Manfred Bieschke-Behm

Frauenstammtisch


Uschi Germersdorf, das ist die Angestellte aus dem Sonnenstudio gleich um die Ecke, ist wie immer die Erste am Stammtisch. Schnell überblick sie den gesamten Tisch und stellt fest, dass das Stammtischsymbol, eine vergoldete 7 mit dem Schriftzug „Die Fröhlichen“ nicht in der Mitte des Tisches platziert ist. Rasch ist die Korrektur vorgenommen und sie hat nun Zeit den für sich besten Platz am Tisch auszusuchen. Sie wählt den Platz mit Blickfreiheit zur Tür. So kann sie immer beobachten wer rein und raus geht. Uschis stark gebräunte Arme heben sich wunderbar von der weißen Tischdecke ab. Überhaupt, sie mag es am ganzen Körper knackig braun zu sein. Nicht allein deshalb hat sie den Job im Bräunungsstudio angenommen. Der freundlichen Bedienung, die nun vor ihr steht, gibt sie eine sanfte Abfuhr. Sie will mit ihrer Bestellung noch warten, bis die anderen Stammtischfrauen vor Ort sind, gibt sie der Bedienung zu verstehen. Uschi schaut teils gelangweilt teils aus Neugierde auf ihre Uhr und stellt fest, dass es noch vor der Zeit ist und es deshalb keinen Grund gibt ungeduldig zu werden. Gedankenverloren spielt sie mit den Knickfalten der Tischdecke und beobachtet dabei die Gäste, die sich auch im Lokal „Zur blonden Helga“ eingefunden haben. Seit mehr als zwei Jahren trifft sich der Frauenstammtisch einmal im Monat hier in diesem Lokal. Noch nie war es Uschi aufgefallen, dass ihr gegenüber an der Wand ein Bild hängt auf dem ein blonder, blauäugiger Matrose der sehnsuchtsvoll in die Ferne schaut abgebildet ist. Der Hintergrund zeigt eine leichte Meeresbrandung die sich in das endlos erscheinende Meer ergießt. Ganz am Ende des Horizonts ist ein Schiff zu sehen, dass vermutlich den Matrosen mit seiner Sehnsucht zurückgelasen hat. Komisch, denkt Uschi, wieso ist mir dieses Bild bisher nicht aufgefallen. „Sag Helga“ so heißt die Lokalinhaberin die heute gleichzeitig die Bedienung ist, „sag Helga, hängt das Bild schon immer da?“ „Im Lokal hängt es schon ein, zwei Jahre. Aber dort, wo es jetzt hängt, da hängt es erst seit etwa vierzehn Tage.“ ruft Helga vom Tresen herüber zu Uschi. Uschi hat keine Lust auf das Gesprächsthema näher einzugehen und beschäftigt sich lieber mit einem erneuten Blick auf ihre Uhr. Sie stellt fest, dass es jetzt kurz vor 20 Uhr ist und die anderen so langsam eintrudeln könnten. Sie hat den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da geht die großflächig mit gelbem Butzenglas versehende Eingangstür auf und Sylvia Heselmann betritt das Lokal. Sylvia, im Vergleich zu Uschi, ist hellhäutig, man könnte fast sagen, dass sie eine Blässe hat, die unangenehm auffällt. Ihr schönes braunes Haar könnte durchaus gebräunte Haut vertragen, denkt Uschi. Sylvia kommt Uschi näher. Sie verweigert ihr den obligatorischen Handschlag und dem dazu gehörenden „Bussi-Bussi“. „Was ist los mit dir?“ fragt Uschi besorgt und stellt dabei fest, dass um Sylvias Hals ein dicker Schal gewickelt ist. „Du siehst ja noch blasser aus, als sonst. Bist Du etwa krank?“ fragt Uschi besorgt nach.
„Ja, mich hat es erwischt“, krächzt Sylvia ihr entgegen. „Na das ist ja furchtbar“ reagiert Uschi fassungslos. „So viel ich weiß hast du doch am kommenden Wochenende einen Auftritt – oder?“ „Du sagst es!“ versucht Sylvia verständlich zu formulieren und fährt fort, indem sie sagt: „Den Auftritt kann ich wohl vergessen. Das Schlimmste, was einer Sängerin passieren kann, ist die Stimme zu verlieren. Resigniert und traurig fügt sie noch hinzu: „Ich habe mich so auf das Konzert gefreut und nun dass…..“ Während sie ihren letzten Satz kaum
 
