Manfred Bieschke-Behm

Alle meine Entchen – eine Kriminalgeschichte für Kinder


(Hintergrund und Anregung: Kinderlieder in Geschichten verarbeiten)
 
 

Alle meine Entchen
schwimmen auf dem See,
schwimmen auf dem See,
Köpfchen in das Wasser,
Schwänzchen in die Höh´.
 
Alle meine Täubchen
gurren auf dem Dach,
gurren auf dem Dach,
fliegt eins in die Lüfte,
fliegen alle nach.
 
Alle meine Hühner
scharren in dem Stroh,
scharren in dem Stroh,
finden sie ein Körnchen,
sind sie alle froh.
 
Alle meine Gänschen
watscheln durch den Grund,
watscheln durch den Grund,
suchen in dem Tümpel,
werden kugelrund.
 

 
Das Dorf Kleinau spielt im Großen und Ganzen keine große Rolle. Weder in der Tagespolitik noch sonst wie. Jeder kennt hier jeden. Mehr oder weniger kommen die Dorfbewohner alle gut miteinander aus. Der Eine spricht mit dem Anderen. Mal wird über den gesprochen und mal über jenen. Auf alle Fälle wird immer über denjenigen gesprochen, der gerade nicht dabei ist. Wie überall, so gibt es auch im Dorf Kleinau immer etwas zu tratschen oder zu berichten. Das ist Alltag im Dorf Kleinau! Lässt sich mal ein fremdes Gesicht im Dorf blicken, erregt das schon Aufmerksamkeit – mehr aber auch nicht. Jeder hat mit sich zu tun oder tut wenigsten so, als hätte er was zu tun.
 
Mittelpunkt des Dorfes sich ein kleiner See. Fremde würden eher sagen, dass es sich hierbei um einen größeren Tümpel handelt. Aber die Kleinauer Bürger meinen einen See zu haben und halten an dieser Meinung auch fest. Der See ist von einer grünen Wiese umgeben auf der, je nach Jahreszeit unterschiedliche Wildblumen wachsen. Einige ungleich hoch gewachsene Büsche und eine mächtige Trauerweide runden das Ganze ab. Eine um den See herumführende Straße trennt die Bauernhäuser vom See und der Wiese. Die meisten Häuser haben rote Ziegeldächer und allesamt blank geputzte Fensterscheiben die von sorgfältig ausgewählten Gardinen geschmückt sind. Gepflegte Kleingärten vor den Häusern und meist Stallungen dahinter runden das idyllische Dorfbild ab.
 
Der See (wir bleiben jetzt bei der übertriebenen Bezeichnung See der ja eigentlich ein größerer Tümpel ist) der See also, ist nicht nur für die Anwohner aus der sogenannten „ersten Reihe“ Anziehungspunkt, sondern auch für die Dorfbewohner aus dem „Hinterland“ und sogar für Bewohner der Nachbardörfer, die keinen eigenen Tümpel, Verzeihung See haben.
 
Jedes Jahr, wenn der Frühling den Winter vertrieben hat, befinden sich Enten auf dem See. Keiner weiß wo sie herkommen. Sie sind einfach da. Sie drehen gemütlich ihre Runden, putzen sich, schnattern manchmal zu viel und zu laut und dösen, wenn er ihre Zeit erlaubt, vor sich hin. Sie tun dies mit Hingabe verdrehen dafür ihre Hälse und stecken ihre Köpfe unter einem ihrer Flügel. Die Enten sind immer wieder eine willkommene Bereicherung besonders für die Dorfjugend.
 
Gestern war es, als sich Bauer Klein – wie jeden Tag gegen dreizehn Uhr – auf den Weg zu seiner Schwiegermutter machte, um ihr warmes Essen vorbeizubringen. Und wie jeden Tag führte der Weg zur Schwiegermutter vorbei an den See. Zunächst fiel ihm nichts Erwähnenswertes auf, dann aber musste er feststellen, dass sich keine Enten auf dem See befanden. Vielleicht haben die Enten sich in das Gebüsch zurückgezogen, dachte Bauer Klein. Ganz bestimmt schwimmen sie wieder auf dem See, wenn ich von der Schwiegermutter zurückkomme.
 
