppenleiter in Sportvereinen erhalten. Sie bringen also auch schon praktische Erziehungserfahrungen mit. Dieser Personenkreis setzt sich aus männlichen und weiblichen Interessenten gleichermaßen zusammen.

Aus dieser Gruppe rekrutieren sich später vermutlich engagierte, hochqualifizierte Pädagogen. Inwieweit diese dann weiter auch in die Schulleiterebene streben, kann ich noch nicht sagen, es ist aber zu vermuten.

Sokrates: Diese Personen mit Führungserfahrungen in der Jugendbewegung und in Sportverbänden sollte man also gezielt und intensiver ansprechen als bisher, Lehrer zu werden. Man könnte das durch Einladungen zu Berufs-Orientierungsseminaren versuchen. Jugendführer waren schon immer ein nützlicher Personenkreis für ihre Gesellschaft.  

Der alte Seminarleiter: Ein weiterer Personenkreis hat eine deutlich erkennbare Neigung zu Fürsorge, zum Bemuttern. Diese Gruppierung setzt sich überwiegend aus Frauen zusammen, die den  Muttertrieb in den Beruf einbringen wollen. Es gibt aber auch Männer mit einer überdurchschnittlichen sozialen Verantwortung und einer Fürsorgebereitschaft darunter.

Auch dieser Personenkreis ist sehr positiv zu beurteilen, wobei bei den Frauen die Möglichkeit besteht, dass sie vor lauter "Bemuttern" sich nicht genügend durchsetzen.

Sokrates: Schule ist auch immer ein Ort der Erziehung gewesen und wird es immer mehr werden. Insofern sind solche "Besorgten" und "Mütterlichen" dringend in den Schulen notwendig. Aber es stimmt, dass es eine Grenze gibt, wie mütterlich Lehrer  sein dürfen, sonst leidet die Führung der Schüler.

Der alte Seminarleiter: Der nächste positiv zu beurteilende Personenkreis besteht  aus Seiteneinsteigern aus Wissenschaft und Wirtschaft. Diese Lehramts-Aspiranten haben schon eine Ausbildung abgeschlossen, haben teilweise auch schon einige Jahre Berufserfahrung, möchten aber aus Arbeitsplatz-Problemen oder aus einem gewissen Egoismus lieber in die Lehrerlaufbahn, auch wenn sie oft nicht mehr Beamten werden können. Meistens kommen sie aus den Naturwissenschaften, Fremdsprachen und Wirtschaftswissenschaften.

Diese Seiteneinsteiger-Gruppe bringt eine wichtige Portion Realismus und Kenntnisse aus der Welt außerhalb der Schule mit, nützlich für das Lehrerkollegium und für die Schüler. Und weil sie von ihrem Studium und ihrer Arbeit in der freien Wirtschaft her ziemlich hohe Anforderungen gewohnt sind, meistens höher als bei den Lehramts-Studenten, ist ihr Unterricht in der Regel an anspruchsvollen Ergebnissen orientiert.

Sokrates: Diese Seiteneinsteiger-Gruppe mit abgeschlossener Berufsausbildung und möglichst mit Berufserfahrung ist in der Tat sehr wichtig für eine Schule. Denn leicht kapselt sich eine Schule von der Wirklichkeit um sie herum ab, besonders von der Arbeitswelt.  Es ist nützlich, wenn es Lehrer gibt, die die Arbeitswelt besser kennen als nur von Betriebserkundungen und die die Vorteile des Lehrer-Berufes nicht nur aus-nutzen wollen, sondern dankbar sind, diese Vorteile nutzen zu dürfen.

Der alte Seminarleiter: Eine derzeit kleine, pädagogisch hoch-motivierte, aber gleichzeitig auch gefährliche Randgruppe von Interessenten am Lehramt möchte ich an dieser Stelle erwähnen, die über die Schule die Gesellschaft verändern wollen, Missionare mit politischen, ideologischen oder religiösen Überzeugungen. Ich möchte sie kurz PIR-Missionare nennen.

Sie fielen erstmals in den 70iger Jahren auf. Es handelte sich damals um junge, links-sozialistische, studentische Gruppen, die über einen "langen Marsch" durch die Schulen und Universitäten die Gesellschaft verändern wollten. Diese damalige politisch-soziologische Missionarsrichtung hat an Bedeutung wieder verloren. Aber solche Absichten haben sich mittlerweile thematisch auf globalistische und umweltbezogene Leitvorstellungen ausgeweitet.

