Ewald Frankenberg

Im Scheinwerferlicht




Im Scheinwerferlicht

 

Die Vorbereitungen sind die Gleichen wie jeden Abend. Kein großes Brimborium, von wegen umziehen oder so. Für mich gibt es keine extra Bühnengarderobe. Wenn die Schweißausbrüche den Tag nicht überhand nehmen, steige ich in den Klamotten, mit denen ich morgens das Haus verlasse abends auf die Bretter.

Nein, meine Einstimmung ist eine rein mentale Sache. Auf gut deutsch gesagt, ich muss mir regelrecht in den Arsch treten, um den Weg ins Scheinwerferlicht einzuschlagen und nicht still in die andere Richtung davonzulaufen.

Eine Kleinigkeit essen vermindert den Druck, der auf dem Magen lastet, aber es ist eine Gratwanderung, nicht zu viel, ich habe mich schon mehr als einmal Backstage übergeben.

Genau so verhält es sich mit dem Trinken. Zu wenig Flüssigkeit steigert die Nervosität, bringt den Kreislauf durcheinander, was dann noch einmal eine Nervositätssteigerung bedeutet. Aber nicht zu viel, dann steh ich mit voller Blase auf der Bühne, weil unter Zeitdruck vorher schnell noch einmal pinkeln geht bei mir garnicht, da kann der Druck noch so stark sein. Und wenn dann die Show den Bach runter geht, könnten sich ganz andere Ströme lösen, da hieße es dann, um der kompletten Blamage zu entgehen, schnell von der Bühne runter zu kommen, am Besten nicht ohne einen – ihrkönntmichdochallemalunterhalteteuchdochselber – Spruch. Dann konnte man wenigstens ein wenig von der Abneigung des Publikums zurückgeben.

Aber so schlimm ist es garnicht. Ich bin gut. Trotz minimalster Fähigkeiten an der Gitarre schaffen fast alle Songs ein eigenes Flair. Meine Texte sind kritisch – provokativ, so dass es zwischen den Stücken durchaus schon mal zu minutenlangen Diskussionen kommt, die ich zusätzlich befeuere, indem ich bei zu viel Zustimmung automatisch, auch gegen meine wirkliche Meinung, in die Opposition wechsele, um all zu unkritische Fans dazu zu bringen, sich Argumente für meinen Standpunkt zu erarbeiten.

Das läuft aber jetzt auch alles ganz relaxt, weil inzwischen mehr als zwei Drittel der vierzig bis sechzig Leute, die so zu meinen Auftritten kommen, mich kennen und wissen, was sie erwartet.

Das war anders, als ich damals noch mit der Band unterwegs war, als wir anfingen. Die zwanzig Leute, die uns sehen wollten waren die zwanzig Leute, die jeden Abend in den Läden abhingen, uninformiert, betrunken, offen kundtuend, wenn sie etwas anderes erwartet hatten.

Und ich, sowieso noch nie teamfähig gewesen, nicht ansatzweise konsensfähig, was meine Sachen, von denen ich überzeugt bin, betrifft, aber auch nicht stark genug, mich immer durchzusetzen, schmiss dann die Brocken einfach hin und war weg.

Die Jungs brückten dann, bis ich mich wieder berappelt hatte. Oft machten sie das natürlich nicht mit, aber sie haben es sicherlich meiner harten Schule zu verdanken, dass sie heute ausnahmslos gefragte Musiker und auch als Band sehr erfolgreich sind.

Umso bewundernswerter, dass auch ich mich irgendwann für die Bühne entschieden habe. Oder vielleicht auch nicht. Die Bauchschmerzen vor dem Auftritt hatte ich auch schon jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit.

Die Unsicherheit, was für Aufträge heute warten, welchen Kunden ich heute wieder gegenüberstehe, ob ich die Fehler schnell genug finde, bevor der Kunde zu murren beginnt in Gedanken an die hohe Rechnung, muss er doch locker vier Stunden arbeiten um sich eine Stunde meiner Arbeit leisten zu können.

Der Druck, den ich jetzt habe war also immer schon da. Der Weg zur Arbeit wurde über die letzte Sekunde hinaus verzögert, dass der Chef mein freundliches guten Morgen schon mit einem genervten Mahlzeit erwidern konnte.