Bauer Klein kam zurück. Er musste feststellen, dass noch immer keine Enten auf dem See schwammen. Das machte ihn stutzig. Gerade als er dabei war nach Gründen für das Nichtvorhandensein der Enten nachzudenken, lief ihn Bauer Klaus Ostermichel über den Weg.
„Hallo Klaus“, grüßte Bauer Franz seinen herannahenden Nachbarn Bauer Klaus.
„Grüß dich“ erwiderte Klaus.
„Sag mal Klaus, fällt dir etwas auf?“
„Nö. Was soll mir denn auffallen?“
„Na schau doch mal auf den See.“
„Was gibt es denn da zu sehen?“
„Na eben nichts“ sagte Bauer Klein.
„Ich verstehe nicht und weiß nicht, was du von mir hören willst“, reagierte Bauer Klaus.
„Na schau doch mal genau hin!“
Bauer Klaus Ostermichel schaute nunmehr gereizt zum wiederholten Male auf den See. Um irgendetwas zu sagen, fragte er: „Hat der See heute besonders viel Wasser?“
„ Nee, der See hat heute nicht besonders viel Wasser – warum auch? Vielmehr ist festzustellen, dass sich keine Enten auf dem See befinden.“
„Jetzt wo du das sagst, fällt es mir auch auf, dass sich keine Enten auf dem See befinden.“  
Nach kurzem Überlegen fragt Bauer Klaus: „Wo sind denn die Enten?“
„Das weiß ich doch nicht. Meinst Du, ich habe sie mir mit nach Hause genommen und in den Ofen gesteckt und gebraten?“
Beide Bauern lachten und wurden dann aber gleich wieder ernst (den die Sachlage war viel zu ernst, als das man darüber lachen konnte).
„Vielleicht sollten wir das Gebüsch nach den Enten durchsuchen“ schlug Bauer Franz Klein vor.
„Ja, das könen wir ja machen.“
Gesagt, getan.
Beide Bauern suchten in den Büschen nach Enten, konnten aber keine finden. Bauer Klaus und Bauer Franz stellten übereinkommend fest: Die Enten sich weg.
 
Für ihr verschwinden fanden beide Bauern keine Erklärung und überlegten deshalb, was jetzt zu tun sei.
 
„Wir sollten den Verlust dem Dorfpolizisten melden“ bestimmte Klaus Ostermichel.
„Ja das sollten wir tun“ erwiderte Bauer Klein.
 
Beide Bauern machten sich auf den Weg zur Schreibstube des Dorfpolizisten Herrn Bremer. Herr Bremer war ein gemütlicher in uniformgesteckter Mittfünfziger. Seine Uniformjacke war für seinen Bauch etwas zu eng geschnitten, was zur Folge hatte, dass die letzen drei Knöpfe ihre Bestimmung versagten. Der graue Oberlippenbart war üppig aber sorgfältig gepflegt und gab der Person eine gewisse Respektierlichkeit.
„Was kann ich für die Herren tun?“ fragte Herr Bremer die zwei Bauern.
Während er freundlich fragte, legte der Dorfpolizist sein angebissenes Wurstbrot zur Seite und begab sich zum Tresen.
„Wir wollen einen Verlust melden“ antwortete Bauer Klein.
„So, so einen Verlust wollt ihr melden. Was ist denn Verlust gegangen?“
Bauer Ostermichel antwortet: „Die Enten vom See sind verschwunden!?“
„Die Enten vom See sind verschwunden? – Wie das denn?“ wollte der Dorfpolizist wissen.
„Ja das wissen wir nicht!“ antwortete Bauer Bremer.
„Ich vermute“ sagt Bauer Ostermichel, ich vermute, dass jemand die Enten gestohlen hat.“ „Gestohlen? – Wer stiehlt den Enten in unserem Dorf?“ fragte der Dorfpolizist und schluckt den Rest von seinem abgebissenen Stück Brot und dem Stück des Wurstbelages.
Noch bevor die Bauern mit einer Antwort irgendwie reagieren konnten, setzt der Dorfpolizist nach, und meinte dass sich möglicherweise ein Fuchs die Enten geholt hat.
 