Religiöse Themen spielen derzeit noch keine Rolle, aber es könnte sein, dass künftig Migrations-Religionen über die Schulen in der Gesellschaft verbreitet werden sollen. Und man muss auch in der Zukunft mit rechtsradikalem Ideengut rechnen, das auf diesem Wege verbreitet werden soll.

Für diese PIR-Missionare sind Menschenbildung und Erziehung kein neutraler, offener Dienst an der Jugend, sondern sie wissen um die Beeinflussbarkeit der Jugend und wollen diese für ihr ganzen Leben in ihrem Sinne indoktrinieren. Sie wollen bewusst ein pluralistisches Denken in unserer Gesellschaft einschränken. Sie benutzen dazu auch Ergebnisse der Werbe- und Massenpsychologie.        

Solche PIR-Missionare gehen bei ihrem Weg in das Lehramt oft taktisch klug und überlegt vor. Sie sind fleißige Studenten, orientieren sich danach, was ihnen gute Noten einbringt und halten sich bezüglich ihrer ideologischen Überzeugung noch zurück. Ähnlich verhalten sie sich in den Studienseminaren. Erst wenn sie im Schulsystem etabliert sind, beginnen sie ihre missionarische Tätigkeit, teilweise noch geschickt verpackt. Sie können in ihren Kollegien Spaltungen erzeugen, nämlich in Kollegen, die ihrer Ideologie positiv und in solche, die ihr ablehnend gegenüber stehen. Sie nennen das "richtiges und falsches Bewusstsein" oder "richtige und falsche Einsicht". Wenn sich mehrere solcher gleich denkenden Missionare in einem Lehrer-Kollegium etabliert haben, ist dort häufig die Zeit eines pluralistischen harmonischen Miteinanders vorbei. Nur wenn PIR-Missionare unterschiedlicher Richtung in einem Kollegium aufeinander treffen, neutralisieren sie sich gewissermaßen gegenseitig.   

Sokrates: Das ist allerdings eine gefährliche Aspiranten-Gruppe für das Lehramt. Denn Bildung muss neutral und offen sein und das kritische Denken der Jugend nach allen Richtungen hin stärken. Beeinflussung und Indoktrination ist meiner pädagogischen Grundabsicht genau entgegengesetzt.

Natürlich soll ein Lehrer auch eine persönliche Meinung haben und diese äußern dürfen, aber sachlich und zurückhalternd und in Toleranz zu anderen Meinungen. Ein Lehrer muss für die Freiheit und den Pluralismus des Denkens eintreten und darf nicht versuchen, die Schüler in seinem Sinne zu indoktrinieren.    

Ich kann mir ebenfalls vorstellen, das mit zunehmenden innergesellschaftlichen und globalen Spannungen in der Zukunft wieder mehr dieser PIR-Missionare, aber diesmal unterschiedlichster Richtungen, in die Schulen streben und dort ihre Saat aufgehen lassen wollen. Da kann man nur hoffen, dass sie sich gegenseitig neutralisieren. Und man muss in den Schulen die Jugend verstärkt zu einem kritisch-offenen Denken hin führen. Das ist der wichtigste Schutz vor solchen Wölfen im Schafspelz, 

Der alte Seminarleiter: Nun kommt eine große Gruppe, die einfach einen Beruf anstrebt, der relativ gut bezahlt wird, viel Freizeit hat und ein abgesichertes Leben ermöglicht. Das sind also die nüchternen Kalkulatoren. Sie haben keinen besonderen Ehrgeiz, sondern sehen hauptsächlich die abgesicherte Mittelmäßigkeit des beruflichen Lebens. Sie sind aber bereit intensiv zu arbeiten und ihre Arbeit zur Zufriedenheit zu erledigen.

Aus dieser Gruppe setzen sich hauptsächlich Lehrerkollegium zusammen, aber einige dieser Pragmatiker können durchaus gesteigerte Freude am Beruf bekommen und in die Führungsebene einer Schule aufsteigen.

Sokrates: Man kann es also mit militärischen Ausdrücken so umschreiben, dass diese Gruppe das normale Fußvolk der Lehrer bildet, dass aber auch ein Aufstieg nach oben in die Offiziersebene offen ist und auch genutzt wird. 

Im Grunde kann man diese nüchternen Interessenten am Lehrer-Beruf verstehen. Wenn ein Staat den Lehrerberuf so günstig finanziell und arbeitsbezogen gestaltet, dann wirkt das natürlich anziehend auf pragmatisch Denkende. Dass aber trotzdem in Deutschland zeitweise Lehrermangel herrscht, kann nur durch andere gegenteilige, die Attraktivität mindernde Bedingungen hervorgerufen werden, z.B. durch geduldete Disziplinlosigkeit an den Schulen, durch ein abgewertetes Lehrer-Ansehen in der Öffent-lichkeit usw.