Es hat sich also im Grunde nichts geändert, das Publikum fängt schnell an zu murren, statt dem Mahlzeit hört man von ihm schon vor Beginn die ersten Pfiffe. Und das bei umgekehrter Finanzlast. Mit Auf- und Abbau arbeite ich mehr als fünf Stunden, zusätzlich die Anfahrt über oft mehrere hundert Kilometer, deren Kosten ich auch selber trage. Die Leute vor der Bühne bekommen davon eineinhalb Stunden mit und können den Eintritt mit weniger als einer halben Stunde ihrer Arbeit erwirtschaften, selbst ein monatlicher Kulturanteil des Hartz IV Warenkorbes reicht. Wenn ich für achtzig Prozent Abendkasse spiele bleibt also nur etwas über, wenn der Veranstalter mich verpflegt und unterbringt. Dass ich bei Pay-After-Shows fast mehr verdiene zeigt mir aber, wie gut ich bin.

Das geht aber alles nur, weil meine Frau richtig arbeitet, der Ausdruck meiner Mutter für das, was sie im Gegensatz zu mir tut. Da brauche ich mich wenigstens nicht um die Miete und somit um den Erhalt meines Heimathafens zu sorgen.

Zusätzlich managt sie ein bisschen das Drumherum, sonst gäbe es keine CDs und T-Shirts von mir, und erst recht nicht die Unterhosen mit der Aufschrift –was du willst– ohne Interpunktion, damit jegliche Betonung zulassend. Die Frauenslips gehen übrigens besser als die für die Männer, wobei ich allerdings nicht darauf achte, ob er oder sie kauft.

Und wenn sie mal Zeit und Bock hat begleitet sie mich, kommt mit auf die Bühne, macht Percussion und rezitiert einige Texte mit mir gemeinsam. Das sind für mich die entspannten Abende. Sie hat immer gleich einen natürlichen Draht zu den Leuten da vorne, schäkert, flirtet, macht Ansagen und ich kann ganz relaxt meinen Job tun.

Sie degradiert mich schon ein wenig zu einem Statisten in meiner eigenen Show, macht aus meinen kleinen Dramen, mit denen ich zum Nachdenken anrege um die Welt zu verbessern, kleine Geschichten, die ich zwischendurch erzähle. Aber der Erfolg gibt uns recht, bin ich allein verkaufe ich nicht halb so viel.

Und wenn ich mich beschwere, von wegen, Thema verfehlt, dann beruhigt sie mich, die Leute seien doch alle nur wegen mir gekommen weil von ihr ja keiner wissen konnte. Sie hat recht, und ich kann mir wieder auf die Schulter klopfen. Aber was ist, wenn ich das nächste Mal wieder allein hier stehe.

Du kannst das. Du schaffst das. Du bist gut.

Das ist in etwa die Konversation, die ich in der Garderobe mit meinem Spiegelbild führe. Aber was nützt es mir, wenn ich sehe, wie der Mann im Spiegel sich vor meinen Augen immer mehr aufrichtet, ich meine eigenen Zweifel aber nicht wegreden kann.

Mein Therapeut hat mich zu der Überzeugung kommen lassen, dass ich mit einer Veränderung ja nur gewinnen kann, wenn ich mich in meinem alten Job so unwohl fühle.

Das Talent in mir hatte ich ja schon lange entdeckt, aber Arbeit tötet jegliche Kreativität. Dabei ist es doch so einfach, schreibe ich jeden Monat einen kleinen Text, klampfe etwas dazu, dann habe ich alle zwei Jahre so viel Material, dass ich eine überdurchschnittlich gute Auswahl für einen Tonträger oder ein Buch daraus treffen kann.

Dazu eine Dauerpräsenz auf der Bühne, ehrliche Arbeit ohne Anbiederung an den breiten Geschmack, dann wird sich der Mainstream im Lauf der Zeit so in meine Richtung biegen, dass ich in zehn Jahren ein gutes Auskommen habe. Auf halber Strecke bin ich allerdings immer noch bei Brot und Wasser und zusätzlich abhängiger von meiner Frau als jemals zuvor.

Die Arbeit ist nicht weniger fordernd als in meinem alten Job. Und wenn ich jetzt einmal Pause habe, dass ich kreativ arbeiten könnte, verpisse ich mich mit unklarem Auftrag und Depression in mein abgedunkeltes Zimmer. Andererseits, lucky People have no Stories, also habe ich einen guten Nährboden und es kann nur nach oben gehen.