Noch eine ganze Weile gingen Fragen und Antworten hin und her. Zum Schluss gab es mehr offene Fragen, als zufriedenstellende Antworten. 
 
Um der Unterhaltung ein Ende zu setzen, sagte der Dorfpolizist zu den beiden Bauern: „Ich werde mir bis morgen überlegen wie sich der Vorfall erledigen lässt. Ich gebe euch bescheid. Und jetzt lasst es gut sein. Ich möchte gerne mein Wurstbrot zu Ende aufessen“.
 
Eine eventuelle Gegenreaktion der Bauern gar nicht abwartend, biss der Dorfpolizist erneut in sein saftiges Wurstbrot und merkte gar nicht, dass sich dabei sein Bart lustig auf und ab bewegte.
 
Bauer Klaus und Bauer Franz verließen die polizeiliche Amtsstube und begaben sich jeweils zu ihren Häusern, wobei Bauer Klein von seiner Frau schon in Sorge erwartet wurde.
„Du warst heute aber lange bei deiner Schwiegermutter?“
„Nicht länger als sonst.“
„Und warum kommst du dann so spät?“
„Ich war nach dem Besuch bei meiner Schwiegermutter mit Bauer Klaus beim Dorfpolizisten.“
„Was machst ihr denn beim Dorfpolizisten?“ wollte die neugierige Ehefrau wissen.
„Wir haben die Enten als vermisst gemeldet“
„Die Enten? Was für Enten?“
 „Na die Enten von unserem See. Sie sind weg – verstehst du – siiiiie siiiiid weg!“
„Sag mal, Franz, kann es sein, dass dir meine Mutter heute ein Glas Schnaps zu viel gegeben hat“.
„Wo denkst du hin!? Dafür ist deine Mutter doch viel zu geizig!“
 
Ob sich die Eheleute noch lange zu diesem Thema unterhalten haben, ist nicht bekannt. Vermutlich nicht, denn es gab noch andere Sachen zu besprechen, die aber nicht zu dieser Geschichte gehören und deshalb auch nicht erzählt werden müssen.
 
Am nächsten Tag machte der Entenverlust schnell die Runde. Jeder Dorfbewohner hatte seine eigene Fantasie zu dem Verlust der Enten. Es herrschte große Aufregung im Dorf Kleinau. Vermutungen wurden ausgesprochen und gleich wieder zurück genommen, weil ein anderer Dorfbewohner eine andere mehr oder weniger einleuchtende Idee hatte. Keiner wollte glaubte, das ein Fuchs sich die Enten geholt haben könnte. Dagegen sprach die Tatsache, dass am Tatort keine „Restfedern“ zu entdecken war. Als einzige Möglichkeit blieb ein Diebstahl übrig. Aber wer um Himmels Willen stielt Enten vom See? Das war die beherrschende Frage unter den Dorfbewohnern.
 
Der Dorfpolizist Herr Bremer ist umlagert von den Dorfbewohnern. Er fühlt sich bedrängt und fängt an zu schwitzen. Mit seinem großen weißen Taschentuch versucht es die Schweißperlen von der Stirn zu entfernen, was ihm nur mühsam gelang.
 
Alle Dorfbewohnen sprechen durcheinander, so dass niemand sein eigenes Wort verstehen konnte.
„Ruuuuhe“ brüllte der Dorfpolizist Herr Bremer in die Runde.
„Ruhe“ sagte er nochmals. Diesmal allerdings viel leiser als beim ersten Mal.
„So kommen wir nicht weiter. Ich frage euch jetzt: hat irgendwer irgendwas beobachtet? Derjenige sollte sich jetzt melden und uns seine Beobachtung mitteilen“.
 