Man könnte diesen Mittelbereich vielleicht auf Kosten von Seiteneinsteigern etwas verringern, aber eine Problemgruppe unter den Lehrern stellen diese nicht dar.

Der alte Seminarleiter: Aber jetzt kommen langsam die Problemgruppen. Dazu gehören teilweise diejenigen, die man als Studienabbrecher in anderen Fächern bezeichnen kann, und diejenigen, die nicht genau wissen, was sie beruflich sonst machen sollen. Diese werden dann Lehrer mehr aus Verlegenheit.

Studienabbrüche oder  berufliche Unsicherheiten mit 20 Jahren sind an sich nichts Negatives. Das muss man jedem zubilligen. Aber unter diesen Personen befinden sich auch solche, die prinzipiell gerne größeren Belastungen ausweichen möchten. Ob diese Personen sich dann im Lehramt später doch mit Engagement ihren Aufgaben widmen und Belastungen nicht mehr ausweichen, bleibt offen.

Sokrates: Es kann natürlich auch sein, dass sie gerade nach einem Abbrucherlebnis im neuen Berufsanlauf beweisen wollen, dass sie etwas können und sogar in die Führungsebene aufsteigen wollen. Generell kann man Studienabbrecher also nicht mit Misstrauen betrachten.  

Aber sicher würde es einen prinzipiell besseren Eindruck machen, wenn man ein als falsch erkanntes Studium trotzdem mit einem Abschluss oder zumindest nach der Zwischenprüfung/dem Vordiplom beendet und dann zum Lehramtsstudium wechselt.

Der alte Seminarleiter: Eine weitere kleinere Gruppe, von der ich nicht weiß, wie ich sie beurteilen soll, sind diejenigen Studentinnen, die hauptsächlich an die Unis gehen, um einen gebildeten, später vielleicht gut verdienenden Mann kennen zu lernen, und die als Uni-Aufenthaltsberechtigung das relativ leichte Studium für das Lehramt wählen. Diesen Lehramts-Kandidatinnen fehlt vermutlich jene pädagogische Leiden-schaft, die man als Hauptmotivation für den Lehrberuf haben sollte.    

Sokrates: Der Ausdruck "pädagogische Leidenschaft" gefällt mir, er zeigt auf die wesentliche Basis für den Lehr-Beruf. Und es stimmt, dass diese Männer-suchenden Studentinnen nicht alle auch eine solche pädagogische Leidenschaft in sich tragen. Aber es könnte andererseits auch sein, dass manche aus dieser Gruppe, wenn sie keinen Wunsch-Mann gefunden haben, als Kompensation und Gegenreaktion einen überdurchschnittlichen Berufs-Ehrgeiz entwickeln und gute Lehrerinnen werden, die es den Männern zeigen wollen, und die bis in die obersten Leitungspositionen vorstoßen.

Man sollte dieser Gruppe also nicht generell mit Misstrauen begegnen.

Der alte Seminarleiter: Eine weitere weibliche Gruppe von Interessenten für das Lehramt sind diejenigen verheirateten Frauen, die einen gut bezahlten Halbtages-Job anstreben, um den Rest des Tages für die Familie und die Kinder zur Verfügung zu haben. Diese Gruppe ist besonders an den Grundschulen, aber auch im mittleren Schulwesen zu finden. Bei dieser Gruppe dürfte man nicht zu häufig auf Bereitschaft zu gesteigertem Engagement treffen, denn das würde ja der Grundabsicht für ihre Wahl des Lehramtes widersprechen.

Sokrates: Das ist in der Tat eine schwer gerecht zu beurteilende Gruppe. Einerseits muss man es begrüßen, wenn Mütter Zeit für ihre Kinder und Familie haben wollen. Andererseits sind aber die unterrichteten Schüler nicht besonders betreut. In solchen Fällen sollten die betreffenden Lehrerinnen wirklich nur halbe Stellen innehaben, die ihnen erlauben, Zeit für die Familie zu haben und sich zugleich mehr in der Schule zu engagieren. Nur eben die gute Bezahlung ist dann nicht mehr möglich. Dafür könnte man für das gesparte Geld weitere Halbtagesstellen im Schulbereich schaffen. Das käme dann den Schülern zugute.