 
zu Ende gesprochen hat, signalisiert sie der Wirtin, dass sie sich etwas bestellen möchte. Sie bestellt sich einen Fencheltee und bei der Gelegenheit bestellt sich Uschi ein Glas Rotwein. Uschi und Sylvia sitzen nebeneinander und wissen offensichtlich nicht, worüber sie sich unterhalten sollen zumal es Sylvia schwer fällt zu reden. Gerade als der Tee und der Rotwein serviert werden, erscheinen Monika Lewitzky und Hannelore Fuchs. Die zwei sind, wie immer, gut gelaunt und sprühen über vor Lebensfreude. Hannelore Fuchs hat heute noch rotere Haare, als beim letzten Treffen, stellte Uschi für sich fest. So ein richtiger „Feuerfuchs“ denkt sie und begrüßt bei diesem Gedanken mit Handschlag und „Bussi-Bussi“ sowohl Hannelore, als auch Monika. Hannelore, die als Berufsbezeichnung „Künstlerin“ angibt, scheint heute besonders gut drauf zu sein. Ohne Punkt und Komma erzählt sie, so dass den anderen vom zuhören schwindelig werden kann. Hannelore hat wirklich immer viel zu erzählen. Nur von ihrem Beruf „Künstlerin“ erzählt sie nie etwas Konkretes. Warm wohl, denkt Uschi. Sylvia indessen geht es nun noch schlechter, muss sie doch miterleben, dass übersprühende Lebensfreude zurzeit nicht ihr Ding ist. Es ist ihr fast unangenehm und schwer zu ertragen, wie Hannelore, aber auch Uschi offenbar sorgenfrei ihr Leben gestalten. Monika, die Freundin von Hannelore, ist von Natur auch lebhaft, aber wirkt nicht so aufdringlich, mehr zurückhaltender. Monika widmet sich in Fürsorge um Sylvia und fragt, ob sie etwas für sie tun könne. Sylvia schüttelt nur den Kopf, was soviel bedeutet wie, lass mich heute besser in Ruhe. Monika begreift sofort und wendet sich Uschi zu die gerade dabei ist, ihr Glas Rotwein zu leeren. “Na Uschi, wie geht es dir?“ „Ach mir geht es gut – sieht man das nicht?“ fragt Uschi keck zurück. „Du siehst immer aus, als würdest du gerade aus dem Urlaub kommen“ stellt Monika fest. Uschi und Monika vertiefen ihr gemeinsames Gespräch und bemerken nicht, dass Regina Ziegler das Lokal betreten hat. Regina ist von allen die Sportlichste. Wie fast zu allen Stammtischtreffen erscheint sie auch heute mit auf Sportdress abgestimmtes Stirnband das ihre langen blonden Haare raffiniert zusammenhält und ihr dezent geschminktes Gesicht voll zur Geltung kommen lässt. Heute trägt sie ein Sportdress von dem man glauben könnte, dass es speziell für ihre Figur gemacht wurde. Natürlich kommt sie gerade vom Joggen und trotzdem wirkt sie keinesfalls erschöpft oder abgekämpft. Sie die Sportlehrerin grüßt im Allgemeinen und verzichtet darauf „Bussi-Bussi“ zu verteilen und zu erhalten. „Helga bringst du mir ein stilles Wasser?“ ruft Regine der Wirtin zu noch bevor sie sich hinsetzt. Monika beobachtet Regine neidvoll. Sie bewundert Regines sportliche Erscheinung und wünscht sich selbst so eine drahtige Figur. Ihre eigene Figur ist, vorsichtig ausgedrückt, eher etwas breiter angelegt. Monika ist Malerin. Besser gesagt Kunstmalerin. Sie hat Malerei studiert und versucht sich über den Verkauf eigener Bilder „über Wasser“ zu halten. Sie hat auch schon ihre Bilder ausgestellt aber das kommt doch eher selten vor. Monika hat sich auf Gebrauchsmalerei spezialisiert. Das heißt, sie malt nach Wünschen ihrer Kunden. Egal ob Landschaften, Porträts  oder den Lieblingshund. Momentan geht es Monika finanziell nicht so gut. Die Auftragslage ist schlecht. Dennoch verliert sie nicht ihren Mut und auch nicht den festen Glauben daran, dass es bald wieder aufwärts gehen wird.
 