Jeder schaute jetzt jeden an und glaubte, etwas vom anderen zu erfahren. Es hatte eine Weile gedauert, bis sich Bäuerin Frau Wilhelmsburg zu Wort meldet. Alle, einschließlich des Dorfpolizisten schauten gespannt auf Frau Wilhelmsburg.
„Erzählen sie uns Frau Wilhelmsburg was sie beobachtet haben“ forderte der Dorfpolizist die Bäuerin auf.
„Ich habe nichts beobachtet“ sprach Frau Wilhelmsburg aufgeregt.
„Nichts beobachtet und dann melden Sie sich zu Wort?“
Als der Dorfpolizist das sagte schaute nicht nur er Frau Wilhelmsburg entgeistert an, sondern auch alle drum herum stehenden Kleinauer Bürger.
„Ich habe nichts beobachtet“ wiederholt sich Frau Wilhelmsburger, „ich habe etwas zu berichten.“
„So, so! Sie haben etwas zu berichten. Was haben sie denn zu berichten?“
„In der vergangenen Woche habe ich meine Freundin Agnes im übernächsten Dorf Helmenau besucht. Und meine Freundin Agnes wusste erzählte mir, dass ihrer Nachbarin, Frau Klauert (ich glaube so heißt sie), also der Nachbarin Frau Klauert sechs Tauben gestohlen wurden.“
„Und was haben die Tauben von Frau Klauert mit unseren Enten zu tun“ fragten die Dorfbewohner gewohnt durcheinander sprechend.
„Na nun wartet doch mal ab. Die Geschichte ist doch noch nicht zu ende erzählt. Als weiter: Zunächst dachte Frau Klauert das ihre Tauben nur ausgeflogen wären und irgendwann wieder kämen. Als aber die Tauben am Abend immer noch nicht zurückgekommen sind, wurde es ihr unheimlich. Sie ging zum Taubenschlag …und was glaubt ihr was sie dort vorfand?“
„Schlafende Tauben“ witzelte einer der Dorfbewohner.
„Sie fand keine schlafenden Tauben vor, sondern einen beschriebenen Zettel.“
„Und was stand auf dem Zettel drauf?“ fragte der Dorfpolizist ungeduldig.
„Ja was stand denn auf dem Zettel drauf?“ wollten nun auch die Mithörer erfahren.
„Auf dem Zettel stand handgeschrieben der Text des Kinderliedes „Alle meine Entchen.“
„Alle meine Entchen? Taubenschlag? Fehlende Enten auf dem See? gibt es hierfür einen Zusammenhang“ fragten sich nicht nur Bauer Klaus und Bauer Franz sondern auch der Dorfpolizist Bremer und alle die bisher mehr oder weiniger aufmerksam zugehört haben.
Bäuerin Frau Wilhelmsburg sieht die fragenden Gesichter und bemüht sich schnell ihre Geschichte zu Ende zu erzählen bevor sie wieder mit bohrenden Fragen konfrontiert wird.
„Also das Besondere an dem Zettel mit dem Kinderlied war die Tatsache, dass die zweite Strophe: Alle meine Täubchen gurren auf dem Dach, gurren auf dem Dach, fliegt eins in die Lüfte, fliegen alle nach. schwarz umrandet war.“
Alle Zuhörer, einschließlich Dorfpolizist Herr Bremer, waren wie vom Donner gerührt. Sie standen starr und stumm und keiner wagte sich zu rühren oder gar zu reden, denn eine solche Geschichte hatten sie noch nie gehört.
Endlich fand der Dorfpolizist seine Fassung zurück und fragte mehr sich als die Anderen: „Und was für Rückschlüsse können auf diesem doch sehr eigenartigen Vorfall gezogen werden?“
Noch als diese Frage bei den Zuhörer ihre Runde machte, meldete sich der zehnjährige Klaus-Dieter (Klaus-Dieter ist der zweit jüngste Sohn vom Bauer Kronenwirt, der mit seiner Familie am Dorfrand sein Bauernhaus hat und selbst nicht anwesend war).