Der alte Seminarleiter: Eine Beobachtung muss ich noch anfügen. Die Befragungen, Beobachtungen und Analysen haben ergeben, dass sich die Lehrberufs-Opportunisten bevorzugt für das mittlere Schulwesen entschieden haben, weil die Studienzeiten oft geringer als für den oberen Bereich und weil gleichzeitig die Einkommen höher als im unteren Schulbereich sind. Oder anders ausgedrückt: Für den gymnasialen Bereich waren viele nicht interessiert genug, die schwerere und schlechter bezahlte Arbeit an den so genannten Hauptschulen wollten sie vermeiden. 

Sokrates: Die Lehrer an den so genannten Hauptschulen, also an den Schulen und Klassen für Schüler, die nicht so leicht lernen, verdienen wirklich hohe Anerkennung.

Bei ihnen kann man eine dauerhafte Tätigkeit nicht ohne pädagogische Verantwortung und ohne jene pädagogische Leidenschaft ausüben. Dass diese Lehrer teils weniger verdienen und mehr Stunden unterrichten müssen als in anderen Schulebenen und Schultypen, ist einfach ungerecht.

Ich möchte weiterhin eine Vermutung für die Zukunft anfügen. Dort, wo im Rahmen der Zusammen-legung von so genannten früheren Realschulen und Hauptschulen zu integrierten Schulen diejenigen Lehrer, die aus den oben genannten Gründen das mittlere Schulwesen gewählt haben, nun auf Schüler treffen, die schwerer lernen und schwerer disziplinierbar sind, dort wird es Anpassungsprobleme geben. Denn diese schwierigeren Schüler haben viele dieser Lehrer nicht gewollt und können vielleicht auch nicht mit ihnen umgehen. Ein Teil dieser Lehrer wird durch eine Frühverrentung dem entgehen wollen oder auch müssen.  

Der alte Seminarleiter: Die nächste Gruppe sollte man aber mit einem prinzipiellen Misstrauen bewerten, nämlich diejenigen Lehramts-Interessenten, die aus reinem Absicherungsbestreben und aus reiner Bequemlichkeit in den Schuldienst streben und die sich vorgenommen haben, in diesem Beruf so bequem wie möglich ihr Berufsleben zu verbringen, die nur irgendwie das Studium und Referendariat hinter sich bringen wollen und die dann ab der Zuweisung in eine feste Stelle so wenig wie möglich tun werden.

Und diese Gruppe ist nicht so klein, wie man vielleicht denkt. Denn dazu gehören alle diejenigen Charaktere, die zwar intelligent genug für das Abitur, aber sonst bequem  und träge sind, oder diejenigen, denen irgendjemand geraten hat, in die Versorgung des Beamtenstatus zu flüchten und sich so gut es geht irgendwie durchzuwursteln - so wie früher weniger tüchtige Kinder in die Klöster geschickt wurden. In vielen Kollegien gibt es solche Abgesichertheit-Bequemlinge, solche pädagogischen Horizontschleicher.

Sokrates: Den Wunsch nach Abgesichertheit kann ich verstehen, das ist menschlich. Aber Abgesichertheit darf zu keinem Freiraum für Faule werden, sie muss geradezu aus Dankbarkeit zu verstärktem Engagement führen. Die Beamtenstatus-Ausnutzer kann man sicher durch ein anspruchsvolleres Studium und Referendariat und eine längere Lehrertätigkeits-Zeit bis zum Zeitpunkt der Verbeamtung abschrecken. Und es müssten die Anfangsgehälter gesenkt und eine stufenweise Gehaltserhöhung an die Regelmäßigkeit gezeigten Engagements gekoppelt werden. Ich meine damit kein ständiges Sich-Hervortun und keine ständigen Spitzenleistungen, aber stetigen Fleiß und stete Bereitschaft, sein Pflichten ordentlich zu erfüllen. 

Der alte Seminarleiter: Nun gibt es noch die Gruppe von eindeutig für das Lehramt ungeeigneten Sonderfällen. Dazu zähle ich z.B. diejenigen, die schon als Schüler und Studenten gesundheitlich labil gewesen und für anstrengendere Berufe ungeeignet sind und bei denen von Seiten der Familie der Versuch gemacht wird, diese in einem vielleicht weniger anstrengenden und doch gut bezahlten Beruf unterzubringen.

Ich erinnere mich z.B. an einen Seminarteilnehmer, bei dem man schon beim ersten Zusammentreffen die Labilität und Bequemlichkeit erkannte, der an der Universität aus Mitleid offensichtlich immer weiter gereicht worden war,  überall mit den Noten knapp ausreichend bestand und nun im Seminar nur mit regelmäßigem Druck zu den notwenigen Leistungen zu bewegen war. Er hat auch anderen im Vertrauen mitgeteilt, dass er sich nach der Referendars-Zeit allem weiteren Stress entziehen werde. Auch seine Eltern, die gelegentlich bei uns abriefen, äußerten die Hoffnung, dass diese Seminarzeit wohl die letzte Zeit sei, in der sich ihr Sohn anstrengen müsse, denn er sei doch so labil. Wir konnten ihm natürlich bei den Abschlussprüfungen keine Eignung für den Schuldienst zuerkennen.