Nun fehlen in der Runde nur noch Inge Fischer und Veronika Larsen. Beide sind im Einzelhandel tätig. Inge ist gelernte Konditorin und arbeitet im Café am Rathausplatz als diejenige, die die besten Torten der Stadt herstellt. Veronika verkauft Modeschmuck im Einkaufcenter gleich neben dem Bahnhof und betreibt für ihr Gewerbe eine gute Reklame. Wo immer Veronika auftauscht könnte man meinen ein „geschmückter Christbaum ist unterwegs. Alle Finger tragen Ringe und diverse Ketten schmücken ihren Hals.
Als wenn sie sich verabredet hätten, treffen Inge und Veronika gleichzeitig ein. Vor der Tür werden sie sich nicht einig, wer nun zuerst das Lokal betreten soll. Nachdem Veronika Inge den Vortritt eingeräumt hat, gehen beide zielstrebig zum Stammtisch. Es folgt das übliche Begrüßungszeremoniell, dass heißt Händereichung und „Bussi-Bussi“, diesmal sogar über den Tisch hinweg. Jedes Mal wenn Veronika sich wegen der Begrüßung über den Tisch lehnt stößt sie mit ihren Halsketten entweder gegen Gläser oder gegen das Stammtischsymbol. Sylvia lässt sich nicht in gewohnter Weise begrüßen. Sie lehnt dankend ab.
Nun sind alle sieben Frauen, die zum Stammtisch gehören, anwesend. Als Außenstehender könnte man meinen, dass jede Einzelne seit dem letzen Treffen sehr viel erlebt haben muss und unbedingt darüber reden will. Das Durcheinander lässt es nicht zu, sich auf das Thema einer Einzelnen zu konzentrieren. Sylvia hätte gar keine Chance sich stimmlich durchzusetzen. Als lässt sie es und hofft nur, dass sich die Gemüter bald beruhigen.
Plötzlich wird das Stimmgewirr unterbrochen. Monika, die Malerin steht plötzlich auf, erklärt kurz, dass sie jetzt geht und verlässt sogleich das Lokal. Plötzlich ist es ganz still am Stammtisch. Alle Gespräche sind abrupt unterbrochen. Die Frauen schauen sich verwundert an. Keiner fällt etwas Sinnvolles ein, um es auszusprechen. Nach dem großen Stimmengewirr nun totales schweigen. Selbst der Wirtin fällt die Stille auf und sie fragt: “Ist was?“ Sie bekommt keine Antwort. Endlich findet Uschi Worte, die sie loswerden möchte „Kann mir einer von euch erklären was das eben sein sollte?“ Während sie ihre Frage stellt versucht sie alle Anwesenden ins Gesicht zu schauen. Eine Antwort bekommt Uschi nicht. Allgemeines Schulterzucken und verunsicherte Handlungen wie das sinnlose drehen des Weinglases sind die Reaktionen. „Keine Ahnung“ sagt endlich Inge. „War sie denn von Anfang an anders als sonst?“ fragt Inge nach. „Nö“ war die knappe Antwort von Hannelore, die, während sie „Nö“ sagt, mit beiden Händen zufrieden durch ihr feuerrotes Haar fährt. Sylvia, die bisher überhaupt nichts gesagt hat, vielleicht auch nicht gehört wurde, versucht mit ihrer brüchigen Stimme zu erklären, dass ihr auffiel, dass Monika mehrmals auf das „Matrosenbild“ gestarrt hat. Dabei glaubte sie zu erkennen, dass Hannelore irgendetwas bedrückte. Keine der anderen Frauen hat ähnliches beobachtet und konnte deshalb Monikas Beobachtung auch nicht bestätigen. Hierfür war auch gar keine Zeit, denn jede der Stammtischfrauen hat mehr oder weniger mit sich selbst zu tun bzw. war daran interessiert sich zu präsentieren. „Wer weiß, was in sie gefahren ist“ raunt Regina. „Ich muss euch sagen“ ergänzt Inge, „ich muss euch sagen, dass mir Monika schon bei dem letzten Treffen durch ihr Verhalten aufgefallen ist“. „“Ja, was ist dir denn aufgefallen?“ wollte Regine wissen. „ Na, ja, ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll….“ „Na, dann lass es doch“ erklärte Uschi und erklärte „wenn keiner von
 
uns genau weiß, warum Monika gegangen ist, bringt es auch nichts, sich über ihren Abfang den Kopf zu zerbrechen“. „Das finde ich auch“ so oder ähnlich regieren die anderen Frauen.
Schnell finden sich andere Themen die für alle Anwesenden von Interesse sind. Nur Sylvia kann mit dem Thema „Monikas Abgang“ gedanklich nicht so recht abschließen. Ist es wirklich das Matrosenbild dass Monika veranlasst hat die Stammtischrunde zu verlassen, denkt Monika, oder sind wir es, die Monika nicht ertragen konnte? Sylvia versucht ihre ins Nichts führenden Gedanken zu Monika auszublenden, was ihr aber nicht so recht gelingen will. Sie ertappt sich wie sie das „Matrosenbild“ anstarrt und plötzlich auch den Wunsch hat, die Stammtischrunde zu verlassen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.07.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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