„Ja was ist Klaus-Dieter? Was hast du zu berichten?“ fragte freundlich der Dorfpolizist Herr Bremer.
Klaus-Dieter ist sichtbar aufgeregt. Hat er doch noch nie vor so vielen Leuten gesprochen und auch noch nie wurde er von dem Dorfpolizisten befragt.
Klaus-Dieter versuchte tief durchzuatmen und fing an zu erzählen: „Gestern Abend war es. So gegen sieben. Ich bin noch mal zum See hin, um den Enten ein bisschen Futter zu bringen. Aber auf dem See schwammen keine Enten. Ich wunderte mich, denn um diese Zeit sind doch eigentlich immer da. Wo haben sie sich denn versteckt, fragte ich mich und suchte die Umgebung ab. Die Enten konnte ich nicht finden….aber das…..“
Während Klaus-Dieter …aber das…. sagte, hielt er mehrere Zettel in die Luft. Der Dorfpolizist Herr Bremer bat um die Herausgabe der Zettel und bekam sie auch überreicht. Neugierig interessiert betrachtete er die Zettel. Dabei bildeten sich auf seiner Stirn Falten, die nichts Gutes vermuten ließen. Die Dorfbewohner, deren Anzahl inzwischen noch angewaschen war, hielten es vor Neugierde nicht mehr aus. Sie wollten doch all zu gerne wissen, was auf den Zettel stand. Am liebsten hätten einige Dorfbewohner dem Dorfpolizisten die Zettel aus der Hand gerissen, aber das getraute sich dann doch niemand. Und deshalb baten sie fast flehendlich um die Bekanntgabe was auf den Zetteln steht.
Bevor Der Dorfpolizist bereit war zu erzählen was auf den Zetteln stand, fragte er Klaus-Dieter:“ Sag mal Klaus-Dieter, wo hast Du denn die Zettel gefunden?“
„Die Zettel lagen unter der Trauerweide. Damit sie nicht wegfliegen konnten, lag auf den Zetteln ein Stein. War es falsch die Zettel wegzunehmen, fragte Klaus-Dieter ängstlich den Dorfpolizisten.
Während der Dorfpolizist den Kopf von Klaus-Dieter tätschelte sagte er zu ihm: „Auf keinen Fall war es falsch die Zettel mitzunehmen. Du hast genau richtig gehandelt“.
Der Dorfpolizist spürte, dass die Spannung der Dorfbewohner fast bis zum nicht mehr aushalten anschwoll und war nun bereit zu erzählen was auf den Zetteln steht: „Auf allen Zetteln steht der Text des Kinderliedes „Alle meine Entchen“. Auf einem der Zettel ist die erste Strophe:  Alle meine Entchen schwimmen auf dem See, schwimmen auf dem See, Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh´ schwarz umrandet. Der Dorfpolizist hebt diesen Zettel hoch und zeigt ihn in die staunende Runde. Alle Anwesenden sind fassungslos erschrocken. Ein Dorfbewohner meint Parallelen zum Fall in Helmenau erkennen zu können. Dort waren es die Tauben und die zweite Strophe des Kinderliedes. Bei uns sind es die Enten und die erste Strophe.
Nun waren die Dorfbewohner noch erschrockener. Eine Bäuerin, aus dem Nachbardorf – ja, mittlerweile waren auch Bewohner aus dem Nachbardorf herbeigeeilt, um an dem Geschehen teilzunehmen – also die Bäuerin aus dem Nachbardorf konnte nicht an sich halten und rief:“Wir haben es mit einem Serientäter zu tun!“
„Wie furchtbar“
„Wie grausam.“
Was ist zu tun?“
„Ja was ist zu tun“, fragte sich auch der Dorfpolizist.
 
