Fred Schmidt

Wenn einer eine Reise tut ...

 
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Dies ist eine Binsenwahrheit, vorausgesetzt man hält auf der Reise Augen und Ohren offen für Schönes, Neues und Ungewohntes und natürlich auch für das Unangenehme und Widerwärtige, das ebenfalls zum Erzählen anregt. Von meiner Kurzreise nach Dresden in Begleitung meiner Tochter gibt sicherlich vieles, jedoch außer dem Wetter nichts Nachteiliges zu berichten, und dies beschränkte sich auf den ersten von fünf Tagen und hätte danach kaum besser sein können. 
Ob ich es bedauerlich finden soll, dass wir wahrscheinlich nicht mit August dem Starken irgendwie verwandt sind, weiß ich nicht recht. Jedenfalls erfuhren wir bei einer sehr amüsanten und detaillierten Führung durch den Zwinger, dass die Zahl der Bastarde, die dieser Kurfürst und König von Polen gezeugt haben soll und die sich nach verschiedenen, aber unzuverlässigen Quellen auf 364 belaufen soll, wohl hart übertrieben ist. Wenn dem so wäre, wäre fast ganz Deutschland mit ihm irgendwie verwandt. In Wirklichkeit sind ihm jedoch nur acht uneheliche Kinder zuzuschreiben, die er mit dreizehn namentlich bekannten Maitressen in die Welt gesetzt hat. Oder waren es vielleicht doch mehr? Jedenfalls sorgte er dafür, dass seine Stärke nicht nur als Verbieger von Hufeisen und Eisenstangen bekannt wurde, sondern dass sich auch sein Ruhm als starker Liebhaber weit verbreitete. Heute noch kann man ihn auf Bildern und als goldenen Reiter bewundern.
Wir waren selbstverständlich damit beschäftigt, diese wunderbare historische Stadt mit den vielen Bauwerken und Kunstschätzen, die sie weitgehend dem prunk- und sammlungssüchtigen August zu verdanken hat, soweit als möglich in wenigen Tagen für uns zu erobern. Wir waren beeindruckt von Zwinger, Semperoper, Residenzschloß, von der wiedererstandenen Frauenkirche und ihrer Umgebung, ich besonders, weil ich das zerstörte Dresden kurz nach der Wende schon einmal besucht hatte. 
Doch ich möchte hier gar nicht viel von den eindrucksvollen Bauwerken berichten, deren geschwärzte 
Silhouetten – abgesehen von der neu errichteten Frauenkirche - von weitem sichtbar sind. Übrigens ist für das Schwarz nicht die Umweltverschmutzung verantwortlich, sondern die Tatsache dass das aus dem Elbsandsteingebirge zum Bauen herbeigeschaffte Steinmaterial auf natürliche Weise durch Kontakt mit der Atmosphäre diese Farbe annimmt. Ich möchte hier auch nicht von der einladenden Umgebung Dresdens erzählen, sondern von den Menschen, denen wir begegnet sind, die im Gegensatz zu unserer Erfahrung im Westen, z. B. in Köln, uns als besonders zugänglich, gelassen und entgegenkommend begegneten. Kein Stoßen und Knuffen ohne Entschuldigung, keine ungeduldigen Worte, sondern verbindliche Auskünfte von Fremden, die bereitwillig sich Zeit nahmen, uns unsere Fragen zu beantworten und falls nötig einStück mit uns zu gehen, damit wir das Gesuchte fanden. 
Als wir weit draußen die Operette besuchten, um eine Aufführung von Kiss me Kate zu genießen, hatten wir Zeit zum Essen vor der Aufführung einkalkuliert, weil uns klar war, dass nachher keine Zeit mehr blieb, wenn wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln noch zu unserem Hotel am anderen Ende der Stadt zurückkehren wollten. Als wir aus der Straßenbahn ausstiegen, schauten wir uns an, weil wir Dorfanger und Kirche wahrnahmen, aber weit und breit kein Lokal, wo man etwas speisen konnte. Also fragte ich einen Mann vor dem Fußgängerüberweg, ob er uns etwas in der Nähe empfehlen könnte, und er nannte uns nicht nur ein Lokal, sondern führte uns um mehrere Ecken herum durch einen Gang zu einer geöffneten Tür. „Da sehen Sie, die Tür steht offen, und speisen können Sie dort vorzüglich. Guten Appetit!“ Der Mann hatte recht, das Lokal, ein Grieche, war gut, und schon fast bis auf den letzten Tisch besetzt. Man sah es den Leuten an ihrer Kleidung an, dass sie hierherkamen, um vor der Operettenaufführung ein schmackhaftes Mahl zu genießen. Insiderwissen musste man haben! 
Kiss me Kate war großartig, was Kulisse und künstlerische Darbietung des Cole Porter Musicals betraf. Zeitweilig fühlte man sich geradezu in Shakespeares Globe Theatre versetzt. Neben mir saß eine alte Dame, die mir den Fremden sicherlich ansah und ein Gespräch mit mir begann. Sie erzählte, dass sie zu den regelmäßigen Besuchern gehöre, Mitglied sei in einem Förderverein, der dafür kämpfte, dass die Operette endlich in die Stadtmitte Dresdens verlegt werde, aber das Geld dazu noch nicht ausreiche. Am Ende der Vorstellung konnte ich ihre Begeisterung für die Dresdener Operette verstehen.