Oder ich zähle zu diesen Sonderfällen solche offenkundigen Bequemlinge, die in Zeiten von Lehrermangel darauf spekulierten, dass der Staat alle und jeden nehmen müsse, um wenigstens pro Forma die Kollegien aufzufüllen. Ich erinnere mich da an einen Buchhalter, der zwar ein Abitur abgelegt, aber zuerst einmal den Büro-Beruf gewählt hatte.

Dann hatte er gehört, dass gerade in Naturwissenschaften Lehrermangel war, hatte noch Mathematik und Physik für Hauptschulen nachstudiert und war dann zu uns in das Seminar gekommen. Ab hier tat er nichts mehr. Er lieferte keine Vorbereitungen ab, fertigte keine Seminararbeiten an und sagte nur immer wieder ganz ungeniert, dass er wegen Lehrermangel unbedingt gebraucht würde und er dann eben nur mit einem knapp-ausreichenden Seminarabschluss eine Stelle zugewiesen bekäme - das würde ihm ausreichen. Auch ihm konnte in der Abschlussprüfung keine Eignung für das Lehramt ausgesprochen werden.    

Sokrates: Das sind nun wirklich Sonderfälle, bei denen es einem teilweise leid tut, konsequent sein zu müssen, bei denen man aber teilweise auch mit Erleichterung die Nichteignung aussprechen muss, um ganze Schülergenerationen vor solchen faulen Lehrern zu bewahren.

Wenn ich diese Hauptmotivationen der Lehramts-Interessenten nun noch einmal über-denke, dann gibt es im deutschen Schulwesen gute und engagierte Lehrer mit echter pädagogischer Leidenschaft, ein Mittelfeld von Lehrern, die weder durch besonderes Engagement noch durch schlechte Leistungen auffallen, derzeit eine kleine Gruppe von Ideologen, die über die Schule die Gesellschaft verändern wollen, und leider auch solche, für die die beruflichen und finanziellen Vorteile des Lehramtes wichtiger sind als die eigentliche pädagogischen Aufgaben.

Diese letztere Gruppe und die verschiedenen Missionare dürften diejenigen sein, die in der Lehrerschaft reduziert werden müssen. Und das kann man nach meiner Meinung am besten dadurch, dass man einmal wachsam ist gegen Indoktrination und dass man die finanziellen und arbeitsbezogene Attraktivität des Lehrerberufes etwas mindert. Dann verliert der Lehrberuf an Interesse für solche Berufssuchenden, die nicht die jene offene pädagogische Leidenschaft in sich spüren, die nötig ist. Man könnte z. B. auch die Gehälter und Pensionen aller Schulpositionen etwas senken und angleichen und die Verbeamtung etwas hinauszögern. Diese Maßnahmen sind schon deshalb unumgänglich, um künftig die öffentliche Verschuldung zu senken.

Wenn man dann weiter Konferenzen und Fortbildungen generell in die unterrichtsfreie Zeit verlegte, also auf Nachmittage, Samstage und Ferien, dürfte das ebenfalls das Interesse der Bequemlinge am Lehrer-Beruf mindern.

Wenn es weiter gelänge, diejenigen jungen Erwachsenen anzusprechen, die gerne um einer offenen Erziehung und Bildung willen Lehrer werden würden, also Gruppenführer in  Jugendbewegung und Sportvereinen, und wenn man mehr qualifizierte Seiteneinsteiger anwerben könnte, wäre der Minderzustrom von Lehramts-Opportunisten über- kompensiert. 

Der alte Seminarleiter: Ob ich die Ergebnisse unser halb-privaten Untersuchung und unseres Gespräches mal veröffentliche oder an die Schulbehörden zur Kenntnis weiter gebe? Besser tute ich das nicht, denn die Schulbehörden werden ungern etwas tun, was unbequem ist, und viele aus der Lehrerschaft werden protestieren, weil es um den Abbau von Privilegien geht. Wir schaffen uns mit unseren nachdenkenswerten Ergebnissen nur Ärger.

Sokrates konnte dazu nur nicken und beide gingen dann bei einem Glas Samos-Wein zu einem weniger problematischen Thema über.

(Verfasst von discipulus Socratis, der einer der Befrager von Lehramts-Studenten an den Unis war)

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.06.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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