Sabine Dobbeck

Leicht gesagt oder Der Balken im Auge

„Lass dir nicht den Tag verderben, deine gute Laune klau´n!“ Ehrlich gesagt, manchmal fällt es mir schwer, diesen Rat der Gruppe TRUCK STOP zu beherzigen. Beispielsweise, wenn jemand sich in der Tiefgarage auf einen ausgewiesenen Frauen- oder Behindertenparkplatz stellt und der Fahrer sich als dreißigjähriger Bodybuilder entpuppt, dem das Testosteron aus allen Poren trieft und dessen einzige Behinderung darin besteht, dass er dringend eine Brille bräuchte, um die Hinweisschilder zu lesen. Oder wenn ich im strömenden Regen mit unseren Hunden den Waldspaziergang absolviere und plötzlich ein wildfremder Riesenköter, der eben noch in der dicksten Pfütze gebadet hat, auf mich zurast, mich anspringt und mir seine schlammigen Tatzen auf die Schultern meiner neuen, cremefarbenen Jacke legt. Sein Frauchen kreischt entsetzt: „Oh du Schlimmer, du sollst doch nicht immer springen, denk doch an deinen Rücken, hoffentlich hast du dir nichts verrenkt!“ Kein Wort der Entschuldigung, geschweige denn das Angebot, die Reinigungskosten zu übernehmen. Man braucht schon einen sehr speziellen Humor und eine gute Portion stoischer Gelassenheit, um in derartigen Situationen die Mundwinkel oben zu behalten.

Die Krönung all dessen erlebte ich gestern im Supermarkt an der Aufschnitttheke. Vor mir war eine Frau an der Reihe, die ich vom Sehen her kannte. Ich grüßte nett, aber sie tat, als wäre ich aus Fensterglas. Auf die Frage der Verkäuferin, was es denn sein dürfe, verlangte sie: „Geben Sie mir 14 Scheiben Parmaschinken, aber hauchdünn geschnitten!“ Die Verkäuferin versprach, ihr Bestes zu tun und schnitt eine Scheibe zur Ansicht ab. „Ist es recht so?“ „Oh Gott, nein“, mäkelte es vor mir, „das ist ja keine Scheibe, sondern ein Brett. Ich sagte hauchdünn, ich möchte durch die Scheiben Zeitung lesen können!“ Die Verkäuferin bedauerte, Leselupen könne ihre Maschine leider nicht schneiden. „Nun werden Sie mal nicht frech!“ keifte Madame. „Nennen Sie das etwa Service? Ja früher, da war der Kunde noch König! Vergessen Sie den Schinken und geben Sie mir 122 Gramm italienische Mortadella.“ Die Ärmste hinter der Theke kroch förmlich in sich zusammen und wisperte kleinlaut, leider sei die italienische Mortadella wieder nicht mitgekommen, aber ganz sicher zum Sonnabend und ob es nicht stattdessen eine leckere Salami sein dürfe. Flehentlich bot sie Madame ein fast durchsichtiges Scheibchen als Kostprobe an. Jetzt ging es erst richtig los. „Was ist denn das für ein Saftladen hier? Das sind ja Zustände wie früher im Osten, ich werde…“ An dem Punkt mischte ich mich ein. „Hören Sie“, wendete ich mich an die Zeternde, „Höflichkeit hat wohl kaum etwas mit irgendeiner bestimmten Himmelsrichtung zu tun, also benehmen Sie sich ein bisschen und entscheiden Sie sich endlich, andere wollen schließlich auch noch bedient werden.“ Zustimmendes Raunen hinter mir, die Schlange reichte mittlerweile fast bis zum Eingang zurück. „Und übrigens, haben Sie keine anderen Sorgen? In Afrika verhungern täglich Tausende von Kindern, und Sie…“ Weiter kam ich nicht. Ohne mich, die Aufschnittverkäuferin oder sonst jemanden eines weiteren Blickes zu würdigen, machte Madame auf dem Absatz kehrt und rauschte wie eine griechische Erinnye davon; wohl um sich beim Zeus persönlich über das respektlose Erdenvolk zu beklagen.

Zu Hause erzählte ich dem besten aller Ehemänner von dieser schrecklichen Person. Er kratzte sich am Kinn, sah mich sinnend an und meinte: “Hm, na ja, im Prinzip müsstest du die Frau verstehen können. Oder weißt du nicht mehr, wie gründlich es dir erst vor kurzem den Tag verdorben hat, als ausgerechnet dein Lieblingsmozzarella und die Sanddornkonfitüre, die du so gern zum Frühstück isst, mal wieder nicht mitgekommen sind?“ Also, das kann man ja wohl nicht vergleichen, oder? Auf wessen Seite steht er eigentlich???
  

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