Auf zwei, von insgesamt drei Zetteln, war – wie schon erwähnt – auch der Text vom Kinderlied „Alle meine Entchen“ aufgeschrieben. Zettel zwei und drei unterschied sich vom Zettel eins dadurch, dass es keine schwarzen Textmarkierungen gab. Das das Kinderlied insgesamt vier Strophen hat, ist davon auszugehen, dass es weitere Diebstähle geplant sind. So das Fazit, des Dorfpolizisten Herr Bremer das er den Dorfbewohner und den Dazugeeilten mitzuteilen hatte.  
„Wie lauten denn die dritte und vierte Strophe des Kinderliedes?“ wollte ein Bauer aus der letzten Zuhörerreihe wissen.
„Alle meine Hühner scharren in dem Stroh, scharren in dem Stroh, finden sie ein Körnchen,
sind sie alle froh und Alle meine Gänschen watscheln durch den Grund, watscheln durch den Grund, suchen in dem Tümpel, werden kugelrund las der Dorfpolizist laut vor.
 
Der Mann aus der letzten Reihe, der unbedingt den Text der letzen zwei Strophen hören wollte, rannte plötzlich los seinem Haus entgegen und rief laut für alle hörbar „Oh Gott meine Hühner, oh Gott meine Hühner. Hoffentlich sind sie noch da, hoffentlich sind meine Hühner noch da?“
 
Die Ehefrau vom Bauer Klein bat darum sich einen der Zettel näher ansehen zu dürfen. Der Dorfpolizist reichte ihr einen Zettel und bat um sorgfältige Behandlung, denn der Zettel sei letztendlich ein Beweisstück.
 
Nachdenklich betrachtet die Ehefrau vom Bauer Klein, die gleichzeitig auch Chorleiterin des örtlichen Singvereins ist, den Zettel. Nach einer Weile meinte sie die Handschrift zu erkennen und sagte: „Das ist die doch Handschrift von Erwin „dem Fuchs“!
„Erwin „dem Fuchs“ wiederholte der Dorfpolizist Herr Bremer eher fragend als wissend.
„Ja, das ist die Schrift von Erwin „dem Fuchs“ aus dem Dorf Germersdorf“
Woher sie das wisse, wollte nicht nur der Dorfpolizist wissen.
„Das weiß ich, weil ich von Erwin „dem Fuchs“ in der vergangenen Woche einen handgeschriebenen Brief bekommen habe. In ihm bat er mich bei der nächsten Singkreisstunde nicht den Vorschlag zu machen „Alle meine Entchen“ zu singen. Er mag dieses Kinderlied nicht, schrieb er weiter, und wäre mir deshalb sehr dankbar, wenn ich seinem Wunsch entspräche. Ich konnte mir bislang keinen Reim auf seinen Wunsch machen – jetzt schon. So ein schlauer Fuchs, der Erwin „der Fuchs“.
 
Der Dorfpolizist und alle anderen haben fasziniert die Aussage der Chorleiterin angehört. Nachdem sie sich alle ein wenig beruhigt hatten meinte der Dorfpolizist, dass der Fall nun wohl kurz vor der Aufklärung ist. Bevor Erwin „der Fuchs“ auf die Idee kommt die verbleibenden zwei Strophen durch Diebstahl zu belegen, werde er ihn aufsuchen, verhören und gegebenenfalls festnehmen.
„Eines würde mich noch interessieren. Weshalb hat Erwin aus Germersdorf den Beinnamen „der Fuchs?“ fragte der Dorfpolizist die Ehefrau vom Bauer Klein.
„Erwin“ antwortet die Ehefrau und Chorleiterin, „Erwin wurde von zwei Jahren da erwischt, wie er eine Gans aus dem Stall vom Bauer Schlönauf stahl. Als „Bekennerschreiben“ hinterließ er einen Zettel mit dem Text zum Kinderlied „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ Seitdem heiß Erwin „Erwin der Fuchs“. 
„So, so!“ reagierte der Dorfpolizist Herr Bremer. „Nun können wir nur hoffen, dass die Strafe die Erwin „der Fuchs“ bekommen wird ausreicht, ihn vor weiteren Diebstählen abzuhalten. Vielleicht könnte ihm das Volkslied „Üb immer Treu und Redlichkeit“ dabei helfen. Ich werde ihm den Text bei der Festnahme übergeben.“
 