Am nächsten Tag war uns der Wettergott besonders günstig gesonnen, so dass wir uns entschlossen, ins Elbsandsteingebirge zu fahren. Vom Bahnhof Mitte aus erreichten mit der S Bahn in etwa einer Stunde  Königstein mit seiner berühmten Festung, die zu besuchen wir jedoch keine Zeit hatten. Auch fehlte uns der Mut, auf den hohen Berg zu steigen, und das nur um alte Mauern zu inspizieren. Nach Kaffee und Kuchen, begaben wir uns an die Elbe, weil wir geplant hatten, per Schiff zurück nach Dresden zu fahren.
Der Raddampfer lag schon bereit an der Anlagestelle, und am Ufer stand ein kleines Holzhaus mit einem Schalter, wo man die Schiffskarten erhalten konnte. Dahinter saß jemand in Unniform, wie sich das für einen Angestellten der Schiffahrtsgesellschaft gehört. „Lass mich mal das mit den Fahrkarten erledigen“, sagte ich zu meiner Tochter „vielleicht kann ich ja eine Seniorenermäßigung erhalten.“ „ja, natürlich“, sagte der Schaltermann, und da er wohl sah, dass ich nicht alleine war, stellte er mir ohne weiteres zwei Seniorentickets zu erheblich geringerm Preis aus, was wir allerdings erst bemerkten, als ich mich schon wieder vom Schalter entfernt hatte. „Das ist mir nun doch peinlich“, sagte ich zu meiner Tochter. „Beim Besteigen des Schiffes muss man die Fahrkarten zeigen, und dann sieht man doch gleich, dass du viel zu jung bist für eine Seniorin.“  Zurück zum Schalter, wo ich dem Mann erklärte, dass es sich um ein Missverständnis gehandelt habe, denn ich hätte nur eine Seniorenkarte gewünscht, da meine Tochter dafür viel zu jung sei. Er lächelte mich freundlich an und erwiderte mir: „Na, das ist ja nicht schlimm, und das können wir ruhig so lassen.“ Und so ging dann meine Tochter, die wie dreißig+ aussieht, ohne Probleme als jüngste „Seniorin“ an Board. 
Die Sonne meinte es gut, und so richteten wir uns mit einem kalten Getränk auf dem Oberdeck ein, von wo aus wir die Aussicht auf das Elbsandsteingebirge so richtig genießen konnten. Als wir an den emporragenden Felsen vorbei waren, warfen wir einen Blick auf den Prospekt, den wir mit unseren Tickets bekommen hatten, um uns zu informieren, was es flußabwärts alles zu sehen gab. Dabei stießen wir auf Schloss Pillnitz, von dem wir schon als Sehenswürdigkeit gehört hatten.
„Wir hätten jetzt die Gelegenheit, uns das Schloss und seinen herrlichen Park anzusehen. Nur weiß ich nicht, ob wir die Fahrt so unterbrechen können und dann mit einem späteren Dampfer können. Das müssten wir beim Schiffsoffizier erst mal herausfinden.“
Der Offizier schaute mich kritisch an: „Nee, das machen wir nicht. Da hätten sie gleich vor Antritt der Fahrt sich entscheiden und zwei Tickets kaufen müssen.“ Er machte eine Pause. Dann schaute er mich schelmisch schräg von unten an und sagte: „Aber wir können alles machen! Ich schreibe Ihnen aufs Ticket, dass Sie unterbrechen, und mit meiner Unterschrift darunter werden sie dann keine Probleme haben. Das nehm ich auf meine Kappe.“
So kamen wir dann in den Genuß der Schönheit von Schloss Pillnitz und seiner großartigen Parkanlage. Beim Einschiffen auf dem späteren Dampfer zeigten wir unsere kommentierten Tickets vor und wurden lächelnd an Bord komplementiert.
Ob der Zuvorkommenheit der Menschen, denen wir an diesem Tag begegnet waren, voller guter Laune, genossen wir nach Ankunft in Dresden ein schmackhaftes Abendessen in der Kutscherschänke mitten in der Altstadt.
Es gäbe noch viel zu berichten, z.B. dass wir über das Blaue Wunder gefahren sind, Buttermilch in der Pfunds Molkerei zu uns nahmen und in der Neustadt spazieren gingen, wo die Häuser über und über mit Graffiti besprüht waren. Nur noch eins: neben der Pfunds Molkerei gibt es ein Spezialgeschäft für Senf, den Senfladen Dresden. Unglaublich, was man alles über Senf erfahren kann und wieviel man probieren kann. Aber dann fanden wir das  NON PLUS ULTRA, den Trabi Senf, aus der Altenburger Senfherstellung. Und was ist das Besondere daran? Er ist HIMMELBLAU!! Außerdem mittelscharf und ohne Konservierungsstoffe. UND ER WAR DAS IDEALE GESCHENK FÜR MEINE FRAU, DIE AUF ALLES STEHT, WAS BLAU IST. 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.06.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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