Als spätberufener hat man es natürlich doppelt schwer, ganz genau so, wie es in der freien Wirtschaft für ältere Männer fast unmöglich ist, einen Job zu finden, so verhält es sich auch im Showgeschäft. Als junger Mann im Business reißen dir ein Teil der Frauen und auch der ein oder andere Mann unkritisch die CDs aus den Händen und die Klamotten vom Leib.

Als reifer Unterhalter mit Lebenserfahrung kriegst du dann eher schon mal zu hören, ja Papa, du magst ja irgendwo Recht haben, aber was haben wir damit zu tun.

Wir als Jugend waren erst einmal gegen alles, erarbeiteten uns Perspektiven und veränderten, wenn auch nur um Nuancen, die Realität. Wir gingen nach kritischen Shows Häuser besetzen. Heute gehen sie alle glücklich nach Haus nachdem ihnen die Comedians auf der Bühne vorgeführt haben, wie dummblöd sie auch hätten werden können.

Es ist gelungen, uns die Meinungs- und Pressefreiheit als allerhöchstes Gut einzutrichtern, so dass wir die daraus entstehende Desinformation durch Overkill als Krönung der Demokratie ansehen. Da kann das Publikum natürlich den Eindruck gewinnen, ich stehe als besserwisserischer Oberlehrer mit erhobenem Zeigefinger vor ihm und lässt mich durchfallen.

Wenn ich früher am Bau einen schlechten Tag hatte, habe ich das den anderen Tag wieder kompensiert, aber wenn ich hier keinen erreiche, dann habe ich alle verloren.

Und wenn ich nach einem solchen Abend mich eine schlaflose Nacht lang vor dem Publikum, vor mir selbst und vor meiner Zukunft gegruselt habe, muss ich den nächsten Abend wieder unbefangen ins Scheinwerferlicht treten. Als Fußballer könnte ich es mir leicht machen und erklären, wenn das Publikum als zwölfter Mann so schlecht mitspielt, können wir elf ja auch nichts mehr rausreißen. Aber bringt man auch nur ansatzweise anspruchsvolle Kultur, erreicht man mit Publikumsbeschimpfungen eher mal die totale Abwendung und als unbekannter Künstler bekommst du dann nicht einmal negative Presse.

Aber ich habe Glück. Ich kann mein eigenes Ding machen. Mein ewiger Traum: von etwas selbstgeschaffenem leben. Ich habe ihn mir erfüllt. Ich bin gut, und die Grenzen meiner Kreativität sind noch nicht abzusehen.

Ich bin Ich. Ich bin gut.

Auch so Sätze, die mir mein Therapeut zum Aufsagen mitgegeben hat. Aber je mehr Bestätigung ich erhalte, desto größer werden auch immer die Zweifel. Jetzt vielleicht, aber was ist Morgen. Bin ich eigentlich wirklich mein eigener Herr, wenn die Leute auf mich warten und ich da raus muss?

Heute Abend ist es etwas anderes, da bin ich wirklich frei in meiner Entscheidung, keine Verträge. Ich kann jederzeit umkehren ohne negative Kritik einfahren zu müssen.

Die Vorbereitungen sind die Gleichen wie jeden Abend. Ich werde mich zerreißen. Presse ist mir gewiss. Das wird mein Durchbruch. „Break on through to the other Side“ singe ich aufmunternd laut für mich.

Meine Einstimmung ist eine rein mentale Sache. Auf gut deutsch gesagt, ich muss mir in den Arsch treten, um den Weg ins Scheinwerferlicht einzuschlagen und nicht still in die andere Richtung davonzulaufen. Noch einen Gedanken an meine Frau, die immer die passende Aufmunterung für mich hat. „Du fehlst mir Schatz, ich liebe dich, alles wird gut.“

Ich spüre die Vibration. Drei Lichtpunkte fahren auf, werden heller, die Lichtfinger suchen mich, die Geräuschkulisse steigert sich langsam aber stetig. Wie wird sie sich ändern, wenn ich ins Scheinwerferlicht trete. Heute Abend habe ich eine sehr genaue Vorstellung davon. Es wird das helle Quietschen von Metall auf Metall sein, begleitet vom durchdringenden Dröhnen einer Druckluftsirene wenn ich vor meinen letzten Vorhang trete.

Ich atme noch einmal tief durch, richte mit schnellen Griffen mein Outfit und mache mutig den Schritt zwischen die Gleise.




 

©Ewald Frankenberg 06.2012

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.06.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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