 
Üb immer Treu und Redlichkeit
(Ludwig Hölty)
 
Üb immer Treu und Redlichkeit
Bis an dein kühles Grab,
Und weiche keinen Finger breit
Von Gottes Wegen ab
 
Dann wirst du wie auf grünen Au´n
Durch´s Pilgerleben geh´n
Dann kannst du sonder Furcht und Grau´n
dem Tod ins Auge seh´n.
 
Dann wird die Sichel und der Pflug
In deiner Hand so leicht,
Dann singest du beim Wasserkrug,
Als wär dir Wein gereicht.
 
Dem Bösewicht wird alles schwer,
Er tue was er tu,
Ihm gönnt der Tag nicht Freude mehr,
Die Nacht ihm keine Ruh.
 
Der schöne Frühling lacht ihm nicht,
Ihm lacht kein Ährenfeld,
Er ist auf Lug und Trug erpicht,
Und wünscht sich nichts als Geld.
 
Der Wind im Hain, das Laub im Baum
Saust ihm Entsetzen zu,
Er findet, nach des Lebens Raum
Im Grabe keine Ruh.
 
Dann muss er in der Geisterstund
aus seinem Grabe gehn
und oft als schwarzer Kettenhund
vor seiner Haustür stehn
 
Die Spinnerinnen, die, das Rad
im Arm, nach Hause gehn
erzittern wie ein Espenblatt
wenn sie ihn liegen sehn
 
Und jede Spinnestube spricht
von diesem Abenteuer
und wünscht den toten Bösewicht
ins tiefste Höllenfeuer
 
Der Amtmann, der die Bauern schund
in Wein und Wollust floss
trabt nachts, mit seinem Hühnerhund
im Wald auf glühendem Roß
 
Oft geht er auch am Knotenstock
als rauher Brummbär um
und meckert oft als Ziegenbock
im ganzen Dorf herum
 
Der Pfarrer, der aufs Tanzen schalt
und Filz und Wucherer war
steht nachts als schwarze Spukgestalt
um zwölf Uhr am Altar
 
 Paukt dann mit dumpfigen Geschrei
die Kanzel, dass es gellt
und zählet in der Sakristei
sein Beicht- und Opfergeld
 
Drum übe Treu und Redlichkeit
Bis an dein kühles Grab,
Und weiche keinen Finger breit
Von Gottes Wegen ab!
 
Dann suchen Enkel deine Gruft
Und weinen Tränen drauf,
Und Sonnenblumen, voll von Duft,
Blüh'n aus den Tränen auf.
 

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Manfred Bieschke-Behm).
Der Beitrag wurde von Manfred Bieschke-Behm auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.06.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Manfred Bieschke-Behm als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

Samhain von Mika Barton



Samhain – die Nacht der keltischen Jahreswende und mit ihr halten sie alle Einzug: die Feen, die Engel, die Fabelwesen, die Tiere wie die Menschen, um im Kreislauf des Lebens eine weitere Drehung hinzunehmen, der Toten zu gedenken und mit Vergangenem abzuschließen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Kinder- und Jugendliteratur" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Manfred Bieschke-Behm

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Schwestern (Sittengemälde) von Manfred Bieschke-Behm (Romantisches)
Pinkes von Lara Otho (Kinder- und Jugendliteratur)
DIE GANGSTERBRAUT von Christine Wolny (Wahre Geschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen